Erschienen in Ausgabe: No. 27 (1/2007) | Letzte Änderung: 27.01.09 |
von Andrey Albrecht
Dieser
Bericht will auf die eigentliche Leistung Goethes hinweisen, die
ziemlich einheitlich verkannt wird. Das bedeutet auch die Rezeption
stark beeinträchtigende Vorurteile aus dem Weg zu räumen,
denn seine wichtigsten Entdeckungen liegen gerade dort, wo man ihn am
meisten ablehnt. Dieser Bericht soll Goethes Ansehen über das
des berühmten Dichters hinaus zurechtrücken und rechnet mit
einem aufmerksamen Leser, der sich aus seiner Leidenschaft für
Farb- und Lichtphänomene auch nicht zu schade ist, wieder einmal
das Prisma vom Regal zu holen.
Goethe
wird nicht selten dann konsultiert, wenn es um pädagogische
Fragen oder um Kulturdefinitionen geht. Auch seine Betrachtungen über
die sittliche Wirkung derFarben wurden, als das was sie
verstanden wurden, gut akzeptiert. Man gesteht ihm da eine Natur
gegebene Kultur und instinktive Intelligenz zu, die aussergewöhnlich
war. Hie und da kommt von selber oder beim Lesen von Goethes
Schriften das Gefühl auf, dass es unserer Kultur an
Ganzheitlichkeit und Menschlichkeit fehlt, dass sich die
verschiedenen Disziplinen ausgrenzen und dass der Wind, der an den
Instituten weht, zu grob ist, als dass man von da wirkliche
Erkenntnisse über ein Lebewesen erwartet könnte. Und dann
schaut man, wie es Goethe gemacht hat.
Diesem
Bestreben steht aber ein institutionalisierter Wissenschaftskomplex
gegenüber, der seinen Ruf als disziplinierter Wahrheitsentlarver
zu bewahren weiss. Es sei zu viel romantische Schöngeisterei
in Goethes Art, als dass er für die gewissenhafte
Naturwissenschaft von Bedeutung sein könne. Dies hat mehr als
die Verdrängung des Kulturphänomens Goethe zur Folge. Es
steht in der Tradition einer Trennung des menschlichen Erkennens in
einen primären und einen sekundären Teil. Wahrscheinlich
der erste, der eine solche vertrat war Parmenides (515 v. Chr. bis
ca. 445). Die aktuellsten Vertreter sind die Kantianer. Kant selber
sah die Wahrnehmungen nur als Produkt von objektiven Vorgängen,
die sie sowohl ermöglichen und als auch das Objekt der
Perzeption ausmachen. Ernst genommen wird also nur der Primäre,
der sich mit den verstandesmässig erkennbaren Phänomenen
beschäftigt. Der Sekundäre beinhaltet die Welt des
Lebendigen und Organischen. Eine Wissenschaft, die den sekundären
Teil ernst nimmt, geht auch auf ein Ich ein und beschäftigt sich
mit dessen Fragen. Es versucht dieses nicht zu zerlegen, sondern
nimmt es als Ganzes.
Der
Irrtum der Mechaniker, wie ich die Kantianer, Physiker und Vertreter
der selbsternannten primären Erkenntnis, zusammenfassen will,
besteht darin, dass sie Erkenntnis der mathematisch
beschreibbaren Phänomene für gewisser halten, wenn nicht
sogar ohne Sinneseinflüsse entstanden. (Goethe bezeichnete
die mathematische Beschreibung eines Phänomens als in dem Sinne
eitel, als sie den Anschein vermitteln, als ob das Phänomen auch
gleich selbst erfunden worden sei.) Ohne
Sinneswahrnehmungen kommen aber natürlich auch die
gewissenhaftesten Wissenschaftler nicht aus. Ob wir eine mechanische
Bewegung betrachten oder eine Farbe, macht für die Perzeption
keinen Unterschied, wir brauchen für beides gleichermassen die
Sinne. Der Unterschied ist nur, dass wir in den einen nach dem
Betrachten, mathematisch beschreibbare Eigenschaften finden.
