Erschienen in Ausgabe: No 62 (4/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Shanto Trdic
Es war Karl Marx, der in einer
brillanten Spottschrift wider Napoleon den Dritten im Rückgriff auf Hegel
meinte,“ dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich
sozusagen zwei Mal ereigneten,“ und zwar“ das eine Mal als Tragödie, das andere
Mal als Farce.“ (MARX, Der achtzehnte
Brumaire des Louis Bonaparte. Dietz Verlag Berlin. S. 19). Dieser Tage ist
man geneigt, ergänzend zu bemerken:“ Und ein weiteres Mal als tolldreister,
törichter (Irr)Witz.“
Es geht um die unentschuldbaren,
weil insgesamt irreparablen außenpolitischen Torheiten des jetzigen
französischen Präsidenten. Auch dieser „erzeugt die Anarchie selbst im Namen
der Ordnung“ (ebd., S. 141) und er
lässt es sich nicht nehmen, seinen derzeitigen Blitz-Feldzug in ein
altruistisch motiviertes, gemeinschaftlich umgesetztes Unternehmen umzulügen. Das
gute Gewissen hat er natürlich auf seiner Seite. Es gehe in Libyen, so Sarkozy,
um die Verteidigung von Freiheit und Menschenrecht. Und um dafür zu sorgen,
dass diesen hehren Werten in einem ganz französischen Sinne ´brüderlich´
Nachdruck verliehen wird, ist es „außerordentlich wichtig, dass unsere
arabischen Freunde an unserer Seite stehen.“ So ließ sich der grande capitaine auf dem EU – Gipfel in
Brüssel vernehmen. Zu den Freunden gehörte gestern noch die libysche
Staatsführung selbst, heute sind es die Arabischen Emirate; wahrlich
Leuchttürme der Demokratie. Auf die kann man bei einem gerechten Krieg natürlich
nicht verzichten. Jetzt droht der kecke Franzmann auch allen anderen arabischen
Potentaten (außer den ´Willigen´ natürlich) mit einer Reaktion, die „jedes Mal
die Gleiche sein wird.“ Genauer:“ Wir werden an der Seite der Bevölkerung sein,
die ohne Gewalt protestiert.“ Das hört sich im ersten Moment richtig gut an;
dann, allerdings, muss einem richtig schwarz vor Augen werden. Derzeit wird von
Algerien bis in die Levante hinein (Syrien und Jordanien sind bereits
involviert) ständig (nicht ausschließlich) gewaltfrei auf der Straße
demonstriert, was zum Teil zu erheblichen Zugeständnissen der Machthaber führt,
die ihrerseits den Protest nachträglich anheizen und verschärfen. Vor diesem
Hintergrund eröffnen die verbalen Tiraden des französischen Regenten eine
beklemmende, in ihrer ganzen Wucht kaum absehbare Sprengkraft. Denn den Massen
meuternder Muslime ist damit ein offener, umfassender Freifahrschein
ausgestellt worden. Jede radikal-islamische Sekte kann jetzt ganz bequem ihren
Sprengstoff und alles übrige Mordmaterial zurück in die Waffenkammer sperren,
im Netz zur Straßenparty einladen und dann den Lauf der Dinge entscheiden
lassen: Kaiser Nicholas der Kühne wird den lausigen Rest schon richten.
Hatte man das französische Staatsoberhaupt
unterschätzt? Der Mann war vor allem immer schneller, auch frecher als seine
Eroberungsmüden, der eigenen Wohltaten satten europäischen ´Partner´. Sarkozy
schüttelte den Empörern Ostlibyens schon die Hände, als die noch wild mit ihnen
herumgestikulierten um den übrigen Westlern zu beteuern, wie friedliebend und
Demokratiehörig sie seien. Ganz sicher hat der Franzose zeitig genug die
entsprechenden Verträge und Abkommen mit diesen dubiosen Schattenregenten
abgeschlossen und nun, kurz vor dem Fall Bengasis, blieb dem Hasardeur gar
nichts anderes mehr übrig, als voll rein zu hauen; seinen zukünftigen Kompagnons
den Weg wieder frei zu bomben. Deren revoltierendes Fußvolk ist ihm
gleichgültig; der ganze angeblich so Freiheitsliebende und Ordnungsstiftende
Aufruhr dient unserem Wahlfranzosen nur als riesiges, unverbindliches
Feigenblatt. Langsam dämmert vielleicht in dem einen oder anderen Kopf, warum
Sarkozy so notorisch jener artifiziellen, im Grunde auf keinerlei Fundament
bauenden Mittelmeer-Union das Wort redete; schon im Wahlkampf vor vier Jahren
ging er mit dieser ´Vision´ großmäulig hausieren. Kritische Beobachter wiesen
früh darauf hin, dass ein solches Gebilde eine zusätzliche Spaltung der
muslimischen Welt nach sich zöge. Wenn es stimmt, dass der französische
Geheimdienst bereits geraume Zeit vor Ausbruch der Revolte das entsprechende Terrain
sondierte, dann kann sich jeder seinen eigenen Reim auf die derzeitigen
Winkelzüge machen.
