Erschienen in Ausgabe: No 62 (4/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
Verantwortung zwischen Diskurs und Erfolg. Philosophische und wirtschaftsethische Perspektiven
von Günter Altner
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich beginne mein Referat mit einem gewissen Zögern. Auf der einen Seite das
Bemühen um Diskursphilosophie, mit dem weitreichenden Ansatz, möglichst alle,
auch den Fernnächsten, auch zukünftige Generationen einzubeziehen, auf der
anderen Seite – das wirkt vor den Niederungen der Politik wie ein luzider,
glänzender Tempel – die Niederungen der Politik, in denen in der Regel nicht
nach diesem Verfahren des Diskurses vorgegangen wird, sondern wo, mehr oder
weniger brutal, Interessenpolitik eine Rolle spielt.
Im Thema klingt ein gewisser Pessimismus an, und ich möchte herausarbeiten, daß
das Element des Diskurses im Vorfeld der Entscheidungsfindung wichtiger
politischer Entwicklungen unverzichtbar ist und im Blick auf die Zukunft auch
immer wichtiger wird. Das Thema ist so formuliert: Nachhaltigkeit – über die
fast ausweglosen Schwierigkeiten des gesellschaftlichen Diskurses. Erhard
Eppler hat in der Süddeutschen Zeitung vom 26. Oktober geschrieben: „Wer jetzt
nicht mehr Demokratie wagt, wird sehr viel mehr Polizei brauchen.“[1] Das ist
natürlich im Blick auf den Konflikt Stuttgart 21 formuliert. Man könnte auch
sagen: wer jetzt, ob in Stuttgart oder an anderen Konfliktpunkten, nicht mehr
Diskurs wagt, wird sehr viel mehr Polizei brauchen.
Warum die Skepsis im Thema? Nun, ich habe eben schon gesagt, da gibt es solche
Auseinandersetzungen wie in Stuttgart 21, die ja nicht allein darin bestehen,
daß die Bürger relativ spät emotional zu protestieren begonnen haben, da haben
langfristige Festlegungen stattgefunden, die zunächst der Öffentlichkeit
entzogen waren und auf die die Öffentlichkeit gewiß spät reagiert hat, aber mit
Argumenten, die in den Diskurs über diese problematische Planungmit
hineingehören.
Die politisch Zuständigen haben sich nicht gerade aufgeschlossen gezeigt.
Kanzlerin Angela Merkel hat vor der Seniorenunion in Recklinghausen vor kurzem
ausgeführt: „Keine Atomkraftwerke, keine Kohlekraftwerke, möglichst keinen
neuen Bahnhof, um jede Straße Theater, keine Hochspannungsleitungen mehr; so
wird Deutschland seinen Wohlstand nicht sichern.“
Für Frau Merkel
ist die Beteiligung des Bürgers gewiß im Zusammenhang mit der Befreiung von der
Diktatur, der DDR-Diktatur,eine wichtige Größe,
aber es ist ihr offenbar unbekannt, daß bei vielen der infrastrukturellen
Entwicklungen, bei den vielen großen Planungsproblemen, die wir heute haben,
die Beteiligung des Bürgers unverzichtbar ist. Des Bürgers, der in der Regel
der Betroffene dieser Entwicklungen ist.
Man muß, obwohl
wir das ja durch Jahrzehnte hindurch eingeübt haben,den
öffentlichen Diskurs in der Gestalt auch des Bürgerprotestes als Kennzeichen
demokratischer Gesellschaften ernst nehmen. Das ist unter dem Druck von
Interessen, parteipolitischen Interessen, insbesondere aber auch Profitinteressenimmer wieder in Vergessenheit geraten. In diesem
Kontext ist natürlich die klare Logik der diskursiven Orientierung von ganz
entscheidender Bedeutung für die Öffentlichkeit.
Zu den
Schwierigkeiten der gegenwärtigen Diskussion, wie sie jetzt auch im Bundestag
bei den energiepolitischen Entscheidungen eine Rolle gespielt haben, gehört
aber etwa auch – schnell noch als ein weiteres Beispiel – die Reklame-Aktion
der großen Energiewirtschaftsunternehmen, die die bisherige Diskussion und das
Ergebnis des bisherigen Diskurses geradezu auf den Kopf gestellt haben:
Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zur Finanzierung der
erneuerbaren Energien! Dabei war der Diskurs genau andersherum gelaufen: Es tut
sich eineAlternative auf, wenn man auf der Grundlage
von Effizienz underneuerbaren Energien
Energiepolitik betreibt – man kommt dann von dem Zwang der Verlängerung der
Laufzeiten für Großkraftwerke in Kohle-und
Kernenergie frei.
Solche und
andere Tagesereignisse zeigen uns, daß der Diskurs immer wieder zu verkommen
droht, auch in demokratisch geregelten Gesellschaften. Daß dennoch im Diskurs,
gerade auch unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit – ein zentraler Punkt der
Nachhaltigkeit ist ja eben die Frage der Energienutzung – der Energiepolitik besonders
Bedeutung zukommt, möchte ich in einem ersten Schritt deutlich machen:
I.
Die
Energie-Enquete des Deutschen Bundestages 1979 – 1982. Diese stellt ein
gelungenes Diskursbeispiel dar, das langfristige Auswirkungen in der Geschichte
der Bundesrepublik,bis heute,gehabt hat.
Cornelia Altenburg hat gerade ein Buch veröffentlicht:
„Kernenergie und Politikberatung: Die Vermessung einer Kontroverse“[2]
im VS Verlag. Dort hat sie das Beispiel dieser frühen Energie-Enquete genau
analysiert, auch im Blick auf die Methodik, aber auch im Blick auf die
politische Bedeutung der so gehandhabten Methodik.