Weil Goethe sich nun aller Sinneswahrnehmungen gleichermassen
bediente, nannte man ihn einen Phänomenologen, was offenbar
reichte, um eine weitere Auseinandersetzung und Prüfung seiner
Argumente auf physikalisch-experimenteller Ebene als überdrüssig
abzutun.
Dass
die Mathematik Grenzen hat, ist einleuchtend, dass man über sie
aber die Grenzen des menschlichen Erkennens überhaupt definiert,
zeugt von einer rüpelhaften, nihilistischen und obskuren
Weltanschauung. Zuerst wird alles abstrahiert, was nicht mechanisch
ist und dann sucht man in dem „fast-nichts“ wieder nach
Leben. Die löbliche Disziplin scheint sich zu einer
Übergewissenhaftigkeit zu verselbstständigen. Dass man
etwas falsch gemacht haben muss, bezeugen auch die Klagen von Werner
Heisenberg über die Situation der gegenwärtigen
Naturwissenschaft, dass man sich in einer finsteren, hintergründigen
Welt bewege, die weit ab von der vertrauten und bodenständigen
Alltagswelt steht.I
Wissenschaftler wie Du Bois-Reymond und Helmholtz bestanden auf einen
Schritt über das Sinnliche hinaus ins Begriffliche, wo die
Erklärung für die Phänomene herkommen soll. Heute sind
wir sicher empirischer geworden; man muss allerdings sagen, dass
solange man Goethe des Romantizismus bezichtigt, noch nicht richtig
zum Sinnlichen gefunden hat. Man hat sich die Grundvoraussetzung zu
jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung, nämlich das
Verhältnis von Begrifflichem und Sinnlichem klar zu trennen,
noch nicht genügend zu Eigen gemacht. Man hat den Versuch durch
einen Salto mortale, aus rein Begrifflichen auf Inhalt zu kommen,
immer noch nicht ganz überwunden. Man versucht in der Regel
nicht mehr, wie Hegel und andere Spekulanten, aus dem Begriff (meist
religiöse...) den Weltinhalt abzuleiten. Darüber ist man
hinaus, weil man alles geistige ablehnt, aber die unterwürfige
Vorgehensweise, im Gegensatz zu jemandem, der sich an seine
Wahrnehmungen hält, hat man nicht auch überwunden,
denn man glaubt noch immer nicht recht, dass die eigenen
Beobachtungen unzusammengesetzt sein können. Gott hat
einem noch mehr in der Hand als man glaubt – erst wenn man
keine Angst mehr von Geistigem hat und wenn man Wahrnehmungen mit
geistigem Inhalt als Wahrnehmungen akzeptieren kann, ist man wirklich
wissenschaftlich geworden - und zudem freier! (Dazu täte
eingehende Stirner- und Nietzschelektüre wieder einmal gut...)
Die
Ursache organische Phänomene zu mechanisieren, kommt aus einer
fanatischen Faszination die zusammengesetzt ist aus einem Gefühl
von Wahrheitsverpflichtung und der Bevorzugung von obskuren
Erklärungen gegenüber solchen, bei denen man sich
anstrengen müsste um die Gesetzmässigkeiten hinter dem
wirklich Sinnlichen zu finden. Es ist völlig müssig darüber
zu diskutieren, wie viel schlechten Einfluss solche Methoden nun
haben oder nicht haben. Es steht fest, dass sie nichts Gutes bewirken
und wer nicht gerade einen Hang zu Surrealem hat oder auf den
Adrenalinstoss der Erkenntnis der eigenen Verwirrung steht, der hält
seine Vorgehensweisen von solchen Einflüssen fern.
Nun
kann man die Entdeckungen unserer Psychologen aufzählen und die
Statistiken über die Erfolge gewisser Heilmethoden erwähnen.
