Erschienen in Ausgabe: No. 21 (1/2005) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
von Stefan Groß
Neben
nationalen Rechtsinteressen, die Krause in seiner Rechtsphilosophie
immer wieder aufgreift, ist es die übernationale Idee eines
Rechtsbundes, der die unterschiedlichen Völker miteinander
vereinen soll, auf die er immer wieder reflektiert. Mit der Idee
eines „europäischen Staatenbundes“ sowie mit seinem Gedanken
einer universal geltenden Rechtsordnung – dem „Erdrechtsbund“ –
greift Krause Gedanken aus der Renaissance auf. Schon Erasmus von
Rotterdam und – vor ihm – Nikolaus von Kues hielten an einer Idee
Europas fest. Aber auch Gedanken, die mittlerweile innerhalb der UNO
diskutiert werden, lassen sich, wie anfangs betont, bereits bei
Krause finden. In Anlehnung an Kants Idee eines ewigen Friedens sucht
er nach einem universalen Rechtsbegriff, der für alle Völker
Rechtsgültigkeit besitzen soll. Weil es sich beim „Erdrechtsbund“
um eine Idee handelt, die sich aus dem Ideal des Rechts und des
universal gültigen Rechtsgedankens ableitet, handelt es sich
dabei um ein „Noumenon“. Da der „Erdrechstbund“ noch nicht
phänomenal nachzuweisen
ist, bleibt seine Umsetzung eine Aufgabe der zukünftigen
Gesellschaft, die sich diesen Gedanken aufgibt.1
Neben individuellen, körperschaftsbezogenen und
allgemeinen Rechten, die die jeweiligen Staatsbürger
verpflichten,2
geht es Krause also um den Völkerrechtsgedanken, den er bereits
1814 entwickelt. In seinem „Entwurf eines
europäischen Staatenbundes als Basis eines allgemeinen Friedens
und als rechtliches Mittel gegen jeden Angriff wider die innere und
äußere Freiheit Europas“
schreibt er:
„Wie die jetzt bestehende und noch neulich (am ersten des März 1814) auf zwanzig Jahre für den Fall des Kriegs fester entschlossene Allianz der ersten Mächte Europas bleibend und auch für die Zwecke des Friedens wirksam gemacht, – wie durch sie ein vollkommener Rechtszustand aller Staaten Europas herbeigeführt werden könne, – dies zu zeigen, und für einen durch jene Allianz möglich gewordenen europäischen Staatenbund für Krieg und Frieden, eine gerechte, unumstößliche und im echten Sinne freie Verfassung vorzuschlagen, ist die Absicht dieser Abhandlung.“ Des weiteren heißt es: „Das Urbild des Rechtes und des Staates den Völkern und ihren Beherrschern vor Augen zu stellen, ist besondere Pflicht zur Zeit jener Wendepunkte der Geschichte, welche das Eigentümliche der Bildung der Menschheit auf Jahrhunderte bestimmen. Ein solcher ist im Jahr 1813 eingetreten. Wird der Entwurf eines europäischen Staatenbundes von den wider Frankreichs rechtswidrige Obergewalt verbundenen Staaten ausgeführt, so ist die rechtliche Freiheit Europas, und dadurch in Zukunft die Freiheit aller Völker der Erde gesichert. Das System des bloß politischen Gleichgewichts ist dann entbehrlich, und das einer despotischen Universalmonarchie forthin unausführbar.“3
Mit
seiner Schrift reagiert Krause zum einen auf den ersten Frieden von
Paris vom 30. Mai 1814, der die Grenzen Frankreichs von 1792 als
Großmacht bestätigt, zum anderen greift er die Neuordnung
des europäischen Staatensystems auf, wie sie im November 1814
auf dem „Wiener Kongreß“ verhandelt wurde.
Aus der Sicht der analytischen Rechtsphilosophie, die
nach basalen Grundrechten, Verpflichtungen und einer Ableitung
derselben aus einem universalen Rechtsgrund sucht, den Krause mit
Gott identifiziert, läßt sich bereits die Verwirklichung
gewisser Grundrechte phänomenal nachweisen, denn jeder
vernünftige Staat hat dafür Sorge zu tragen, daß
Eigentumsrechte und individuelle Freiheitsrechte gewahrt werden.