Ich darf kurz in
Erinnerung rufen: 1979 haben wir damals in dem zwei Jahre zuvor gegründeten
Öko-Institut in Freiburg – ein Bürger-Institut mit dem auf die Planung des
Atomkraftwerkes Wyhlreagiert
wurde – ein Energieszenario veröffentlicht. In diesem Energieszenario – unter
dem Stichwort Energiewende – haben wir das erste Mal gezeigt, daß man
Energiepolitik so oder so machen könnte. Mit Großkraftwerken forcierend atomar
oder auf der Grundlage von Effizienz und erneuerbaren Energien. Dieses
Gutachten, diese Szenarienberechnung enthält im Blick auf die zukünftige
Entwicklung Zahlen, die heute im wesentlichen die Zielzahlen der Energiepolitik
der Bundesrepublik und der Europäischen Union sind. Aber, meine Damen und
Herren, es hat Jahrzehnte gedauert, ehe sich das durchgesetzt hat.
Wir sind überschüttet worden mit Polemik, es hat zahlreiche
Strategien gegeben, diesen Ansatz zu verhindern, bis es dann soweit war, daß sich
dieser Ansatz durchsetzen konnte. Einmal dadurch, daß er nicht mehr
wegzuwischen war und die wissenschaftliche und technische Diskussion immer
stärker zu bestimmen begann, aber auch bedingt dadurch, daß es mit dem
Entstehen der Grünen – 1979 war ja noch vor den Grünen – eine politisch
unterstützende Kraft gab. Auch Mitglieder der SPD haben mitgeschoben, aber die
entscheidende Schwelle, daß sich das durchgesetzt hat, war dadurch gegeben, daß
die alternativen Energien renditeträchtig wurden.
Heute machen die großen Energiewirtschaftsunternehmen alles
– sie machen Windenergie, sie machen Bioenergie, sie planen das große Projekt Desertec,auf der einen Seite. Auf
der anderen Seite machen sie Rendite mit den alten atomaren Kästen – möglichst
lange – mit problematischen Sicherheitsimplikationen.
Nun, die damalige Berechnung war von der Argumentation und
von den Sachargumenten her nicht wegzubringen, so daß sich der Deutsche
Bundestag vor der Verpflichtung sah, eine Energie-Enquete einzurichten, in der
diese Fragen weiter untersucht werden sollten. Ich habe damals, von 1979 bis
1982, an dieser Bundestags-Enquete-Kommission für Energiepolitik (fürKernenergiepolitik wie es damals noch hieß)
teilgenommen und die Arbeitsweise, die wir dort zustande gebracht haben ist ein
gutes Beispiel für einen Diskurs im Feld politischer Interessen, bei
kontrollierten Rahmenbedingungen.
[1] Vgl. Eppler, Demokratie.
[2] Vgl. Altenburg, Kernenergie.
Ergebnisse der Berechnungen für die vier Pfade 1
)
|
PFAD 1 |
PFAD 2 |
PFAD 3 |
PFAD 4 |
|||||
Charakterisierung Wirtschaftswachstum – vor 2000.................................................... – nach 2000.................................................. Strukturwandel in der Wirtschaft................. Wachstum der Grundstoffindustrie.............. Energieeinsparungen.................................... |
3,3 % 1,4 % mittel wie BSP / 2 Trend |
2,0 % 1,1 % mittel wie BSP / 2 stark |
2,0 % 1,1 % stark Null sehr stark |
2,0 % 1,1 % stark Null extrem |
|||||
Nachtrageseite Primärenergiebedarf..................... Endenergiebedarf......................... Strombedarf 2).............................. Nicht-energetischer Verbrauch Angebotsseite Stein- und Braunkohle................. Erdöl und Erdgas......................... Kernenergie in GWe.................... – davon Brutreaktoren................. Regenerative Energiequellen |
1978 |
2000 |
2030 |
2000 |
2030 |
2000 |
2030 |
2000 |
2030 |
390 260 36 32 105 265 10 – 8 |
600 365 92 50 175 250 77 – 40 |
800 446 124 67 210 250 165 84 50 |
445 298 47 43 145 190 40 – 40 |
550 317 57 52 160 130 120 54 50 |
375 265 39 34 145 190 0 – 40 |
360 250 42 34 160 130 0 – 70 |
345 245 36 34 130 165 0 – 50 |
310 210 37 34 145 65 0 – 100 |
|
Sonstiges Kohleverstromung........................ Synthetisches Erdgas aus Kohle Stromanteil in % – an der Raumwärme................... – an der Prozeßwärme.................. Natururanbedarf, in 1000 t kumuliert....................... – ohne Wiederaufbereitung.......... – mit Brutreaktoren...................... |
65 – 3 7 |
80 18 14 19 |
80 50 17 17 |
29 18 5 8 |
22 56 7 8 |
76 – 3 8 |
77 – 2 8 |
52 – 2 7 |
33 – 0 6 |
bis 2030 650 390 |
bis 2030 425 255 |
Cornelia
Altenburg kommentiert:
„Der Weg zu der
kompromißreichen Empfehlung der Kommission war von einigen wichtigen
Schachzügen gekennzeichnet: Als erstes ist die Auswahl der Sachverständigen zu
nennen, durch die nicht nur die Themenfelder abgesteckt wurden, sondern auch
eine gewisse Ausgewogenheit hinsichtlich der unterschiedlichen Interessen
erreicht wurde. Die verschiedenen Verknüpfungspunkte zwischen den einzelnen
Akteuren haben den Gesprächen ein gewisses Fundament gegeben, hätten aber
hinsichtlich der weit reichenden Anforderungen zur Kompromißbereitschaft
alleine nicht ausgereicht.
Ein
zweiter entscheidender Punkt war die Einrichtung des wissenschaftlichen Stabes
im Sekretariat, der als quasi Dienstleister die auftauchenden Argumente
faktisch belegte und dafür sorgte, daß die großen Gedanken auch im Detail
nachweisbar waren.