Jeglichen Fortschritt in den bisherigen Bemühungen und alle
Offenheit gegenüber Goethe will ich auch gar nicht in Abrede
stellen, was ich in der Aufgeschlossenheit gegenüber den
Ergebnissen der sittlichen Wirkung auch schon erwähnt habe,
aber sie ist vor allem dort zu schwach, wo es sich darum handelt die
Übergänge vom Lebendigen in seinen verschiedenen Stufen zum
Anorganischen festzuhalten. Die Physik neigt dazu die Welt zu
vermechanisieren, worauf auch die Zubetonierung riesiger Erdteile und
den uns umgebenden Maschinen hindeuten. Selbstverständlich
profitieren wir davon, aber nicht der ganze Mensch in uns und das ist
nicht eine Frage der Beschränkung auf das Lebensnotwendige,
sondern im Falle Goethes ein Problem der wissenschaftlichen Reife und
der Anerkennung für vorhandene Verbesserungsansätze.
Es
fehlt nicht an Bewunderung über die Klarheit in Goethes Sprache,
über das Plastische und Wirklichkeitsgesättigte (bspsw. Du
Bois-Reymond, E.II),
aber wenn es darum geht diese Einblicke weiter zu vertiefen und
Goethes Theorie wirklich zu verstehen, dann fällt man seltsam
schnell in die Ablehnung der Physiker, was ich mir ein Stück
weit auch nur aus dem Ärger über die Überlegenheit
Goethes erklären kann, denn wenn es ihm tatsächlich
gelungen ist, eine Wissenschaft der Organik zu schaffen, dann hat er
tatsächlich eine „Superiorität über viele“
erreicht, wie er seine Leistung bezeichnet. Aus der Ablehnung
entstehen dann die Vorurteile, dass Goethe aus blosser Eitelkeit
neben seiner Betätigung als Dichter auch wissenschaftlich
tätig sein wollte. Solche Vorwürfe kommen einem enorm vor,
wenn man erkennt, dass selbst seine Entdeckung des
Zwischenkieferknochens aus dem Gefühl für organische
Gesetze entstand, weil ihm aus seinem Standpunkt ein dazumal
angenommenes Fehlen dieses Knochens beim Menschen unmöglich und
unsensibel von den Wissenschaftlern erschien. Eitelkeit gehört
aber noch zu den weniger verfälschten Bildern Goethes. Rein auf
Grund seiner abweichenden Farbtheorie bezeichnet man ihn gewöhnlich
als Eidetiker. Auch sein assoziatives Denken wurde bis zur
Halluzination verzerrt. Wobei es doch seltsam ist, dass sich Goethe
nie darüber beklagte, sondern stolz auf dieses Denken war!
Das
Organische hebt sich ab vom Anorganischen, dem Reich der Mineralien,
wo die Vorgänge rein mechanisch erklärbar sind.
Gegenstände stossen sich oder ziehen sich an, Trägheitsgesetze
und Gegenkräfte wirken dagegen und dergleichen. Bei all diesen
Untersuchungen geht es darum die beteiligten Kräfte so
vollständig wie möglich aufzuzählen und in die
Gleichung mit einzubeziehen. Das Phänomen wird zerteilt in
beteiligte Kräfte und Einflüsse. Ein Lebewesen kann so
nicht angegangen werden. Da hat man ein Wesen vor sich, das wirkt und
lebt. Versucht man es zu zerlegen, entgleitet es einem, weil es
gerade in der Gesamtheit seiner Erscheinung - was hier mehr als die
Summe seiner Teile bedeutet - steckt. Die Ablehnung der
Möglichkeit einer Erkenntnis des Organischen kippt häufig
in den Versuch mit mechanischen Methoden in einen Bereich
vorzustossen, wo mehr als mechanische Kräfte wirken. Überhaupt
der Begriff des Organischen ist etwas Abstraktes, er hat für die
meisten etwas vernünftiges, aber vielen ist es nur Teil eines
sittlichen Umgangs, den man vergisst, sobald man etwas „ernsthaft“
anpacken will. Der Grund ist ganz einfach der, dass man Mathematik
aus sich heraus schaffen kann, ohne sinnliche Beobachtungen zu
machen. Sie ist also etwas uns sehr nahe stehendes und scheint uns
daher eine gewisse Sicherheit auszustrahlen. Deswegen machen wir
die Beobachtungen lieber bekannten Formeln ähnlich, als dass wir
nach Strukturen in Neuem suchen. Das ist auf eine assoziative Art
ganz natürlich, wo es aber verfälschend wirkt schädlich.
