Erschienen in Ausgabe: No. 29 (3/2007) | Letzte Änderung: 29.01.09 |
Besprechung von „Zwischen den Bildern. Metaphernkritische Essays über Liberalismus und Revolution.
von Robert Lembke
von Taureck, Bernhard H.F., merus verlag, Hamburg 2006. 178 Seiten. ISBN: 3-939519-02-2.
Bernhard
F. Taurecks Buch Zwischen den Bildern. Metaphernkritische Essays
über Liberalismus und Revolution, erschienen 2006 im merus
verlag, fällt zunächst unangenehm auf durch die schlampige
Textgestaltung. Entweder gab es kein Lektorat oder nur ein sehr
unzureichendes; Tatsache ist, daß der Text vor (teilweise
haarsträubenden) Fehlern aller Art strotzt, als sei direkt die
Rohfassung publiziert worden. Dieses eher nebensächliche Faktum
wiegt um so schwerer, als der Inhalt des Buches, wie zu sehen sein
wird, eine solche Präsentation nicht verdient hat.
Über
weite Strecken nämlich lesen sich die Aufsätze und Exkurse
des Autors, aus denen das Buch aufgebaut ist, äußerst
anregend und lösen damit den im Untertitel erhobenen Anspruch,
„Essays“ zu sein, auf stilistischer Ebene ohne weiteres ein.
Taureck liefert im ersten Teil seines Buches, d.h. bis zum
titelgebenden Kapitel „Liberalismus und Revolution“, in dem er
dreizehn Thesen zu deren Bestimmung und Verhältnis präsentiert,
einen Streifzug durch die politische Philosophie der Neuzeit, der
sich vor allem dadurch auszeichnet, daß der Autor in
umfassender Weise seine stupende Gelehrsamkeit ausbreitet. Eine Fülle
zeitlich und formal disparater Texte wird auf eine Weise
zusammengefügt und miteinander in Beziehung gesetzt, daß
es dem Leser bisweilen schwindlig zu werden droht ob der Fülle
an Namen und Begriffen – von Polybios und Machiavelli über
Cervantes und Molière, Heidegger und Derrida bis hin zu Woody
Allen.
So
reizvoll dieses textliche Verfahren der ‚freien Assoziation‘ von
Gedanken auch ist, es birgt auch Gefahren in sich. So kann man
sich als Leser bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, daß der
Text sich zum Selbstzweck wird und der gedanklich rote Faden, der
ohnehin durch die Verschiedenheit der einzelnen Aufsätze
zeitweise äußerst dünn ist, gänzlich verloren
geht. Dann scheint es, als ob „die Sprache feiert“ und grundlos
nur noch in sich selbst kreist. Belesenheit und Zitierfreude des
Autors haben außerdem den Nachteil, eine Beherrschung der
gesamten abendländischen Kulturtradition zu suggerieren, die
durch die Texte selbst aufgrund ihrer Kürze und essayistischen
Okkasionalität nicht gestützt wird. Dies geht manchmal
soweit – denn Taureck schreibt tendenziell über alles und weiß
scheinbar alles –, daß man das Gefühl hat, den
„universellen Intellektuellen“ wiederauferstehen zu sehen, der
seit einiger Zeit und seit Lyotards „Grabmal“ als anachronistisch
gilt. Erschwert wird das Verständnis dem Leser darüber
hinaus durch die besondere Terminologie des Autors, die auf
dessen frühere Arbeiten zurückgeht, im Buch selbst aber
nirgends genauer erläutert wird. Methodische Konzepte wie
„Metaphorisierung“, „kritische Ikonologie“ oder
„Derigidierung“ scheinen auf Nietzsches Konzept der „Welt als
Text und Interpretation“ zu verweisen, der Leser wird über
deren Status jedoch weitgehend im Dunkeln gelassen. (Der Verfasser
verweist allerdings an mehr als einer Stelle auf seine früheren
Arbeiten.)