Während des
Beratungsprozesses kam der dritte entscheidende Schritt: die Entwicklung klarer
konsensfähiger Kriterien. Auf der Grundlage eines von Meyer-Abich im Vorfeld
publizierten Textes erarbeitete die Kommission in ideologisch übergreifender
Zusammenarbeit Kriterien, die sie gemeinsam vertrat. Die Kriterien und ein
erweiterter quantitativer Risikobegriff stellten eine neue Bewertungsgrundlage
für Technologien im Energiebereich dar.“[3]
Ich habe Ihnen hier – das wird sich gleich für Sie
aufschlüsseln – die wesentlichen Ergebnisse dieser Kommission dargestellt. In
dieser Kommission war eine überwiegende Mehrheit anKernenergie-Befürwortern, von
den Gewerkschaften über die Energiewirtschaft bis in die Parteien und eine
Minderheit von drei Befürwortern des alternativen Weges. Dank der Klarheit und
Weisheit des Vorsitzenden haben wir uns dann auf ein geregeltes Vorgehen
geeinigt. Wir haben gesagt, wir wollen gemeinsame Rahmenbedingungen herstellen,
die von allen geteilt werden und innerhalb deren wir dann mit vereinbarten
Methoden rechnen. Also, wir haben festgestellt, wir rechnen bis zum Jahr 2030.
Wir haben festgestellt, wir setzen voraus, daß Wachstum des
Bruttosozialproduktes stattfindet (noch ganz klassisch), daß so und so viele
Menschen in der Bundesrepublik leben. Und dann haben wir vor allem festgelegt,
daß in die Berechnungen – ob zugunsten der großen Kraftwerke oder zugunsten des
alternativen Weges – keine Berechnung, keine Zahl eingehen soll, die von der
Gegenseite bestritten wird.
Nun, diese
Konventionkonnte man leicht treffen, da alle
ingenieurtechnisch orientiert waren. Das war noch einfach. Es wäre natürlich
sehr viel schwieriger gewesen, wenn hier verschiedene Wissenschaftstraditionen,
verschiedene Methodiken miteinbezogen worden wären, soziale und ökonomische
Implikationen... Das war schon so schwierig genug, um zu diesen Ergebnissen zu
kommen. Und dann haben wir vereinbart, wir wollen vergleichbar vier
Energiestrategien für die Zukunft rechnen, zwei mit Atomenergie und zwei auf
dem neuen Weg, zwei ohne Atomenergie, und die schlagen sich in dem
Szenarienbild wieder.
Sie sehen: Pfad
eins, zwei drei, vier. Ich konzentriere mich auf Pfad eins und vier. Pfad eins
ist der Weg der Atomenergiebefürworter. Der führende Kopf war von der Seite der Atomenergiebefürworter Professor Häfele,
der Erfinder des schnellen Brüters.
Da
fällt gleich bei Pfad 1 ins Auge, da wird – wir haben 1978 angefangen zu
rechnen – für das Jahr 2000 ein Energiebedarf an Primärenergie von 600
Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten vorausgesetzt, und davon gehen in den
Energiebedarf nur 365 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten, der Rest ist
Verlust. So hat man damals Energiepolitik und Energietechnik gemacht. Dagegen
haben wir gesagt: diese Lücke müssen wir schließen – und wenn wir diese Lücke
schließen, dann kommen wir auch mit einem geringeren Primärenergiebedarf aus,
ich verweise auf den Pfad vier.
Wir haben als
notwendig bezeichnet für das Jahr 2000 345 Millionen Tonnen
Steinkohleneinheiten und dann abfallend bis 2030310
Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten, und im Endenergiebedarf landen davon
immerhin 245 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten, das heißt der
Energieverlust bei der Erzeugung, beim Verbrauch, bei der Leitung ist deutlich
geringer als bei Pfad 1. Das ist ja der Clou des alternativen Energieweges.
Die Ergebnisse
sind dann publiziert worden, sie sind diskutiert worden und sie sind – ich
würde sagen, das ist saubere Diskursarbeit – in einem klar eingegrenzten
Bereich, unter der Voraussetzung definierter Bedingungen der Öffentlichkeit
angeboten worden. Diese Diskursarbeit hat, obwohl sie zunächst lange Jahre
vergeblich erschien, dann die Grundlage für die gegenwärtige Energiepolitik
abgegeben. Und ich würde meinen, wenn man sich hier nicht parteipolitisch
besonders kaprizieren will, daß dies eine Grundlage ist, die – den
Atomenergieverlängerungsstreit einmal ausgeklammert – eigentlich von allen
Parteien heute auch geteilt wird.
Wenn
ich sagen soll, was zu der Energiepolitik heute gehört, wie sie dann
insbesondere durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz auch festgeschrieben worden
ist, so gehören dazu elf Punkte:
a)Versorgungssicherheit
gewährleisten (das hat immer gegolten),
b)Wirtschaft stärken,
c)erneuerbare Energien steigern,
d)Atomausstieg umsetzen (das ist
nach wie vor der kontroverse Punkt ),
e)Kohle effizient nutzen,
f)verbesserte Kraftwerke,
g)Stromnetze zukunftsfähig machen,
h)Strom effizienter verbrauchen,
i)fossilen
Wärmebedarf reduzieren,
j)Emissionen
im Verkehr senken,
k)international handeln.
Man kann also
sagen: Das Ergebnis dieses klar geregelten, mit viel Mühe und viel Arbeit
durchgeführten Diskurses, die Rahmenbetrachtung im Kontext dieser vier Pfade,
die Herausarbeitung der Alternative bei Minderung der spezifischen Risiken, die
mit atomaren Großkraftwerken und dem ganzen Kreislauf verbunden sind, hat in
der Bundesrepublik Deutschland, aber inzwischen auch weltweit, zur Konturierungeiner anderen Ausrichtung der Energiepolitik geführt.
Das, meine Damen und Herren, ist sehr viel. Insbesondere dann, wenn wir
bedenken, daß dieser Ansatz „Effizienz plus Erneuerbare“ etwas ist, was global,
was international, was für alle Länder und alle Regionen – natürlich
differenziert – umgesetzt werden kann und die Grundlage für nachhaltige
Lebensverhältnisse auf der Erde sein könnte.