Die
Initialzündung zur aktiven Opposition (eine rein gefühlsmässige
muss schon früher angesetzt werden, da er schon früher
ein Zusammenhang des Farbverständnisses mit der Kunst annahm,
und das Licht somit als etwas Organisches verstand, worauf aber
später noch näher eingegangen wird) Goethes gegen die
newtonsche Physik war der Blick durch das Prisma. Was ihm auffiel
war, dass nur an abrupten Hell-Dunkel-Übergängen Farben
auftauchen. Schaute er an eine weisse Wand, blieben die Farben ganz
aus. Nach der bis heute anerkannten Ansicht, dass die Farben im Licht
enthalten sind, sollte die Farbe auch da entstehen, wo nur weisses
Licht vorhanden ist. Hier wird eingewendet, dass das gerade der
Unterschied zur objektiven Wissenschaft sei, dass der Wissenschaftler
nicht hindurchschaut, sondern einen Lichtstrahl durch das Prisma
gleiten lässt.
Schauen
wir uns das genauer an. Blickt man durch das Prisma auf einen klaren
Übergang von einer weissen zu einer schwarzen Fläche, wird
je nachdem wie das Prisma gehalten wird (eine Kante des Prismas
senkrecht nach oben oder nach unten haltend), ein gelber oder ein
blauer Rand entstehen.
Hält
man ein Prisma in den breiten Lichtstrahl eines Hellraumprojektors
und hält einen breiten lichtundurchlässigen Gegenstand in
das Licht, so dass das Licht, das durch das Prisma fällt eine
horizontale Begrenzung erfährt, haben wir auf dem Schirm wieder
die Hell-Dunkel-Grenze und einen blauen oder gelben Rand. Dies ist
das „objektive“ Gegenstück zum subjektiven
Blick durch das Prisma auf einen Hell-Dunkel-Übergang.
Nimmt
man nun zu diesem Versuch eine zweite dunkle Begrenzung hinzu, so
dass wir also einen hellen Streifen Licht durch das Prisma anschauen
oder durch das Prisma hindurchlassen, haben wir beide Farben
Gelb und Blau. Das erklärt sich ganz einfach dadurch, dass wir
einmal weiss oben und einmal dunkel oben haben. (Das entspricht auch
der Beobachtung, dass wenn das Prisma gedreht wird bei einem
Hell-Dunkel-Übergang, sich die Farben Gelb und Blau
austauschen.)
Verringert
man den weissen Spalt nun oder bewegt das Prisma vom Schirm, bzw. vom
Hell-Dunkel-Bild weg, kommen sich die farbigen Ränder immer
näher, bis sie sich überlappen und somit vermischen. Damit
entsteht das ganze Regenbogenspektrum.
Die
Theorie, die besagt, dass die Farben im Licht enthalten seien, glaubt
natürlich, dass die Ränder Überlappungen von Farben
seien, die zusammen wieder Weiss geben. Dies ist aber ein ziemlich
kümmerlicher Rettungsversuch, denn wenn das Spektrum die Menge
aller Farben ist, wie können dann die Restlichen wieder Weiss
geben, wenn Blau oder Gelb fehlt.
Dazu
folgendes Schema. Rot und Grün, Gelb und Violett und Orange und
Blau sind die Farbenpaare, die zusammen jeweils Weiss geben bei der
subtraktiven Farbmischung. Nun betrachte man die farbigen Ränder
etwas genauer und man wird sehen, dass auf der blauen Seite nie nur
einfach ein Farbton entsteht, sondern dass es feine Übergänge
auf der Seite zur hellen Fläche ins Türkis und auf der
Seite der dunklen Fläche ins Violett gibt. (Auf der gelben Seite
geht es von blassgelb bis ins rot über.) Es fehlt also nicht nur
eine Farbe im Farbkreis, sondern fast die Hälfte des Spektrums.
