Erschienen in Ausgabe: No 63 (5/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Philipp Legrand
Am vergangenen Samstag kam es erneut
zu einem Bombenanschlag in Nordirland. In der Stadt Omagh in der Nähe von
Belfast verstirbt dabei ein Polizist. Der irische Ministerpräsident Enda Kenny verurteilt die Tat und meint: "Those
who carried it out want to drag us back to the misery and pain of the past. They
are acting in defiance of the Irish people". Irische Medien gehen davon
aus, dass der Anschlag von Splittergruppen der Irisch-Republikanischen Armee
verübt wurde.
Der Nordirlandkonflikt hat seit
1968/69 bereits mehr als 3600 Todesopfer gefordert. Häufig wird im Hinblick auf
die Auseinandersetzungen vom letzten Religionskonflikt in Europa gesprochen.
Allerdings spielt der Faktor Konfession im Konfliktverlauf eine untergeordnete
Rolle. Vielmehr geht es in der Auseinandersetzung um Macht- und
Souveränitätsfragen. Gründe genug, die Entstehung des Nordirlandkonflikts einmal
näher zu betrachten.
Die Genese des Nordirlandkonflikts
reicht weit zurück in der Geschichte. Bereits seit dem 12. Jahrhundert kommt es
immer wieder zu Übernahmeversuchen Irlands durch das britische Empire. Als Irland
im 17. Jahrhundert bei der mythenumworbenen Schlacht am Boyne eingenommen wird,
siedeln Engländer und Schotten in Nordirland an. Die nordirische Bevölkerung
sieht sich fortan erheblichen Repressionen ausgesetzt. Umfangreiche Enteignungen
und Vertreibungen der Iren folgen.
In dieser Zeit kommt es zur
Formierung erster moderat- und radikal-irisch-nationalistischer Gruppierungen.
Unter ihnen formiert sich auch die so genannte Home Rule Bewegung, die ein
eigenes Parlament und eine weit reichende Autonomie für Irland fordert.
Parallel bilden sich andere Bewegungen, welche die vollständige Unabhängigkeit
Irlands fordern. Diese Bewegungen treffen auf erbitterten Widerstand durch die
englischen und schottischen Siedler. Nachdem die Home Rule Bewegung ihre
Forderungen letztlich nicht durchsetzen kann, mobilisiert Sinn Fein, eine
irisch-nationalistische Partei, die 1905 gegründet wurde, 1916 zum so genannten
Osteraufstand, der von der britischen Armee mit aller Härte niedergeschlagen
wird. Weite Teile der irischen Bevölkerung solidarisieren sich daraufhin mit
den Aufständischen. In dieser Zeitspanne entsteht die IRA, die Irisch
Republikanische Armee, die fortan einen Befreiungskampf, in Form eines
Guerillakriegs, gegen die britische Armee führt. Zu den Unterhauswahlen 1918
schließen sich politische und militärische Organisationen in Sinn Fein
zusammen. Die Wahlen werden von den Nationalisten in Irland klar gewonnen. Sinn
Fein kann 80 Prozent der irischen Mandate für sich gewinnen. Die
nationalistischen Abgeordneten boykottierten allerdings das Londoner Parlament und
rufen 1919 eine irische Nationalversammlung ins Leben.
Aufgrund des zunehmenden Terrors der
IRA gegen die britische Royal Irish Constabulary kommt es immer häufiger zu Gewalt
und Gegengewalt zwischen den verfeindeten Parteien. Ein regelrechter
Guerillakrieg, der irische Unabhängigkeitskrieg, entfacht.
Nach etwa dreijähriger
kriegerischer Auseinandersetzung kommt es 1921 zur Gründung des Irischen
Freistaats. Der Gründungsvertrag beinhaltet aber auch die Teilung Irlands in
einen Nord- und einen Südteil. Die Teilung führt zur protestantischen
Vorherrschaft in Nordirland und zur sozioökonomischen Benachteiligung der nordirisch-katholischen
Bevölkerung. Diese werden teilungsbedingt zu einer Minderheit im Norden.
In den 60er Jahren bildet sich
eine friedliche Bürgerrechtsbewegung, die eine soziale und politische
Gleichstellung der nordirisch-katholische Bevölkerung fordert. Diese
Bürgerrechtsbewegung geht ursprünglich aus einer kleinen Gruppe von
Freiberuflern hervor, die auf soziale Missstände aufmerksam machen. Die
Kampagne weitet sich zu einer allgemeinen Bewegung aus, die zu Anfang auch
Protestanten anzieht. Die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung steht in engem
Zusammenhang mit der neu entstandenen katholischen Mittelschicht. Die Reformen
der damaligen O’Neill Regierung Nordirlands führen zu neuen Bildungs- sowie
Beschäftigungsmöglichkeiten und begünstigt die Genese jener Mittelschicht, die
immer öfter aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten ihre beruflichen
Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt sieht.
