Erschienen in Ausgabe: No 60 (2/2011) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Rainer Westphal
Wenn der 44. Präsident der Vereinigten
Staaten über eine Kommission feststellen lässt, dass wir es bei der Finanzkrise
um ein Ergebnis menschlicher Taten und Tatenlosigkeit zu tun haben, dann dürfte
er durchaus die Wahrheit ans Licht gebracht haben. Allerdings dürfte es sich
bei dem Gutachten um ein Alibigutachten handeln um vom Versagen der Politik abzulenken.
Scheinheilig werden Alan Greenspan, der ehemalige Chef der Notenbank, und der
jetzige, Bernanke, als Hauptschuldige ausgemacht.
Offenbar soll die Öffentlichkeit wieder
einmal dahingehend getäuscht werden, dass die Politiker nicht in Kenntnis waren,
dass die Märkte von Mammutkonzernen, Banken, Versicherungen und Spekulanten sowie
Geldhäusern beherrscht wurden und werden. Dieses bezieht sich insbesondere auf
Finanzmärkte, welche völlig unkontrolliert zum Spielball der Interessen, die
von der Gier getrieben werden, mutiert sind.
Mit der gleichen Problematik hatten wir
es bereits bei der letzten Weltwirtschaftskrise zu tun. Immer wieder wird der
Öffentlichkeit suggeriert, dass es vollkommene Märkte gäbe. Dabei ist eine
Marktkonstellation unrealistisch, die nicht monopolistische oder
oligopolistische Strukturen beinhalten. Dieses sollte ein Grund sein, sich mit
der Marktformenlehre und dem Werk von John Kenneth Galbraith einmal zu
befassen.
Gailbraith äußerte einmal, dass es in der
Natur des Kapitalismus läge, dass es zu periodischen Ausbrüchen des Wahnsinns
kommt. Was sich wieder einmal bestätigt hat.
John
Kenneth Galbraith (1908-1908) gehörte zu den Größen seiner Zunft. Wie kein
anderer Ökonom verfügte er über die Fähigkeit, schwierige Zusammenhänge einfach
und verständlich zu erläutern. Er hat es auf ca. drei Dutzend anschaulich
beschriebener Bücher und Broschüren gebracht. Darüber hinaus war er
gelegentlich ein Freund satirischer Zuspitzungen. Im 1958 erschienenen Buch, mit
dem Titel „Gesellschaft im Überfluss“, illustriert er seine These vom Übermaß
privater Güter und dem Mangel öffentlicher Dienste.
Nicht nur wegen
seiner populärwissenschaftlichen Texte, auch als linker Exponent war der Autor
ein Außenseiter der meist konservativ geprägten Ökonomenzunft.
Als
gebürtiger Kanadier machte er 1933 mit 25 Jahren einen Abschluss für
Agrarwirtschaft an der Universität von Kalifornien. 1937 erhielt der die
amerikanische Staatsbürgerschaft. Als Assistenzprofessor für Ökonomie ging er
zur Princeton University, nachdem seine Ernennung zur Assistenzprofessur in
Harvard aus politischen Gründen abgelehnt worden war. 1949 wurde Galbreith
schließlich doch als Professor für Wirtschaftswissenschaften zur Harvard University
berufen. 1955 publizierte er seine zu einem Klassiker der Nationalökonomie
gewordenen Analyse der Börsenkrise 1929 in seiner Schrift „The Great Crash 1929“.
1959 erfolgte die Berufung auf dem Paul M. Warburg-Lehrstuhl, wo er mit
Unterbrechungen bis zu seiner Emeritierung 1975 lehrte. Die Campuszeitschrift
„Harvard Lampoon“ verlieh dem beliebten Universitätslehrer 1976 den „Funniest
Professor of the Century Award“.