In
der Bundesrepublik sind die Aufgaben, die wir heute vor uns sehen, wenn wir vom
Streit um die Atomkraftwerke absehen, insbesondere dort gegeben, wo wir – ich
will da zum Einzelnen gar nichts weiter sagen – die beiden Strukturen
miteinander kompatibel machen müssen. Noch haben wir Kohlekraftwerke,
Großkraftwerke. Noch haben wir Atomkraftwerke, auch nach dem rot-grünen
Ausstiegs-Konsens für eine bestimmte Zeit und jetzt länger aufgrund der neuen
Beschlüsse der Regierung. Wir haben Großkraftwerke und wir haben in einem
wachsenden Maße, insbesondere in Norddeutschland, Windenergie, und wir haben
zunehmend Sonnenenergie. Das muß in den Netzstrukturen kompatibel gemacht
werden. Wir brauchen neue Leitungen, wir brauchen neue Schaltstellen, wir
brauchen Speicherkapazitäten. Darüber muß in den nächsten Jahren weiter geredet
und gestritten werden.
Es gibt dazu,
wieder nach dem Prinzip der ersten Energie-Enquete, zwei Studien. Netzstudien,
die von der deutschen Energieagentur in Berlin moderiert worden sind, unter
Beteiligung der jeweiligen Unternehmen und in der Methodik ähnlich gearbeitet
wie die Pfadbetrachtung. Aber die Ergebnisse dieser Netzstudien müssen
umgesetzt werden. Und da kommen wir dann wieder in den öffentlichen Diskurs
hinein, denn Hochleitungen sind zur Zeit überall umstritten, werden nicht
gewünscht, rufen die Proteste der Bürger hervor. Da muß man den öffentlichen
Diskurs weiterführen.
Wir haben damals
in der Energie-Enquete auch deshalb so erfolgreich arbeiten können, weil wir
gewissermaßen unter uns waren. Natürlich haben sich über unsere Argumente die
Argumente des kernenergiekritischen Bürgerdialoges in die Kommission hinein
verlängert. Aber im Grunde genommen war es so, daß hier wissenschaftlicher
Sachverstand um die optimale Lösung gerungen hat, ohne die sozialen und
gesellschaftlichen Implikationen hinreichend einzubeziehen. Diese sind bis heute
das Problem der energiepolitischen Auseinandersetzung.
Ich fasse diesen
ersten Schritt zusammen und sage: Das, was am Anfang aussichtslos erschien und
sich durch Jahrzehnte hindurch nur schwer durchzusetzen schien, hat sich dann –
immer wieder beeinflußt durch die politischen Rahmenbedingungen über eine
Schwelle hinweg als äußerst wirksam und bedeutsam erwiesen.
II.
Ich
komme zu einem zweiten Problembereich: Nachhaltigkeit und Diskurs. Hier ist die
Situation eine ganz andere. Wir haben bei dem Begriff der Nachhaltigkeit einen
weichen, umfassenden, global gemeinten Universalbegriff. Wenn man von der
Brundtland-Definition ausgeht: so heißt wirtschaften, so handeln, so
konsumieren, daß die kommenden Generationen auch noch menschenwürdig leben
können. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn wir die ökosystemaren
Lebensgrundlagen auf der Erde so bewirtschaften, daß sie nachhalten, daß sie
Grundlage kommender Generationen sind. Bei dieser Brundtland-Definition ist die
anthropozentrische Fixierung noch ganz deutlich. Es geht darum, daß wir so
wirtschaften, daß kommende Generationen auch noch menschenwürdig leben. Die
Frage, ob es nicht auch so etwas wie eine grundsätzliche Verpflichtung
gegenüber der nicht-menschlichen Natur (Eigenverantwortung) gibt und wie die artikuliert
werden könnte, taucht in diesen Definitionen zunächst nicht auf. Aber darüber
hat es dann eine weiterführende Diskussion gegeben.
Wenn ich es
richtig sehe, ist die Schwierigkeit bei der Nachhaltigkeitsdiskussion – wenn
wir wieder fragen: was könnte der geregelte Diskurs hier an Hilfen und
Fortschritten für die Zukunft bringen? – die, daß wir es mit einer sehr
komplexen internationalen Materie zu tun haben. Nachhaltige Entwicklung, da
spielen auf der einen Seite, wenn wir vom Zentrum her denken, ethische
Prinzipien eine Rolle. Auf der anderen Seite sind wir in ein unendliches
Geflecht von ökologischen, politischen und gesellschaftlichen Befindlichkeiten
hineingebunden: Gerechtigkeit, Gesundheit, Biodiversität, Wasser, Wohnen,
Bauen, Boden, Ernährung, Arbeit, Klima, Zusammenleben. Dieser Kontext ist sehr
schwer zu erschließen, insbesondere dann, wenn es darum geht, alle diese
Bereiche unter die Voraussetzung des Begriffes der Nachhaltigkeit zu stellen,
also des sorgsamen Wirtschaftens unter Beachtung ökosystemarer Gleichgewichte
und begrenzter Ressourcen in Anerkennung des sozialen Nachholbedarfes in der
Dritten Welt und in Berücksichtigung der Ansprüche kommender Generationen.
Meine Damen und Herren, wie soll man das systematisch fassen? Schwierig.
Ich denke hier
muß man von Anfang an sagen, daß man den Diskurs auf verschiedenen Ebenen
führen muß. Und man muß ihn auch ganz konkret bezogen auf verschiedene Regionen
führen. Ich will aus diesem dichten Geflecht der Probleme einige Ebenen
herausheben, um deutlich zu machen, über was man dort miteinander sprechen muß.
Wenn man eine Systematik einführen will, so sind es insbesondere drei Ebenen,
auf denen der Diskurs weiter geführt werden muß.
