Erschienen in Ausgabe: No 66 (8/2011) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Stefan Groß
Scheitern als Prinzip, so könnte man das Leben des 1777 in
Frankfurt an der Oder geborenen Heinrich von Kleist prägnant umschreiben. Dabei
hatte der Dichter die besten Voraussetzungen für eine gesellschaftliche
Karriere; der Aufstieg in die etablierten Kreise der damaligen Gesellschaft
schien ihm in die Wiege gelegt. Doch schon frühzeitig verspürte er Unbehagen am
Militärdienst und fühlte sich zu Philosophie und Experimentalphysik hingezogen.
Seit seiner frühesten Jugend war Kleist ein Reisender, umtriebig und stets
erfüllt von der Suche nach dem wahren Glück. Doch so sehr der Dramatiker dies alles
begehrte, es sollte ihm bis zu einem Freitod am 21. November 1811 nicht zuteil
werden.
Und immer wieder scheiterte Kleist grandios, der ewige Ruhm,
nach dem er verlangte, blieb ihm versagt, während Goethe und Schiller in Weimar
Erfolge feierten. Mit seinen journalistischen Unternehmungen, dem „Phöbus“ und
den „Berliner Abendblätter(n)“ ging er, übrigens als einer der ersten
Journalisten mit einer Tageszeitung, pleite. Das Unbehagen an der Gesellschaft,
der beständige Kampf um die Existenz – dies alles hat ihn letztendlich die
Philosophie des Schönen Scheins, die noch für Schiller die wahrhafte Idee der
Klassik sein sollte, verleidet. An eine Erlösung und eine Erziehung durch die
Kunst – davon war er als Realist weit entfernt. Eher war es das Fragmentarische
und Bruchstückhafte, das ihn interessierte, das Leben mit seinen ewigen
Abgründen und absurd-menschlichen, allzumenschlichen Dramatiken.
Das Brüchige, das Disparate, macht letztendlich auch seine
Helden aus, die nicht frenetisch über ihren Alltag gebieten, die sich nicht als
intellektuelle Weltbeherrscher verstehen; Kleist blieb als Skeptiker der große
Moralist. Und das Prinzip dieser Existenz war das Scheitern, die Isolation und
der beständige Kampf gegen die Intrige, das ständige Aufbegehren gegen die
weltliche und menschliche Ordnung, das immerwährende Anstreiten gegen das
spießbürgerliche Leben. Lieber zu Grunde zu gehen, als sich der „Prosa der
Verhältnisse“ unterzuordnen. Anstelle von idealischer Schönheits- und
Harmoniesehnsucht tritt die Begierde des Wettkampfs, statt selbstzufriedenem
Glück, das nur Episode sein konnte, feiert Kleist den Rausch der Existenz, die
sich allein in Kampf und Krieg bewährt.
Was Goethe einst am Dramatiker Kleist kritisierte, jene Verwirrung der Gefühle, bringt aber dem Frankfurter
Adligen im 21. Jahrhundert gerade wieder Sympathien ein – er wird gelesen, eine
Vielzahl von Biografien sind mittlerweile erschienen. Und bei fast allen zeigt
sich – Kleist bleibt ein Geheimnis. Aber gerade für den heutigen Leser erweist
sich Kleist als ein prägnanter Analytiker der gesellschaftlichen und
individuellen Disharmonien. Er rückt das Leiden des Subjektes in den
Mittelpunkt, das zwischen bürgerlicher Welt und je individuellem Lebensentwurf
hin- und hergerissen ist, das beständig auf der Suche nach seinem Ich ist, und das
statt Geborgenheit nun wie Sisyphus beständig die Steine des
Immergleichen rollen muss, um aus diesem Tun möglicherweise Sinn und Glück zu
beziehen. Kleist destruiert die Welt, und der tut dies wie das zerbrechliche
Ich im postmetaphysischen Zeitalter – der Sinn bleibt der beständige Kampf, er
allein verleiht der Existenz – bei aller Absurdität – jenes Mindestmaß an
individueller Würde. Kleist seinerseits ist an den Verhältnissen seiner Zeit
gescheitert, der Suizid am Wannsee die für ihn einzig möglich erscheinende Konsequenz.
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