Wie sich die andere in Weiss auflösen soll und wieso das immer
an Hell-Dunkel-Rändern passiert, bleibt offen. (Es ist auch
möglich, aus drei subtraktiv gemischten Farben weiss zu
bekommen. Bestimmte Kombinationen von Rosa, Hellgelb und Türkis.
Von denen fehlt aber ebenfalls mindestens eine.) Da die Physik sich
gerade so auf Quantitäten spezialisiert hat, frage ich mich, wo
sich diese „Resten“ wohl hinverzogen haben mögen.
Die
Farbübergänge an den beiden Seiten erklären sich
dadurch, dass das Prisma eine helle Fläche über eine dunkle
oder umgekehrt schiebt und dies natürlich nicht so stark tut,
das eine der Flächen ausgelöscht wird. Das wäre nur
eine Verschiebung der Grenze, die zwar auch stattfindet, aber nicht
ohne Vermischung der Flächen.
Dies
führt zu einem weiteren wichtigen Versuch von Goethe. Er nahm
nicht nur einen hellen Streifen zwischen zwei dunklen Flächen,
sondern auch einen dunklen zwischen zwei hellen. (Der „objektive“
Versuch dazu wäre in einen breiten Lichtstrahl einen Draht zu
spannen, der einen dünnen Schattenstrahl werfen würde.) Der
Unterschied des hellen zum dunkeln Streifen, ist der, dass aus den
zwei Hell-Dunkel-Übergängen, die ja durch eine gleiche
Stellung des Prismas (spitze Kante unten oder oben) angeschaut
werden, zwei verschiedene Farben entstehen, die sich aber mit den
entgegengesetzten Enden berühren. Wir haben ja vorhin die
Farbübergänge genannt, beim blauen Rand gegen die helle
Fläche zu Türkis, dann Blau und gegen die dunkle Seite hin
Violett. Hat man nun den dunklen Streifen in der Mitte, fallen also
die Farben zusammen, die jeweils auf der dunkeln Seite sind. Das ist
Violett und Rot. (Die helleren Enden des gelben und blauen Randes,
Türkis und Blassgelb, ergeben das Grün.)
Newton
machte, wegen seiner Vorstellung der im Licht enthaltenen Farben, vor
allem den Versuch mit dem hellen Streifen, bzw. Lichtstrahl –
dementsprechend mit dem Spektrum, das Grün in der Mitte hat.
Genau genommen sind Grün und Rot beides zusammengesetzte Farben,
weil Newton aber die Farben im Licht enthalten glaubte, hielt er nur
Rot (bzw. Purpur) für eine zusammengesetzte Farbe. Weil Licht
eindeutig das Aktivere im Gegensatz zum Dunkel ist, sagte er nicht,
dass die Farben im Dunkel enthalten sind, was er ja auch hätte
denken können, wenn er mit seiner Einseitigkeit statt nur auf
den hellen Streifen nur auf den dunklen Streifen geschaut hätte.
Bjerke meinte scherzweise, wenn er der Erfinder des Mikroskops und
nicht des Fernrohres gewesen wäre und damit nicht auf Sterne,
die dem Lichtstrahl entsprechen, sondern auf Lichtundurchlässige
Zellen auf einem von unten beleuchteten Glasplättchen, wie
das bei Mikroskopen üblich ist, dann hätte er die Farben
auch in die Dunkelheit verlegt.
Natürlich
ist es nicht so einfach und es fällt tatsächlich nicht
leicht sich eine Beteiligung der Dunkelheit am Licht vorzustellen.
