Erschienen in Ausgabe: No. 29 (3/2007) | Letzte Änderung: 29.01.09 |
Mit einer Einführung in die großen Gottesbeweise und einem Kommentar zum Gottesbeweis Robert Spaemanns von Rolf Schönberger, Pattloch-Verlag 2007, 127 Seiten, ISBN: 978-3-629-02178-6, Preis: 12,95 Euro
von Stefan Groß
In
Zeiten, in denen das Religiöse sich seine Domänen zurückzuerobern
scheint, sind breitgefächerte Diskurse zu diesem Thema
schlaglichtartig sowohl in den Mittelpunkt der
wissenschaftlich-akademischen als auch publizistisch-journalistischen
Öffentlichkeit getreten. Dies ist auch im Herbst 2006 geschehen, als
der renommierte Philosoph Robert Spaemann einen Vortrag über Glaube
und Rationalität vor der Katholischen Akademie in Bayern hielt, der,
kommentiert und mit einer ausführlichen Dokumentation der
traditionellen abendländischen Gottesbeweise von Rolf Schönberger
versehen, im Pattloch-Verlag vorliegt.
Spaemann, der große Wertkonservative, der sich nicht nur gegen die
moderne verbrauchende Embryonenforschung, sondern auch gegen jede
Form von Euthanasie ausspricht, wartet nun mit einem neuen
Gottesbeweis, dem wohlgemerkt letzten Gottesbeweis auf, wenngleich er
bereits im Vorwort von einem rationalen Argument in die
Vernünftigkeit spricht. Seine Auseinandersetzung mit der Frage nach
der Existenz Gottes ist dabei letztendlich auch gegen die anmaßende
Vernunft der Naturwissenschaften gerichtet, die glaubt, ohne
Transzendenzbezug und mittels der Naturgesetze, die Welt in ihrem So-
und Dasein vernünftig zu erklären. Daß sie dabei schließlich
selbst in Erklärungsrot gerät, weil sich mit dem ständig
anwachsenden Wissen auch das Nichtwissen vergrößert, zeigen
mittlerweile die grotesken Spekulationen auf dem Gebiet des
Szientismus, wenn Biologen von Fulguration und Emergenz reden, um das
Unerklärbare durch Worte zu beschwören; Spaemann spricht in diesem
Zusammenhang von den „Opfern des Szientismus“.
Der Versuch, ja, die kleine Sensation einen neuen Gottesbeweis im
Zeitalter der analytischen Philosophie und Hirnforschung vorzulegen,
der Durchschlagskraft bekundet, ist nicht nur im Hinblick auf Kant
und letztendlich Nietzsches endgültiger Absage an Gott, die
bekanntlich in seiner Gott-ist-tot-Philosophie kulminiert, gewagt und
wie Nietzsche sagen würde, unzeitgemäß. Doch Spaemann hält, wie
er in seinem 2007 erschienenen Buch Das unsterbliche Gerücht,
Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne
unterstreicht, an seinem Argument fest: Wenn Gott nicht ist, gibt es
auch keine Wahrheit. Nun aber steht er selbst in der Pflicht, diesen
Gottesbeweis zu führen, eine Begründungspflicht, die er in früheren
Publikationen immer an die Gottesleugner abgegeben hat, die
ihrerseits die Nicht-Existenz Gottes beweisen sollten.
Den Dolchstich versetzte den traditionellen Gottesbeweisen der
Königsberger Denker Immanuel Kant mit seiner kritischen Philosophie,
der zwar den moralischen Gottesbeweis übrig läßt, jedoch um den
Preis, das Göttliche nur als Postulat der praktischen Vernunft, als
ein Als-Ob zuzulassen.
In der nachkantischen Moderne ist Spaemann jedoch nicht der einzige,
der sich aus Sicht der Philosophie mit der Gottesfrage
auseinandersetzt. Bereits Hans Jonas mit seinem Der
Gottesbegriff nach Auschwitz und Wolfgang Cramer, der im
Anschluß an die Spätphilosophie Fichtes seinen Aufsatz Das
Absolute im Handbuch philosophischer Grundbegriffe
vorlegte, stellten sich die Frage nach dem Absoluten. Jonas fragte
vor dem Hintergrund der Schrecken von Auschwitz danach, ob es Gott
überhaupt gibt und wie dieser letztendlich zu denken sei, was in
einem deistischen Gottesbegriff kulminierte; Cramer hingegen
untersuchte das Verhältnis zwischen dem Absoluten und dem
Kontingenten und leitete das Kontingente aus einer
Selbstdifferenzierung des absoluten Prinzips ab.
