Erschienen in Ausgabe: No 64 (6/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Rainer Westphal
Niemand dürfte heutzutage
ernsthaft bestreiten, dass der Unternehmenskultur und den Elementen des
Führungsstils eine erhebliche Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines
Unternehmens beizumessen ist.
Deshalb ist es als erstaunlich zu
bezeichnen, dass die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass diesen
Erfolgsfaktoren offensichtlich immer weniger Bedeutung beigemessen wird. Die
festzustellende, ständige Erosion, der Unternehmenskulturen in den Unternehmen
ist deshalb auch bemerkenswert, da in allen Managerlehrgängen und ähnlichen
Veranstaltungen sehr deutlich auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Kultur,
welche diese Bezeichnung verdient, hingewiesen wird. Dass diese sich dann im
Führungsstil niederzuschlagen hat, dürfte als selbstverständlich anzusehen
sein.
Der bestehende neoliberale
Zeitgeist ist die Ursache dafür, dass die Mitarbeiter in den Unternehmen in
vielen Fällen lediglich als Kostenfaktor verstanden werden. Dieser Zeitgeist dürfte
eine narzisstische Verhaltensweise der Führungskräfte gegenüber ihren
Untergebenen begünstigen.
So werden ständig Kürzungen im
Personalbereich angestrebt, welche Verdichtungen der Leistungen beinhalten.
Neben Leistungsverdichtungen werden teilweise absurde Vorstellungen, welche die
Produktivität von Mitarbeitern betreffen sollen, erfunden. Zwecks Veränderung
der Altersstruktur werden zum Beispiel Listen erstellt, und entsprechende
Anforderungen an Führungskräfte gerichtet, den Wünschen der Geschäftsleitung
zwecks Korrektur, nachzukommen. Diese, mittels individueller Datenverarbeitung
erstellten Tabellen, sind dann noch mit Kennziffern versehen, welche Mängel in
der Leistungsfähigkeit und Fehlverhalten als Selektionskriterium beinhalten. Selbstverständlich
sind die Gehälter ebenfalls zugeordnet, damit man die Konkurrenzfähigkeit über
niedrigere Personalkosten bewerkstelligen kann.
Die logische Folge ist, dass den
selektierten Mitarbeitern direkt oder subtil nahegelegt wird, das Unternehmen
zu verlassen. Als besonders perfide ist zu bezeichnen, dass diese Mitarbeiter
keinerlei Möglichkeit haben sich zu wehren. Sie wissen nicht, was Ihnen
geschieht. Es wird ein Umfeld geschaffen, was für die Betroffenen als
außerordentlich unangenehm empfunden wird, um den Vorgang der Umstrukturierung
zu beschleunigen. Derartiges kann als Mobbing bezeichnet werden. In vielen Fällen
kann sogar vom Bullying gesprochen werden. Dieser Begriff stammt aus England.
Das Verb to bully bedeutet tyrannisieren, schikanieren und drangsalieren.
Mobbing ist heute die betriebliche
Praxis. Man unterscheidet hierbei zwischen horizontalem und vertikalem Mobbing.
Dieses Verhalten kann demnach nicht nur von den Führungskräften gegenüber den
Mitarbeitern ausgehen, sondern auch umgekehrt, und unter den Mitarbeitern
selbst. Erst seit den 80er Jahren existieren Untersuchungen in dieser schweren
Form der seelischen Gewalt (2). Dieses ist Heinz Leymann, den in Schweden
lebenden deutschstämmigen Psychologen, zu verdanken. Der Begriff Mobbing ist
zurückzuführen auf den Verhaltensforscher Konrad Lorenz, welcher das aggressive
Verhalten bestimmter Tiergruppen, die einen Eindringling verjagen wollen,
schilderte. Der Arzt Peter-Paul Heinemann hat diesen Begriff dann erneut in
seinem Buch, welches 1972 veröffentlicht wurde, aufgegriffen. Dieses Buch ist
das erste über Mobbing, und handelt von der Gruppenaggression bei Kindern.
Begriffe wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit,
Erfahrungs- und Wissensaustausch sowie Kollegialität werden offensichtlich in
der heutigen Zeit immer häufiger als Relikte angesehen, welche lediglich der
Produktivität im Wege stehen. Es erfolgen Verhaltensweisen, welche mit dem
Begriff Unternehmenskultur wohl kaum in Einklang zu bringen sind, da Menschen
nur noch wie Objekte und nicht als Subjekte behandelt werden.
