Erschienen in Ausgabe: No 64 (6/2011) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von kein Autor
Arbeitslosigkeit gehört zu den
größten gesellschaftlichen Problemen in Deutschland. Einmal im Monat werden
Arbeitslosenzahlen präsentiert. Derzeit liegt die Zahl der Arbeitslosen bei
3,08 Millionen und die Arbeitslosenquote bei durchschnittlich 7,3 Prozent. Die
latente Zahl der Arbeitssuchenden dürfte um einiges höher sein. Mit der Hartz-IV
Reform vom 1. Januar 2005 gelten rechtlich gesehen nach SGB III § 16 Personen
als arbeitslos, „die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis
stehen, eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den
Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und sich bei
der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben“.
Die Arbeit nimmt in westlichen
Industriestaaten einen hohen Stellenwert im alltäglichen Leben ein. Sie ist Selbstwertquelle,
Identitätsanker und ein psychosozialer Stabilisierungsfaktor. Die meisten
Arbeitnehmer verbringen etwa ein Drittel der Tageszeit mit ihrer
Erwerbstätigkeit. Arbeit begünstigt die Internalisierung eines geregelten
Tagesablaufs. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist für die Betroffenen zumeist ein
einschneidendes Erlebnis. Die Angst ist groß, als Langzeitarbeitsloser sozial und
kulturell isoliert zu verarmen.
Nach dem Verlust der Arbeit
begeht der Arbeitslose die Agentur für Arbeit, um seinen neuen Status
anzumelden. Zu diesem Zeitpunkt ist bei den Betroffenen, parallel zum
Angstgefühl, häufig noch das Gefühl der Hoffnung vorhanden, schnell wieder
einen Arbeitsplatz zu erhalten. Allerdings wird zumeist schnell klar, dass die
Chancen auf einen solchen gering sind.
Dennoch muss der Erwerbslose
zunächst einmal eine Selbstauskunft ausfüllen, damit die Agentur entsprechende
Beschäftigungsmöglichkeiten aus ihrem System herausfiltern kann. Im Rahmen
dieser weitestgehend standardisierten Selbstauskunft muss der Arbeitslose sich vorgegebenen
Eigenschaften zuordnen. Aus einer Vielzahl von Attributen darf er sich einige
wenige heraussuchen, von denen der Betroffene meint, dass sie am ehesten
zutreffen. So kann sich der Arbeitssuchende entscheiden, ob ihm eher das
Merkmal Verantwortungsbewusstsein oder Zuverlässigkeit gerecht wird. Mit ein
wenig Glück geht der Arbeitsuchende dann mit ein oder zwei Stellenausschreibungen
nach Hause, auf die er sich binnen drei Tagen bewerben darf. Es ist eine Art
Hausaufgabe, die dem Arbeitslosen aufgetragen wird und bei deren Nichtbearbeitung
Sanktionen drohen. Hierzulande geht die Bundesregierung nämlich davon aus, dass
durch Repressalien und Druck eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt am ehesten
vollzogen werden kann. Dem Erwerbslosen wird in generalisierender Weise eine
Drückebergermentalität unterstellt. Eine psychosoziale Unterstützung darf sich
der Arbeitslose von der Agentur nicht erhoffen.
Das Arbeitslosendasein ist für
die Betroffenen vielfach eine Tortur. Ein Gefühl der Scharm und die Angst vor
einer Zukunft in der „Hartz-IV Falle“ überkommen die Betroffenen. Es ist die
nicht unberechtigte Angst vor sozialer Segregation, die immer weiter wächst und
häufig auch eintritt.
In westlichen Gesellschaften
definiert man sich in hohem Maße über das, was man macht und andere definieren
einen ebenso. Die Arbeitslosigkeit wird als Schwäche und persönliches Versagen empfunden
sowohl von dem Arbeitslosen selbst als auch von der Gesellschaft. Häufig werden
Erwerbslose von einem schlechten Gewissen geplagt und finden ihre
gesellschaftliche Ausgliederung auf Raten nur gerechtfertigt. Ist es nicht aber
auch ein gesellschaftliches Versagen, wenn jemand arbeitslos wird und bleibt?
Die Arbeitslosigkeit ist ein Selbstwert
bedrohender Zustand, der zu psychischen und physischen Problemen führen kann. Insgesamt
weisen Arbeitslose einen schlechteren Gesundheitszustand auf als Erwerbstätige.
Beispielsweise geben laut Robert-Koch-Institut arbeitslose Männer viermal so
oft wie berufstätige Männer an, dass ihr Gesundheitszustand schlecht sei.