Dies soll nun aber nicht zum Einwand gegen Goethes Farbenlehre
heranwachsen, denn dass Dunkelheit beteiligt ist, sollte aus den
vorangehenden Betrachtungen deutlich geworden sein. Hier kommt die
sinnlich-sittliche Wirkung der Farben zum Zug. Während das Weiss
eine Überforderung des Auges, eine Überlastung ist, ist das
Dunkle nicht einfach neutral, sondern entleerend. Es hat eine
Saugwirkung. Es liegt den heutigen Physikern nicht sehr viel an
subjektiven Erlebnissen, aber es ist ja nicht so, dass diese
Erlebnisse nur Goethe hatte, sondern es hängt mit der
Organisation des Auges zusammen so zu empfinden. Unsere Augen
sind dafür gemacht die Welt der Farben zu erkennen - sie sind
Teil der Farbwelt und nur über sie verstehen wir sie ganz. In
der Wirkung der Farbe auf das Auge, indem wir das Auge ganz der Farbe
hingeben und nicht nur um die Farbentstehung nachzuvollziehen,
wie dies die Physiker tun, finden wir die Farbgeheimnisse.
Wir
erfahren an unserer grössten Zufriedenheit beim Purpur, dass das
Licht den Hell-Dunkel-Gegensatz überwinden will, denn im Purpur
ist der Anteil von Hell und Dunkel ausgeglichen. Es muss allerdings
bemerkt werden, dass es keine absolute Idealfarbe gibt, denn unser
Auge schafft auch beim Purpur eine Gegenfarbe, die man sieht, wenn
man nach einem purpurnen Feld auf eine weisse Wand schaut. Die Farbe
Grün, die beim Newtonschen Spektrum im Zentrum steht, hat einen
höheren Dunkelanteil und ist deshalb auch passiver und
beruhigender in der Erscheinung als Purpur. Es wird nebenbei häufig
angenommen, es bestünde ein Kampf in einem christlichen Sinn
zwischen Hell und Dunkel, was in Wahrheit aber gerade nicht Goethes
Intention entsprach. Es braucht beide Pole, dass Farbe entstehen
kann. Es kann also nicht um einen Sieg des Hellen gehen, sondern um
die gemeinsame Überwindung des farblosen
Hell-Dunkel-Zustandes. Die Natur muss sich aufteilen für ihre
Verwirklichung. Das hängt mit der Vergänglichkeit aller
Schöpfungen zusammen.
Goethe
glaubte, dass bei gewissen Phänomenen gerade das subjektivste am
Wissenschaftlichsten ist, weil nur ein Lebendiges, das
reagiert, angemessene Naturerkenntnis liefern kann (vor allem weil
das Objekt seinerseits auch lebendig ist). Goethe suchte bei seiner
Urpflanze eine Pflanze, die Urbild zu jeder Gewordenen ist, und mit
der darüber hinaus pflanzliche Formen geschaffen werden können,
die vielleicht noch nicht entdeckt wurden oder die es zu einem
anderen Zeitpunkt geben wird oder gab. Diese kreative Vorstellung von
Erkenntnis, haben wir auch in der Mathematik. Da haben wir unser
Bewusstsein mit einer Uridee verbunden, mit der wir eine ganze
Reihe von Phänomenen verstehen können (wir können ja
in sich stimmige Formeln ohne Naturwissenschaft aus uns
herausproduzieren). Solche Ansätze findet man auch bei
Schelling, der davon ausging, dass man die Natur nur erkennen kann,
wenn man in sich ein entsprechendes Gegenstück gefunden hat. Die
Ebene des Lichtes, der Pflanzen und ähnlichem – alle
Bereiche des Lebendigen haben wir grösstenteils aber noch vor
uns. Die Künstler sind kreativ und gehen solche Verbindungen mit
organischen Elementen ein. In diesem Sinne ist auch Schillers
Ausspruch über Goethes Streben zu verstehen, dass er das
Griechenland bewusst aus sich zu schaffen versuche, dass wir für
die Selbsterkenntnis geopfert haben.III
Hier kommt der Begriff der Selbsterkenntnis hinzu. Mit Pherekydes
(...) hat das abstrakte Denken begonnen. Er ist der erste bekannte
Denker, der aus dem bildhaft-mystischen Denken herauskam und sich auf
eine Selbsterkenntnis hinbewegt, die nicht mehr „Ich“ zu
äusseren Dingen oder „Es“ zu sich sagt. Davor lebte
man in einer herabgedämpften Einheit mit der Natur. Zu den
Merkmalen dieser Zeit gehören auch schamanische Führer und
andere Autoritäten, auf die die einfachen Leute angewiesen sind.