Stellen wir uns nicht dümmer als
erlaubt: dieser Präsident konterkariert jeden letzten Rest halbwegs
gemeinsamer, vernünftig abgestimmter europäischer Außenpolitik und zieht
gnadenlos sein eigenes Ding durch. Rasend, ja schier platzend vor
Geltungssucht, hintertreibt er die Bemühungen um Einigung und Geschlossenheit
einer ohnehin kaum noch zu verwaltenden, mutwillig geblähten Union. Der
kontinentalen Kooperation wurde dieser Tage vollends der Garaus bereitet. Aber
das ficht den Verfechter einer grande
nation nicht an, der schwebt ja längst über allen Wolken. So viel steht
fest: Frankreich ist diesem Emporkömmling einfach zu klein, und es mag Sache
fundierter Seelenanatomen sein, heraus zu finden, inwieweit er mit der eigenen
´Größe´ so seine Probleme hat. Mit den derzeitigen strategischen Amokläufen kompensiert
er wohl Defizite, die ihn schier rasend machen. Durfte man seine bisherigen
Ausfälle noch als die mühseligen Verkrampfungen eines eitlen Operettenkaisers
abtun, dem die beschauliche Bühne nicht passt, die ihm das europäische Parkett
bot, so kann man den Schaden, den er jetzt anrichtet, mit nichts mehr
entschuldigen. Durch sein so unbedarftes wie eigennütziges Engagement schürt er
die regionalen Brandherde und stiftet ein Chaos, das am Ende wohl zu
Flüchtlingsströmen ungeahnten Ausmaßes führen wird, die Europa in einen
Super-Libanon verwandeln könnten. Sicher: hinterher will wieder keiner gewusst
haben, wie das kam; wie es denn überhaupt so weit kommen konnte. Warum sollen die Massen demoralisierter, vom Westen in den
Rang von Freiheitskämpfern erhobener Muslime nicht nach Europa kommen, wo man ihnen doch so gebetsmühlenartig
die Vorzüge eigener Errungenschaften um die Ohren gehauen hat? Wer wollte für
ein Leben in Wohlstand und Überfluss nicht auf die Barrikaden gehen? Und wenn die
Umsetzung dieser Marotte nicht auf Anhieb gelingen mag, dann kann sie nur noch
im reichen und überfressenen Utopia selbst in Erfüllung gehen.
In Algerien, meinte der General
Jacques Massu, sei man so richtig in die Scheiße geraten. Der damalige Feldzug
musste schief gehen. Aber dann, immerhin, war das ausgestanden, und weitere
Abenteuer standen nicht mehr an. Der damalige Präsident de Gaulles litt, dem
heutigen Statthalter nicht unähnlich, an ungestillter Eitelkeit, aber kaum am
Größenwahn, mit dem dieser nun wie ein überkandidelter Zwangsneurotiker hausieren
geht. Die Lunten, die er setzt, brennen schon an allen Ecken und Enden.
Noch einmal Marx. Er zitiert den
Historiker Guizot, dessen Wendung deckungsgleich auf den kleinen Napoleon
unserer Tage passt:“ C´ est le rois des droles – das ist der Narrenkönig.“ (ebd., S.141). Dem könnte man,
abschließend, die Worte Friedrich Schlegels hintan stellen: “Vieles, was
Dummheit scheint, ist Narrheit, die gemeiner ist, als man denkt.“ Zudem sei
diese Narrheit „absolute Verkehrtheit der Tendenz, gänzlicher Mangel an
historischem Geist.“ Die Geister, die der Kleingeist Sarkozy nun in aller Eile
herbei ruft, als dulde sein Geltungsdrang keine Verzögerung, wird Europa so
schnell nicht mehr loswerden können.
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