Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Shanto Trdic
Darf man das derzeitige
diplomatische Geplänkel zwischen der Türkei und Israel als peinliche bilaterale
Posse werten oder zeichnet sich zwischen zwei führenden Regionalmächten ein
Schlagabtausch ganz anderen Kalibers ab? Folgt einer ´Eiszeit´, der die
geifernden Gazetten das eilige Wort blökten ein heißer Herbst oder steht am
Ende doch wieder milderndes Tauwetter an? Fest steht: Ankara lässt immer öfter
die Muskeln spielen und empfiehlt sich zunehmend forsch als grollender
Schutzmächtling, dem die Krisenherde vor der eigenen Haustür und im näheren
Umfeld gerade recht zu kommen scheinen, um das eigene Renommee aufpolieren zu
können. Derlei Tiraden sind zwar nichts wirklich Neues, doch setzte Ankara
seine außenpolitischen Ambitionen noch in den Neunzigern eher dezent und betont
bündnistreu um; so auf dem Balkan, im Krisengeschüttelten Kosovo. Die Regierung
Erdogan hat mit dieser Politik längst gebrochen und spielt sich neuerdings recht
ungeniert als Vorhut einer pan-muslimischen Erweckung auf. So in Worten und auch
Taten.
Was denn die Nato eigentlich in
Libyen verloren habe, wollte anlässlich des ohnehin fragwürdigen Kampfeinsatzes
das amtierende türkische Staatsoberhaupt wissen. Die Fangfrage klang fast so,
als habe das Nato-Urgestein mit der ´Allianz der Ungläubigen´ nur mehr peripher
etwas zu tun. Sicher wurmte Erdogan, das ausgerechnet sein europäischer
Gegenspieler, der kecke Sarkozy, auf nordafrikanischem Terrain so forsch und
unvermittelt vorpreschte und gleichsam eigene, kaum abgestimmte Interessen
durchsetzte. Auf die arabische Liga kann die Türkei schon aufgrund historisch
gewachsener Ressentiments nicht bauen; in der arabischen Welt wurde und wird der
staatliche Nachfolger des osmanischen Reiches mit höchstem Misstrauen beäugt. Erdogan
glaubt dennoch, das eine Beilegung der Konflikte in den Einflußgebieten des
´dar al islam´ einzig Sache der ´Rechtgläubigen´ sei. Und eine wie auch immer
gewürfelte Allianz will sich dieser strenggläubige Moslem nur unter dem Banner
der Türkei vorstellen, die wie selbstverständlich dazu berufen sei, das ständige
Szepter zu führen. Türkischer Nationalismus und koranische Unfehlbarkeit
gehören auch für ihn zusammen, da unterscheidet er sich kaum von seinen
Vorgängern im Amte. So wundert man sich nicht, dass der Ministerpräsident immer
öfter mit hehren Ratschlägen hausieren geht, wiewohl sie den Gemaßregelten
längst zum Hals heraushängen, weil die dem Druck der Straße zunehmend hilfloser
gegenüber stehen und zu den letzten Mitteln greifen, die im Orient Chaos und
Anarchie im Zaum zu halten vermögen. Die noch amtierenden Würdenträgern im
benachbarten Syrien sind ja längst des Teufels, gegen sie wird gewettert, was
das Zeug hält, die Gazetten überschlagen sich in ihren Anklagen, aber das
hindert den türkischen Ministerpräsidenten nicht, noch eins drauf zu setzen und
den ´Kollegen´ kluge Ratschläge in Sachen Menschenrecht und Demokratie mit auf
den Weg zu geben; immer in höfliche, aber bestimmt vorgetragene Floskeln
verpackt, immer betont staatsmännisch; stets von oben herab. So weit geht die
Realsatire im Falle Israel-Gaza zwar nicht, dennoch muss man die aktuellen
Ausführungen des türkischen Außenministers („Es ist Zeit, das Israel einen
Preis zahlt“) schon ernster nehmen, da sie das übliche Prestigegehabe einer
vermeintlichen Großmacht unweigerlich konterkarieren. Frage: Weiß die Türkei
wirklich, mit wem sie sich da anlegt? Ihr zunehmend strotzendes, stündlich
wachsendes Selbst, - und Sendungsbewusstsein hat die regierende AKP in den
letzten Wochen und Monaten zwar zu genüge unter Beweis gestellt, aber das waren
recht unverbindliche Tiraden; billig zu haben. Auch die Ausweisung eines
Botschafters wird diesen Staat nicht teuer zu stehen kommen, das Einfrieren sämtlicher
militärischer Abkommen schadet indes schon sehr viel mehr. Gewisse emotionale
Gefühlslagen lassen sich auf dem Wege antizionistischer Propaganda verlässlich
aktivieren, das ist bekannt, aber was nützt das der Türkei, käme es wirklich
einmal zum Äußersten? Ihr Interesse kann nur strategisch motiviert sein, doch
jede Strategie läuft ins Leere, misst sie die Grenzen falsch aus. Die
amtierende türkische Regierung, durch innenpolitische Erfolge nahezu
euphorisiert, in echter Aufbruchstimmung befindlich, scheint langsam jedes Maß
zu verlieren, wiewohl sie, außenpolitisch, bislang recht klug auf die
Zerrissenheit und Kurzlebigkeit nahezu sämtlicher staatlicher Allianzen baute,
die für sie von irgendeinem Interesse sind. Diesen Erosionsprozess beobachten
wir ja ständig, seit das verlässliche Ost-West-Gefüge auseinanderbrach und letzte
Reste staatlicher Souveränität der sogenannten Blockfreien keinen Grund mehr besaßen.
Die meisten von ihnen fallen seither ins Bodenlose.
