Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 04.01.09 |
Michel Onfray, Die reine Freude am Sein, Wie man ohne Gott glücklich wird, Piper-Verlag, München 2008, 270 Seiten, Preis: 17,60 Euro
von Stefan Groß
Kaum ein Jahr vergeht, in dem der Franzose Michel Onfray kein Buch
auf den Markt wirft. Schon befürchtet man, daß der gesundheitlich
angeschlagene Popularphilosoph schnell noch alles sagen will – und
dies um jeden Preis. Der erklärte Anti-Metaphysiker und bekennende
Hedonist füllt – zumindest in Frankreich – die Bücherregale mit
seinen unzähligen Schriften. Onfray besorgt die Schlagzeilen, die
der akademischen Philosophie immer fehlen.
Von einem anderen Anfang des philosophischen Denkens spricht er gern
und plädiert für eine leib-geistige Einheit, die ihre Ursprünge in
den elementaren Befriedigungen körperlicher Grundbedürfnisse habe.
Eine ganze Ästhetik des Essens, ein Ratgeber für den ästhetischen
Geschmack wird da entworfen, ein kulinarischer Wegweiser in die
abendländische Geschichte. Bücher mit Titeln wie: Der sinnliche
Philosoph, Philosophie der Ekstase, Die genießerische
Vernunft, Der Bauch des Philosophen sind Besteller
geworden. Geradezu gebetsmühlenhaft wird immer wieder gegen die
Askese und gegen die radikale Leibfeindlichkeit gewettert. Doch immer
wird klar: So sehr der große Nietzsche bei Onfray immer im
Hintergrund seine Bahnen zieht, die Trefflichkeit, die Ironie und die
beißende Satire des aus dem sächsischen Röcken stammenden
Philosophen erreicht er nie. Onfray poltert, gerade in seinen
Exkursen zu Diogenes, Rousseau, Kant, Fourier, Marinetti und Sartre,
durch die ganze Philosophiegeschichte, die letztendlich auf den wohl
wahren Feuerbachschen Satz „Der Mensch ist, was er ißt“ zuläuft,
für dessen Relevanz es aber keiner philosophischen Rechtfertigung
bedarf.
Bei Onfray findet sich alles, was philosophisch literarisch zu
verwerten ist. Ist es dort Diogenes in der Tonne, ist es hier
Batailles Lehre der Verschwendung, die für eine Theorie des
verliebten Körpers Pate steht, womit für eine solare Erotik
geworben werden soll. Wenn man dem poststrukturalistischen Denken den
Vorwurf machen kann, daß es statt Verständlichkeit
Unverständlichkeit erzeugt, daß sich das Denken zerfasert und nur
noch als bruchstückhafte Kost zu genießen ist – dann kann man
Onfray in diese Tradition getrost stellen. Wenn aber die Arbeit der
Postmoderne dann zu würdigen ist, wenn sie wie im Fall von Deleuze
mit Begriffen wie Immanenz und Ereignis arbeitet, und diesen Termini
auch philosophischen Background verschafft, indem sie sich am Begriff
abmüht, Begriffe schafft, und die unerschöpfliche Arbeit am Begriff
als würdige Aufgabe der Philosophie begreift, dann ist Onfray kein
Begriffsschöpfer und nicht in diese Tradition zu stellen, was
sich gerade dann zeigt, wenn man seinen inflationären Gebrauch
philosophischer Termini betrachtet – ein Blick in Die Formen der
Zeit, Theorie des Sauternes genügt, um derlei
Sophistereien zu erkennen.
Wer en vogue sein will, und Onfray will es, der muß natürlich den
lieben Gott destruieren. Sein anti-religiöses Plädoyer Wir
brauchen keinen Gott ließ dann nicht lange auf sich warten. Auch
hier wird hartnäckig die Vernunft attackiert, die Atheologie als
einzig selig machende Alternative zum Glaubenswahn angeboten, da nur
dieser es gelingt, aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit und aus
der das Leben negierenden Transzendenz herauszukommen. Was dabei
gegen die ganze abendländische Philosophie und Theologie aufgefahren
wird, ist eine Physik der Metaphysik, eine „wirklichkeitsnahe
Theorie der Immanenz“ und eine „materialistische Ontologie“.
Solange der Monotheismus nicht besiegt ist, nicht etwa verdrängt,
sondern vergessen wird, so lange muß der Hedonismus von Onfray noch
seiner Ankunft harren. Was nun aber unter diesem neuen und
glücksverheißenden Zeitalter näherhin zu verstehen ist, darüber
erfährt man leider nichts. Statt dessen erfährt man viel über die
französischen Materialisten, über den Terror in der Welt und ein
längst in den Schubladen der Wissenschaft verstaubtes Paulusbild.
