Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Heike Geilen
"Nur ein ganz ungewöhnlicher Mutant
oder ein Mensch, der in einer extrem merkwürdigen Familie aufgewachsen ist,
könnte von Natur aus die Verdrahtung besitzen, um die Quantenmechanik zu
verstehen." (Leonard Susskind)
Schwarze Löcher sind real, realer zumindest als die geschichtlichen
Überlieferungen aus dem "Black Hole von Kalkutta", einem berühmt
berüchtigten Kerker im kolonialen Indien, in dem in der Nacht vom 20. Juni 1756
ein grauenvolles Massaker stattgefunden haben soll.
Das Universum ist voll von ihnen, und sie gehören wohl zu denbizarrsten, gewaltigsten und spektakulärsten
Körpern der Astrophysik. Es handelt sich um besonders kompakte und dichte
Objekte, aus denen nicht einmal das Licht zu entkommen vermag. Verstehen lassen
sich diese Merkwürdigkeiten der Natur nur sehr schwer. Die Gravitation nimmt
bei ihrer Deutung eine entscheidende Rolle ein. Allerdings hilft das
Verständnis um herabfallende Steine und kreisende Planeten hier nicht mehr viel
weiter. "Ihren rechtmäßigen Platz
hat die Gravitation bei den Schwarzen Löchern.", schreibt der Physiker
Leonard Susskind, Felix-Bloch-Professor für Theoretische Physik an der Stanford
University und Mitglied der Amerikanischen Akademie der Künste und
Wissenschaften. "Schwarze Löcher
sind nicht nur dichte Sterne; sie sind vielmehr die ultimativen
Informationsspeicher, in denen die Bits so dicht gepackt sind wie ein
zweidimensionaler Haufen Kanonenkugeln, aber in einem vierunddreißig
Größenordnungen kleineren Maßstab."
Genau um diese gespeicherten Informationen entbrannte ein "Krieg"
oder besser ein Widerspruch oder Konflikt, der das Lager der angesehensten
Physiker spaltete. Auf der einen Seite Stephen Hawking, der behauptete, dass
Information in diesen ultimativen Fallen unwiederbringlich verloren sei, da "Schwarze Löcher letztendlich
verdunsten und verschwinden, ohne von dem, was hineingefallen war, eine Spur zu
hinterlassen". Auf der anderen Seite der Autor, der sich dieser so
scheinbar harmlosen Behauptung vehement entgegenstellte, da sie doch das ganze
Gebäude der modernen Physik untergraben würde. Ein elementares Naturgesetz, die
Erhaltung der Information, wäre gefährdet.
"Über Kosmologen sagt man, sie
seien oft im Irrtum, aber nie im Zweifel. Wenn das zutrifft, dann ist Stephen
nur zur Hälfte ein Kosmologe: nie im Zweifel, aber kaum jemals im Irrtum. In
diesem Fall irrte er. (...) unabhängig wie groß er auch immer sein mag, hat
Stephen Hawking mindestens einmal den Überblick über seine Bits verloren, und
dadurch entstand der Krieg um das Schwarze Loch." (Leonard Susskind)
Dieses Buch handelt von diesem interessanten, geistigen und scharfen
intellektuellen Kampf und der Frage: Wie rettet man die Physik vor der Anarchie
des Informationsverlustes? Vorweg: Es ist allerhand abstrakte Hirnakrobatik von
Nöten, denn hier "wird eine Welt
erklärt, die unseren Sinnen bei weitem verschlossener ist als die
Quantenmechanik und die Relativitätstheorie." Entmutigend? Behauptete
doch schon Richard Feynman: "Wer
glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden."
Der Autor selbst setzt noch eines drauf: "Um
die Quantenwelt zu grokken, benötigt man eigentlich abstrakte Mathematik: unendlichdimensionale
Hiberträume, Projektionsoperatoren, unitäre Matrizen und eine Menge weiterer
avancierter Konzepte, die zu erlernen einige Jährchen erfordert." Doch
Leonard Susskind ist es gelungen, ein Buch zu schreiben, dass, obwohl es nicht
nur die verkaufsträchtige Gleichung: E = mc² enthält, dem physikalisch
interessierten Laien immerhin über weite Strecken einen durchaus verständlichen
Blick hinter die Gedankengebäude der Wissenschaftler ermöglicht.
Auf über 500 dichtgepackten, informativen Seiten erklärt Susskind, warum
Hawkings Behauptung so problematisch war. Er beginnt mit grundlegenden
Erläuterungen zur Gravitation und zu Einsteins Relativitätstheorie, mäandert
danach durch die Grundlagen der Quantenmechanik und der Schwarzloch-Physik, um
sich letztendlich bis zur Erklärung der Stringtheorie zu steigern. Das Buch ist
zugleich die Chronik einer Entdeckung, nämlich des Holografischen Prinzips -
eine der unintuitivsten Abstraktionen der gesamten Physik. Einschlägige
Vorkenntnisse von der Materie sind bei der Lektüre generell von Vorteil.
Allerdings gelingt es dem Autor, selbst abstrakte Dinge wie die Entropie eines
Schwarzen Loches plastisch und anschaulich zu erklären. Ein weiteres großes
Plus: Susskind beschäftigt sich nicht nur mit wissenschaftlichen, sondern er
fängt auch emotionale Aspekte ein und würzt das Ganze mit einer gehörigen
Portion Humor. Herausgekommen ist eine intellektuell anspruchsvolle
Herausforderung, die zuweilen eine Neuverdrahtung im "Oberstübchen"
erforderlich macht, aber trotzdem nicht entmutigt. Ganz nach dem Motto: "Neugier ist wie ein Juckreiz - sie
will gekratzt werden."
"Es gibt mehr Dinge zwischen
Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt." (William Shakespeare, Hamlet)
Leonard
Susskind
Der Krieg um das schwarze Loch.
Wie ich mit Stephen Hawking um die
Rettung der Quantenmechanik rang
Suhrkamp
Verlag, Berlin (Oktober 2010)
541
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3518422057
ISBN-13:
978-3518422052
Preis:
29,90 EURO
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