Die Levante gerät zunehmend aus
den Fugen. Dies berührt Israels Interessen auf ganz unterschiedliche Weise. Natürlich
ist es ein Leichtes, kurzfristig zu punkten, wenn man gewisse Ränke vollführt
und sie so geschickt verpackt, das der kurze, knappe Applaus nicht lange auf
sich warten lässt. Wie gesagt: ein dankbares Publikum findet jeder, der das zionistische
´Apartheidregime´ offen anprangert und mit der Keule der Humanitas hausieren
geht. Umso dezenter lässt sich natürlich der Judenstaat selbst vernehmen. Israel
hoffe, so heißt es, dass beide Staaten „zu der Zusammenarbeit zurückkehren, die
der Eckpfeiler der regionalen Stabilität war“. In Wahrheit ist diese regionale
Stabilität, sämtliche tumultöse Tendenzen in der muslimischen Welt
eingerechnet, längst Geschichte. Die Türkei spielt mit dem Feuer, wenn sie auf
den Flächenbrand setzt, der weite Teile der arabischen Welt erfasst hat. Mögen
die Regime der Assad, Gaddafi oder Salih wie morsche Fundamente weg brechen und
im Feuer der Erhebung lichterloh brennen: Israels Grundpfeiler sind noch aus anderem
Holz geschnitzt. Wer hier allzu forsch zündelt, kann leicht eine Stichflamme
entfachen; am Ende das Inferno selbst. Der Staat Israel mag demografisch längst
ins Hintertreffen geraten sein und den angestammten Kampfgeist der Gründerzeit
eingebüsst haben: sein Existenzrecht wird er sich nie abkaufen lassen. –
Noch ein paar Bemerkungen zum
Thema Völkerrecht, von dem in diesem ´Konflikt´ so vordergründig (und gewohnt
konform) die dauernde Rede ist. Das der Untersuchungsbericht der UN
ausdrücklich das Vorgehen beteiligter Sicherheitskräfte gutheißt, wird im
Orient die üblichen Verschwörungstheorien anheizen und den ´Gutmenschen´ im
Westen einmal mehr beweisen, dass Israel wie stets bevorzugt behandelt würde;
immer, immer auf Kosten der Palästinenser, die aber auch in diesem speziellen
Fall die geringste Rolle spielen, denn sie waren und sind den Anheizern stets nur
Mittel zum Zweck gewesen, um gegen den Judenstaat Stimmung zu machen. Das
wissen sie längst selbst, und ihre Funktionäre haben sich auf bewährte Weise
darauf eingestellt, um ihrerseits Kapital draus zu schlagen. Nein – darum geht
es nicht. Die ´Weltorganisation´ ist so zahnlos wie ein frisch geschlüpftes,
klapprig tatterndes Füllen und ihre jeweiligen Verlautbarungen werden zur
Kenntnis, kaum je ernst genommen. Was in diesem Falle verblüfft, ist doch der
Umstand, wie unwidersprochen die Öffentlichkeit akzeptiert, das ausgerechnet der
türkische Staat den Juden vorwirft, bei der Erstürmung einer ´humanitären
Flotte´ das Völkerrecht gebrochen zu haben. Klingelt´s? Stellen sie sich
Folgendes vor. Das türkische Militär ist erneut im kurdischen Aufstandsgebiet
unterwegs und ebnet, wie üblich, ein Dorf nach dem nächsten ein; dutzende
zivile Opfer eingeschlossen, was eine Bekämpfung rabiater Guerilla zwangsweise
nach sich zieht, ob der brave Westen das nun kapiert oder nicht. Anders geht es
kaum. Was mag nun diesem neuerlichen Gemetzel vorangegangen sein? Welche
Provokationen hatte der türkische Staat wieder einmal zu erdulden, um
solcherart zuschlagen zu müssen? Man könnte auch fragen, warum er den Kurden
noch nicht jene quasi-staatliche Souveränität zukommen ließ, die den
Palästinensern in Gaza just immer weniger bekommt, weil die von ihr gewählte
Hamas sich so gar nicht an irgendwelche Spielregeln halten möchte und ständig
fiese, kleine Raketen in Richtung Israel abfeuert, um die Party bei Laune zu
halten. Natürlich bräche der türkische Staat komplett auseinander, bekämen die
Kurden ihren Staat, und bei der
Gelegenheit wäre die gesamte Nachbarschaft in der Region zusätzlich
bluttriefend involviert. Aber egal. Was man den Juden vorwirft, kann man, da es
derzeit wieder gegen sie geht, den
Türken niemals zum Vorwurf machen, und es lohnte auch kaum, den kemalistisch
geprägten Generalsstab zu konsultieren um einmal nachzufragen, wie er denn
reagieren würde, fiele eine agitatorisch gestimmte ´Hilfs-Lobby´ ins ´wilde Kurdistan´
ein, um den Entrechteten, den Staatenlosen zur Hilfe zu kommen (die, nebenbei
bemerkt, kaum Bruchteile der Zuwendungen erhalten, die man den Palästinensern
in Gaza zukommen lässt).
Lassen wir das. Die so ausdauernd
wie ermüdend beschworene Humanitas gehörte eigentlich, als Pfund mit dem sich
wuchern lässt, an die Börse: auch sie hat ihre wechselnden Konjunkturen und wer
richtig setzt, lässt andere draufzahlen.So wird denn die derzeitige Offensive in den kurdischen Unruheregionen
nicht einmal beiläufig zur Kenntnis genommen. Alle Welt blickt jetzt nach
Libyen und feiert mit der ´Befreiungsfront´ so richtig um die Wette. Sonderlich
human geht es vor Sirte derzeit sicher auch nicht zu, aber das kann niemanden
so recht bekümmern: die Rechnung wird auch hier, wie so oft, mit einiger Verzögerung
nachgereicht.
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