Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Bernd Villhauer
„Sachbücher?“ ächzte ein Freund einmal als er bei einem
Umzug einen von mir beschrifteten Karton „Sachbücher Geschichte“ zu stemmen hatte.
„Was soll das denn sein? Da muss ich an ‚Lach- und Sachgeschichten‘
denken…“Ja, was ist eigentlich ein
Sachbuch?
Oft fristete das Sachbuch ein Schattendasein in der
Bücherfamilie: auf der einen Seite im Schatten der strengen ernsthaften
Schwester, dem seriösen wissenschaftlichen Werk, von der anderen Seite
beschattet durch den großen Bruder Belletristik, der mit überlegener
Breitenwirkung und Auflagenhöhe schon das Mädchen Massenpublikum küssen durfte.
Aber vielleicht ist dieses Bild vom ungeküssten Sandwichkind
Sachbuch nur durch das Feuilleton erzeugt worden; in Wirklichkeit gab es
regelmäßig Sachbuchbestseller, die zwar das Bewusstsein des Lesepublikums
geprägt haben bzw. Ausdruck der Fürchte und Hoffnungen in diesem Publikum
waren, aber von den Edelfedern und wichtigen Intellektuellen nicht ernst
genommen wurden. Peter Scholl-Latour ist ein Beispiel für einen solchen
Sachbuchverfasser, der intellektuell nicht akzeptiert wurde und gerade wegen
seines Erfolges Gegenstand misstrauischer Beobachtung ist. Oder war es
vielleicht so, dass seine Meinungsäußerungen, die eher rechts von Mainstream
angesiedelt waren, die Anerkennung der kulturellen Eliten verhinderten?
Das Verhältnis zwischen professioneller Kritik und der
Rezeption in der breiteren Bevölkerung wird in Schikowskis „Immer schön
sachlich“, einer Sammlung von Beiträgen, die zum Teil schon in der
Branchenzeitschrift Buchhändler heute erschienen, an verschiedenen
Stellen thematisiert. Er beschreibt eine eindrucksvolle Zahl von Sachbüchern
und gibt eine sehr lesbare und pointierte Rezeptionsgeschichte, deren
mentalitätsgeschichtliche Dimension ihm sichtlich am Herzen liegt. Obskure
Autoren, die heute zu Recht vergessen sind, kommen bei ihm ebenso vor wie
wirkmächtige Meinungsmacher, deren Namen wir auch noch heute kennen. Der
Zeitraum umfasst ungefähr die Zeit des Kaiserreichs und wieder wird mit den
Beschreibungen deutlich, wie sehr das Deutsche Kaiserreich ein
Modernisierungsprojekt war, ein Laboratorium der Moderne, in dem verschiedenste
Avantgarden um die Deutungshoheit stritten während die offizielle
Selbstdarstellung in historischen Formen schwelgte.
Dieses Verhältnis von Modernisierung und Versachlichung auf
der einen Seite sowie historisierender Selbstvergewisserung und
weltanschaulicher Suche nach festem Grund auf der anderen wird sehr gut zur
Darstellung gebracht, ebenso wie die Wissenschaftsentwicklung, die in dieser
Phase immer wieder den Sprung vom Forschungsdiskurs in die allgemeine
Diskussion möglich machte. Zu Richard Muther (1860–1909)
heißt es: „Gilt er doch als Schriftsteller, in dessen Werk unbekümmerte und
nahezu volkstümliche Anschaulichkeit von sachlicher Wissenschaftlichkeit noch
ungeschieden ist.“ (S. 58) Ob diese ‚Scheidung‘ heute weiter fortgeschritten
ist oder ob es nicht wieder eine große Gruppe von Grenzgängern zwischen der
Wissenschaft und dem populären Essay gibt, das sei dahingestellt.
Wie damals hilft jedenfalls auch heute beim
Sachbuchschreiben dem Meinungsstarken seine klare Vorurteilsstruktur wenn er
komplexe Zusammenhänge für einen großen Leserkreis aufbereiten will. Deswegen
ist auch das Verhältnis zwischen Essay und Sachbuch ein sehr spezielles. Über
dieses Verhältnis kann man in „Immer schön sachlich“ einiges lesen, ist doch
der Essay eine Art offenes Format, das dem Sachbuch Raum gibt, um sich in Form
zu bringen. Und im Essay ist die Person des Verfassers oder der Verfasserin
entscheidend. Ihr Blick auf die Welt wird dem Publikum als Interpretation
komplexer Verhältnisse angeboten. Auch das Sachbuch kann oft deshalb so
erfolgreich verkürzen weil es Meinung hat – diese strukturiert die
Kurzdarstellung… Daher ist es stimmig, dass die Biographie als Sachbuch
behandelt wird, ganz gleich wie unsachlich sie sein mag.
Wie steht es überhaupt mit der Sachlichkeit des Sachbuchs?
Sie ist vor allem ein gutes Verkaufsargument. Die Dinge darzustellen „wie sie
sind“ – das ist nicht nur eine wundervollen Gelegenheit, seine Weltanschauungen
unter der Leute zu bringen, sondern sich auch noch dafür bezahlen zu lassen…
Neben dem Essay wird der Ratgeber als Vorform des Sachbuchs
genannt und auch hier hat der Autor eine entscheidende Dimension freigelegt:
der Ratgeber, der Information und Lebenshilfe gewährt, ist nicht nur ein
Kompass für unübersichtliche Landschaft, ein Wegweiser in neuen und alten
Zweideutigkeiten, sondern vor allem ein Instrument zur Innovationskompensation.
Ohne ihn werden gesellschaftliche und technologische Umbrüche schlechter
verkraftet. Speziell in Zeiten der Liberalisierung und Demokratisierung spielt
der Ratgeber eine nicht zu unterschätzende Rolle: er schlägt neue Formen des
Umgangs mit anderen und sich selbst vor, in denen die Veränderung aufgehoben
wird und ihre gefährlichen Seiten handhabbar. Auch heute spielt der Ratgeber ja
noch eine so wichtige Rolle, dass ihm das „Börsenblatt des Deutschen
Buchhandels“ regelmäßig eigene Bestsellerlisten widmet und so manche
Provinzbuchhandlung nur durch ihn überleben kann.
Überhaupt ist die Provinzbuchhandlung vielleicht der beste
Ort, um über das Sachbuch nachzudenken – was in ihr landet und hier noch Leser
findet, das wird wirklich zum Teil jener Geistesgeschichte, für die uns das
hier besprochene Buch so reichlich Material bietet.
Schikowski hat mit seiner Geschichte des Sachbuchs im
Kaiserreich (der hoffentlich noch weitere Bände folgen) einen wichtigen Beitrag
zur Erforschung des Literatur- und Verlagsbetriebs geleistet. Und es ist ihm
gelungen, lesbar und unterhaltsam zu informieren – ganz so wie das gute
Sachbuch es sollte.
Michael
Schikowski: „Immer schön sachlich. Geschichte des Sachbuchs 1870-1918“,
Frankfurt am Main (Bramann) 2010, ISBN 978-3-934054-42-4, € 16,-
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