Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Rainer Westphal
Bevor man sich mit diesem Thema
befasst, dürfte es zum Vorteil gereichen, sich mit dem Begriff „öffentliche
Meinung“ zu befassen. Dieser Begriff tauchte wohl erstmalig bei Jean-Jacques Rousseau
(1712-1778) auf, in dem Sinne, dass die öffentliche Meinung eine Urteilsinstanz
ist, vor dessen Missbilligung man sich hüten soll. Bezogen auf die heutige Zeit,
sollte man von einer vorherrschenden öffentlichen Meinung sprechen, da nicht
davon auszugehen ist, dass die öffentliche Meinung in allen Punkten einheitlich
ist.
Es ist festzustellen, dass man
sich bereits im 18. Jahrhundert über dieses Problem erhebliche Gedanken gemacht
hat. Man hat bereits zum damaligen Zeitpunkt erkannt, wie wichtig es ist, die vorherrschende
öffentliche Meinung zu kennen, und um dann u. U. diese so zu steuern, damit
wirtschaftliche und politische Interessen optimal bedient werden können.
Aus der jüngsten Geschichte
dürfte insbesondere den ehemaligen Bürgern der Deutschen Demokratischen
Republik bekannt sein, wie man mittels Agitation und Propaganda die öffentliche
Meinung zu bestimmen versuchte. Andersdenkende, die ihre Meinung äußerten, bekamen
es mit Sanktionen zu tun, welche nur in einem Unrechtstaat möglich sein
dürften.
Der Verfasser erinnert sich an
die Sendereihe im DDR-Fernsehen mit dem Titel: „Der Schwarze Kanal“ von und mit
Karl Eduard von Schnitzler, welche damals im „Westen“ lediglich aufgrund der
Naivität und Dreistigkeit Gelächter hervorgerufen hat. In Erstaunen hat den
Verfasser immer wieder versetzt, dass sich der gebildete Journalist permanent
der Lächerlichkeit preisgegeben hat.
Aufgrund der vorangegangenen
Zeilen sollte man jedoch nicht auf den Gedanken kommen, dass in der heutigen
Bundesrepublik Deutschland keine Versuche der Beeinflussung und Manipulation
der öffentlichen Meinung stattfinden würden, welche das Ziel beinhalten,
wirtschaftliche und politische Interesse zu bedienen. Allerdings wird mit
wissenschaftlich erarbeiteten Methoden dieses Problem angegangen. Die
Vorgehensweise begründet sich u. a. darauf, dass die Zielgruppen oder Mitbürger
von den Versuchen der Beeinflussung und Manipulation nichts bemerken. Auf
Methoden der Desinformation, Verballhornung und Diskriminierung wird im Rahmen
dieser Ausführungen nicht eingegangen.
Auf subtile, aber durchaus
effektive und brandgefährliche Art und Weise, findet die Manipulation dann
statt. Aussagen von ehemaligen Bürgerrechtlern aus den neuen Bundesländern
lassen eine erstaunliche „Blauäugigkeit“ in dieser Angelegenheit erkennen. Soziologen
haben nachstehende Thesen entwickelt, die längst als richtig anzusehen sind, die
man sich im Gesamtzusammenhang jedoch noch einmal vergegenwärtigen sollte:
-Menschen sind durch eine vorherrschende Meinung
beeinflussbar und tendieren dazu, sich dieser anzuschließen.
-Zwei Wege stehen im Prinzip den Menschen offen, die
Meinung anderer zu erschließen, nämlich durch direkte Kontakte untereinander
und über Massenmedien.
-Massenmedien bringen eine eigene Dynamik mit sich.
-Unter den Massenmedien ist die Presse am stärksten der
Einflussnahme durch die Bürger und deren Kaufverhalten, sowie durch Werbeträger
zugänglich.
-In demokratischen Staaten sollte die Regierung in
entscheidendem Maße durch die öffentliche Meinung geprägt werden.
Der amerikanische Journalist
Walter Lippmann stellt aufgrund seiner Untersuchungen fest, dass vornehmlich
zwei Dinge, die das Auftreten von Ordnern, das heißt einheitlicher
Auffassungen, begünstigen. Das eine sind die beschränkten Ressourcen, also die
beschränkte Anzahl von Meldungen und Trends, die überhaupt mitgeteilt werden
können. Dies führt, vornehm ausgedrückt, zu einer starken Reduktion der
komplexen Wirklichkeit auf eine Scheinwelt, wie dieses u. a. von Niklas Luhmann
ausgesprochen wurde. Walter Lippmann drückt dieses so aus: „Jede Zeitung, wenn
sie den Leser erreicht, ist das Ergebnis einer ganzen Serie von Selektionen.“
Lippmann bemerkt weiter, dass hierdurch für den Leser eine passende Umwelt, wie
wir sagen könnten, eine Scheinwelt geschaffen, oder, um es noch schärfer
auszudrücken, was nicht berichtet wird, existiert nicht.