Abb.: Ethisches Leitbild
Der Diskurs über
Menschenrechte und Menschenwürde, international wie national – schon das ist
eine vielschichtige Angelegenheit. Man denke nur an die Verhältnisse in Afrika,
Asien und Südamerika. Dann geht es um den Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen und schließlich geht es um einen neuen, erweiterten Begriff
von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit als Zugang zu den Lebensgrundlagen, die auf
der Erde gegeben sind.
Da stellt sich
auch die Frage, wie viel CO2-Ausstoß ist zulässig, wenn wir alle an
eine gerechte Verteilung und eine gerecht geregelte Weltgesellschaft im Blick
auf den Energiekonsum im Kontext der Nachhaltigkeit denken. Was steht den
Menschen in Afrika und Asien zu? Wie kann Gerechtigkeit im Blick auf die
Verteilung und die Nutzung von Ressourcen, wie kann Gerechtigkeit im Blick auf
die Inanspruchnahme des Klimas, wie kann Gerechtigkeit im Blick auf den CO2-Ausstoß
pro Kopf zum Ausdruck gebracht werden?
Das Alles kann
man nicht allein in einem großen Diskurs entscheiden, sondern hier muß auf den
genannten drei Ebenen ungeheuer viel stattfinden. Es ist bei allen Beteiligten
und Engagierten eine gewisse Hilflosigkeit zu entdecken. Als ein Beispiel für
die diffuse Orientierung, auf die man bei der Erschließung der
Nachhaltigkeitsfrage durch Diskurselemente immer wieder stößt, ist etwa bei der
folgenden Zusammenstellung gegeben.
Bei der
deutschen UNESCO-Kommission, die sich sehr engagiert im Blick auf die
Nachhaltigkeitsthematik gezeigt hat, ist für die Jahre 2005 bis 2014 ein
Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aufgelegt worden. Dies als
Beispiel dafür, auf welchen Ebenen gearbeitet werden könnte und müßte.
Dort wird
aufgelistet:
-Konsumverhalten und nachhaltiges Wirtschaften
-Kulturelle Vielfalt
-Gesundheit und Lebensqualität
-Wasser- und Energieversorgung
-Biosphären-Reservate als Lernorte
-Welterbestätten als Lernorte
-Nachhaltigkeitslernen in der Wissenschaft
-Bürgerbeteiligung und „Good Governance“
-Armutsbekämpfung durch nachhaltige
Entwicklungsprojekte
-Gerechtigkeit zwischen den Generationen: Menschenrechte
und ethische Orientierung
(Deutsche UNESCO-Kommission 2003).
Das
ist es, meine Damen und Herren, aber auf der anderen Seite erscheint es
geradezu ausweglos, das alles zu leisten. Aber es führt kein Weg daran vorbei.
Wenn wir eine nachhaltige Weltkultur brauchen, dann müssen wir auf diesen
Ebenen – man könnte sicher auch noch zusätzliche Ebenen hinzufügen – einen
geregelten Diskurs darüber führen, was das Optimum ist, was also zur
Gewährleistung von Gesundheit getan werden muß, wie die Wasser- und
Energieversorgung national und international geregelt werden kann. Wir wissen,
Kopenhagen ist schiefgegangen und die Ergebnisse von Cancún sind sehr allgemein
und offen. Zur Zeit deutet sich nicht an, daß wir hier einen vernünftigen,
klimaorientierten Kompromiß für die internationale Politik zu erwarten hätten.
Oder die Frage der Bürgerbeteiligung. Alles Ebenen, auf denen der Diskurs unter
Einbeziehung der Beteiligten und der Betroffenen und ihres Sachverstandes
geführt werden muß.
Ein besonders
schwieriges Thema in unserem Zusammenhang ist die Frage der Neuorientierung der
Wirtschaft, die Auseinandersetzung mit der neoliberalen Wachstumswirtschaft.
Auf der einen Seite schreiben es sich alle als eigenen Verdienst an, wenn das
klassische Wachstum des Bruttosozialproduktes wieder anspringt, auf der anderen
Seite ist das nur die Fortsetzung des bisherigen falschen Weges: Wirtschaften
auf Kosten der Zukunft, Wirtschaften auf Kosten ökologischer Gleichgewichte,
die in der Zukunft nicht mehr vorhanden sein werden. Das ist das Prinzip der
Diskontierung. Wir verlagern dieUnkosten, die wirnicht
bezahlen, in die Zukunft und machen Wirtschaftswachstum im kurz- und
mittelfristigen Bereich.
Auf der anderen
Seite wissen alle, auch die Industrieverbände, daß wir intensiv an neuen
Strukturen des Wirtschaftens arbeiten müssen. Da wird über neue Technologien,
über neue Stoffe nachgedacht, aber im Prinzip ist es der alte, letztlich
tödliche, selbstzerstörerische Wirtschaftsmotor, der unser Wirtschaften nach
wie vor antreibt. Nur wenn wir an dieser Stelle eine Öffnung erreichen, ein
Umdenken, eine Korrektur auf der Grundlage einer diskursiv erschlossenen,
anderen Strategie, werden wir die Chance haben, die vielen anderen Bereiche,
die von der UNESCO angesprochen worden sind, auch angemessen zu regeln.
Wie
die Dinge wirklich liegen, will ich noch einmal an einigen Zahlen deutlich
machen. Hier allerdings ist der Diskurs auch besonders schwierig und
doppelbödig. Was soll man davon halten: Wir machen Wirtschaftswachstum und sind
stolz darauf, daß wir viel nach China exportieren. Und wir exportieren dorthin
gerade diese dicken Autos, jenen Typ von Auto, der genau gegen das verstößt,
was wir als eine energiebewußte Kultur der Zukunft, als eine nachhaltige Kultur
auffassen. Es ist eine völlig unaufgeklärte Situation. Zu diesem Diskurs würde
gehören, daß wir nicht nur die Alternative formulieren, sondern daß wir die
doppelbödige Verlogenheit der Gegenwart aufklären und in diese Struktur hinein
Übergänge und Zwischenschritte intendieren. Verglichen damit ist die Politik
heute, auch wenn sie von Nachhaltigkeit redet, völlig unbelehrt, ja geradezu
brutal.