Sicherlich sollte man die
negativen Vorgänge, die in sehr vielen deutschen Unternehmen stattfinden, nicht
verallgemeinern. Jedoch der Trend in dieser Richtung tritt immer stärker in Erscheinung.
Eine Ursache hierfür dürfte, neben dem neoliberalen Zeitgeist, wohl das
schlechte Vorbild des Staates sein, welches sich u. a. in der Sozialgesetzgebung
II niederschlägt. Diese wurde dazu geschaffen, um die so genannten
Lohnstückkosten auf breiter Basis zu senken, und einen Leichtlohnsektor im großen
Stil einzuführen.
Es dürfte den Rahmen sprengen, sämtliches
Fehlverhalten, was mit Ethik nichts zu tun hat, aufzuzählen. Auf jeden Fall ist
festzustellen, dass aus Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes seitens der
Führungskräfte auf breiter Basis ein Rückfall in ein Autoritätsunwesen
gegenüber den Mitarbeitern erfolgt ist. Dieses beinhaltet, dass die Führungskräfte
behaupten, Inhaber der absoluten Wahrheit und Sicherheit zu sein, und dieses, durch
einen logischen Beweis jederzeit darstellen können. Diese Aussage beideutet, dass
man auf seinem Gebiet alles zu wissen hat, um als Autorität zu gelten.
Natürlich muss man sein überlegenes Wissen den Unwissenden bei jeder sich
bietenden Gelegenheit nahe bringen. Nur so genießt man dann, als anerkannte
Autorität, den Schutz seiner Kollegen. Fehler zu machen, ist allerdings absolut
unerlaubt. Daher dürfen gemachte Fehler niemals zugegeben werden.
Es braucht wohl nicht betont zu
werden, wie intolerant diese alte professionelle Ethik ist. Karl R. Popper
stellt in einem seiner Aufsätze (1) die Forderung nach einer neuen Berufsethik
auf. Sehr anschaulich wird begründet, dass es keine Autoritäten, auch in
Spezialfächern, geben kann, da unser Vermutungswissen immer weiter über das
hinausgeht, was ein Mensch meistern kann. Demnach gibt es offensichtlich keinen
Menschen, welcher die „Weisheit mit Löffeln gegessen“ hat.
Demnach lassen sich Fehler nicht
vermeiden. Auch in tausendfach bewährten Theorien besteht die Möglichkeit, dass
Fehler darin verborgen sind. Die Aufdeckung dieser Fehler können bahnbrechende und
wichtige Entdeckungen beinhalten. Diese Erkenntnis bedeutet, dass wir unsere
Einstellung zu Fehlern ändern müssen. Die autoritäre Auffassung führt zur
Vertuschung, welches somit eine intellektuelle Sünde zum Inhalt hat. Grundsätzlich
sind demnach Fehler aufzudecken, zu analysieren und ihnen auf den Grund zu
gehen.
Eine selbstkritische Haltung und Aufrichtigkeit werden
demnach zur Pflicht!
Wir müssen letztendlich
begreifen, dass Selbstkritik im Grunde die beste Kritik ist. Aber auch Kritik
durch andere ist als Notwendigkeit zu betrachten. Uns muss auch klar sein, dass
wir andere Menschen zur Entdeckung und Korrekturen von Fehlern brauchen,
insbesondere Menschen, die mit anderen Ideen und in einer anderen Atmosphäre
aufgewachsen sind. Auch dieses führt zur Toleranz. Rationale Kritik muss
spezifische Gründe angeben, warum spezifische Hypothesen falsch zu sein
scheinen, oder spezifische Argumente ungültig sind. Sie muss in diesem Sinne
unpersönlich sein.
Abschließend ist die Frage zu
stellen, wie man diese neue Ethik in dieser Zeit durchsetzen kann? Erfolge
einer derartigen Ethik lassen sich wohl kaum kurzfristig in Euro
quantifizieren, was im neoliberalen System zwecks Begründung erforderlich ist.
Erkenntnisse aus dem Bereich der Geisteswissenschaften werden offensichtlich
sträflich vernachlässigt. Der Schaden der dadurch entsteht, und schon
entstanden ist, dürfte nach Auffassung des Verfassers als gewaltig anzusehen
sein. Die Zunahme der seelischen Erkrankungen in dieser Republik ist ein
beängstigendes Indiz.
(1) Karl R. Popper: „Auf der Suche nach einer besseren
Welt“
(2) „Warum eine narzisstische Gesellschaft seelische Gewalt
fördert“ http://tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3267/
Literaturhinweis:
Heinz Leymann: „Psychoterror am
Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt.“
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