Worum
geht es nun in dem Buch? Taureck versucht zunächst, im ersten
Teil, ein grundlegendes Verständnis unserer politischen
Gegenwart vorzubereiten, indem er die für ihn zentralen
Begriffe Liberalismus und Revolution historisch
einkreist, um ihre inhaltliche Bestimmung und Stellung zueinander
fixieren zu können. Dabei ergibt sich für die Seite des
Liberalismus nichts wesentlich Neues; Taureck macht als zentrale
Basismetaphern des Liberalismus das Eigentum (bei John
Locke) und die invisible hand (bei Adam Smith) aus, die, so
die wenig überraschende Annahme, auch noch die Grundlagen der
heutigen politischen Ordnungsbildung ausmachen. Interessanter
ist das Verständnis von Revolution, das der Autor entwickelt.
Hier wird zunächst festgestellt, daß unser Begriff von
Revolution im allgemeinen von der Französischen Revolution von
1789-1799 geprägt sei; dies sei zwar grundsätzlich richtig,
müsse aber erweitert werden. Revolution meint vom Wort her
„Umwälzung“ und könne daher nicht nur eine
emanzipatorische Entwicklung, sondern auch die Wiederherstellung
eines früheren, unfreiheitlichen Zustands meinen. Dies zu
zeigen, ist vor allem der Sinn des Kapitels über Heidegger, aber
auch der Abschnitte über Cortes und de Maistre.
Daneben
gibt es jedoch noch eine dritte Bedeutung von Revolution, die mit
Politik nur wenig zu tun hat. Diese, die Taureck im Anschluß an
Rousseau als „Kulturverhängnis“ oder „Nexus Fatalis“ auf
den Begriff bringt, ist im Grunde jene, die allgemein unter dem
Terminus „negative Geschichtsphilosophie“ bekannt ist. Als
Hypothese geht sie davon aus, daß in Folge eines geschichtlich
einmaligen Ereignisses (bei Rousseau ist es die Entdeckung von
Ackerbau und Metallurgie, die sog. „neolithische Revolution“)
die menschliche Kultur einem unaufhaltsamen, höchstens zu
retardierenden Prozeß des Verfalls ausgesetzt ist, dem nur
schwer oder gar nicht zu entkommen sei (vgl. 106-118).i
Dies dritte Verständnis von Revolution ist deshalb so wichtig,
weil Taureck ihm anzuhängen scheint und am Ende seines Buches
noch einmal darauf zurückkommt (s.u. S. 4).
Mit
der Bestimmung des Verhältnisses von Liberalismus und Revolution
im gleichnamigen Kapitel kehrt Taureck aus der Historie in die
Aktualität zurück. Die Errungenschaften der Französischen
Revolution werden, auf gut mainstream-linksliberal, affirmiert,
gleichzeitig jedoch diejenigen Auswirkungen kritisiert, die
heute überall offensichtlich sind, wie „Hyperkonsum“,
„Hyperproduktion“ und „wachsende Prekarisierung“ (vgl. 72).
In der Folge zeigt sich Taureck als erfrischend realistischer,
hellsichtiger Analytiker der herrschenden Zustände, etwa wenn er
die Bedrohungen der Demokratie und den grassierenden
„Mega-Liberalismus“ darstellt. Dies alles wird kenntnis- und
aufschlußreich dargeboten, ist jedoch auch allzubekannt;
naturgemäß schwieriger und damit interessanter wird es da,
wo der Philosoph die Diagnose aufgibt und zur Suche nach Auswegen und
Lösungsansätzen schreitet. Dies ist das Ziel der letzten
drei Kapitel, unterbrochen noch von einem Exkurs über
politische Theologie, der dem Ganzen aber eher unverbunden bleibt und
daher auch fehlen könnte.
Zugespitzt
formuliert, hinterlassen die Zukunftsentwürfe des Philosophen
leider den Eindruck, der sich wohl oft in solchen Fällen
einstellt: So treffend und präzise die Beschreibungen der
Wirklichkeit ausfallen, so utopistisch – im schlechten Sinn von
wirklichkeitsfremd – muten insgesamt die propagierten
‚Auswege‘ Taurecks an. Es sind in der Hauptsache drei, die der
Autor präsentiert.