Familiäre Spannungen und
Konflikte treten gehäuft als Folge von Arbeitslosigkeit auf. Die Folgen von Erwerbslosigkeit
beschränken sich nicht nur auf den Betroffenen selbst, sondern auch auf dessen
Umfeld. Häufig werden ehemalige soziale Kontakte aus Schamgefühl gemieden und
der Betroffene zieht sich immer weiter zurück. In letzter Konsequenz kommt der
Arbeitslose in ein Milieu von seinesgleichen, das er voraussichtlich nie mehr
verlassen wird. Es ist nicht selten das befremdlich anmutende Plattenbausilo,
in das Erwerbslose ihr neues Heim herrichten müssen, welches die endgültige
räumliche und gesellschaftliche Segregation bedeutet. Irgendwann wird dann auch
der Gang zur Tafel Normalität. Neue Kontakte werden geknüpft. Es sind
Bekanntschaften unter gleich Gescholtenen fernab der gesellschaftlichen Mitte.
Die Perspektivlosigkeit paralysiert und raubt den Betroffenen die Kraft.
Arbeitslose werden viel zu oft reduziert
auf einen gesellschaftlichen Kostenfaktor. Die Diskussionen über Hartz-IV Sätze
blenden den Menschen, der hinter den Kosten steckt, allzu sehr aus. Bei einem
derzeitigen Regelsatz von 364 Euro im Monat für einen allein stehenden
Haushaltsvorstand kann man nicht von einem „anstrengungslosen Wohlstand“
sprechen, wie Guido Westerwelle suggeriert hat. Wer arbeitslos ist, ist arm,
zumindest in finanzieller Hinsicht, und gesellschaftlich ausgegrenzt. Aussagen
wie die von Westerwelle katalysieren letztlich integrative gesellschaftliche
Probleme und die Dichotomisierung zwischen den Arbeitslosen und der restlichen
Gesellschaft.
Es ist gemeinhin zynisch, wenn
vom „faulen Arbeitslosen“ und „Sozialschmarotzer“ gesprochen wird. Diese
redundante Art der Argumentation, vor allem in der politischen und medialen
Debatte, blendet psychosoziale Faktoren aus und grenzt an eine Verhöhnung der
Arbeitslosen. Sie hat zu einer Diskriminierung und Stigmatisierung von Erwerbslosen
beigetragen.
Die Gefühle von Angst, Schwäche, Schuld,
Verzweiflung, Selbstzweifel, Hoffnungslosigkeit, Scharm und Resignation, die teilweise
bis hin zur völligen Selbstaufgabe führen, affizieren Arbeitslose nicht selten
und verstärken sich, je länger die Arbeitslosigkeit andauert.
Auch in der bekannten sozialpsychologischen
Marienthalstudie, bei der die Wirkung lang anhaltender Arbeitslosigkeit in der
Arbeitersiedlung Marienthal in Gramatneusiedl, einer Ortschaft in der Nähe von
Wien, infolge der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise empirisch untersucht
wurde, konnte festgestellt werden, dass Arbeitslosigkeit zu resignierendem und
lethargischem Verhalten der Betroffenen führt und daher eine aktive
Auseinandersetzung mit Problemen reduziert. Entsprechend ist es sarkastisch,
vom „faulen Arbeitslosen“ oder bisweilen auch vom „Sozialschmarotzer“ zu
sprechen. Der persönliche Erfolg und die soziale Anerkennung, wichtige
Selbstwertquellen in westlichen Industriegesellschaften, stehen in engem
Zusammenhang mit der beruflichen Leistung. Dem Erwerbslosen fehlen derartige
Selbstwertquellen.
Ehemals diente die Arbeit dem
Lebenserhalt, heute dient sie in erster Linie einem würdevollen Leben. Es gibt
zwar kein Recht auf Arbeit, aber eines auf ein menschenwürdiges Dasein.
Menschenwürde bedeutet, dass Individuen unabhängig ihrer Herkunft und Merkmale
denselben Wert aufweisen. Gerade die Arbeitslosigkeit lässt aber die
Betroffenen wertlos erscheinen. Daher kann im Falle der Erwerbslosigkeit nicht
von einem menschenwürdigen Dasein gesprochen werden.
Der Arbeitslose kommt zumeist
unverschuldet in die Situation der Arbeitslosigkeit und hat nicht die Wahlmöglichkeit
zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit, wie gerne suggeriert wird. Gerhard
Schröder hatte einst nahezu demagogisch ausgerufen, dass es kein Recht auf
Faulheit geben würde. Sinnvoll erscheint, zunächst ein Recht auf Arbeit
einzuführen. Danach kann immer noch der Anstoß zu einer „Faulheitsdebatte“
erwogen werden.
Ziel sollte es sein, die
Arbeitslosen nicht zu denunzieren, sondern den Unterstützungsrahmen weiter
auszubauen und sie nicht an den Rand der Gesellschaft zu parken. Um die
gesellschaftliche Integration zu fördern, muss primär eine psychosoziale
Unterstützung und sekundär eine Unterstützung beim Erwerb eines neuen
Arbeitsverhältnisses gewährleistet werden. Evidenterweise steht bei
Wiedereingliederungsversuchen in den Arbeitsmarkt nicht der Mensch, der sich
hinter dem Status der Arbeitslosigkeit verbirgt, im Vordergrund, sondern die
rigiden strukturellen Wiedereingliederungsmaßnahmen, die durchlaufen werden
sollen.
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