Zum
Volkswirt fühlte sich Galbraith berufen, als er das Werk des Briten Alfred
Marshall (1842-1924) las, „ohne dabei zu verzweifeln“. Die Helden dieser
Theorie sind die ständig konkurrierenden Unternehmer und die ständig mehr verbrauchen-
den Konsumenten. Er schrieb später: „Eine realistische Welt ist das nicht. Von
Wettbewerb könne keine Rede sein.“
Um zu wissen,
was richtig ist, muss man eine klare Vorstellung davon haben, was falsch ist. Diese These
lässt sich mit der Krise in der heutigen Zeit, welche nicht nur
wirtschaftlicher, sondern auch spiritueller Natur ist, durchaus in Ein- klang
bringen.
In
der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre kam er zum Thema des Versagens der
Märkte. Damals stellte er fest, dass einige wenige Mammutkonzerne die Märkte
beherrsch- ten und sich z.B. die Landwirte auf ihren Wettbewerbsmärkten allen
Schwankungen anpassen mussten. Während der Weltwirtschaftkrise reagierten die
Marktführer auf sinkende Nachfrage nicht mit Preisnachlässen, sondern mit
geringerer Produktion, so dass Landwirte auf ihren Produkten sitzen blieben. U.
a. in diesem Verhalten sah Galbraith ein Versagen des Marktes.
Ab
1940 gehörte er einem Stab an, der Präsident Roosevelt die Wahlkampfreden
schrieb. Ein Jahr später, kurz bevor die USA in den zweiten Weltkrieg eintrat,
rückte er zum Zaren über Amerikas Preise auf. Der Krieg begann die Nachfrage an
Gütern zu stimulieren. Die Preise stiegen und der Wert des Dollars nahm ab. Die
von Inflationsängsten geplagte Regierung beschloss daraufhin, den freien
Wettbewerb weitgehend einzuschränken, und für die einzelnen Waren Höchstpreise
festzusetzen. Nachdem erste Versuche missglückt waren, gelang am 28. April 1942
der entscheidende Schlag. An diesem Tag verkündete Preiskommissar Galbraith,
dass fortan die Preise das Niveau des Vormonats März nicht überschreiten
dürften.
Galbraith
wurde zeitweilig Herr über 64.000 Angestellte. Er rechnete von vornherein
damit, dass es Ärger geben musste. Bald war er der meistbeschimpfte Mann im
Land. Die industriefreundlichen Blätter forderten seinen Rücktritt, seine
Gegner hängten ihm ein Verfahren wegen „Machtmißbrauchs“ an. Im Jahre 1943 war
es dann soweit Präsident Roosevelt ließ ihn wissen, dass er seinen Hut nehmen
solle.
Entgegen
der Meinung seiner Berufskollegen, welche behaupteten, dass Höchstpreise die
Inflation nur verschleiere, blieb Galbraith bei seiner Ansicht, dass sich mit
einem Preisstopp die Inflation wirkungsvoll bekämpfen ließ. Und tatsächlich gab
es nach Aufhebung der Preiskontrolle nur einen Preisschub. So stieg 1946 der
Index der Verbraucherpreise nur um etwas mehr als 8% und 1947 um etwas mehr als
14 %. Danach beruhigten sich die Preise wieder.
1948
brachte der Kanadier „The Theory of Price Control“ heraus, in der er die Preiskontrolle
auch in Zukunft zur Bekämpfung von Inflation für wichtig befand.
In
„American Capitalism“ schrieb er Anfang der 50ziger, dass mächtige Konzerne mit
der Theorie vollkommener Märkte nichts zu tun hätten. Es würden die notwendigen
Gegenmächte fehlen, um einen Machtmissbrauch zu verhindern. Deshalb müsse der
Staat dann rechtzeitig eingreifen.
In
seiner Analyse „Anatomie der Macht“ teilte er diese wie folgt auf:
Repressive
Macht
Unterwerfung
durch unangenehme Konsequenzen
Kompensatorische
Macht
Unterwerfung
durch Belohnung von Wohlverhalten
Konditionierte
Macht
Unterwerfung
durch unauffällige psychologische Beeinflussung
Was
Galbraith als „konditionierte“ Macht bezeichnet, ist als eine Form der
Machtaus- übung, die ihren Zweck durch die unauffällige psychologische
Konditionierung d. h., Verhaltens-Änderung der zu Unterwerfenden erreicht. Das
Geheimnis dieser Macht besteht darin, dass die Beherrschten nicht erkennen, was
mit Ihnen gemacht wird, dass sie vielmehr irrtümlich glauben, ihre (von „oben“
gesteuerten) Einstellungen, Meinungen und Handlungen seien ihre ganz eigenen
Gefühle und Gedanken und ihre freien, selbstbestimmten Taten.