Freiheit ist für Krause – das persönliche Eigentum
eingeschlossen – die höchste Idee, zu der ein Staat vordringen
kann. Daher fordert er auch, daß die Freiheit der Bürger
zur absoluten Maxime werde, diese Freiheit muß durch den Staat
garantiert werden.
Solange man aber nicht zur Idee des Rechtes und damit
zum Rechtsgrund Gott vorgestoßen ist, bleibt die Rechtslehre
eben nur provisorisch. Daher fordert Krause, daß sich die
Rechtsgelehrten in der Metaphysik bilden, denn nur von der Erkenntnis
des Absoluten ausgehend läßt sich der Rechtsgedanke
wissenschaftlich begründen. Denn: Recht ist, metaphysisch
gesehen, eine Wesenheit, eine Eigenschaft Gottes und damit eine
universale Idee, die, sobald sich der Mensch an ihr orientiert, zum
transzendentalen Ideal wird. „Alles Recht stammt aus Gott, –
jedes Wesen nimmt seine Rechte zuhöchst aus Gott – ist nur ein
großer Staat des Weltalls, und Gott ist der allgerechte
Monarch, der die Wechselwirkung aller Dinge als der untrügliche
Gesetzgeber und Richter beherrscht. Alle Dinge sind in dieser
Hinsicht Diener und Rächer der ewigen Gerechtigkeit Gottes.“4
Die Rechtsmetaphysik bildet somit das Fundament, an die
sich die Rechtsgeschichte einerseits und die Einzelrechte
andererseits anschließen. Sie beinhaltet aber auch, daß
jeder einzelne Mensch als Bild Gottes zu achten ist, wobei ihm auch
das unveräußerliche Recht zukommt, in Freiheit zu leben.
Wie Kant kann Krause formulieren, daß der Mensch
niemals als Mittel, sondern auch – als Rechtsperson – als Zweck
an sich selbst behandelt werden muß.5
Er geht sogar – innerhalb seiner Rechtsmetaphysik – so weit, auch
der Natur gewisse Rechte einzuräumen. So kann er fordern, daß
die Natur als Bild Gottes zu schützen sei, wobei der Mensch
diese Aufgabe übernehmen soll.6
Dies ist ein Gedanke, der unabhängig von rechtsmetaphysischen
Ansätzen heutzutage innerhalb der ökologischen
Humanismusdebatte diskutiert wird.
Neben der Rechtsmetaphysik, die Krause innerhalb seiner
allgemeinen Analytik entwickelt, interessiert er sich – im Rahmen
seiner wirklichkeitsbezogenen Rechts- oder universalen Gerechtigkeit
– für praktikable Rechte. Zwar geht er davon aus, daß
sich der Rechtsgedanke metaphysisch ableiten müsse, diesem
Gedanken steht aber auch der phänomenal-rechtliche Gedanke eines
universalen Völkerrechtes nicht entgegen, denn innerhalb der
Rechtsgeschichte muß sich die Idee des Rechtes spiegeln sowie
umgekehrt der Völkerrechtsgedanke auf die Idee verweisen. Analog
zur dritten metaphysischen Potenz, die Krause, wie betont, – neben
Vernunft und Natur – als synthetische Einheit aller Wesen als
Menschheit versteht, muß es durch das synthetische oder
harmonische Recht gelingen, alle Völker – unabhängig von
ihrem Bildungsstand und ihrer politischen Entwicklung – miteinander
zu vereinigen. Erst wenn der Völkerbund Wirklichkeit wird,
nähert sich das Recht seinem Ideal an und wird zur Darstellung
der göttlichen Wesenheit und damit zum Symbol endlicher
Gerechtigkeit. Nur auf diesem Weg gelingt es, ähnlich wie bei
Augustinus, daß sich das menschliche Recht und damit der Staat
mit der „civitate dei“ verbindet.