Der bekannte Ausspruch Fichtes: „Was für eine Philosophie man
wähle, hänge davon ab, was für ein Mensch man sei“, gilt auch
für Spaemann, dessen Denkansatz der abendländisch-christlichen
Tradition maßgeblich verpflichtet ist. Dieser Hintergrund ist
mitzubedenken, wenn man sein Gottesargument verstehen will.
Entscheidend für Spaemanns Gottesbeweis ist die kleine, aber
gravierende Anmerkung, daß sein Argument nur für diejenigen Sinn
macht, die auch an Gott glauben; für all jene, für die die
Sinnfrage anderswo verortet ist, bleibt dieser Beweis sinnlos. Damit
hat sein Argument auch eine eingeschränkte Gültigkeit.
Wer sich für die christliche Theologie interessiert, entdeckt in
Spaemanns Text viele ungenannte Verweise auf die abendländische
Philosophie – auf Platon, auf den ausgereiften und in einer
Henologie kulminierenden Neuplatonismus Plotins, auf die Traktate von
Pseudo-Dionysios Areopagita, die in einer negativen Theologie
gründen.
Auch Spaemanns Argument von der Existenz Gottes ist ganz einer
mystischen oder negativen Theologie verpflichtet, die aber auch die
andere Seite beleuchtet, die positive oder affirmative Theologie, das
Wie der göttlichen Mitteilung. Ohne die Annahme, eben das
Gerücht Gottes, daß Gott in der endlichen Welt erscheint, daß das
Ich an der göttlichen Ordnung also Anteil hat, ist der kleine Text
überhaupt nicht zu verstehen. Nur wenn man ein Interesse an jenen
Spekulationen hat, ist er gewinnbringend.
Die Spur, auf die sich Spaemann begibt, ist alt. Es ist die in allen
Jahrhunderten vieldiskutierte Wahrheitsfrage, die der Unterscheidung
von Sein und Schein zugrunde liegt, und für die Platons Metapher vom
Höhlengleichnis steht. Aus dem Licht (der Idee des Guten Platons),
das in die Höhle fällt und von einer anderen Wahrheit kündigt,
wurde dann in der christlichen Theologie jener omnipräsente und
omnipotente Gott, dessen Existenz für Spaemann nicht bezweifelt
wird. Aber auch für ihn stellt sich aus den Erfahrungen der Moderne
heraus die Frage: Wie ist dieser Gott zu denken? Gott an sich – und
das bekundet die Rede vom Geheimnis – ist unerkennbar, ist ein
Mysterium des Glaubens, was Spaemann ganz im Sinne der apophatischen
Theologie bekennt, die deutliche Bezüge zu Gregor von Nyssa
aufweist. Wie vergegenwärtigt sich das Ich aber dann den
Gottesgedanken? Mittels der instrumentalisierenden und allein durch
die moralisch-sittliche Vernunft ist dies, wie Spaemann hervorhebt,
nicht möglich, selbst wenn das Göttliche in der guten Tat des
Menschen erscheint, sich als Gewissen und damit als Spur Gottes, das
auf seine Existenz hindeutet, ausspricht.
„Was glaubt also der, der an Gott glaubt? Er glaubt, so sage ich,
an eine fundamentale Rationalität.“ Das höchste Prinzip dessen,
was geglaubt werden kann, ist für Spaemann Gott als die Einheit von
Sein und Sinn. Denn: „Wer an Gott glaubt, glaubt, dass die beiden
Unbedingtheiten identisch sind: die Unbedingtheit dessen, was ist,
wie es ist, die Unbedingtheit des Faktischen und die Unbedingtheit
des Guten. […] Was uns verborgen ist, obwohl es vernünftig ist, es
zu glauben, das ist die Einheit der beiden Unbedingtheiten, die
Einheit von Macht und Sinn, von Allmacht und Liebe. […] Der Glaube
an die Macht des Guten ist es, die es uns ermöglicht, uns handelnd
auf die Realität einzulassen, ohne befürchten zu müssen, dass in
einer absurden Welt auch jede gute Absicht zur Absurdität verurteilt
ist.“
Spaemann hält nachdrücklich daran fest, daß die Vernunft das
Instrument des Menschen zur Gottessuche ist, denn sie ist das
Vermögen, das einen Transzendenzbezug ermöglicht bzw. herstellen
kann, was auf ein Begreifen des Unbegreiflichen hinausläuft, ein
Gedanke, der bereits Fichtes späten Wissenschaftslehren zugrunde
liegt. Mit den Worten Spaemanns: „Glauben, dass Gott ist, heißt,
dass er nicht unsere Idee ist, sondern dass wir seine Idee sind.“
Dieser Erkenntnisschluß setzt die Gottesebenbildlichkeit des
Menschen voraus. Seine Wahrheitsfähigkeit, die den Menschen als
personales Wesen auszeichnet, hat also ihren Grund in seinem
Bildsein, in einer Schöpfung an deren Ende das vernünftige Geschöpf
steht.