Ich demonstriere
diese Situation an Zahlen, die nochmals das ganze Problem zeigen – daß wir in
die falsche Richtung investieren. Ich entnehme diese Zahlen dem Buch von
Leggewie/Welzer: „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“. [4]
Kosten der Exzellenzinitiative für die deutschen Universitäten: 1,9 Mrd. Euro |
Kosten der Abwrackprämie für deutsche Autokonsumenten: 5 Mrd. Euro |
Investitionsprogramm „Bildung Betreuung“ (Kitas u.ä.) 2003-2009: 4 Mrd. Euro |
„Schrottpapiere“, die in „bad banks“ ausgelagert werden sollen: 258 Mrd. Euro |
Kosten für die Rettung der HypoRealEstate 2008/2009: Min. 135 Mrd. Dollar |
Gesamtentwicklungshilfe der 22 Geberländer: 104 Mrd. Dollar |
Jährliche Investitionskosten für eine Reduktion des Anstiegs des globalen Energiebedarfs um 50%: 130 Mrd. Euro (Rendite: 17%) |
Erstes Bankenstützungspaket der US-Notenbank November 2008: 600 Mrd. Euro (Rendite: 0%) |
Weltweiter Hilfsfond zur Hunger-bekämpfung 2009: 9,5 Mrd. Euro |
Neuverschuldung des Bundes (Stand Mai 2009): 47,6 Mrd. Euro |
Kosten derExcellenz-Initiative: 1,9 Milliarden, Kosten der
Abwrackprämie: 5 Milliarden. So sehr sie als eine Zwischenhilfe verständlich
war, war sie ganz problematisch. Investitionsprogramm „Bildung Betreuung“: 4
Milliarden, „Schrottpapiere“ / „bad banks“:258 Milliarden, Kosten für die Rettung der
HypoRealEstate: 135 Milliarden, Gesamtentwicklungshilfe der 22 Geberländer im gleichen Zeitraum: 104 Milliarden.
Die Dinge stehen auf dem Kopf, meine Damen und Herren. Jährliche
Investitionskosten für eine Reduktion des Anstiegs des globalen Energiebedarfs
um 50% in Höhe von 130 Milliarden, erstes Bankenunterstützungspaket der US-Notenbank
600 Milliarden, weltweiter Hilfsfonds zur Hungerbekämpfung 9,5 Milliarden,
Neuverschuldung des Bundes 47,6 Milliarden.
Ernst Ulrich von
Weizsäcker hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, „Faktor Fünf“[5] , in
dem er über die vorausgehende Studie „Faktor Vier“[6]
nochmal hinaus die Effizienz steigert, so für den Energieverbrauch und den
Stoffgebrauch.
Das liest man
alles, und wenn man Ingenieur ist, ist das sicher auch faszinierend, aber am
Ende relativiert Ernst Ulrichvon Weizsäcker den
ganzen „Schinken“ selber, indem er sagt: „Das alles reicht uns nicht.“ Selbst
wenn wir dieses unmögliche Programm zustande brächten, die entscheidenden
Änderungen müssen woanders stattfinden, nicht allein nur im technischen
Bereich.
Sie
sehen, im technischen Bereich kriegt man ja manches zustande, da haben wir ja
auch in der Energie-Enquete so munter miteinander gearbeitet, da haben wir
unter definierten Verhältnissen gearbeitet. Aber die Verhältnisse in der
Gesellschaft, in der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur, entsprechen ja
nicht einfach den definierten Verhältnissen der Technik. Das sind Prozesse,
offene Prozesse in der Zeit, mit denen man anders umgehen muß. Das sind die
großen Schwierigkeiten. Am Ende seines Buches schreibt Ernst Ulrich von
Weizsäcker:
„Sie
[die Politik; G.A.] will unbedingt immer weiteres Wachstum und sieht das als
Wählerauftrag an. Schließlich geht es um Arbeitsplätze und um die Finanzierung
der Staatshaushalte und beides ist nur mit weiterem Wachstum zu haben.
Aber genau
dieses Wachstum ist der Haupttreiber der Klimaänderung, der Landzersiedlung, der Ressourcenplünderung. Diese
Sorte Wachstum ist eindeutig nicht nachhaltig. Und wir wissen, daß das
Dauerwachstum letzten Endes auch nicht dadurch nachhaltig wird, daß die
Energie- und Ressourceneffizienz auf das Fünffache gesteigert wird. Die Erde
reicht nicht aus, um alle materiellen Träume einer ständig wachsenden
Weltbevölkerung zu erfüllen. Die Zeit ist gekommen, da die Gesellschaften der
Welt die Genügsamkeit alter Kulturen wiederentdecken müssen. Für Genügsamkeit
kann man auch das internationale Wort Suffizienzverwenden, das sich gut mit Effizienz paart. Die politische Kunst
wird darin bestehen, Genügsamkeit akzeptabel zu machen - fürs Volk, für die
Wirtschaft und für die Politik.“[7]
Das ist die
große Diskursaufgabe in der politischen Diskussion über Nachhaltigkeit.
Genügsamkeit akzeptabel zu machen als den einzigen möglichen Weg, um so unter
dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit Zukunft zu gewinnen und Menschlichkeit und
Menschenwürde zu gewährleisten: Fürs Volk, für die Wirtschaft, für die Politik,
für die Weltgesellschaft. Da werden die entscheidenden Diskursleistungen zu
erbringen sein.
Wenn man nun
fragt: „Lieber Ernst Ulrich, wie stellst Du Dir das vor?“, dann findet man in
seinem Buch drei Vorschläge:
Erstens:
Eine Gesellschaft der Teilhabe, mit einer Betonungder
öffentlichen Daseinsvorsorge, weg von der Privatisierung aller
Lebensverhältnisse und Ressourcen.