Gleichwohl sich Krause – wie Schiller – zuerst für
die „Französische Revolution“ begeistert und später –
ähnlich wie Hegel – in Napoleon den Repräsentanten eines
europäischen Staatenbundes sieht, distanziert er sich innerhalb
seiner Rechtsvorstellung zunehmend vom politischen Absolutismus. An
seine Stelle setzt er das „Noumenon“ eines idealen Völkerrechtes,
mit dem er die Vorstellung verbindet, daß Rechtsunstimmigkeiten
und damit geschichtliche Verfehlungen nicht mehr geschehen können,
sobald allein das Recht regiert. Dies bedeutet, daß nicht ein
einzelner Regent über die Rechtsbelange zu entscheiden hat,
sondern daß es das Recht selbst ist, das unabhängig von
Personen und Institutionen für die Rechtsidee steht. Erst wenn
sich die einzelnen Staaten Europas – wobei Deutschland, ähnlich
wie bei Fichte, eine bedeutende Rolle spielen soll – zu einer
Gemeinschaft verbinden, erst dann kann die Idee einer supranationalen
Völkergemeinschaft verwirklicht werden.
Die Idee von einem allgemeinen Frieden sieht er dabei
negativ in einem Abwehrrecht und positiv im Recht wechselseitiger
Anerkennung. Abwehrrechte greifen dann, wenn sowohl der einzelne
Staat als auch die Rechtsordnung gefährdet sind. In diesem
Zusammenhang empfiehlt Krause – als letzte nur erdenkliche Lösung,
um den allgemeinen Frieden zu sichern – auch das Recht zur
Verteidigung. Kann man sich einem absolutistischen System nur dann
entledigen, wenn man dieses durch eine Revolution stürzt, um der
Freiheit aller Platz zu verschaffen, dann ist diese Revolution ein
folgerichtiges Mittel, um die Idee eines universalen Friedens
durchzusetzen.
Mit dieser Forderung steht er sich in die Tradition des
christlichen Rechtsgedankens, der den Krieg erlaubt, wenn man mit
friedlichen Mitteln nicht weiterkommt. Wie für das Christentum
ist aber auch für Krause der Krieg kein Mittel, um den
Völkerbund herzustellen, sondern nur ein notwendiges Übel,
das man in Kauf zu nehmen hat, wenn andere Bemühungen nicht mehr
greifen. Neben dieses negative Recht, Kriege zu führen, stellt
Krause seine positive Rechtsauffassung des Völkerrechtsgedankens.
Hierbei unterscheidet er zwischen einem immanenten und einem
transzendenten Recht. Während das immanente Recht die
staatlichen Zusammenhänge und ihre jeweiligen Rechtsbünde
regelt, sichert das äußere Recht – oder objektive Recht
– den Einzelstaat nicht nur vor feindlichen Angriffen, sondern
stellt eine binnenstaatliche Ordnung her, die Krause in einer
liberal-aufgeklärten demokratischen Ordnung sieht. Gibt es
innerhalb eines Staates Rechtsmißstände, dann sind diese
erst zu beheben, bevor sich der Einzelstaat in eine universal
geltende Rechtsordnung begibt. Neben Persönlichkeitsrechten, zu
denen beispielsweise der Schutz der Menschenwürde gezählt
wird, sind es auch die vier allgemeinen Rechtszwecke, auf die jeder
Bürger Anspruch hat. Zu diesen zählt er das Recht auf
Fortbildung, das Recht auf Religionsfreiheit und Ausübung, das
Recht und den Schutz auf Wahrung der Sittlichkeit und nicht zuletzt
das Recht auf freie Kunstausübung. Diese vier immanenten
Rechtszwecke müssen von jedem Staat garantiert werden.
Dieser innere Friede ist letztendlich für Krause
der Garant dafür, daß der äußere oder
universale Frieden zwischen den Völkern der Staatengemeinschaft
hergestellt und dann gewahrt werden kann. Erst wenn private und
öffentliche Rechtsansprüche also durch den Staat
legitimiert werden, erst dann ist der Staat bereit, auch andere
Staaten und ihre jeweiligen Rechtsverfassungen zu akzeptieren. Das
höchste Ideal des Staates, das dieser zu erreichen vermag, ist
die Umsetzung der Menschheitsidee, die Krause sowohl in seiner Logik,
Religions-, Moral- und Rechtsphilosophie als den höchsten Zweck
begreift, den die Rechtssubjekte innerhalb ihrer Endlichkeit
erreichen können. Dieses „Noumenon“ – in überregionaler
Perspektive, die Idee der Menschheit – zu verwirklichen, bleibt
eben damit die Aufgabe jedes einzelnen Staates.
