Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Emilio Carlo Corriero
Einleitung
Das Un-vernünftige des Willens als Prinzip der Philosophie setzend,
gelangen sowohl Schelling wie auch Nietzsche – wenn auch auf verschiedenen
Wegen – zu einem gemeinen Scheitern. Dieses zeigt sich einerseits, bei
Schelling, nach den Untersuchungen über
das Wesen des menschlichen Freiheit (wo das Thema des Willens die
ursprüngliche Freiheit und ihre wesentliche Unsystematischkeit erleuchtet), als
die Unmöglichkeit ein vollständiges System des Wissens zu definieren; bei
Nietzsche, anderseits, als die unüberwindliche Schwierigkeit sein
systematisches Werk, den Willen zur Macht
(d.h. das Projekt der ‚Übermachtigung’ des idealistischen Willens, die als die
absolute Freiheit des Ursprungs endlich gelesen werden soll) zu fassen.
Schelling musste am Werke scheitern, weil die Fragestellung bei dem
damaligen Standort der Philosophie keinen inneren Mittelpunkt zuließ. Auch der
einzige wesentliche Denker nach Schelling, Nietzsche, ist an das aus dem
gleichen Grunde. Aber dieses zweimalige große Scheitern großer Denker ist kein
Versagen und nichts Negatives, im Gegenteil. Das ist das Anzeichen des
Heraufkommens eines ganz Anderen, das Wetterleuchten eines neuen Anfangs. Wer
den Grund dieses Scheiterns wahrhaft wüsste und wissend bewältigte, müsste zum
Gründer des neuen Anfangs der abendländischen Philosophie werden[1].
Wie Martin Heidegger vorschlagt, wird der neue Anfang der abendländischen
Philosophie aus der Analyse dieses gemeinen Scheiterns entstehen können. In dem
vorliegenden Ausatzt werden die Ergebnisse der Philosophien Schellings und
Nietzsches untersucht, um den Kern des Willens, der in absolute Freiheit
endlich sich verwandelt, zu fassen. Die Freiheit hält allem Versuch stand das
Ganze in einem vollständigen und definitiven System des Wissens anzufüllen, und
sie kann einen immer neuen Anfang für die Philosophie verbürgen.
Tod Gottes und Ungrund.
Der nietzschesche Tod Gottes, wenn aus einer ontologischen Perspektive
gelesen wird, stellt einen Raum heraus (aus welchem das Sein als Setzung seinen
Ursprung hat), der die Metaphysik und ihre Geschichte begleitet. Der Tod Gottes
ist, in der Tat, der unvermeidliche Ausgang, zu dem das metaphysische Denken durch
ein nötiges Streben nach einem Vergessen des Ursprungs seit jeher gelingt; eben
dieses Vergessen hat das Sein der Logik und endlich die letzte Lüge Gottes als
Grund (des höchsten Seins als Grund) ermöglicht.
Dass Gott tot ist, ist nur eine Banalität, die die Leute des Markts, denen
sie von dem tollen Mensch verkündet werden, überraschen nicht kann: das Heilige
hat seinen Wert verloren, es hat sich vor der Zeit ergeben, und die Lüge Gottes
hat ihre Nemesis in dieselben Grundsätzen, die sie schuf. Freilich, jenseits
dieser banalen Verkündung, gibt es eine Meldung, für die nur wenige Augen
haben: der Tod Gottes hat einen unergründlichten Raum enthüllt, einen werdenden
Abgrund, auf den man stehen nicht kann, und der die Setzung einen neuen Grund
erfordert, auf den eigen Schritte tun zu können.
Die Leute des Markts kennen den Tod Gottes aber darum kümmern sie sich
nicht, da sie ihren metaphysischen Grund in anderem gefunden hat (der falschen
Subjektivität des Individuums, der erscheinenden Realität des Objekt, usw.).
Freilich hat die Entwicklung, die den Mensch des Markts in die ‚Gelassenheit’
Gottes geführt hat, kein Bewusstsein des Abgrunds erfahrt. Der tolle Mensch,
dagegen, kennt jenen Raum jenseits des Grundes, kennt jenes Nichts jenseits des
Seins; er weißt, dass mit einem tragischen Momente zu tun hat, der die Abgründlichkeit
des Alls und sein ewig werdendes Charakter enthüllt. Seine Auskunft hat die
Stimme des Wahnsinnes, eine Stimme, die keine Zuhörer haben kann.