Immer wieder kommt es zu gewaltsamen
Übergriffen auf die Bürgerrechtsbewegung durch nordirische Sicherheitskräfte
und protestantische Milizen. Die fortwährenden Auseinandersetzungen führen
schließlich zur Eskalation der Lage in der Region. Es kommt zur Stationierung
britischer Soldaten in Nordirland. Schnell wird klar, dass diese parteiisch für
die angesiedelten Protestanten agieren. Es kommt zur Spaltung der
Bürgerrechtsbewegung in einen weiterhin moderaten Teil und einen radikalen. Die
Spaltung vollzieht sich auch bei der IRA. Hier findet eine Fragmentierung in die
radikale Provisional und die moderate Official IRA statt. Infolge der
zunehmenden Gewalt steigt auch die Unterstützung der Provisional IRA. In dieser
Zeitspanne verfolgt die IRA kurzzeitig das Ziel, die Proletarier beider
Konfessionsgruppen zu vereinen und für die Errichtung eines gesamtirischen
Staates zu mobilisieren. Es werden sozioökonomische Benachteiligungen und
marxistische Theoreme mit in die Agenda aufgenommen. Im Vordergrund stehen die
Ziele der Sezession Nordirlands von Großbritannien und die Souveränität eines
gesamtirischen Staates. Bei der Mobilisierung stützen sich die IRA-Aktivisten
auf gemeinsame Werte und Ziele. Letztlich scheitert die Mobilisierung beider Unterschichten.
Nachdem sich am 30. Januar 1972
in Londonderry der Bloody Sunday ereignet, bei dem während einer Demonstration
13 unbewaffnete Zivilisten durch britische Fallschirmjäger erschossen werden,
kommt es zu verstärkten Terroranschlägen durch die IRA. Eine
Untersuchungskommission soll Aufklären, ob britische Soldaten fehlerhaft vorgegangen
sind. Diese Untersuchung findet unter Ausschluss der Nationalisten statt und
kommt zu dem Ergebnis, dass die britischen Soldaten nicht falsch gehandelt haben.
Viele Jugendliche radikalisieren sich daraufhin und schließen sich der IRA an.
Es kommt zu schweren Unruhen, woraufhin die britische Regierung Nordirland der
Direktverwaltung Londons unterstellt. Das nordirische Regionalparlament und die
nordirische Regionalregierung werden aufgelöst.
Die IRA verübt mittlerweile immer
öfter Anschläge auf Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel, Investoren aus
Nordirland fernzuhalten, um somit die Provinz zu kostenintensiv für Großbritannien
werden zu lassen. Großbritannien soll so dazu bewegt werden, die Provinz aufzugeben.
Zu dieser Zeit ist der Rückhalt in der Bevölkerung für die IRA-Mitglieder sehr
hoch. IRA-Kämpfer werden von der Bevölkerung vor herannahenden britischen
Soldaten gewarnt, indem beispielsweise Mülldeckel aneinander geschlagen werden.
Eine breite Mehrheit der katholisch-nordirischen Bevölkerung befürwortet die
Unabhängigkeit Nordirlands von Großbritannien zu diesem Zeitpunkt.
Die Repressionen, denen sich die
nordirisch-katholische Bevölkerung ausgesetzt sieht, die gefühlte
Ungleichverteilung von Ressourcen, die kollektiv empfundene Benachteiligung und
die mangelnde politische Durchsetzungsfähigkeit sind erheblich und katalysieren
die Radikalisierungen des nordirischen Nationalismus.
Was folgt sind mehr als dreißig
Jahre der gewalttätigen Auseinandersetzungen. Selbst nach den umfangreichen
Bemühungen der Konfliktregulierung 1998 verüben Splittergruppen der IRA
weiterhin Anschläge. Der nationalistische Konflikt in Nordirland ist im Verlauf
der Zeit zu einer persistenten Erscheinung geworden.
Weiterführende Literatur
Otto, F. (2005): Der Nordirlandkonflikt. Ursprung, Verlauf,
Perspektiven: C.H.Beck Verlag: München.
Valandro, F. (2006): Vom langen Krieg zum Frieden. Geschichte,
Gegenwart und Perspektiven des Nordirlandkonflikts. In: Salzborn S. (2006):
Minderheiten in Europa: Studienverlag: Innsbruck, Wien, Bozen: S. 139-158.
Waldmann, P. (1989): Ethnischer
Radikalismus: Ursachen und Folgen gewaltsamer Minderheitenkonflikte am Beispiel
des Baskenlandes, Nordirlands und Quebecs: Westdeutscher Verlag: Opladen.
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