Über diese regionale Rechtsvorstellung eines
ideal-europäischen Staates hinausgehend, sucht Krause nach einer
Integration aller Staaten, wobei er zugesteht, daß sich auch
solche Staaten in den Rechtsbund eingliedern können, die noch
nicht zur Idee eines idealen Staates vorgedrungen sind, denn alle
„Völker haben, als völlig gleichberechtigte Personen, das
völlig gleiche Recht, in einem selbständigen Staate, in
einer selbstgewählten Regierungsform zu bestehen; jedoch darf
diese eigenthümliche Verfassung dem gleichen Rechte jedes
anderen Volks nicht widerstreiten, und muß so geeignet seyn,
daß jedes Volk jedem Volke die wechselseitigen Rechte leisten
kann“.7
Daraus kann Krause folgerichtig schließen:
„Ein Staatenbund sind mehrere Staaten, sofern sie sich rechtgemäß verbunden haben, das Recht unter sich als höheren Personen (ganzen Völkern) gesellig herzustellen, so daß alle dazu vereinte Völker innerlich und äußerlich frei, gemäß den Gesetzen sittlich freier jedem Volke eigenthümlicher Entwicklung, ihr Leben immer vollkommener entfalten können.“8
Den
freien Staatenbund begreift er dabei als föderativen, denn seine
Aufgabe ist es, für das politische Gleichgewicht aller
Einzelstaaten zu sorgen. Demgegenüber versteht er unter einem
despotischen Föderativstaat einen, in welchem statt Freiheit
willkürlicher Eigenwille der Regierung herrscht. Aus diesem
Grunde darf es innerhalb des Staatenbundes keinen übermächtigen
oder präpotenten Macht- oder Hauptstaat (Hegemonialstaat) geben,
der die Freiheitsinteressen der Einzelstaaten reguliert, denn anstatt
die Selbständigkeit der Einzelstaaten zu befördern,
erzwingt dieser nur ein despotisches Sklavenleben.9
Im
Unterschied zu Kants Vorstellungen zum ewigen Frieden, die auf einen
Friedensvertrag hinauslaufen, der als „negatives“ Surrogat,
„eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer
ausbreitenden Bundes, den Strom der rechtsscheuenden, feindseligen
Neigung aufhalten könne, und dennoch mit beständiger Gefahr
ihres Ausbruchs“ rechnen muß, setzt Krause nicht den ewigen
Frieden als Ziel, sondern den Rechtszustand der Völker selbst.
Anders gesagt: Diesem „negativ“ allgemeinen Frieden stellt Krause
die Friedfertigkeit der Einzelstaaten mit ihren Verfassungen
gegenüber. Nur freie Staaten (immanenter Friede) sind dazu
befähigt, einen internationalen Friedensbund zu schließen.
Dieser Weltstaat hat sowohl die Einzelinteressen der
Staaten zu wahren als auch die „äußeren Bedingungen der
Erreichung der Bestimmung der Menschheit“ zu garantieren. Dazu
gehören auch die Versorgung mit Nahrung und die Sicherstellung
von menschlichen Grundbedürfnissen, wie Kleidung und Wohnung.
