Erschienen in Ausgabe: No 67(9/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Benjamin Griebe
Die
Fernsehsendung „Bauer sucht Frau“ ist sicherlich manchem bekannt. Darin präsentiert
sich auch der ein oder andere ostdeutsche Bauer immer wieder gern – zur
(Schaden-)Freude eines Millionenpublikums. Weit weniger vertraut dürfte aber
vielen sein, dass der Bauernstand in Ostdeutschland noch immer von den
Auswirkungen der sozialistischen Agrarpolitik geprägt ist. Denn die ostdeutsche
Landwirtschaft in den Jahren des SED-Regimes ist auch über 20 Jahre nach dem
Fall der Mauer ein in der Breite vernachlässigtes Thema im, zugegebener Maßen,
weiten Feld der DDRAufarbeitung.
Einen
übersichtlichen aber doch facettenreichen Einstieg in das Thema eröffnet der Sammelband
Klassenkampf gegen die Bauern – Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen
Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute, der von Michael Beleites, Friedrich
Wilhelm Graefe zu Baringdorf und Robert Grünbaum herausgegeben wurde.
Darin
zeichnen Zeitzeugen, Journalisten und Wissenschaftler ein differenziertes Bild der
sozialistischen Agrarpolitik deutscher Prägung mit samt ihren Auswirkungen bis
in die Gegenwart. Im Zentrum der Analysen steht die von der SED gesteuerte und
mit allen Mitteln erzwungene Kollektivierung des landwirtschaftlichen Raumes
der Jahre 1959/60.
Eröffnet
wird der Sammelband nach dem Vorwort der Herausgeber mit einem Beitrag des
Zeitzeugen und Altbauers Manfred Probst. In wenigen Worten lenkt er die Aufmerksamkeit
des Lesers auf die Folgen der Kollektivierung – sowohl auf persönlicher
wie auch auf politischer Ebene. In Ansätzen lässt sich bereits schon hier die
Tragweite politisch gewollten Vergenossenschaftlichung des ländlichen Raumes erkennen.
Eine wissenschaftliche Einführung im klassischen Sinn unternimmt im Anschluss
Jens Schöne. Ausgehend von der Bodenreform unmittelbar nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges skizziert er die Landwirtschaftspolitik in der sich 1949 gründenden
DDR bis zur Kollektivierung 1960. Schnell wird klar: Die Umgestaltung der
ostdeutschen Landwirtschaft erfolgte nicht nach ökonomischen, sondern streng
nach politisch-ideologischen Vorgaben. „Mit ihr sollten auch die Sozialstruktur
auf dem Lande, die gewachsenen Beziehungen in den Dörfern und nicht zuletzt die Machtverhältnisse
umfassend und dauerhaft verändert werden“, schreibt der Historiker gleich zu
Beginn (S. 19f).
Auf
der Grundlage erhalten gebliebener Volkspolizei-Rapporte analysiert der
Historiker Udo Grashoff im folgenden Beitrag die Selbsttötungsrate unter der
landwirtschaftlichen Bevölkerung auf dem Höhepunkt der Zwangskollektivierung
1960. Anhand einzelner Schicksale gelingt es ihm, einen zeitlichen Zusammenhang
zwischen der erzwungenen Vergenossenschaftlichung einerseits und Selbstmorden
unter Bauern andererseits herzustellen und nachzuweisen, auch wenn die
tatsächlichen Motive der Suizidhandlungen nicht immer zweifelsfrei bestimmt
werden können. Auf einer breiteren Quellengrundlage untersucht daran
anschließend Falco Werkentin die Methoden des Klassenkampfes auf dem Land.
Ausgehend von der Bodenreform beleuchtet er die Struktur der
Landwirtschaftsbetriebe in der DDR und konzentriert sich vor allem auf die
Mittel- und Großbauernbetriebe, also diejenigen, die zwischen zehn und 100
Hektar Land bewirtschafteten. Werkentin beschreibt wie insbesondere die Großagrarier
unter dem Druck der SED in den Jahren von 1952 bis 1960 litten und wie die
Justiz als „Hebel der gesellschaftlichen Umwälzung“ (vgl. S. 49) fungierte.
Dabei geht er auch auf Möglichkeiten des Widerstandes bäuerlicher
Familienbetriebe ein, zeigt aber gleichzeitig mit welchen Schwierigkeiten
Formen des Protestes in Anbetracht der Notwendigkeit der täglichen Versorgung
von Stall und Feld behaftet waren.