Der Tod Gottes kommt als notwendige Entwicklung der Geschichte der
Metaphysik an, und der Nihilismus ist paradox ein Moment der selben Geschichte
des Seins: die Entwicklung einer Bewegung, die schon zum Tode verurteilt
geboren wird, weil sie schon in sich ihre Negation hat. Gott ist als höchster
Ausdruck des Seins (als Grund des Seins) zu verstehen: dieses Sein, das auf die
Entfernung des Nichts geboren wird (d.h. auf das metaphysische Bedürfnis der
Festigkeit), macht die Bearbeitung des ursprünglichen Abgrundes des Chaos in
einen denkbaren menschrechten Kosmos. Freilich, eben auf dem Weg von der Metaphysik
festgelegt, zeigt eine unterirdische Bewegung – auf die Befreiung von der Lüge
des Seins gerichtet – ihre unlösbare Widersprüche. Dies verstand Schelling,
noch vor Nietzsche, als Ergebnis der Philosophie wenn sie aber nur negativ sein
will. Allein, da Schelling das ursprüngliche Un-vernünftige als von der freien
Entscheidung des Gutes immer schon besiegt verstand, setzte er sich auf diese Weise
jenseits des Nihilismus. Ebenso, nach Nietzsche, meldet der Tod Gottes das
Scheitern des Ideales – also der höchsten Form der vernünftigen Philosophie –
und die folgende nihilistische Drift, aber, zugleich, ein positives Nihilismus
von einem negativen unterscheidend, wirft Nietzsche seine Philosophie des Vormittags jenseits des nihilistischen Abgrundes
und er leget die Überwindung der Moderne und ihres philosophischen Projekts,
das in einer in sich das Reale aufzufassen fähigen Vernunft glaubte.
Das dialektische Denken, das als das Bestreben der negativen Philosophie
gilt, die Widersprüche der Systemen in sich aufzufassen, führt an die Negation
von sich selbst und so zeigt es einen Bruch zwischen Sein und Denken, der die
Grundfrage wieder aufwirft: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr
Nichts?
Gott, als „das Eine, das Volle, das Unbewegte, das Satte und das
Unvergängliche“ ist der notwendige Ausdruck des Seins, aber er ist keine letzte
Voraussetzung und kein Anfang: der Tod Gottes – geschichtlich gereift – sagt ja
eindeutig die Geburt Gottes in der Zeit. Die Setzung des Seins, und dann des
Gottes, entspringt aus dem Bestreben das Chaos des Alls (des ursprünglichen
Seins) zu verhüllen. Der Tod Gottes wirft den Mensch in dem Abgrund («Gibt es
noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches
Nichts?»; KSA[2], III/481), in dem
Ungrund, der dem Sein als Grund immer vorausgeht, ohne seine Ursache zu sein,
sondern als das durchaus Andere, das die Möglichkeit in sich hat, mit dem Sein
anzufangen oder nicht. Zwischen dem Chaos des Alls und dem Sein der Logik, gibt
es denjenigen Ursprung, den Schelling in dem Übergang zwischen der negativen
Philosophie und der positiven fand, zwischen dem Ursein und Gott: es gibt kein
logisches Verhältnis zwischen dem Ursein und dem Sein als Grund. Nietzsche will,
dass man jedes mögliche Unbedingte ausgeschlissen wird, aber es ist zu deuten,
dass Nietzsche an das von dem Bedingte abteilbare Unbedingte denkt. Bei
Nietzsche kann man die Anwesenheit eines Abgrundes erkennt, das dem Sein vorausgeht,
und der Tod Gottes stellt das Sich-Zeigen und das Sich-Verstecken dieses
Ursprungs dar.
Das Sein hat den Anfang versenkt, und daher hat sich in ein Seiende
verwandelt müssen, d.h. das Seiende par
excellence: Gott. Er wurde der letzte Grund, aus dem alle Dinge stammen.