Mehr als
repressive und kompensatorische Macht ist konditionierte Macht von zentraler
Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Politik in unserer Zeit.
1958
veröffentlichte er sein bereits erwähntes berühmtestes Buch „Gesellschaft im
Überfluss“. In diesem Werk schreibt er u. a., dass die moderne
Industriegesellschaft, durch die Jagd nach Wachstum immer neue und teilweise
künstliche Bedürfnisse schaffe. Aufwändiges Marketing heize den privaten Konsum
an. Bei den Sozialausgaben fehle solch eine Antriebskraft, so dass diese
zurückblieben. Dieses Ungleichgewicht zeige sich zum Beispiel im reichen
Amerika. Er pries deshalb mehr Gesundheitsfürsorge, Wohnungsprogramme und eine
bessere Ausbildung als moderne, zukunftsweisende Forderung an.
1974
brachte der Professor das Buch „Wirtschaft für Staat und Gesellschaft“ heraus.
Helden dieses Werkes sind unter anderem die kleinen Unternehmer, die im Gegensatz
zu den Konzernen ihre Preise nicht festsetzen können, sondern weiterhin das
Kreuz des freien Wettbewerbs tragen müssen. Der Kampf ums Überleben zwingt sie
zu einer rabiaten Selbstausbeutung.
Die
„Kleinen“ sollten in die Lage versetzt werden, ihre Preise auf ein Niveau zu
stabilisieren, das Ihnen ein ausreichendes Einkommen sichert, und sie befähigt,
ihren Angestellten angemessene Mindestlöhne zu zahlen. Mit anderen Worten, sie
sollten Kartelle bilden, und der Staat soll darüber wachen, dass diese auch
funktionieren. In seiner Fürsorge für die wirtschaftlich Schwächeren plädiert
er für Lohn- und/Preiskontrollen als angemessenes Mittel. Er wusste, dass er mit
dieser Forderung auf ideologische Vorbehalte treffen musste.
Kritische
Ökonomen wie Galbraith oder die Engländerin Joan Robinson verärgerten ihre
Kollegen häufig mit Vorwürfen, die zusammengefasst und überspitzt formuliert,
ungefähr wie folgt lauteten:
-Die etablierten Ökonomen untersuchen die
Wirklichkeit nicht richtig.
-Die etablierten Ökonomen pflegen ein Weltbild,
das nicht von Mensch und seinen
Bedürfnissen beherrscht wird, sondern von
der Produktionsausweitung.
-Die etablierten Ökonomen stehen dem Problem der
Rohstoffverknappung und
deren politischen Folgen hilflos
gegenüber.
-Die etablierten Ökonomen haben es nicht
geschafft, ein wirksames Konzept für
eine Entwicklungspolitik zu liefern.
Zum
Schluss sollte man Galbraith nachfolgend zitieren:
„In
einer sich ändernden Welt... ist da, was zu einer Zeit stimmt, zu einer anderen
Zeit falsch. Ich war immer misstrauisch gegenüber allumfassenden theoretischen
Systemen, welche die Tendenz haben, als irrelevant auszuschließen, was
tatsächlich nur ungelegen kommt. Ökonomie
lässt sich nicht in eine einzige Theorie zwängen.“
„Privilegierte
Menschen werden stets ihre völlige Auslöschung riskieren, bevor sie irgendeinen
bedeutenden Teil ihrer Vorteile abgeben“.
Literaturhinweis:
Heinz
Koesters, Ökonomen verändern die Welt
John
Kenneth Galbraith, Wirtschaft Friede und Gelächter
John
Kenneth Galbraith, Mächte, Märkte und Moneten - Die Tyrannei der Umstände
John
Kenneth Galbraith, Die Arroganz der Satten
John
Kenneth Galbraith, Ein Leben in unserer Zeit
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.