Erschienen in Ausgabe: No 66 (8/2011) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
„Der Beruf ist der Ort der Verantwortung“ (Dietrich Bonhoeffer, Ethik)
von Stefan Groß
Christliche Verantwortung in
Politik und Wirtschaft standen im Mittelpunkt eines Vortrages von Verteidigungsminister
Dr. Thomas de Maizière auf den Sommerempfang des Bundes Katholischer
Unternehmer und seiner Vorsitzenden Marie-Luise Dött.
Als eine der wesentlichen
Aufgaben des Christen in der modernen Gesellschaft bleibt für Verteidigungsminister
de Maizière (CDU) die kritische Einmischung in die Gesellschaft, eine
Einmischung, die nicht in Form einer moralisierenden Wertedebatte zu führen
ist, einer Art Sonntagsrede, die immer scheitern muß. Theoretisch lassen sich
Werte nicht verordnen, sondern nur im konkreten Fall und in einer auf die
Praxis bezogenen Diskussion ist der Wertediskurs überhaupt erst sinnvoll.
Und genau an diesem Punkt setzt
die „politische Existenz“ des Christen, die zu seinem weltlichen Beruf gehört,
ein. Dieses christliche Plädoyer für ein politisches Engagement verbindet nicht
nur die Gläubigen aus beiden christlichen Konfessionen, sondern de Maizière
sieht darin auch eine große Chance für die Ökumene. Um diese zu stärken, gerade
mit Blick auf die christliche Verantwortung, ist es in Deutschland oft
sinnvoller, den theologischen Grundsatzstreit ruhen zu lassen, statt dessen
sollten sich die christlichen Kirchen auf ihre Gemeinsamkeiten konzentrieren,
eben ihr christliches Prinzip von Verantwortlichkeit bei der Bewältigung politischer
Probleme.
Beim politischen Engagement sieht
der Verteidigungsminister, übrigens ein überzeugter Protestant, dann auch
Handlungsbedarf bei einer Vielzahl von Christen, die die Politik als einen bloßen
Machapparat begreifen, der die wahren moralischen Werte aufs Spiel setzt und
der letztendlich einen skeptischen Blick auf den Machtapparat hervorruft. Was
bleibt ist der ethisch-moralische verantwortliche Christ, der aber ein
a-politisches Wesen ist, der Macht als nachhaltigste Gestaltungskategorie des
Politischen ablehnt.
Dieser Distanz und Skepsis gegenüber
einer Politik als Beruf plädiert de Maizière – gerade unter dem Aspekt der
christlichen Nächstenliebe und Verantwortung – für ein aktives Christentum, das
sich nicht nur einmischt, nicht nur wählt, sondern Entscheidungen trifft – und
das nicht im Reden, sondern im Tun, weil die Politik die Einflußmöglichkeiten
einer Gestaltungsnahme eröffnen, wie sie im privaten nicht möglich sind.
Nachhaltigkeit, so de Maizière, läßt sich nur im Umfeld des Politischen erzielen.
„Der Beruf“ des Politikers ist – mit Dietrich Bonhoeffer formuliert – „der Ort
der Verantwortung“, und die Gesinnung kann keine gesinnungsethische, sondern
allein eine verantwortungsethische sein, eine, die die Folgen der Handlung in
Zukunft bedenkt (Max Weber).
In Zeiten von Globalisierung,
rasanter Beschleunigung und medial-kommunikativer Vernetzung, im Zeitalter der
zunehmenden Säkularisierung, ist das christlich-politische Engagement für den
Verteidigungsminister eine gesellschaftliche Pflicht, eine Handlungsmaxime, die
sich auch der Unternehmer auferlegen muß. Und Freiheit heißt hier – ganz
hegelisch – Einsicht in die Notwendigkeit und zugleich Freiheit in der
Verantwortung.
Wohin grenzenlose Freiheit führt,
hat die Finanzkrise deutlich gezeigt, wo der Freiheit kein Korrektiv
gegenüberstand. Verantwortung muß unteilbar sein, sowohl bei Erfolg als auch
bei Mißerfolg. Daher kann es nicht sein, daß in guten Zeiten die Gewinne
privatisiert und in schlechten die Verluste verstaatlicht werden.
