Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Norbert Lammert
Herr
Bundestagspräsident, geht es mit der deutschen Sprache bergab?
Dies wäre mindestens zu pauschal, aber richtig ist, dass sich
der Stellenwert der deutschen Sprache sowohl mit Blick auf den allgemeinen
Sprachgebrauch der Weltgemeinschaft als auch im Blick auf den Stellenwert von
Deutsch als Wissenschaftssprache in den letzten Jahren verändert hat, und dass
er heute zweifellos nicht mehr die Bedeutung hat, wie es früher, insbesondere
im Wissenschaftsbereich, jahrzehntelang der Fall war.
Welche Rolle spielt
die Politik beim Thema Globalisierung der Sprache?
Sie spielt eine Rolle, aber nicht die einzige – und auch
nicht in allen Fällen die ausschlaggebende Rolle. Dass es etwa im Bereich der
Wissenschaft die Veränderungen gab, die es gegeben hat, hängt neben objektiven
Faktoren auch mit dem subjektiven Übermut vieler deutscher Wissenschaftler
zusammen, die auf in Deutschland stattfindenden Konferenzen – bei einem meist
überwiegend meist deutsch sprechenden Publikum – gleichwohl insbesondere ihre
Fremdsprachenkenntnisse spazieren führen wollen, und dass wir teilweise auch für
Forschungsprojekte von den Wissenschaftsinstitutionen als Teilnahmebedingung Projektanträge
in Englisch erwarten, gehört aus meiner Sicht zu den Übertreibungen, die zwar
in die Autonomie der Wissenschaften gehören mögen, aber nicht zur Stärkung von
Deutsch als Wissenschaftssprache geeignet sind.
Mehrsprachsprachlichkeit
versus deutsche Sprache als Merkmal nationaler Identität – wie ist dies zu
vereinbaren?
Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen. Wir
haben natürlich und müssen ein Interesse an Mehrsprachigkeit haben, die Schulen
müssen sich heute noch mehr als das vor einer oder zwei Generationen notwendig
war, um die Vermittlung von Sprachkompetenz bemühen, weil in einer globalen
Welt, allein in einem vielsprachigen Europa, Sprachkompetenz eine wesentliche
Voraussetzung für Mobilität und für beruflichen Erfolg ist. Aber zu glauben,
das ließe sich durch die fröhliche Vereinbarung am ehesten sichern, dass alle
Englisch sprechen, verkennt die Präzisionsanforderungen, die an Sprache im beruflichen,
im technischen und ganz besonders im wissenschaftlichen Bereich gerichtet
werden. Auch und gerade bei Wissenschaftlern ist in aller Regel die Fähigkeit
sich in einer anderen Sprache als der Muttersprache so präzise auszudrücken wie
es wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, eben doch nur in sehr engen Grenzen zu
beobachten. Deshalb liegt es auch im Interesse der Wissenschaft, dass wir die
Mehrsprachigkeit und die Aufrechterhaltung der Sprachkompetenz in den
jeweiligen Nationalstaaten sichern.
Ist es sinnvoll
Deutsch als Landessprache in der Verfassung der Bundesrepublik zu verankern?
Nach meiner Überzeugung ist es ganz sicher sinnvoll. Davon
hängt nicht unsere Bemühung zur Förderung der Sprache ab, aber es würde den
Stellenwert, den Sprache für nationale Identität und für das Selbstverständnis
dieses Landes nach innen und nach außen hat unmißverständlich markieren. Und im
Vergleich zu vielem anderen, was in der Verfassung steht, und bei dem man
mindestens auch darüber streiten kann, ob es unbedingt in die Verfassung
gehört, hat die Sprache eine Bedeutung und einen Rang, der eine solche
Berücksichtigung in der Verfassung sicher rechtfertigt.
Herr Prof. Dr. Lammert, herzlichen Dank für das Interview,
das Dr. Stefan Groß führte. Das Gespräch fand im Anschluß an einen Vortrag des
Bundestagspräsidenten in der Hanns-Seidel-Stiftung in München statt. Dort
diskutierte Prof. Lammert mit Staatsminister a.D., Dr. h.c. mult. Hans
Zehetmair.
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