Auf diese Weise entsteht ein
vereinfachtes Bild der Wirklichkeit, das uns aber als Realität erscheint. Dies
ist also der eine Grund, der das Auftreten von Ordnung begünstigt: der
naturgegebene Zwang zur Auswahl. Dieses geschieht u. a. auch durch Schlagworte
oder, wie Lippmann es ausdrückt, durch Stereotype. Dieser Begriff ist aus der
Zeitungsdruckerei bekannt. Hier wird der Text in einer Abteilung, der
Stereotypie, in starre Formen gegossen, um dann beliebig vervielfältigt werden
zu können. Stereotype sind also bestimmte Schlagworte, die mit Absicht geprägt
worden sind, um bestimmte Sachverhalte darzustellen. Zumeist ist damit auch
eine bestimmte Meinung verknüpft. In diesem Fall werden einige, die heute
üblich sind, erwähnt:
Globalisierung, Gut-, Schlecht-
oder Wutmensch, Demographische Daten, Lebensraum, Lebensunwertes Leben, Neoliberalismus,
Staatsmonopolkapitalismus, Wettbewerb, Alimentierte, Sozialschmarotzer,
Sozialromantiker, Soziale Marktwirtschaft, Schwachperformer, Marxisten,
Chaoten, Eigenverantwortung, Subjekte usw.
Diese Schlagworte werden mit
einer bestimmten Meinung verknüpft (Semantik), und in einen besonderen
Zusammenhang (Syntax) gebracht. Das in Umlauf gebrachte Stereotyp ist vergleichbar
mit einer Münze, die immer wieder benutzt wird, und mit deren Hilfe sich
schließlich eine bestimmte Meinung gegen die Konkurrenz durchsetzt. Wer sich
aber der Symbole bemächtigt, die für den Augenblick das öffentliche Gefühl
beherrschen, beherrscht hierdurch in starkem Maße den Weg zur Politik.
Ein beliebtes Spiel ist es,
Tatsachen zu implizieren, die als solches nicht vorhanden sind. Man erreicht
beim Leser eine vom Autor geplante Einsicht, ohne dass das Opfer diesen
Tatbestand realisiert. Beliebt ist es auch, irgendwelche Daten
zusammenzustellen, welche ein gewolltes Ergebnis zu beweisen ohne zu einer
Meinungsäußerung gezwungen zu werden.
Dieser Wettkampf so genannter
Ordner, wie sie uns in der Naturwissenschaft ständig begegnet, ist im soziologischen
Bereich den Wissenschaftlern nicht entgangen. In diesem Zusammenhang kann man
Elisabeth Noelle-Neumann, die Begründerin der Meinungsforschung in der
Bundesrepublik, zitieren: „Die Aufmerksamkeit ist knapp;
gegen starke Konkurrenz müssen sich die Personen oder Themen hereindrängen.
Pseudokrisen und Pseudoneuigkeiten werden in den Massenmedien erzeugt, um die
Konkurrenz anderer Themen aus dem Felde zu schlagen.“
Was aber überraschend ist, sind
die Gesetzmäßigkeiten, die den geschilderten Vorgängen zugrunde liegen.
Meinungsbildungen oder Publikationen unterliegen allgemeinen Gesetzmäßigkeiten,
die als notwenige Konsequenz eine enorme Reduktion verschiedenartiger Meinungen
auf einige oder wenige haben.
Wenn man sich mit der
Beeinflussbarkeit der Menschen bei der Meinungsbildung auseinandersetzt, dann
muss es deutlich gemacht werden, dass diese seine Ursache in der psychologischen
Veranlagung der Menschen selbst oder als natürliche Reaktion auf die Umwelt
anzusehen ist. Wir haben es in der Neuzeit mit einer äußerst verwickelten
Umwelt zu tun, in der es den Menschen nicht leicht fällt, sich zurechtzufinden.
Er wird von einer Konfliktsituation in eine andere gedrängt. Es wird ihm fast
unmöglich gemacht, aus eigener Kraft eine eigene Antwort zu finden. Deshalb ist
der Trend vorhanden, auf die Meinungsbildung anderer zu schauen. Dieses führt
dazu, dass Menschen sich Meinungen anschließen, die diese selbst als objektiv
falsch erkennen müssten oder vielleicht sogar erkennen.
Einen schlagenden Beweis für
diese These liefert eine Untersuchung des amerikanischen Sozialpsychologen E.