Gegen diese Willkürfreiheit setzt
de Maizière den christlichen Freiheitsbegriff und bekräftigt die Werte, die aus
dieser Freiheit hervorgehen. „Die Bindung an Gott verpflichtet auf den ersten
Blick, auf den zweiten macht sie frei und unabhängig.“ Daß es den christlich
unfehlbaren Politiker oder Unternehmer nicht gibt, ist auch für de Maizière
eine Tatsache, aber daß bei einer verantwortungsvollen politischen Gestaltung
christliches Denken regulierend eingreifen kann, steht für ihn außer Frage.
Gegen eine bloße anything goes
Mentalität stellt sich die Freiheit des Christenmenschen quer, weil sich der
christliche Begriff der Freiheit eben nicht auf eine bloße Willkürfreiheit
reduzieren läßt. Gerade darin erweist sich der Standortvorteil des
Christenmenschen, denn er kann die Welt aus einer anderen Perspektive
betrachten – aus seiner Bindung an Gott und aus den geoffenbarten Werten. Dieses
Unterscheiden, dieser Unterschied, macht letztendlich die höherwertige
Entscheidungsqualität der Christen aus. Dabei hilft ihnen, daß sie eine innere
Distanz zu den Insignien der Macht haben – und ihr „Glaube hilft auch unter
diesen Bedingungen, die innere Freiheit zu bejahen“. Demut im Erfolg, das
Nichtverzweifeln im Mißerfolg und das Verzeihen-Können – dies sind christliche
Werte, die diese gegenüber den Nichtreligiösen immer wieder verteidigen müssen.
Das Geschenk der Freiheit hat
aber auch Facetten, die die freiheitsliebende Gesellschaft verdrängt. Freiheit
zu bejahen, impliziert auch das Risiko zu akzeptieren, das mit dieser Freiheit
verbunden ist; die Forderung nach grenzenloser Freiheit steht daher dem
ständigen Streben nach Sicherheit gegenüber. Und mit Blick auf den
Afghanistankrieg bedeutet dies, daß ein Leben in Freiheit kein „Rundumsorglosschutz“
sein kann. Das Geschenk der Freiheit bleibt das Wagnis zur Freiheit.
Diese „Ambivalenz der Freiheit
fordert unser Gewissen zu schärfen“, Werte in konkrete Handlungsoptionen
umzusetzen, sonst bleibt jeder sozialethische Diskurs nicht mehr als bloße
Sonntagsrede. Es kommt auf den Pragmatismus an, auf die praktische Vernunft,
die sich dabei nicht bei jeder Entscheidung auf Gott berufen darf, sondern nur
dann, wenn dies plausibel zu rechtfertigen ist, denn nicht jedes Thema verdient
es, politisch oder metaphysisch aufgeladen zu werden. Wovor de Maizière also
warnt, ist der inflationäre Gebrauch vor Grundsätzlichen (Grundsatzdebatten),
denn dabei verkommt dieses zu einer bloßen Chimäre rhetorischer Beschwörung. Und
Christen sollten sich ihrerseits von diesen Grundsatzdiskussionen zurückhalten,
auch wenn es scheinbar um das „große Ganze“ geht. Ganz aristotelisch plädiert
de Maizière für die Tugenden des Maßes und der Mitte. Gerade bei
Grundsatzdiskussionen ist die Gefahr irrationaler Verhärtung fast eine zwangsläufige
Notwendigkeit, wenn es um das Festhalten des je eigenen originären Wahrheitsanspruchs
– auch mit Blick auf die Gottesfrage – geht. „Ein inflationärer Rückgriff auf
die letzte Instanz Gott verhindert vielfach Diskussionen und Kompromisse. Und
er mindert die argumentative Kraft moralischer Überlegungen, wenn es wirklich
auf sie ankommt.“ Die Berufung auf die je eigene Position sollte daher etwas
demütiger ausfallen und „nicht mit dem Ton der Selbstgerechtigkeit“. Denn es
„wäre Ausdruck von sympathieerheischenden Gutmenschentum zu den Dingen, die uns
nicht direkt persönlich betreffen, den moralischen Zeigefinger zu erheben, aber
die Frage an die ethische Qualität des eigenen Handelns gar nicht erst zuzulassen,