Dazu zählen aber auch die Wahrung des Privateigentums sowie das
Recht auf Handel- und Reisefreiheit. Des weiteren hat der Weltstaat
darauf zu achten, daß das Recht auf Arbeit und das Recht auf
Lebenswürde gewahrt werden. Neben der Gewährung der
Religionsfreiheit zählt Krause des weiteren zu den
Rechtspflichten des Weltstaates, daß sich dieser um die Armen
kümmere, denn „der Adel muß nicht leben, als wenn er zu
einem ewigen Schmause da wäre“.10
Die Pflicht des Weltstaates ist es darüber hinaus, jede Person
unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Stand als freies
Individuum zu achten und anzuerkennen. Nicht nur Persönlichkeits-
und Anerkennungsrechte bestimmt Krause als Rechtspflichten des
Weltstaates, sondern auch das Recht auf Erziehung und die damit
verbundene Ausbildung zum Staatsbürger.11
Neben der Berufsfreiheit, die zu garantieren ist, soll die Erziehung
im Sinne Pestalozzis erfolgen. Die „Weltbeschränktheit“ oder
Endlichkeit des Menschen macht es notwendig, jeden Bürger des
Weltstaates zu bilden, damit er seine individuelle Würde
erreichen kann, um so ein würdiges Mitglied und Abbild der
Gesellschaft zu sein.
„Erst im Weltstaat kann jedes Volk der Erde nach seiner Würdigkeit, abgesehen von Menschenmenge und physischer Kraft, wie ein einzelnes schönes und gesundes Organ eines Leibes vollendet werden, seinen reichen originalen Nationalcharakter allseitig ausbilden und dabei doch universal sein.“12
Es
ist höchst erstaunlich, mit welch konkreten Vorstellung Krause
die „Weltordnung“ herstellen will, die sich aus heutiger Sicht so
schwer gestaltet.
Bemerkenswert ist auch – blickt man auf politische
Versuche der gegenwärtigen Zeit –, daß schon Krause den
Gedanken vom politischen Gleichgewicht betrachtet. Damit sieht er –
bereits vor 200 Jahren –, daß sich die Idee einer
übernationalen Vereinigung nur umsetzen läßt, wenn
jedem Einzelstaat einerseits rechtliche Autonomie, andererseits ein
gleiches Mitsprachrecht über außenpolitische
Entscheidungen zugebilligt wird. Das politische Gleichgewicht hilft,
jede künftige Konföderation der Unterdrückung
einzelner Völker zu vermeiden und damit „jedem erwachsenen
Eroberer, mit der Einsicht in des Gelingens Unmöglichkeit, die
verbrecherische Lust“ zu nehmen. Daraus leitet Krause das Recht ab,
daß nicht einzelne Staaten darüber entscheiden können,
ob sie – zwecks Territorialansprüche – einen kriegerischen
Konflikt vom Zaun brechen, sondern die Staatengemeinschaft allein
richtet darüber – wie heutzutage in Europa üblich –, ob
Rechtsmaßnahmen getroffen werden dürfen, die in die
Körperschaftsrechte der Einzelstaaten eingreifen dürfen.
Dies zu entscheiden oder darüber abzustimmen, bleibt Aufgabe
eines übernationalen Bundesrates – vergleichbar mit der
heutigen EU-Kommission.
Dieser Bundesrat soll dann aus dem „souverainen
Personale der höchsten Landesregierung jedes der vereinten
Staaten, aus den souverainen Fürsten, oder Aristokraten, oder
den Präsidenten republikanischer Staaten“ bestehen, „welche
entweder in Person, oder in von ihnen bevollmächtigten,
ununterbrochen im Bundrathe anwesenden Abgesandten in der Versammlung
des Bundesrathes erscheinen und ihre Bundrechte vertreten. Jeder
Staat kann aber nur einen Repräsentanten im Bundrathe, und
überhaupt nur eine Stimme haben.“13
Alle Vertreter dieses Bundesrates haben das gleiche Recht und