Zweitens:
Wiederentdeckung der Gemeingüter und der Gedanke von Treuhandinstitutionen
(commons trusts). Die radikale Marktwirtschaft hat ja die Gemeingüter Klima,
Ozeane, Biodiversität, Süßwassersysteme und vieles andere dem Wettbewerb der
effizientesten Ausbeuter überlassen.
Drittens
nennt von Weizsäcker eine bessere Verteilung von Arbeit bis hin zu dem
Gedankenexperiment: Kurze Vollzeit für alle, zwei Stunden Arbeit pro Tag, aber
dann Arbeit für alle.
Allerdings, zwei
Stunden Arbeit pro Tag heißt auch, daß man nicht mehr von den gegenwärtigen
Gehältern und Löhnen ausgehen kann. Das alles bekommt dann einen anderen
Stellenwert. Dann muß die Priorität in der Wertsetzung eine andere sein. Andere
Lebensinhalte. Da muß etwas anderes erstrebenswerter sein als die Steigerung
des Gehalts, der Renditen, als die Sicherung des Kontos.
Meine Damen und
Herren, hier liegen die großen Schwierigkeiten, und dennoch muß hier der
Diskurs geführt werden, wenn wir denn die Absicht haben zu überleben. Und dann
blendet von Weizsäcker aufund verlangt vom
Norden: ‚Genügsamkeit ohne Zunahme der Arbeitslosigkeit, im Nord-Süd-Verhältnis
gleiche Nutzungsrechte für alle, Abbau des Vorrangsdes
Nordens mit seinen wirtschaftlichen Prioritäten und im Süden Abkopplung der
Entwicklung von der Naturzerstörung, möglichst nicht die Wiederholung der
Fehler, die wir gemacht haben’.
So
kann man das auch in der großen Studie des Wuppertal Instituts „Zukunftsfähiges
Deutschland“ lesen, auf die ich hier nicht weiter eingehe. Ich hoffe, deutlich
gemacht zu haben, daß wir, wenn wir auf den Diskurs als einen entscheidenden Vorbereiter
und Gestalter der Politik setzen, auf den öffentlichen Diskurs in den
problematischen Kipplagen unserer Politik, vor äußerst schwierigen Aufgaben
stehen, die insbesondere die Grundsätze unseres Wirtschaftens betreffen. Nur
mit dieser Infragestellung könnte es gelingen, eine andere Kultur zu gestalten
und die Menschenrechte, die Menschenwürde und die Erhaltung der Natur auf der
Erde gewährleisten ungeachtet aller globalen Krisen.
III.
Lassen
Sie mich noch auf eine dritte Ebene des Diskurses zu sprechen kommen: der
ethische Diskurs. Das alles kann ja nicht stattfinden, ohne daß die ethischen
Implikationen dieser Umbesinnung selber in den Diskurs mit hineingenommen
werden. Da habe ich Ihnen hier von Hans Jonas – sein Prinzip haben wir ja schon
auf der Tafel stehen – einen Satz mitgebracht, in dem er die Schwierigkeiten
der Umbesinnung noch einmal benennt:
„Im Zeichen
der Technologie [man könnte aber auch sagen im Zeichen jener unaufhaltbaren
Dynamik des technisch-industriellen Wachstumskonzeptes; G.A.] aber hat es die
Ethik mit Handlungen zu tun (wiewohl nicht mehr des Einzelsubjekts), die eine
beispiellose kausale Reichweite in die Zukunft haben, begleitet von einem
Vorwissen, das ebenfalls, wie immer unvollständig, über alles ehemalige weit
hinaus geht. Dazu die schiere Größenordnung der Fernwirkungen und oft auch ihre
Unumkehrbarkeit. All dies rückt Verantwortung ins Zentrum der Ethik, und zwar
mit Zeit- und Raumhorizonten, die denen der Taten entsprechen.“[8]
Das ist sehr
klar formuliert, das gilt selbstverständlich auch heute noch und in diesem
Kontext ist auf den verschiedenen, von mir gekennzeichneten Problemebenen unter
dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit der Diskurs über die Frage der Gewährleistung
einer humanen Gesellschaft in ökologisch befriedeten Verhältnissen zu führen.
Jonas’
Kennzeichnung der ethischen Ausgangslage führt einmal vor die Frage der
Sondierung der immensen Problemfelder: in welcher Reihung, mit welchen
Prioritäten lassen wir uns auf diese Diskussion ein, die längst eine internationale
ist? Ferner rückt uns dieser Ansatz von Jonas vor die Frage des Miteinanders
der verschiedenen ethischen Traditionen, die wir in der Weltkultur haben. Und
schließlich stellt er uns die Frage nach den zu verantwortenden Instrumenten
der Politik, mit denen dies alles zu gewährleisten ist. Hans Jonas hat als
Richtungsanweisung einen eigenen Imperativ formuliert: „Handle so, daß die
Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten
menschlichen Lebens auf Erden.“[9]
Auf der einen
Seite ist das voll im Einklang mit dem, was wir heute als das Konzept der
Nachhaltigkeit bezeichnen. Aber dieser Satz enthält in sich noch keine Angebote
und Lösungen, die sind noch zu erbringen. Die sind regional, die sind mit
verschiedenen Methoden, in verschiedenen Problembereichen noch zu gestalten.
Aber es führt,
das ist meine feste Überzeugung, kein Weg daran vorbei, daß die Überwindung der
globalen Gegensätze nur auf dem Wege eines Diskurses stattfinden kann, der sich
nicht an dem Problem vorbeischummelt, sondern der in diskursiver Offenheit: die
von Herrn Böhler immer wieder herausgearbeitete Ernsthaftigkeit, alle
einzubeziehen und niemanden auszuklammern und die Gegenmeinungen mit den
anderen Gegenmeinungen zu gewichten und sorgfältig zur Darstellung zu bringen,
um das Optimum zu ermitteln. Diese ganzen Aufgaben liegen vor uns und es gibt
kein anderes Instrument neben allen politischen und technischen Machbarkeiten,
als uns auf diesen Diskurs, auf dieses Ringen um Menschlichkeit in der
Weltgesellschaft einzulassen.