Asch. Diese Experimente sind in großer Anschaulichkeit im Buch von Elisabeth
Noelle-Neumann geschildert. Es handelt sich um das berühmte
„Dreilinien-Experiment“, welches den Beweis erbringt, dass sich Menschen ohne
Zögern einer Majoritätsmeinung anschließen, auch wenn es der eigenen Meinung
widerspricht. Insbesondere dann, wenn diese nicht die eigenen realen Interessen
berühren.
Diese Erkenntnis wird besonders augenfällig
in der Mode, die auch nichts anderes als ein Ausdruck öffentlicher Meinung ist.
Hier wird ganz besonders deutlich, dass es bei derartigen kollektiven Effekten
oft gar nicht auf objektive Maßstäbe ankommt, sondern dass eine subjektive
Richtung schließlich im Kollektiv bevorzugt wird.
Die Erkenntnis, dass der Mensch
in der Regel furchtsam und vorsichtig ist, um nicht allein gelassen zu werden,
und der Tatsache, das dieser kräftiger und zuversichtlicher wird in dem Maße in
dem er glaubt, dass viele andere auch so denken wie er, fasst Elisabeth-Noelle
Neumann in die Worte: „Seine soziale Natur veranlasst
den Menschen, die Absonderung zu fürchten, unter anderen Menschen geachtet und
geliebt sein zu wollen.“ Oder an anderer Stelle: „Die Anspannung, die Umwelt zu
beobachten, ist anscheinend das geringere Übel, verglichen mit der Gefahr,
plötzlich das Wohlwollen seiner Mitmenschen zu verlieren, plötzlich isoliert zu
sein.“
Alexis de Tocqueville (1805-1859)
hatte bereits die Beeinflussbarkeit der Menschen erkannt, und dieses in folgende
Worte gekleidet: „In den demokratischen Völkern
erscheint die öffentliche Gunst ebenso nötig wie die Luft, die man atmet, und
mit der Masse nicht im Einklang sein heißt gewissermaßen nicht leben. Diese
braucht nicht die Gesetze anzuwenden , um Andersdenkende zu bändigen. Die
Missbilligung genügt. Das Gefühl ihrer Vereinsamung und ihrer Ohnmacht
übermannt sie alsbald und raubt ihnen jede Hoffnung“.
Zum Abschluss sei noch einmal auf
Elisabeth Noelle-Neumann in Sachen Massenmedien eingegangen: „Die Massenmedien sind
einseitige, indirekte, öffentliche Kommunikation, sie sind der natürlichsten
menschlichen Kommunikation, dem Gespräch, entgegengesetzt. Das ist es, was den
einzelnen gegenüber den Massenmedien ein Gefühl der Machtlosigkeit gibt. Bei
jeder Umfrage, wer in der heutigen Gesellschaft zuviel Macht habe, rangieren
die Massenmedien mit an der Spitze.“
Im Rahmen dieser Ausführungen
dürfte es zu weit führen, auf weitere interessante wissenschaftliche
Erkenntnisse einzugehen. Der Verfasser erhofft sich, dass sich die Leser
verstärkt der von den Medien ausgehenden Manipulationsversuche bewusst werden,
und sich bemühen, diese für sich zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Bereits
aus diesen Ausführungen wird erkennbar, warum sich beispielsweise ein Zeitgeist
hartnäckig hält, der längst als solches als gescheitert angesehen werden kann.
Es soll u. a. sehr deutlich werden, von welcher gesellschaftlichen Bedeutung
eine wirtschaftlich unabhängige und vielseitige Presse ist, damit
Manipulationsversuche aus wirtschaftlichen und politischen Gründen sich in
Grenzen halten bzw. rechtzeitig erkannt werden. Diese, wirtschaftlich und
politisch unabhängige Presse, sollte sich nicht als politischer Akteur sondern
als Instrument einer Meinungsbildung verstehen. Die Betonung liegt hierbei auf
Bildung.
Auf die weiterführenden Literaturquellen
wird wie folgt verwiesen:
Hermann Haken: Synergetik: Die
Lehre vom Zusammenwirken, Erfolgsgeheimnisse der Natur. Synergetik, Ordnung aus
dem Chaos
Elisabeth Noelle-Neumann: Die Schweigespirale
Solomon E. Asch. Group Forces in the
Modification and Distortion of Jugdgements
Walter Lippmann, Public Opinion.
Deutsch: Die öffentliche Meinung
Niklas Luhmann in: Politische
Vierteljahresschrift, 11. Jahrgang 1970
Jean-Jacques Roussau, Schriften
zur Kulturkritik
http://www.nachdenkseiten.de/?p=9608
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