Die Selbsterkenntnis trennte uns im Denken vorerst von einem Ganzen,
damit ein freies, selbstbestimmtes Dasein beginnen konnte.
Gerade die Freiheit wurde nun zum Ansporn nach dem, was „die
Welt im Innersten zusammenhält“IV
zu suchen. Nachdem man sich aus allen mystischen Naturbanden gelöst
hat, sucht man Neue, die unserer Freiheit auch entsprechen kann. Nun
tut man es bewusst.
Der
Akt der Selbstbefreiung aus den mythischen Zusammenhängen, war
mit der Einverleibung des mathematischen Denkens verbunden.
Es ist sicher kein Zufall, dass das mathematische Erkennen mit
dem Verbinden und Analysieren von Teilen verbunden ist. Denn die
Selbsterkenntnis ist ja in erster Linie ein Teilchenerlebnis. Das
erste was, wir an diesem Teilchen feststellen ist die Bindung an Raum
und Zeit. Die Vergänglichkeit und Begrenztheit, also
mathematische Qualitäten.
Dass
uns Mathematik aber mit einer geistigen Welt verbindet, darüber
waren sich Kant und Goethe einig, denn wie erwähnt kann man
Mathematiker sein, ohne die Sinne zu gebrauchen. Man muss die
Freiheit ausfüllen: Freiheit weißt auf die weit höhere
Selbsterkenntnis hin, wie sie Ansatzweise auch bei Schelling zu
finden ist, die glaubt dass wir denken sollen. Dass wir die
Instrumente der schöpferischen Naturkräfte sind, die ihnen
die Betrachtung der Natur ermöglichen.
Selbsterkenntnisse
bzw. Freiheitserlebnisse haben nicht nur insofern eine Auswirkung auf
die Wissenschaft, als man sich Rechenschaft über die eigenen
Vorgehensweisen abgibt, sondern dass man durch das Erlebnis der
Freiheit auch deutlicher auf sein Ziel sich ausrichtet, Wirklichkeit
in das Denken zu bekommen. Denn unsere jetzige Wissenschaft ist noch
abstrakt, wie die Mathematik, die nur Beziehungen beschreibt. Der
Inhalt soll aber nicht in einem Leugnen der jetzigen Ergebnisse
gesucht werden, sondern einem bewussten Herantreten an die
Wahrnehmung und das Gefühl. Dass ein Stehen bleiben falsch
sein muss, ist offensichtlich, denn man sucht einen ganzheitlichen
Zusammenhang mit dem Leben, wie man ihn vor der Selbsterkenntnis
hatte. Nur muss man nur darauf achten, nicht wieder in Zustände
wie vor der Mathematik zu gelangen, was eine reale Gefahr darstellt,
wo man die Natur rein mathematisch angehen will, denn man
verstrickt sich gerne darin, bis man keine Möglichkeit mehr
sieht das volle Leben, nach dem man gefühlsmässig strebt,
bewusst zu erkennen (Kant ist ein Musterbeispiel dafür –
wo die Erkenntnis ihre Grenzen hat findet er „praktische“
Gründe für eine Religion). Die Folgen sind einen Hang
zum Glauben und zu mystischen Ekstasen mit nationalistischen oder
anders ausgrenzenden und elitären Zugehörigkeits- und
Überlegenheitsgefühlen.
II
Vgl. Werner Heisenberg: „Die Goethesche und die Newtonsche
Farbenlehre im Lichte der modernen Physik“. In: Geist der Zeit
19 (1941).
IIII
E. Du Bois-Reymond: Goethe und kein Ende.
IIIIII
Vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, 1794 – 1805,
in zwei Bänden. Deutsche Buchgemeinschaft, Berlin. An Goethe,
Jena, 23. August 1794, 1. Bd., S.33.
IVIV
J. W. Goethe: Faust. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung,
Leipzig, 1940. Faust I, Vers 383-384.
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