Nun gibt es auch
hier ein Zeichen der Hoffnung, das ich Ihnen vor Augen führen möchte. Ich
beziehe mich auf dasArtenvielfaltsabkommen, das 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde
und das inzwischen von fast allen Völkern der Erde ratifiziert worden ist. Wir
haben es also mit einem weltumgreifenden Konsens zu tun, aus dem auch etwas von
dem spricht, was Hans Jonas uns sagt.
Das
ist natürlich kein philosophisch-reflektierter Text, und dennoch steckt in ihm
ein ganzes Stück Verheißung und Zukunft. Da heißt es:
„[…] im Bewußtsein des
Eigenwertes der biologischen Vielfalt sowie des Wertes der biologischen
Vielfalt und ihrer Bestandteile inökologischer,
genetischer, sozialer, wirtschaftlicher, erzieherischer, kultureller und
ästhetischer Hinsicht sowie im Hinblick auf ihre Erholungsfunktion,
ferner im Bewußtsein der Bedeutung der
biologischen Vielfalt für die Evolution und für die Bewahrung der
lebenserhaltenden Systeme der Biosphäre
in Bestätigung dessen, daß
die Erhaltung der biologischen Vielfalt ein gemeinsames Anliegen der Menschheit
ist,
in Bekräftigung dessen, daß
die Staaten souveräne Rechte über ihre eigenen biologischenRessourcen haben,
sowie in Bekräftigung
dessen, daß die Staaten für die Erhaltung ihrer biologischen Vielfalt sowie für
die nachhaltige Nutzung ihrer biologischen Vielfalt verantwortlich sind,
besorgt darüber, daß die
biologische Vielfalt durch bestimmte menschliche Tätigkeiten erheblich
verringert wird,
[eingedenk des allgemeinen
Mangels an Informationen und Kenntnissen über die biologische Vielfalt sowie
der dringenden Notwendigkeit, wissenschaftliche, technische und institutionelle
Voraussetzungen für die Bereitstellung des Grundwissens zu schaffen, das für
die Planung und Durchführung geeigneter Maßnahmen erforderlich ist. ...]“[10]
Das ist ein sehr
bedeutsamer Text. Ein Text, der auf der einen Seite von dem Wert des Lebens
spricht, nicht nur im Blick auf den Menschen, sondern der erstaunlicherweise
auch vom eigenen Wert der nicht-menschlichen Kreatur spricht. Ein Text der
versucht, gewissermaßen die beiden Verpflichtungshorizonte miteinander zu
verbinden, biologische Vielfalt in ökologischer, genetischer, sozialer und
wirtschaftlicher Hinsicht. Ein Text, der ferner davon spricht, daß das keine
starre Ordnung, sondern eine evolutionäre Dynamik ist, in der wir uns neu
orientieren müssen, mit einer entsprechenden Weisheit und Nachsicht.
Ferner wird hier
betont, daß es um ein gemeinsames Gut geht, das aber auch unter staatlichen
Bedingungen geregelt werden muß, international wie national. In diesem
umfassenden Text, in dem das ganze Geflecht der Lebensbezüge anklingt, auch ein
stückweit die Instanzen der Verantwortlichkeit benannt werden, könnte in der
Tat der Anstoß zu einem globalen Diskurs liegen, der über alle Kulturen und
alle religiösen Traditionen hinweg so etwas wie eine Verheißung darstellt.
Die
Aufforderung, die Hans Jonas – wie oben zitiert – formuliert, ist klar und
eindeutig. Wenn man dieser Aufforderung nachgeht und sie auf die aktuellen
Probleme auf der Erde bezieht, auf dieses Geflecht von Mensch und Artenvielfalt
als gemeinsame Aufgabe der Staaten der Erde und der Menschheit insgesamt, dann
steht man vor der dreifachen Aufgabe, die Menschenwürde zu wahren,
Gerechtigkeit walten zu lassen und gleichzeitig die Erhaltung der natürlichen
Gleichgewichte und der Artenvielfalt zu gewährleisten.
Es
gehört zur harten Realität dieser Tage, daß dieser Vertrag bis heute nicht zu
Ende verhandelt ist. Immer noch wird darüber gestritten, wie, nach welchen
Regeln und unter welcher Vergütung in die biologischen Ressourcen der
Entwicklungsländer biotechnisch eingegriffen werden kann. Auch hier besteht man
auf den wirtschaftlichen Interessen, die marktorientiert und
wachstumsorientiert sind.
Dennoch behaupte
ich: Die Grundlage für einen Diskurs, der sich der Nachhaltigkeit im
Welthorizont stellt, wird nirgendwo und von niemandem und so klar formuliert,
wie es in dieser Präambel des Artenvielfaltsabkommens der Fall ist.
Ich schließe und
stelle fest: Auf der einen Seite sind die Aufgaben immens, auf der anderen
Seite hoffe ich deutlich gemacht zu haben, auf welchen Ebenen wir arbeiten
müssen. Ich hoffe, auch deutlich gemacht zu haben, daß in der Tat nichts
anderes als der Diskurs in seinem umfassenden Sinne, wie wir ihn hier auf
dieser Tagung diskutiert haben, im Feld politischer Interessen für die Zukunft
das unverzichtbare Instrument der Korrektur und der Selbstbesinnung ist.
Ich bedanke
mich.
[1] Vgl. Eppler, Demokratie.
[2] Vgl. Altenburg, Kernenergie.
[3] Altenburg, Kernenergie, S. 34.
[4]Leggewie/ Welzer, Welt, S. 17.
[5] Vgl. Weizsäcker, Faktor Fünf.
[6] Vgl. Weizsäcker, Faktor Vier.
[7] Weizsäcker, Faktor Fünf, S. 356.
[8] Jonas, Prinzip, S. 8f..
[9] Jonas, Prinzip, S. 36.
[10] Vgl. UNEP, Artenvielfaltsabkommen.
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