Freilich ist Er die notwendige Hypothese des Willens der Festigkeit, der von
dem All einen Teil in der Zeit isoliert hat (ihm die Erscheinung des Alls
gebend) und dann – als in die Zeit gekommt – stirbt er, wie alles, was in die
Zeit kommt, stirbt. Der Tod Gottes stellt auch das Sich-Erschöpfen der
Dialektik dar, die die Viele aus dem Eine ableitet, die das Bedingte mit dem
Unbedingten zusammenfasst, derer höchster Ausdruck von der Logik Hegels
dargestellt wurde.
Sowohl Schelling wie auch Nietzsche denken, dass der hegelianische
Zusammenfall von Logik und Realität zu überwinden ist. Nach Schelling habe
Hegel, mit dem äußerste Bestreben der Dialektik, logisch wahre Verhältnisse in
wirkliche Verhältnisse verwandelt; in der Tat, wenn der Begriff alles ist, und
wenn er nichts außer sich verlasst, ist Gott nur eine Bewegung des Begriffes,
d.h. der Begriff selbst. Schon in Philosophie
und Religion (1804) schließt Schelling die Möglichkeit eines logischen
Übergangs zwischen dem Endlichen und dem Absoluten aus: «Vom Absoluten zum
Wirklichen gibt es keinen Übergang, der Ursprung der Sinnenwelt ist nur als ein
vollkommenes Abbrechen von der Absolutheit, durch einen Sprung, denkbar» (SW[3], VI/38).
Was nach Hegel durchaus gilt, gilt es nach Schelling nur als Ergebnis der
negativen Philosophie, die keinen Übergang des notwendigen Seins in die
Existenz allerdings erklären kann. Es handelt sich um das Problem des Übergangs
von der negativen Philosophie in die positiven, der kein logischer Übergang ist
und der nur als unableitbarer Sprung beschrieben werden kann. Die negative
(oder vernünftige) Philosophie gelangt zum äußersten Punkt, wo die Vernunft
selbst zugeben muss, dass sie alles, außer ihrem Prinzip (der Abgründlichkeit
ihrer Existenz), ableiten kann. Sie gelangt zu der Idee Gottes als notwendiges
Sein, aber bleibt sie auf der Schwelle der bloßen Existenz, der absoluten
Freiheit, stehen.
Wäre uns Gott ein bloß logisches Abstraktum, so müsste dann auch alles aus ihm
mit logischer Notwendigkeit folgen; er selbst wäre gleichsam nur das höchste
Gesetz, von dem alle ausfließt und Bewusstsein davon (SW, VII/394).
Man kann von Gott sprechen, nur wenn man seine Existenz schon zugibt, und
man kann von Gott mit der Sprache der Philosophie
der Mythologie und der Philosophie
der Offenbarung sprechen, wo die Momente der Geschichte als Geschichte der
absoluten und noch nicht entschiedenen Freiheit erzählt werden.
In den Untersuchungen über das Wesen
des menschlichen Freiheit, behauptet Schelling, dass man die Existenz von
dem Grund der Existenz (auf dem auch die Existenz der Dinge gründet, die von
Gott unterschieden aber nicht außer ihm sind) unterscheiden muss.
Schelling unterscheidet hier zwischen dem Wesen «sofern es existiert und
dem Wesen es bloß Grund von Existenz ist» (SW, VII/357), und er erklärt wie es
(vor dem Grund und vor der Existenz und dann vor aller Dualität) einen Ungrund,
besser, einen Urgrund geben muss, der allen Entgegensetzungen vorausgeht, und
der nicht als Identität, sondern als Indifferenz verstanden werden soll. In
dieser Indifferenz (Gleichgültigkeit) des Urseins findet Schelling das Wollen
(„Wollen ist Ursein“): ein Wollen, das auch
als Wille der Liebe die Entgegensetzte endlich verbindet.
Der Ungrund teilt sich aber in die zwei gleich ewigen Anfänge, nur damit
die zwei, die in ihm, als Ungrund, nicht zugleich oder Eines sein konnten,
durch Liebe eins werden […]. Darum so wie im Ungrund die Dualität wird, wird
auch die Liebe, welche das Existierende (Ideale) mit dem Grund zur Existenz verbindet.