Die
erste Konzeption einer „kulturellen Demokratie“ wirkt künstlich
und schwer verständlich. Grundidee ist offenbar die, daß
Kultur (i.S. von kreativer menschlicher Tätigkeit), statt ein
Teil der Gesellschaft zu sein, mit dieser identisch wird, wodurch
zugleich das Autonomie- (viele müssen arbeiten, damit wenige
sich der Kultur widmen können) und das Ideologieproblem
(Entwertung der Kultur aufgrund des eingesehenen Zusammenhangs)
miterledigt werden. Dieses Kapitel ist m.E. das schwächste des
ganzen Buches, insbesondere auch dadurch, daß im Anschluß
an das vage Konzept einer „kulturellen Demokratie“ zu einem ganz
anderen Kulturbegriff i.S. von Universalgeschichte (s.o. S. 2)
übergegangen wird, ohne daß dieser Sprung irgendeine
Erklärung findet.
Hinter
der Rede von einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ – zweiter
Vorschlag – verbirgt sich die in den letzten Jahren aufgekommene
Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, die inzwischen
auch politisch weitere Kreise zieht – bis hin zur CDU (Dieter
Althaus) und den Bündnis 90/ Den Grünen. Der Autor erweist
sich hier als ‚guter Linker‘, der sich für Ideale jenseits
der gesellschaftlichen Wirklichkeit begeistern kann; diesen Eindruck
erhält man jedenfalls, wenn man die ausschließlich
positiven Wirkungen und zahlreichen Möglichkeiten dieser
Maßnahme, die als „Evolution“ (im Gegensatz zur Revolution,
der bloßen Umwälzung) apostrophiert wird, vorgeführt
bekommt (vgl. 119-124). Um so treffender sind dafür die
Ausführungen zur Menschenwürde, in denen der teils
heuchlerische und zu vage Charakter dieses modernen Sakrums deutlich
herausgestellt wird.
Ganz
am Ende des Buches wartet der Autor dann noch mit einer Überraschung
auf, die sich allerdings erklärt, wenn man darin jene alte Idee
wiederkennt, die die technologische Entwicklung der Neuzeit und
Moderne mit Heilserwartungen überfrachtete (z.B. bei Bacon,
später bei Marx). Hier hebt nun auch Taureck schließlich
ab. Seine Idee, die durch das komplizierte Netz aus Metaphern und
eigener Terminologie etwas verklausuliert daherkommt, ist
schlicht gesagt die, intelligenten Computern der Zukunft die
Regierungs- und/oder Gesetzgebungsgewalt zu übertragen, und
damit jener „strukturellen Delegitimierung“ des Politischen zu
entgehen, die Taureck seit der Französischen Revolution und der
Etablierung der Metapher der „volonté generale“ am Werk
sieht (vgl. 169f). Die Delegation politischer Herrschaft an
künstliche Intelligenz verspricht offenbar eine felsenfest
gefügte Objektivität, die nicht mehr manipulier- oder
instrumentalisierbar ist.
Man
sollte m.E. in dieser überraschenden Wendung den Versuch des
Autors sehen, die zuvor (in dem gleichnamigen Kapitel) abgewiesene
Versuchung einer „politischen Theologie“ auf anderem Wege doch
noch irgendwie einzulösen. Gleichzeitig befreit sich damit
Taureck, in dessen Buch „viel liegt auf engem Raum“ (Benjamin
über Adorno), von seinem sich durch den Text ziehenden Schwanken
zwischen einer weitgehenden Affirmation der Moderne und ihrer
resignativen Ablehnung. Traut er doch seiner technizistischen Utopie
am Ende sogar die „Überwindung bisheriger selbsterzeugter
Ausweglosigkeiten (jener Nexus Fatalis […])“ zu, und seine
Sprache nimmt – zum ersten und einzigen Mal – ein fremdartiges
Pathos (à la Heidegger?) an: die angezielte Lösung könnte
„zur reifenden Erweiterung unseres Seins“ führen. (173)
i Es gibt im übrigen eine Variante dieses Theorems, die bei Taureck nicht erwähnt wird: Dabei wird das entscheidende geschichtliche Ereignis nicht an den Anfang, sondern ans Ende gesetzt: Gemeint ist eine gewisse Spielart der postmodernen Philosophie (manchmal als posthistoire bezeichnet), die die technisch und medial beherrschte Massengesellschaft als unumkehrbaren Verfallszustand der Kultur ansieht.
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