oder ganz pragmatisch zu entscheiden.“
Für de Maizière zeigt sich
insonderheit an sieben Maßstäben christliches Handeln in Politik und Wirtschaft:
Die christliche Entscheidung soll erstens nicht an der eigenen Betroffenheit,
sondern an feststehenden Werten gemessen werden; je mehr bei diesen
Entscheidungen der „Kern der Schöpfung“ berührt wird, desto vorsichtiger sollte
der Eingriff erfolgen. Und je „langfristiger und um so irreversibler die Folgen
des Handelns“ zweitens sind, desto gründlicher und länger sollte darüber
reflektiert werden. „Jede Entscheidung ist im Kern irreversibel“ – dessen
sollte man sich bewußt sein. Dies schließt drittens eine Verantwortung für eine
nachhaltige Politik und die Verpflichtung für die nachfolgenden Generationen
nachhaltig zu wirken mit ein. Und jedwede Handlungsentscheidung setzt viertens fundiertes
Sachwissen voraus, wie de Maizière kritisch beklagt. Was in Diskussionen oft
fehlt, ist Sachkenntnis. Ein Maßstab christlichen Handelns muß aber auch
fünftens im Prinzip der Mehrheits- und Durchsetzbarkeit Ausdruck finden; im
Vordergrund muß immer der pragmatische Aspekt stehen, daß Ideen umsetzbar sein
müssen, denn sonst verkommen diese zu leeren Worthülsen. Und viel wichtiger als
ein jeweiliger Zeitgeistdiskurs ist sechstens die Auskunft darüber, was uns
bewegt und welche Motive wir haben – die Transparenz der je eigenen Meinung und
die Aufrichtigkeit der Aussage. Erst wenn die Sachverhalte erklärt sind, ist
überhaupt eine Meinungsbildung möglich, durch die sich dann möglicherweise ein
Konsens unter den Akteuren erzielen läßt. Ein Konsens läßt sich aber nur dann
erzielen, wenn siebentens die Bereitschaft zum Kompromiß als Maßstab
christlichen Handelns hinzutritt, der weder im Relativismus noch in der
politischen Gleichgültigkeit kulminieren darf. Wie die demokratische Ordnung
feste Prinzipien und Werte benötigt, so braucht sie auch die
Kompromißbereitschaft nicht als letztes Übel, sondern als notwendigen Maßstab,
um möglichst viele „mitzunehmen.“ Konsens schließt Kompromisse ein, „denn
prinzipiell ist eine Demokratie“ auf diese und „deren positive Darstellung
angewiesen“.
Werte, so de Maizière
abschließend, selbst wenn sie „vom Himmel fallen“, müssen aufgesammelt werden
und glaubhaft vermittelt werden. Und wenn das christliche Menschenbild
„weiterhin zum gesellschaftlichen Grundkonsens“ in der Bundsrepublik zählen
soll, schließt dies ein aktives Engagement mit ein, damit dies so bleibt,
„daran aber müssen wir arbeiten“. „In der Debatte um das Verhältnis von Christentum
und Islam hat mich immer gestört, was auch gerade in unseren Kreisen immer
wieder gesagt wird, ‚Wir sind doch ein christlich geprägtes Land, wo kommen wir
denn dahin, wenn dies nicht mehr der Fall ist’, das stimmt zwar, aber es liegt
an uns, ob das so bleibt. […] Wer kann denn diese Prägung ausüben, wenn nicht
wir selbst, andere werden es nicht tun.“ Dies zu tun, ist eher eine
Anforderung, „ein Ansporn und keine Zustandbeschreibung, jedenfalls keine
Selbstverständlichkeit für die Zukunft. Daß wir ein christlich geprägtes Land
sind, mag sein, aber nur wenn wir daran weiter arbeiten und es nicht beschwören.“
Dies kann nur gelingen, wenn der Christ eine Vorbildfunktion in Politik,
Marktwirtschaft und Gesellschaft übernimmt und seine christlichen Werte zur
Grundlage des Handelns macht. Dies allerdings, so de Maizière, könnten die
Christen, die die Frohe Botschaft verkünden, etwas fröhlicher tun.
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