Aber der Grund bleibt frei und unabhängig von dem Wort bis zur endlichen
gänzlichen Scheidung (SW, VII/408).
In den Notizen für die Vorbereitung der Vorlesung über die Untersuchungen
Schellings, stellt Martin Heidegger den Willen zur Macht Nietzsches und den
Willen der Liebe Schellings nebeneinander. Hier sieht er eine tiefe
Unterscheidung, die, meiner Meinung nach, durch eine weitere Auslegung des
Willens zur Macht Nietzsches aufgehoben werden kann.
Wie ich in meiner Dissertation[4]
gezeigt habe, unterscheide ich den Willen zur Macht in zwei Momente 1) dem
apollinischen und 2) dem dionysischen. Der apollinische Wille zur Macht ist verantwortlich
für die Scheidung zwischen dem Sinnliche und dem Übersinnliche, und er wird von
dem dionysischen Willen zur Macht überschritten, der die Scheidung (von Plato
historisch schon vollendet) zum Urein
zurückbringen will.
Während der Basel-Zeit beschreibt Nietzsche das Dionysische (aber wir können
auch von der Keimzelle der dionysischen Gestalt des Willens zur Macht sprechen)
als den abgründlichen Grund des Urwesens.
Auch durch die ständige Lektüre der Werke Schopenhauers wird dieses
dionysische Urwesen als Wollen (und dann als Wille zur Macht) bald beschrieben.
Aber derselbe Urwille, den wir schon auch Wille zur Macht nennen können, ist
zugleich eine Form Willens der Liebe, da er die Scheidung des Urwesens zuerst
bestimmt, und dann, sofort, bestrebt er nach der Vereinigung: und ist diese
Liebe, die man vor allem in Also sprach
Zarathustra findet, vielleicht nicht dieselbe Gestalt der Liebe, die im
Grund des Seins Schellings liegt?[5]
Der Tod Gottes zeigt den Abgrund des Urseins historisch (d.h. in der
Geschichte des Seins) und er bringt zu einem ursprünglichen Willen zur Macht
zurück, in dem alle Unterscheidungen in der Liebe zum Alles sich auflösen. Nach
dieser Auslegung werfen sich Nietzsche und Schelling auf die Spitze der
Rationalität, wo man den Anfang als von jedem ‚logischen’ Band frei denken
kann. Beide gelangen zum Äußerste, wo sie den Anfang denken können; beide
gelangen zu dem kantischen „Abgrund der menschlichen Vernunft“, von welchem
Kant zurückzog, und beide denken den Anfang von dem ‚Grund’ der Freiheit, auf
dem einen neuen abgründlichen wirklichen (und nicht mehr nur krono-logischen) Anfang möglich ist.
Es ist sicher nicht zufällig die gemeine und wirksame Anwendung an dem
Mythos Dionysos, das beide (durch Zagreus, Baccus und Iaccus) als eine
theogonische Entwicklung beschreiben. Sowohl Schelling wie auch Nietzsche lesen
die Figur des dritten Dionysos Iaccus als den Vorläufer des neuen zukünftigen
Anfangs, den Schelling mit Jesus identifiziert, während Nietzsche mit dem Übermensch. Jedenfalls ziehen beide von
dem philosophischen Projekt der Modernität zurück, nach dem der Wert von dem novum zugeben werden muss, weil der neue
von Dionysos versprochene Anfang als kronologischer (in der Form einer solchen Geschichtsphilosophie bestimmt) Übergang
nie sich vorstellt, sonder er ist immer jenseits des Projekts der Geschichte
des Seins. Dionysos ist diejenige äußerte Figur einer neuen Möglichkeit des
Seins und seiner Geschichte, die nicht mehr aus einem logischen Grund, sondern
in seiner ständigen Krisis
(Scheidung), in einer Form von Ontologie der Krisis zu denken ist.
Ursprung der Vernunft.
Auch wenn die Logik (wie Nietzsche sagt) oder die negative Philosophie (wie
Schelling sich ausspricht) können nicht die Spitze ihrer Rationalität ableiten,
weder Nietzsche noch Schelling denken, dass die vernünftige Philosophie nicht
notwendig ist.