zugleich die Pflicht, das allgemeine Interesse des Staatenbundes zu
vertreten. Daher fordert Krause auch, daß innerhalb des
Bundesrates keine Hierarchie herrscht: „Daher hat der Bundesrath
keinen Präsidenten.“ Die Mitglieder des Bundesrates haben,
auch dies ist für heutige Verhältnisse bemerkenswert, nur
die allgemeinen Interessen der Staatengemeinschaft und damit des
Völkerrechts zu vertreten. Jedes innerstaatliche Interesse
bleibt somit auf den jeweiligen Rechtsraum beschränkt und kann
nicht Vorlage für ein universal geltendes Recht werden. Ziel ist
nicht ein individuelles Rechtswohl, sondern allein das Gemeinwohl
aller Staaten. Dies schließt sowohl ökonomische als auch
politische Ansprüche gleichermaßen mit ein. Da kein Staat
das Recht hat, einem anderen sein politisches Konzept vorzuschlagen
oder diesen – mit kriegerischen Mitteln – einzuverleiben, darf
sich, so Krauses rechtsnormativer Ansatz, auch kein Staat an einem
anderen bereichern. Ökonomische Verabredungen sind daher so zu
treffen, daß sie für den gesamten Staatsverbund dienlich
sind. Für ärmere Staaten empfiehlt Krause daher, daß
sie ihre Autonomie bewahren, obgleich sie von den reicheren Staaten
abhängig sind. Sie sollten daher nicht, selbst wenn der
Staatenbund ihnen eine vorläufige Verfassung gibt, um ihnen eine
immanente Rechtsstaatlichkeit zu ermöglichen, diesen imitieren,
sondern auch ihre regionalen Interessen beachten. Darüber hinaus
behält sich aber der Staatenbund einerseits als Rechtspflicht,
andererseits als Rechtsgut die Möglichkeit vor, diejenigen
Staaten aus dem Verbund zu verstoßen, die nicht den
immanent-rechtsallgemeinen Verabredungen oder – rechtlich gesehen –
Grundsätzen folgen. Man kann auch einem Staat, der sich nicht
der allgemeinen Rechtspflicht beugt, nicht einfach den Krieg
erklären, obgleich er nunmehr zum Bund in einem äußeren
Verhältnis steht. Feindliche Handlungen gegenüber diesem
Staat sind, so Krause, aus christlicher Perspektive heraus, radikal
abzulehnen.
In Anlehnung an Rousseau „contrait social“ sieht
Krause den universalen Rechtsvertrag, den die jeweiligen Staaten
miteinander abschließen, wobei er auch hier die Vorreiterrolle
Deutschlands betont, nicht darin, daß ein Staatsvertrag
geschlossen wird, weil man von einer „negativen“ Friedensidee
ausgeht und auch einen möglichen Krieg als Abwehrrecht mit
einkalkuliert, sondern darin, daß man – aufgrund des
innerstaatlichen Friedens – freiwillig einem Staatenbund beitritt.
Anstelle einer rechtlichen Konklusion, wozu Krause auch Notverträge
zählt, die jedem Land Abwehrrechte zugestehen, ist sowohl der
Vertag mit anderen Staaten als auch die freiwillige Entscheidung, aus
dem Völkerbund auszutreten, ein Anliegen und damit ein Recht
jedes einzelnen Landes. Läßt sich ein Land jedoch auf den
universalen Völker- oder Erdrechtsstaat ein, dann obliegen
diesem Rechte und die dazugehörigen Pflichten. Zu diesen Rechten
zählen positiv das Recht auf eine einzelne Verfassung sowie die
Ausübung der Rechtstaatlichkeit unter den innerlichen und
äußerlichen Freiheitsrechten.
Krause kritisiert in diesem Zusammenhang jede absolute
Monarchie und fordert demgegenüber eine Demokratie der
„Publicität“, die es all ihren Bürgern erlaubt, an den
Belangen des Staates als freie Bürger teilzuhaben. Das, was er
hier anstrebt, erlebt heutzutage unter dem Stichwort unmittelbare
Demokratie Konjunktur.
