Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Alexander Kissler
Zu Eduard von
Keyserling kam ich so: Eines sehr heißen Sommers war‘s, als der Roman
„Wellen“ mich fand. Er lugte hervor, im kommoden Urlaubsumfang von 160
Seiten, aus der Bibliothek eines Schiffes, das die Donau unter sich
spürte. „Wellen“ auf den Wellen, das passte formidabel. Dann aber
waren die Keyserling’schen Bewegungen zu Ende, noch ehe der Urlaub sein
nämliches gefunden hatte. Ich geriet in allergrößte Verlegenheit. Was
sollte nun noch kommen?
Die „Wellen“ sind jene
am Ufer des Baltikums, die in der verschatteten, da unschicklichen Liebe
der Gräfin Doralice Köjne-Jasky zu dem Maler Hans Grill den Hauptpart
übernehmen – neben dem Meer und dem Himmel, in jenem sich spiegelnd.
Eduard von Keyserling schildert den „Abgrund von Licht“, in den die Liebenden fallen, den „Rausch der Weite und des Lichtes“.
Einmal sagt Doralice „müde und mitleidig zugleich“ zu Hans: „Zusammen, wir bleiben zusammen, wir beide sind ja doch miteinander ganz allein.“
Kurz darauf wird der Himmel farbig, „die Wolken am Horizont bekamen
dicke goldene Säume, und eine Welle von Rot übergoss den Himmel. Auch in
das Graugrün des Meeres mischten sich blanke Fäden, und die Höhlungen
der brechenden Wellen am Strande füllten sich mit Rosenrot, und
plötzlich begann des Meer weiter dem Horizonte zu ganz in Rotgold zu
brennen.“
Wegen solch impressionistischer Naturschilderung gilt Eduard von Keyserling als Meister der Stimmungen.
Auch Martin Mosebach, der nun in der „Bayerischen Akademie der schönen
Künste“ im Verein mit den Literaturwissenschaftlern Dieter Borchmeyer
und Jens Malte Fischer seinen Keyserling rezitierte und interpretierte,
griff zum heute leider übel beleumundeten Wort von der Stimmung. Zur
schönsten Demonstration las er mit baritonal schnurrender, akkurat
prononcierender Stimme, das Kostbare durch Präzision, nicht Pathos
verdeutlichend, aus den „Schwülen Tagen“, entstanden 1904 bis 1906.
Nicht Welle und Licht
sind in der Novelle die eigentlichen Akteure, sondern die kurländischen
Schlösser, laut Mosebach „aus der Zeit gefallene Lebensgemeinschaften.“
Weil der wahre Dichter eben immer – man schlage nach bei Rudolf
Borchardt – die Stimme erheben muss in Namen der causae victae, der gewesenen, besiegten Dinge, darf die Liebe zum Schloss mit Mosebachs allergrößter Sympathie rechnen.
Keyserling, fuhr der
Büchner-Preisträger fort, habe eine veritable „Unterweltmagie“ durch die
fein abgestufte „Abstraktion der Natur“ geschaffen. Indem diese ins
Musikalische verdichtet worden sei, „wie eine angeschlagene Cellosaite“,
habe sie ihren dinglichen Charakter verloren. Conclusio meinerseits:
Nur die exakteste Beobachtung des Besonderen gebiert das Allgemeine.
Mosebach erwartet trotz
zyklisch wiederkehrender Renaissancen kein großes Publikum für derlei
betörende „abstrakte Literatur“. Die Deutschen nämlich, die lieben
Deutschen, „wollen sich immer konkret belehren lassen“. Da aber gerieten
sie bei Keyserling und dessen „kostbarer Note“, die genossen,
nicht erklärt werden will, an den Falschen. Im Lichte von Mosebachs
Einsatz für die katholische Orthodoxie ist man versucht hinzuzufügen:
Darum wollen die Deutschen selbst im Gottesdienst unterwiesen, nicht
umgeschmolzen werden.
Und wohl auch diese
Einsicht ist nicht unbedingt mehrheitsfähig: Der Dichter – man nehme
Keyserling, Mosebach, Borchardt – schreibe „in Erinnerung an eine Welt, die er verlassen hat.“
Borchardt näherte sich Königsberg von Berlin, Deutschland von der
Toskana aus, Mosebach selbst schreibt außerhalb Europas über diabolische
deutsche Liebeshändel, Keyserling wurde in München zum Sänger des
Baltikums. Nicht, was bleibt, stiften demnach die Dichter, sondern was
war.
Die letzte Volte aber
dieses erstaunlichen Abends wäre fast in den frohgemuten Abschiedsreden
und im Rascheln der Tücher untergegangen, die sich Münchens feine Damen
umgeworfen hatten. Gerade nämlich, so Martin Mosebach, das verdichtete,
zu Musik und Atmosphäre geronnene Schauen, gerade diese ungemein farbige
Abstraktionskunst gewinne der Literatur die Realität zurück.
Denn nehmen wir Menschlein unsere Welt nicht auch in Bruchstücken nur
wahr, die sich stetig neu ineinander schieben? Ist Stimmung nicht die
Weise, in der wir Welt erfahren?
Hans Grill, das sei
hier nicht verschwiegen, bleibt schließlich in den Wellen. Und die
schöne, bleiche Doralice geht am Strand auf und ab, „sie wollte Hans
dienen“, bis „das blassere Gold der Oktobersonne über den Wellen lag.“
Quelle: www.alexander-kissler.de
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