Mit dieser Voraussetzung, daß eine „Hinterwelt“ existiert, nimmt
Spaemann Position gegenüber Nietzsche, der nicht nur eine Hinterwelt
leugnet, sondern auch die Wahrheitsfrage samt ihrem Geltungsanspruch
in Frage stellt. Für Nietzsche ist die Wahrheitsfähigkeit der
Vernunft an den Begriff Gottes, an Gott selbst geknüpft, dessen Tod
er im Also sprach Zarathustra aber verkündigt hatte. Für
Nietzsche gibt es keine Intelligibilität, allein das Absurde regiert
die Welt, was keineswegs angezweifelt werden kann. Lediglich die
Frage, mit welcher Lüge man am besten lebt, gilt es zu beantworten.
Wie muß also ein Gottesbeweis, und gar ein letzter, beschaffen sein,
daß er Nietzsches Vorwurf, daß es keine Intelligibilität der Welt
gibt, standhält? Der ontologische, der teleologische, kosmologische,
der moralische oder ethikotheologische, der axiologische oder
eudämologische kommen dafür nicht in Frage. Spaemanns Beweis, sein
Argument, ist grammatikalischer Natur. Der „Gottesbeweis aus der
Grammatik“, als Futur exactum, als zweites Futur, ist denknotwendig
an die Gegenwart, an das Präsens gekoppelt, denn, von etwas zu
sagen, daß es jetzt sei, ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß
es in Zukunft gewesen ist, was darauf hinausläuft, daß alle
Wahrheit ewig ist. Was in der Gegenwart wirklich und wahr ist, das
gegenwärtig Wirkliche als das künftig Vergangene, läßt sich auch
in Zukunft nicht leugnen.
„Das Gegenwärtige bleibt als Vergangenheit des künftig
Gegenwärtigen immer wirklich.“ Im Erinnertwerden zeigt sich
letztendlich die Spur des ehemals Wirklichen. Spuren verwischen,
manchmal gibt es nur die Spur der Spur, wie einst Derrida bemerkte,
bis endlich alle Spuren verschwinden, die Erinnerung löscht aus. Was
aber bleibt? Spaemanns Antwort lautet: „Da zur Vergangenheit immer
eine Gegenwart gehört, deren Vergangenheit sie ist, müßten wir
also sagen: Mit der bewussten Gegenwart – und Gegenwart ist immer
nur als bewusste Gegenwart zu verstehen – verschwindet auch die
Vergangenheit, und das Futurum exactum verliert seinen Sinn. Aber
genau dies können wir nicht denken. […] Wenn gegenwärtige
Wirklichkeit einmal nicht mehr vergessen sein wird, dann ist sie gar
nicht wirklich. Wer das Futurum exactum beseitigt, beseitigt das
Präsens. Aber noch einmal: Von welcher Art ist diese Wirklichkeit
des Vergangenen, das ewige Wahrsein jeder Wahrheit? Die einzige
Antwort kann lauten: Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem
alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein. […]
Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum
unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.“
Der geneigte Leser ist zuerst tief beeindruckt, doch dann melden sich
Zweifel. Liegt hier denn nicht auch eine petitio principii vor? Wird
hier – vermittelt durch die Frage nach der Wahrheit –
letztendlich der allwissende Gott als absolutes Bewußtsein nicht
doch schon vorausgesetzt? Warum bedarf es aber eines allwissenden
Gottes, wenn es keinen Menschen mehr gibt, und was soll Gott mit
seinem Wissen von der Welt, wenn diese schon längst verschwunden
ist? Die Fragen bleiben. Sie bleiben auch dann, wenn man wie Spaemann
davon ausgeht, daß der Glaube an die Vernunft, an ihre
Wahrheitsfähigkeit nicht zu hinterfragen ist.
Hans Jonas’ Antwort auf die Frage nach Gott scheint plausibler. In
Anbetracht der Tatsache des unendlichen Leides in der Welt kann an
der Allmacht Gottes nicht festgehalten werden. Gott hat sich seiner
Allmächtigkeit entkleidet, ist selbst zum leidenden geworden; Jonas’
Gott ist aus der Nähe in die Gottesferne gerückt. Zu beweisen, daß
es ihn gibt, ist nicht lohnenswert, nur zu fragen, wie man ihn denken
kann, ist sinnvoll. Diese Frage stellt sich der kritischen Vernunft
um so mehr.
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