Neben den erwähnten Rechten sind es auch die
Pflichten gegenüber der Völkergemeinschaft, auf die er
hinweist, wenn er das Recht auf wechselseitige Anerkennung, das Recht
auf wissenschaftlich-kulturellen Austausch und das Recht auf
Unverletzlichkeit staatlicher Autonomie fordert. Der Staatenbund kann
andere Völker nicht dazu zwingen, ihm beizutreten, denn dies ist
nur möglich, wie auch heutige Debatten im europäischen
Ausland zeigen, wenn sich das Volk – aus freiem Willen – dazu
entscheidet. Bei Krause heißt es:
„Die in den Staatenbund vereinten Staaten können zwar andere Staaten, die noch nicht beigetreten sind, auffordern, sich mit ihnen zu vereinen, jedoch dies nur auf eine freie Weise, ohne dem freien Willen und der freien sittlichen Entwicklung irgendeines Volkes vorzugreifen, ohne irgend ein Volk auf dem Gebiet des Rechts bevormunden, oder durch äußere Gewalt zum Beitritt in den Staatenbund nöthigen zu wollen.“14
Gehört
die freiheitliche Entscheidung einzelner Staaten, dem Weltstaat
beizutreten, zwar zum Völkerrechtsgedanken des Erd- oder
Weltstaates dazu, bedeutet dies aber nicht, daß der Weltstaat
alle Staaten auch tatsächlich in den Verbund mit aufnimmt. Auf
die heutige Zeit übertragen: Stimmt die Rechtsverfassung eines
Landes nicht, wie die der Türkei beispielsweise, die sowohl
gegen immanente Freiheitsrechte – und damit Persönlichkeitsrechte
– als auch gegen das Völkerrecht verstößt, kann
diesem Land kein Zutritt zum Staatenbund ermöglicht werden. Die
Türkei müßte also erst, wie Krause fordern würde,
ihre Verfassung ändern, wobei sie allen Menschen gleiche Rechte
und Pflichten zuerkennt, um einen Platz innerhalb eines europäischen
oder internationalen Bundes zu erhalten oder diesem beizutreten, denn
eine Voraussetzung dazu ist es, alle Rechte innerhalb des
Menschheitsrechtes herzustellen und zu sichern. Dazu gehört auch
das Recht des Menschen, sich „am Staate als Mitglied, als Bürger
[...] zu erhalten“.15
Werden diese immanent staatsbürgerlichen Rechte
gewahrt, so sieht Krause kein Problem darin, auch diejenigen Staaten
innerhalb des Bundes zu integrieren, die eine monarchische,
aristokratische, republikanische, weltliche Verfassung oder sogar
eine kirchliche Hierarchie haben.
Nachdrücklich hält Krause aber daran fest, daß
die allgemeine Verfassung weder monarchisch, aristokratisch,
republikanisch oder kirchlich geprägt sein darf. „Die
Verfassung des Bundes kann daher nie persönlich monarchisch
seyn, sondern bloß in so fern eine Monarchie, als der Bund in
der Einheit und Gleichheit des Gesetzes sich selbst regiert.“16
Bei der Aufnahme von Staaten in den Staatenbund darf es
keine Rolle spielen, ob sich diese, wenn sie das Menschenrecht
wahren, in einer ökonomisch schlechten Verfassung befinden. Der
Bund hat dann dafür zu sorgen, daß intensivere
Handelsbeziehungen zu diesen Staaten aufgenommen werden, was kurz
über lang zur Unabhängigkeit führen werde. Sowohl die
Hilfe des Bundes, daß sich der Staat zu einer unabhängigen
Einheit bilde als auch die Pflicht, diese Unabhängigkeit zu
ermöglichen, zählt Krause zu den Rechtspflichten des
Staatenbundes.
Dieser Staatenbund hat auch darüber zu entscheiden,
wie mit Völkern umgegangen wird, die dem Bund noch nicht
beigetreten sind, oder andere Bünde gefährden.17
Im Falle, daß einzelne Staaten den allgemeinen Bund bedrohen,
hat der Bund als ganzer als Recht, über Krieg oder Frieden zu
entscheiden. Das allgemeine Völkergericht hat dann zu
untersuchen, ob es sich bei den Rechtsverstößen um ein
völkerrechtliches Verbrechen handelt. Als juridicum parium darf
es aber keine Strafen verhängen, sondern muß das Unrecht
freilegen und den jeweiligen Staat auffordern, dieses zu beseitigen.
