Erschienen in Ausgabe: No 62 (4/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Steffen Dietzsch
Vor zehn Tagen bebte die Erde in
Nordjapan, es war die seit Menschengedenken zerstörerischste Naturkatastrophe,
begleitet von einem Tsunami. – Die gesamte urbane und technische Infrastruktur
der Region wurde zerbrochen. Alles? Nein, das einzige, was an Menschenwerk
diese Katastrophe überstanden hat, waren die Atommeiler von Fukushima.
Überstanden hatten, zwar stark versehrt, aber nicht gebrochen, die atomaren
Brennkammern. – Das erinnerte mich an die Inschrift auf einer Ehrenmünze für
Immanuel Kant, die von Moses Mendelssohn dem ‚Alleszermalmer’ zugeeignet wurde:
Drohet, aber fällt nicht!
Verwunderlich sind die
offensichtlichen Wahrnehmungsprobleme der deutschen Massenmedien, die immer
nur, wenn ihre Berichte vom – unsicheren –Status
quo zu handeln schienen, tatsächlich immer nur den – fatalen – Status post quem ausmalten. Und das so
eindrücklich, dass das dann für die Wirklichkeit gehalten wurde. So wurde von
den dramatischen Ereignissen immer nur von der Atomkatastrophe gesprochen. Es waren aber die Zerstörungen an der
Außenhülle und die kollateralen Explosionen ein sicherheitstechnisch immer ins
Kalkül genommener Störfall innerhalb definierter Grenzen (ein sog.GAU).
Der klammheimliche Ärger zumal der atomkritischen Medienöffentlichkeit
scheint sich an dem Umstand zu entwickeln, dass diese Dinger in Fukushima
selbst das seit Menschengedenken stärkste Beben (samt Riesenwelle) als einzige
Bauwerke ringsum überstehen, zwar beängstigend lediert, aber nichtirreversibel kollabiert. Und dass sie immer
handhabbar blieben. Kurzum: diese Kerntechnik von Fukushima zeigte sich in der
Naturkatastrophe so sicher, wie man nach menschlichen Ermessen immer nur sicher
konstruieren kann. Und das ist natürlich niemals endgültig sicher, sondern immer
nur sicher in den Grenzen unserer technologischen Vernunft.
Das Argument gegen die Kerntechnik, sie sei restrisikobehaftet, also
niemals Risiko=Null, gilt auch offensichtlich exklusiv nur hier. Das aber – als
singuläres Argument – ist kein rationaler Einspruch mehr, den man ernst nehmen
müsste! Denn unsere gesamte Technologie müsste, wenn man diesem
Risiko=Null-Argument folgen würde, abgebrochen werden. Der entscheidende
mentale und machbarkeitstheoretische Unterschied zwischen Fukushima und
Tschernobyl ist: vor fünfundzwanzig Jahren hat menschliche Improvisation zur
Katastrophe geführt, in Japan hat menschliche Improvisationsgabe auch dazu
geführt, dass die von einer Naturkatastrophe ausgelösten Zerstörungen so
beherrschbar blieben, dass eben keine Atomkatastrophe ausgelöst wurde. Diese
Kerntechnologie ist offensichtlich – katastrophenerprobt – die Technik mit
höchster sekuritativer Redundanzdynamik, die wir kennen.
Das Argument Atomkraft-sei-nicht-beherrschbar kann doch durch die
jahrzehntelange Nukleartechnologie (kriegerische wie friedliche) als widerlegt
gelten. Die Kritik an der Kerntechnik betrifft ohnehin nur die Energiegewinnung
durch sie – denn die im Gesundheitsbereich für diagnostische und therapeutische
Zwecke handhabbare Kerntechnik bleibt von Kritik verschont!
Wenn eine Hochwasserkatastrophe Staudämme wegspült, ist das ein Beweis,
dass Wasserkraft nicht beherrschbar sei? Wenn wieder einmal ein Jumbojet
abstürzt, ist das ein Beweis, dass die Überwindung der Schwerkraft nicht
beherrschbar sei? Wenn ein Erdbeben wieder einmal eine Stadt zerstört, in das
ein Beweis dafür, dass Städtebau eine übermütige Hoffart sei?
Wir haben in Europa nach dem Erdbeben von Lissabon gelernt [sowohl von
dem, der die Stadt wiederaufgebaut hat (Pombal) und als auch von dem, der die
konstruktive Vernunft dessen entwarf (Kant)], dass wir künftig unser Bauen
nirgends und niemals nach einem Ideal absoluter Sicherheit ausrichten, sondern
immer nur, um mal für mal die Wahrscheinlichkeitsgrade der Unsicherheit und
Gefährdung zu reduzieren.
Und auch aus diesem Unglück lernt man – aber natürlich nicht, wie
Unglücke endgültig zu vermeiden wären, sondern wie man im Wissen um und mit
ihrer Wirklichkeit leben kann. – Aber eben zu akzeptieren, dass wir nicht in
einer Grundordnung von Sicherheit, sondern in einer der Gefahr leben (und
überleben wollen), das wäre ein Erziehungsgrundsatz für unsere Moderne.
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