In dem Aphorismus des Willens zur
Macht, der den Kapitel über die Entstehung
von der Vernunft und Logik beschließt und die Rede Nietzsches über die
Vernunft sehr wirksam zusammenfasst, behauptet man, dass die Vernunft keine
notwendige Offenbarung des Allgemeinen ist, sondern etwas Bedingtes und
Positives zu dem Seienden angewandt:
Grundlösung. – wir glauben an die Vernunft: diese aber ist
die Philosophie der grauen Begriffe,
die Sprache ist auf die allernaivste Vorurteile hin gebaut.
Nun lesen wir Disharmonien und Probleme in die Dinge hinein, weil wir nur in der sprachliche Form denken – somit die »ewige Wahrheit« der
»Vernunft«glauben (z. B. Subjekt,
Prädikat usw.).
Wir hören auf zu denken, wenn wir es
nicht in dem sprachlichen Zwange tun wollen, wir langen gerade noch dem Zweifel an, hier eine Grenze als Grenze zu
sehen.
Das vernünftige Denken ist ein
Interpretieren nach einem Schema, welches nicht abwerfen können (W.z.M.[6], aph.
522).
Auch wenn Nietzsche die Logik als einen Willen zur
Vereinfachung/Verfälschung erklärt (während Schelling das nie denkt), ist
dieser Prozess nicht nur notwendig für die Veranstaltung der Totalität, sondern
er ist der einzige, der das Seiende denken kann. Die Regeln der Logik können
nicht umgegangen werden. Mit dem Tod Gottes will Nietzsche das Ende der
Metaphysik und der Logik behaupten. Die Logik ist die Sprache, in der das Sein
als Grund (das Sein der Metaphysik) sich entwickelt, aber sie ist nötig und
ablehnen nicht werden kann.
Nach Nietzsche gründet die Logik des Seins wesentlich auf den Satz vom
Widerspruch, und auf „die Annahme der gleichen Fälle“ (den Willen zur Gleichheit).
Die Logik entsteht aus dem Willen zur Gleichheit, d.h. aus dem Willen zur
Macht in der Form, die wir ‚apollinischen’ nennen können. Dieser Wille zur
Gleichheit und der folgende Satz vom Widerspruch sind keine Eigenschaften des
Seiendes selbst, sondern vielmehr ein Befehl des Willens zur Macht: ein
Imperativ, den der Wille zur Macht an dem Seiende befehlt. In dem Bestrebend
die Festigkeit des Seins dem ursprünglichen ständigen Werden zu geben[7],
befehlt der ‚apollinische’ Wille zur Macht diejenige Gleichheiten dem Werden,
die es wirklich nicht gibt; und auf diese Weise wirkt dieser apollinische Wille
zur Macht wie ein sozusagen beschränkender (aber verfälschender) Prinzip gegen
das Unbeschränkte: gegen das Chaos des werdenden Alls.
Das Wort »Chaos« nennt in Nietzsches Bedeutungsgebrauch eine abwehrende
Vorstellung, der zufolge vom Seienden im Ganzen nichts ausgesagt werden kann.
Das Weltganze wird so zum grundsätzlich Unansprechbaren und Unsagbaren – ein άρρητον. Was Nietzsche hier
in Bezug auf das Weltganze betreibt, ist eine Art »negativer Theologie«, die
das Absolute auch dadurch möglichst rein zu fassen sucht, dass sie alle
»relativen«, d.h. auf den Menschen bezüglichen Bestimmungen fernhält. Nur ist
Nietzsches Bestimmung des Weltganzen eine negative Theologie ohne den
christlichen Gott.[8]
Die Beschreibung von dem Chaos, die Nietzsche geben kann, ist tatsächlich
wie eine Form negativer Theologie, eines Universums aber ohne Gott. Das Chaos
ist das Unsagbare, da die Sprache - die von ihm etwas sagen will - mit dem Sein
innerlich verbunden ist. Die Sprache, die von dem Sein des vernünftigen Denkens
eindeutig sprechen kann, wird allerdings von dem Chaos (des dionysischen Willens
zur Macht) ontologisch vorausgegangen, und dann kann sie von dem Chaos des Werden
nur durch eine Art negativer Philosophie, oder durch eine Gelassenheit der
Rationalität (Ekstase), oder noch immer durch eine Erzählung des Seiendes als
Werdendes in der Zeit.