Beseitigt der einzelne Staat das Unrecht nicht, so darf dieser aus
dem föderativen Staatsbund ausgeschlossen werden.18
Der Staatenbund „promulgirt seine innere Verfassung allen Völkern, und erklärt zugleich, daß er jedes Volk des Erdrundes als sein Brudervolk, als gleichberechtigten Bürger des Reichs der Menschheit auf Erden anerkenne, es sey nah oder fern, klein oder groß, reich oder arm, mächtig oder schwach, auf höherer oder niedriger Stufe der Bildung; daß er bereit sey, jedem entstehenden Rechtsstreit zwischen ihm oder einem seiner Bundstaaten und einem noch nicht vereinten Volke in friedlicher Unterhaltung, nach seinem promulgirten völkerrechtlichen Gesetzbuche, zu schlichten, und zu verhüten, daß nicht zwischen den Streitenden ein rechtloser Zustand eintrete, den bloße Gewalt und Glück des Kriegs enden könnte; daß er keinen anderen Einfluß auf äußere Staaten begehre, als den freier, vernunftgemäßer Mittheilung gemeinnütziger Einrichtungen und Vorschläge [...]. Der Bund erklärt ferner, daß er Verzicht leiste auf jeden Erwerb an Land und Leuten durch die Gewalt des Kriegs oder durch Überlistung, für sich selbst als ganzen Bund und für jeden der in ihn vereinten Staaten, und daß er als Grund des Rechts durchaus nie und nirgends Gewalt, sondern bloß vernünftige und von den Völkern durch Verträge angenommene Rechtsgründe anerkenne; und daß er bereit ist, jedes Volk als Mitglied aufzunehmen, wenn dasselbe die Bedingungen des Grundvertrags eingehen werde.“19
Abschließend
ist festzuhalten: Krause greift die Idee Kants vom ewigen Frieden
auf, entwickelt diese aber weiter, wenn er nicht bei einem
„negativen“ Frieden stehen bleibt, sondern nach einem Reich des
Friedens sucht, das der universale Weltstaat ist, in welchem sich
alle Mitgliedsstaaten als eineMenschheit
begreifen.
Damit ist der Visionär Krause seiner Zeit weit
voraus, ja, er greift Ideale auf, die heutzutage – im Rahmen der
Idee eines internationalen Friedens – zunehmend an Bedeutung
gewinnen, da sich dieser Frieden nur umsetzen läßt, wenn
sich alle Völker an die universale Rechtsidee – das „Noumenon“
Recht – halten. Der „Erdrechtsbund“ oder Weltstaat wird für
Krause dabei zu derjenigen Instanz – vergleichbar mit den
„Vereinten Nationen“ –, der die Rechte aller Menschen und aller
Staaten schützt und im Notfall auch verteidigt.
1
Vgl. dazu die
Schrift von Krause: Der Glaube an die Menschheit. Erläutert
durch ein Lehrfragstück. Mit einer Krauses „Urbild der
Menschheit“ entnommenen Liste von dessen Verdeutschungen und einer
Einleitung herausgegeben von Alfred Unger, Berlin 1928, S. 1ff.
2
Krause:
Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft (1911),
S. 633.
3
Krause: Entwurf
eines europäischen Staatenbundes als Basis des allgemeinen
Friedens und als rechtliches Mittel gegen jeden Angriff wider die
innere und äußere Freiheit Europas 1814, hg. von H.
Reichel, Leipzig 1920, S. 8f.
4
Krause: Der
Erdrechtsbund an sich selbst und in seinem Verhältnisse zum
Ganzen und zu allen Einzeltheilen des Menschheitlebens. Aus dem
handschriftlichen Nachlasse des Verfassers, hg. von Georg Mollat,
Leipzig 1893, S. 35.
5
A.a.O., S. 36.
6
Ebda.
7
A.a.O., S. 12.
8
A.a.O., S. 11.
9
Krause: Der
Glaube an die Menschheit (1928), S. 31.
10
Krause: Der
Erdrechtsbund (1893), S. 131.
11
A.a.O., S. 91.
12
A.a.O., S. 107.
13
Krause: Entwurf
eines europäischen Staatenbundes (1920), S. 25.
14
A.a.O., S. 23.
15
Krause:
Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft (1911),
S. 632.
16
Krause: Entwurf
eines europäischen Staatenbundes (1920), S. 22.
17
A.a.O., S. 24.
18
A.a.O., S. 25.
19
A.a.O., S. 29.
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