Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 02.03.11 |
von Karim Akerma
Obschon der Titel seines Buches dies verheißen mag: Jim
Crawford ist kein Misanthrop. Der Leser hat es mit einem philanthropischen
Antinatalisten zu tun. Einem Freund der Menschen, der dennoch und scheinbar
paradoxerweise dafür plädiert, gar keine Menschen mehr zu zeugen, damit die
Menschheit schnellstmöglich ausstirbt. Der Vorwurf, Crawford wisse wohl gar
nicht, welches Glück es für Eltern mit sich bringt, Kinder zu haben, prallt an
diesem Autor ab. Als liebender und sorgender Vater zweier Töchter ist er selbst
Existenzgründer. Wobei er anders als die absolute Mehrzahl aller Eltern in der
Lage ist, den eigenen Glücksgewinn zu hinterfragen und nach Glück und Leid im
Leben seiner Kinder zu fragen. Tatsächlich bekennt er sich dazu, einen schweren
Fehler begangen zu haben, als er sich an der Zeugung seiner Kinder beteiligte.
Ausnahmslos alle Eltern wissen nämlich, sagt Crawford, dass alle Kinder leiden
und sterben werden. Wer sich für Nachkommen entscheide, entscheide de facto in
einer höchst wichtigen Angelegenheit für die Kinder mit, für die es aber, wenn
sie einmal da sind, zu spät ist, Nein zu sagen. Einmal da, müssen sie
unausweichlich leiden und sterben. Dies ist für Crawford der Anlass (er selbst
nimmt sich nicht davon aus) Eltern als Quasi-Kriminelle anzusehen. Schuld
daran, dass so viele Menschen als Eltern zu kriminellen Existenzgründern
werden, sei ein Dickicht aus sozialer Konditionierung, in das der Autor mit der
Stirnlampe desjenigen hineinleuchtet, der sich auf langem Leidensweg aus
basalen Intuitionen und Konventionen herausgedacht hat. Wer nun in Crawford
selbst einen Kriminellen erblickt, da er für das Aussterben der Menschheit auf
dem Wege nataler Enthaltsamkeit plädiert, sieht sich vor folgendes Problem
gestellt: Crawford plädiert nicht dafür, etwas zu tun, sondern etwas zu
Unterlassen: eben die Hervorbringung weiterer menschlicher Existenzen.
Wir tun gut daran, so Crawford, keine neuen Menschen zu
zeugen, weil die Existenz eines jeden von uns dem vergleichbar sei, was ich den
Crawfordschen Apfel nennen möchte. Um unsere Existenz zu erhellen, zieht
Crawford einen Apfel mit einer kleinen dunklen Stelle herbei und fragt: Ist
dieser Apfel schlecht? Die Meisten würden dies verneinen, die schlechte Stelle
wegschneiden und den Apfel verspeisen. Was aber, wenn die schlechte Stelle
größer ist und sich gar über die Hälfte der Frucht erstreckt? Immer noch scheint
ein halber schmackhafter Apfel annehmbar gut und köstlicher als gar keiner. Bei
alledem, so Crawford, unterstellen wir, dass die schlechten Stellen nur in
einer Apfelhälfte vorkommen. So ist es aber nicht immer. Nehmen wir an, die
schlechten Stellen, die 50% des gesamten Apfels ausmachen, durchziehen das
gesamte Fruchtfleisch. Technisch gesehen wäre damit immer noch der halbe Apfel
essbar. Leider nur ist es in diesem Fall unmöglich, die unverdorbenen Stellen
von den ungenießbaren zu trennen. Man könne die schadhaften Prozente
herunterhandeln wie man wolle, so Crawford, in letzter Instanz halten wir einen
ungenießbaren Apfel in der Hand. – Ebenso ungenießbar wie die Existenz eines
jeden von uns. Mit seinem Apfelbeispiel bringt Crawford einen überaus wichtigen
Aspekt zur Sprache, der auf weiten Strecken seines Buches anschaulich und in
einfacher Sprache erläutert wird: Selbst ein viele Glücksmomente aufweisendes
Leben sei in letzter Instanz doch ungenießbar, weil räumlich und zeitlich neben
den guten Stellen immer auch die schlechten in unser Dasein eingeflochten sind
und sich als Sorge melden, kaum dass wir einmal glücklich abschalten konnten.
Entsorgung vom Dasein ist nur denkbar als Entsorgung des Daseins. Crawford hat
sich aus dem beschädigten Leben herausreflektiert.
Ein besonders lesenswerter Abschnitt dieser Bekenntnisse
eines Antinatalisten ist der mit „Fragen und Antworten“ überschriebene Teil
gegen Ende des Buches. Hier geht Crawford metaphysisch mit sich ins Gericht und
wirft die Frage auf, ob er mit seinem Plädoyer für natale Enthaltsamkeit wohl
Unrecht haben könnte. Ist denkbar, so fragt er, dass es über dem Wirken der
blinden Fügungen biologischer Evolution etwas geben könnte, in Anbetracht
dessen sich die Gründung menschlicher Existenzen rechtfertigen ließe? Gott? Das Tao? Punkt Omega?
Selbst wenn eine metaphysische Instanz über oder neben dem blinden Geschehen
der biologischen Evolution Bestand haben sollte – wer bürgt dafür, dass diese
Instanz nicht bösartig ist? Im Hinblick auf den Gedanken an Fortpflanzung sei
jede Un-Tat, jede Unterlassung, das heißt: jede vereitelte Fortpflanzung ein
Gewinn auf Seiten des philanthropischen Antinatalismus. Bricht eine Gruppe
Schlittschuhläufer ins Eis ein und gelingt es mir aber nur, einen oder zwei zu
retten, so habe ich als Philanthrop doch schon etwas erreicht, oder nicht?,
fragt Crawford seine Leser.
Jim
Crawford, Confessions
of an antinatalist, Nine-Banded
Books 2010, ISBN
978-1616583453, 12 $
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