Wie eine aufgebrachte Furie rast Onfray durch die Geschichte des
Christentums, verzerrt das Geschichtsbild und schreibt gegen alles
und jeden in einer schon fast bizarren Form des Ressentiments.
Nun sollte man im Zeitalter der Nachaufklärung meinen, auch eine
kritische Bibelexegese und eine reflexiv untermauerte Geschichte der
abendländischen Religionen mitgeliefert zu bekommen. Doch das
Gegenteil ist der Fall, wenn man Onfrays Auseinandersetzung mit dem
Christentum betrachtet, denn der Blick auf dieses bleibt in einer
merkwürdigen und fast grotesken Schieflage. Außer dem ewigen
Kritisieren an der christlichen Ethik des Abendlandes, an der Askese
und an der Transzendenz hat Onfray nichts zu bieten. Anstatt endlich
darüber informiert zu werden, wie ein nachchristliches Zeitalter
denn nun aussehen soll und was sich konkret unter einem
postchristlichen Laizismus denken läßt, bleibt unbestimmt. Mit
seiner Religionskritik kommt er aus dem Bannkreis Nietzsches und der
Aufklärung nicht heraus, da hilft auch die vielbeschworene Rede
nichts, daß die Philosophie, wie in seiner neuesten Publikation –
Die reine Freude am Sein, Wie man ohne Gott glücklich wird
–, utilitaristischer und pragmatischer werden muß.
Auch hier
wiederholt sich die ewige Anklage gegen das Christentum, auch hier
fordert Onfray, „die
Mythen und Fabeln zu zerpflücken, um diese Welt
hier bewohnbar und wünschenswert zu machen; Götter und Ängste,
existentielle Furcht und Befürchtungen auf die Verkettung
materieller Kausalitäten zurückführen; den Tod hier und jetzt mit
einer aktiven Therapie zähmen, ohne dazu aufzufordern, schon zu
Lebzeiten zu sterben,
damit man leichter fortgeht, wenn der Augenblick
gekommen ist; zusammen mit der Welt und mit den Menschen brauchbare
Lösungen erarbeiten; anstelle von erhabenen, aber unbewohnbaren
begrifflichen Konstrukten lieber bescheidene philosophische Aussagen
machen, die nützlich sind; sich weigern, Schmerz und Leid zu Wegen
zur Erkenntnis und zur persönlichen Erlösung zu machen;
sich der Lust, dem Glück, dem Gemeinwohl, der Freude
verschreiben; sich mit dem Körper einrichten und nicht
fordern, ihn zu verachten; Leidenschaften und Triebe,
Begierden und Emotionen zähmen und nicht brutal aus sich verbannen.
Das Anliegen des epikureischen Projekts?
Die reine Freude am Sein [...]. Das Projekt istnach
wie vor aktuell.“ Daß dieses „Projekt“ nach wie vor aktuell
ist, steht außer Frage, jedoch wie Onfray dieses aufarbeitet in
Frage.
Kurzum: Onfray tritt nach wie vor zu einem Schlagabtausch mit der
idealistischen Philosophie an, was aus heutiger Sicht nicht
verwerflich ist. Nur: Mit seinem hedonistischen „System“, das
sich als Sammelsurium aller möglichen Philosophen-Zitate liest, als
aufgeschwemmtes und zusammengeschobenes Wissen, mag man sich auch
nicht anfreunden. Nachhaltig plädiert Onfray für die
„Entchristianisierung“, für eine „herrschaftsfreie Libido“,
für die „sinnliche Gastfreundschaft“ und für eine „körperliche
Vernunft“. Mögen auch die Themen anspruchsvoll klingen, sie
verklingen auch wieder, wenn man das Buch zugeschlagen hat. Immer
wieder singt er den alten Refrain eines Klageliedes, immer wieder nur
der Kampf mit den alten Mühlen des Glaubens. So läßt sich das
zwischen zwei Klappentexte Geschriebene auf die Maxime von
Nicolas-Sébastien de Chamfort, und Onfray tut dies selbst,
zurückführen: „Freude dich und mache anderen Freude, ohne dir
selbst oder anderen Leid zuzufügen, das ist schon die ganze Moral.“
Onfray könnte das Leid minimieren, wenn er endlich auf das
populärphilosophische Geschwätz und auf seine unendliche
Selbststilisierung verzichten würde.
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