Eine solche Genealogie des vernünftigen Denken bei Nietzsche angenommen,
schein es die Krisis der letzen
Philosophie Schellings und seine Scheidung zwischen einer negativen Philosophie
und einer positiven zu erinnern.
In seiner Darstellung des philosophischen Empirismus
(1836), fragt sich Schelling: «warum i s t denn Vernunft, warum ist nicht
Unvernunft?». Diese Frage hat keine weitere Bedeutung, sondern mit ihr will
Schelling nur eine Frage des Wertes zwischen dem realen Prinzip und dem idealen
(d.h. dem Prinzip der Vernunft) stellen. Warum hätte das ideale Prinzip größeren
Wert als das reale? Wir sind nicht hier vor der Hauptfrage: Warum ist überhaupt
Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Was hier in Frage ist, ist nur der Wert dem
realen (unbeschränkten) Prinzip und dem idealen (beschränkten) zuzugeben.
Das Unbeschränkte – von
Schelling auch reales Prinzip (B) genannt – ist das blinde verstandlose Sein;
das Prinzip, das gegen das erste stehet, ist das Ideale, da es die Ursache der
Beschränkung des Reales (und also der Erkennbarkeit) ist.
Wie Schelling betont,
ist diese Entgegensetzung schon bei den Pythagoreern vorhanden, die behaupteten,
dass alles aus dem Unbeschränkte (άπειρον) und dem Beschränkte (περαϊνον) entstehet, und dass das Unbeschränkte nur durch
das Beschränkte gekannt werden kann:
Alles erkennbare Seyn, ebenso wie das Erkennende selbst, entsteht durch
einen Proceß, der ohne zwei Principien nicht gedacht werden kann, eines, das in
dem Proceß gleichsam die Materie, die Unterlage, das Hypokeimenon ist, das für sich
schrankenlose Seyn, das stufenweise subjektiv gesetzt, eben dadurch zugleich
begrenzt und begreiflich wird; das andere, welches sich vielmehr als Ursache
verhält und eben das Maßgebende, Bestimmende des ersten, oder das die
Subjektivität an ihm Hervorbringende ist (SW, X/245).
Schelling nennt das Unbeschränkte als was, das sein nicht soll, d.h. als
etwas, das nötig existiert als bloßer Stoff, aber das zum Sein werden nicht kann, da das Sein die Stelle der Vermittlung ist
(wo das Ideale wirkt), der von dem Idealen gewirkten Beschränkung.
Wenn das Unbeschränkte als das Nicht-Sein, als das unrechtigmäßige Prinzip,
das Böse, sich zeigt, sieht das Ideale – das Grenze und Maß dem Unbescränkten
gibt – als das Gute aus. Aber diese Zuschreibung ist ganz willkürlich, weil sie
von der Ansicht, die wir anzunehmen wählen, abhängt. Außerdem kann nicht die
Rede von dem Wert zweiten Prinzipien in der Evidenz zurückgeführt werden, dass die
Rationalität des Ideales für uns besser ist; in der Tat bleibt immer noch die
Frage: «warum i s t denn Vernunft, warum ist nicht Unvernunft?».
Es ist freilich auf den
ersten Blick bequem, gleich anfangs die Vernunft als allgemeine Substanz, als
das nothwendig Seyende zu setzen. Aber vielmehr ist die Existenz der Vernunft
selbst nur etwas Bedingtes, Positives. Denn warum sollte, absolut gesprochen,
das Gegentheil nicht ebenso gut seyn können? 2) Ist es doch von der andern
Seite auch wieder unbequem, die Vernunft so gleich als das allgemeine Seyende
zu setzen. Denn wenn sie dieß ist, was braucht es denn weiter? wir sind fertig,
und um gleichwohl eine Bewegung und einen Proceß herauszubringen, muß
angenommen werden, daß die Vernunft ohne allen nöthigenden Grund (der denn doch
zu allererst in der Vernunft vorausgesetzt werden sollte), gleichsam nur um die
Einförmigkeit ihrer Ewigkeit zu unterbrechen – recht eigentlich pour faire
du temps, um Zei t zu machen, in ihr Gegentheil übergehe, und um das
Vergnügen zu genießen, sich aus der Unvernunft, aus dem Gegentheil, in sich
selbst wiederherzustellen (SW, X/252-53).