Über
die Formen und Ausmaße des Widerstandes gegen die Kollektivierung gibt auch
Daniela Münkel eine Einschätzung ab. Sie richtet den Fokus auf die geheime Berichterstattung
des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an die SED-Führung und stellt
widerständiges Verhalten in allen Bezirken der DDR fest. „Alles, was nur irgendwie
dazu angetan schien, die Pläne der Vollkollektivierung zu stören, wurde der
SED-Führung zur Kenntnis gebracht“, beschreibt Münkel (S. 74), die die relative Unverblümtheit
der MfS-Dokumente hervorhebt, wodurch es ihr auch gelingt zu zeigen, wie die
Stasi im untersuchten Zeitraum ihren Einflussbereich und ihr Informationsnetz
im ländlichen Raum massiv ausbaute.
All
diese Beiträge zeigen in unterschiedlicher Art, dass die Vollkollektivierung keineswegs
freiwillig geschah – wie von der SED propagiert –, sondern nur durch massive Repression,
Erpressung und Gewalt zustande kam. Der „sozialistische Frühling“, wie die
Kollektivierung im offiziellen Parteiduktus umschrieben wurde, war menschlich
und moralisch tiefster Winter. Dass die dadurch geschaffenen Großstrukturen bis
in die Gegenwart fortwirken, zeigen die folgenden Abhandlungen. Jörg
Gerke, der selbst Bauer in Mecklenburg-Vorpommern ist, untersucht die Auswirkungen
der DDR-Agrarstrukturen auf ländliche Regionen in Ostdeutschland nach
1990. Er kritisiert die personelle Kontinuität in Landwirtschaftsbetrieben über
die Wende
hinaus. Demnach hätten ehemalige SED-Agrarkader die früheren LPG-Betriebe
übernommen, während ein Großteil der einfachen LPG-Mitglieder um ihre Ansprüche
gebracht wurde (vgl. S. 95). So konnten sich nach Gerkes Ausführungen einige
Wenige riesige Flächen sichern, die noch dazu durch die EU mit Millionensummen
subventioniert werden. Auch im nächsten Beitrag möchte Uwe Bastian deutlich
machen, dass die früheren Großstrukturen der industrialisierten Landwirtschaftbetriebe
weitestgehend erhalten geblieben sind und eine Anpassung der DDR-Landwirtschaft
an die des Westens ausblieb. Bis zu 90 Prozent der landwirtschaftlichen
Nutzfläche in Ostdeutschland, so Bastian, sei im Besitz ehemaliger
SED-Funktionäre.
Hans
Dieter Knapp thematisiert daran anschließend die Industrialisierung des
ländlichen Raumes der DDR, die er als unmittelbare Folge der Kollektivierung
beschreibt. Beides, Kollektivierung und agroindustrielle Produktion, seien Teil
eines ideologisch begründeten Gesamtsystems zur Schaffung einer Klasse der
„werktätigen Bauern“ gewesen, mit weitreichenden Folgen auf die Natur und
Landschaft im Osten Deutschlands, auf die Knapp ausführlich eingeht. Helmut
Klüter beschließt den wissenschaftlichen Teil des Sammelbandes mit einer
statistisch-orientierten Studie, die unterschiedlichste Aspekte
landwirtschaftlicher Produktion der jüngsten Vergangenheit in ost- und
westdeutschen Bundesländern in den Blick nimmt. Seine ernüchternde Bilanz:
„Eine Umstrukturierung der aus der DDR-Zeit überkommenen großbetrieblichen
Landwirtschaft hat bisher kaum stattgefunden. […] Große Teile der
Landwirtschaft […] sind regionalwirtschaftlich unproduktiv.“ (S. 154) Eine
Position, die auch Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im abschließenden Nachwort
vertritt.
Insgesamt
vermittelt das Buch damit einen facettenreichen Überblick zur Landwirtschaft in
der DDR. Die historischen Entwicklungen zwischen dem Bau der Mauer
1961 und der Friedlichen Revolution 1989 geraten zwar etwas aus dem Blick. Stattdessen
beleuchtet der Sammelband verstärkt unterschiedliche Perspektiven der Kollektivierung
und bietet darüber hinaus auch Ansätze, das Thema stärker in der politischen
Bildung zu verankern: Zum Beispiel anhand von Einzelschicksalen (Grashoff),
MfS-Akten (Münkel) oder den Dokumenten, die im Text von Werkentin abgedruckt
sind. Schade ist jedoch, dass das Buch für Leser, die sich im Anschluss an die
Lektüre noch ausführlicher mit dem Thema befassen wollen, keine beigefügte Auswahlbibliografie
bereit hält. Deutlich wird aber, dass die sozialistische Umgestaltung der
landwirtschaftlichen Produktion in der DDR auch nach über 20 Jahren
Deutscher Einheit Fragen an die heutige Gesellschaft stellt. Die Herausgeber fordern
darüber eine breite öffentliche Debatte.
Klassenkampf
gegen die Bauern. Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft
und ihre Folgen bis heute, herausgegeben von Beleites, Michael; Graefe zu
Baringdorf, Friedrich Wilhelm; Grünbaum, Robert, erschienen im Metropol Verlag,
Berlin 2010.
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