Nach Schelling muss die Herrschaft des Ideales nur als eine tatsächliche
Herrschaft anerkannt werden. Was sich hier entscheiden erweist, ist es, dass
die Vernunft als etwas Bedingtes, Positives scheint. Es handelt sich um die
Kritik an dem System Hegels: die Vernunft als das notwendige Sein zu setzen
bedeutet den Unsinn und die Nutzlosigkeit jeder anderen Entwicklung anzunehmen.
Wie wir in dem letzteren Paragraph bewiesen haben, betont Schelling auch hier
wie ein System, wie jenes von Hegel vorgeschlagen, keinen Zusammenhang mit dem
Realen habe, und wie es ihm willkürlich und abstrakt bilden soll.
Was wir betonen wollen, betrifft den an dem idealen Prinzip zuzugeben Wert.
Nach Schelling muss dieser Wert nur in Verbindung mit dem realen anerkannt
werden.
Etwas Ähnliches finden wir bei Nietzsche. Dass der apollinische Wille zur
Macht die Festigkeit des Seins dem Werden ‚scheinbar’ sichert, bedeutet weder
dass es größeren Wert als der dionysische Wille zur Macht habe, noch das man
diesem letzteren einen ontologischen Vorrang zugeben werden muss. Der
dionysische Wille zur Macht schein unaufführbar durch die Sprache des Seins
(als Grund verstanden): er kann nur das Objekt einer Ekstase sein, die allerdings in dem logischen vernünftigen Bereich
beschreiben nie sich lässt. Aber er existiert und wird zum Sein in der
abgeschwächten Form des apollinischen Willens zur Macht, der Alles-was-wird in
dem Netz der Begriffe der Vernunft auffasst.
Das Apollinische und das Dionysische liegen vor dem Sein in dem Werden als
Wille zur Macht, gleichsam in dem schellingschen Ursein als Indifferenz
zwischen dem Realen und dem Idealen:
Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein andres Seins als
Wollen. Wollen ist Ursein, und auf dieses allein passen alle Prädikate
desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit,
Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck
zu finden (SW, VII/350).
Wollen ist Ursein. Aus dem Wollen geht sowohl das ideale Prinzip wie auch
das reale heraus. Das Ursein, der auch Gott vorausgeht, ist der Ungrund, der absolute, bloße, von jedem
Prinzip freie Wille: das Chaos, das der Ordnung der Vernunft immer vorausgeht:
Nach der ewigen Tat der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir
sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im
Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends
scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein
anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden (SW, VII/359).
Aus diesem Chaos, aus dieser Sehnsucht, entsteht der Verstand, der Ordnung dem
Unvernünftigen gibt. Zuerst mit dem Verstand entsteht die Scheidung der Kräfte.
Wie wir sehen können, wird die Entstehung der Vernunft (des idealen Prinzip),
sowohl bei Nietzsche wie auch bei Schelling, als bloßes Wollen = Ursein
bezeichnet; und dieses Ursein geht dem idealen Prinzip und dem realen voraus.
Vom Willen zur Freiheit.
Nach Nietzsche existiert nur eine Wirklichkeit (diejenige wir leben),
allerdings betrachten wir sie in den Bereich der Logik sofern sie Frucht einer
logischen Auslegung ist, die das Sein bestimmt und die umgegangen nicht werden
kann. Durch die dionysische Ekstase kann man kein Noumenon des Erscheinbaren
erblicken, sondern das All: das Ganze der Seienden, da wir über jede
individuelle Auslegung immer sind. Die logische Auslegung des Seins setzt die
absolute Setzung der Existenz (der
werdenden Seienden), voraus. Die logische Existenz des Seiendes ist nur ein
notweniger Befehl des apollinischen Willens zur Macht und die Ekstase begrifft
das All des Urwesens, ohne von dem allerdings sprechen zu können.
Die Sprache ist immer Sprache der Logik des Seins, nämlich die Sprache der
Vernunft. Aber wir wissen, dass die Vernunft nur ein Befehl ist dem Werden zum
Sein zu werden; die Ekstase ist die Auswege aus dem vernünftigen Schema, aber keine
Flucht aus der Realität, sondern eine neue weitere Perspektive auf das werdende
All als absolute Setzung, wodurch wir eine neue Ansicht über die einzige
partielle Auslegung des Seins haben.
Nach Nietzsche ist alles Wille zur Macht: sowohl das Ganze der Werdenden
wie auch die apollinische Auslegung der Begriffe der Logik. Der apollinische
Wille zur Macht geht aus demselben Willen zur Macht heraus, und der Ursprung
(das Ursein), in der dionysischen Ekstase ausgelegt, ist kein In-sich dieser
Auslegung, sondern vielmehr das All jedes ewigen Werdenden und jeder Form der
Auslegung.
Nun wenn die dionysische Ekstase eine zufällige Auslegung des werdenden
Alls darstellt, ist der Tod Gottes der Einbruch dieses Alls in der von dem
apollinischen Willen zur Macht entschiedenen ‚Geschichte des Seins’. Der Tod
Gottes stellt das Ende der Auslegung des Seins (als metaphysisches Grundes)
dar, und er verlangt eine Überwindung: eine Umwertung aller Werte, die der
apollinische Wille zur Macht erzeugt hat. Diese Überwindung ist möglich nur
wenn der Mensch des werdenden Alls, des Abgrunds vom Tod Gottes sich bewusst
wird.
Reales und Ideales, das Dionysische und das Apollinische, scheinen in der
Auslegung des Seins als zwei unterschiedene Momente; aber sie liegen zusammen,
ontologisch vor ihre Scheidung, in dem Urwesen, in dem bloßen Wollen.
In den Stuttgart Privatvorlegungen
(1810) behauptet Schelling, dass das Prinzip seines Systems in dem Urwesen, in
der Vereinigung/Indifferenz von dem Realen und Idealen, liegt. Das Urwesen
stellt sich als absolute ‚Einheit’ von dem Realen mit dem Idealen, aber in der
Idee einer absoluten Identität des Realen und des Idealen [ist] die Meinung
hier nicht, dass das Reale und Ideale numerisch oder logisch einerlei sei; es
ist eine wesentliche Einheit gemeint; es ist zwar eine und eben dieselbe Sache
in beiden Formen gesetzt, aber sie ist in jeder dieser Formenein eignes und nicht einerlei Wesen.[…]Weder das Reale noch das Ideale als solches
das Erste oder das Absolute sey, sondern beides nur untergeordnete Formen des
eigentlichen Ur-Wesen (SW, VII/422).
Dieses Urwesen – wie wir schon gesehen haben – ist, sowohl bei Schelling
wie auch bei Nietzsche, Wollen. In der Tat, in der Fragmente des Willens zur
Macht als Erkenntnis, behauptet Nietzsche: «Ursprünglich Chaos der Vorstellungen»,
was bedeutet schon eine Einheit von dem Dionysischen (Chaos) und dem
Apollinischen (Vortellung).
Aber kehren wir zum Thema der Auslegung des Seins zurück.
Die Erhaltung und die Festigkeit, von den apollinischen Werte gesichert,
haben die metaphysische Struktur des Seins (die an es als Wahrheit und
Gewissheit denkt) entschieden. Wie
auch Martin Heidegger in Holzwege
betont, fängt die Metaphysik der Moderne mit dem certum, mit der Gewissheit an. Das certum, das Unzweifelhafte, bietet sich in der Form des Seins, in
der Form von dem, das ist. Aber in
der Sicherung des Seins der Metaphysik finden wir sofort einen Auftrieb nach
einer Steigerung der Macht.
Jedes Seiende will wesentlich sich selbst, und dieses Sich-Wollen bedeutet eine
Akkumulation von Potenzial. Es geht nicht mehr um ein bloßes Wollen, sondern
ein Wollen, das nach einem größeren Willen strebt. Dieser größere Wille ist der
einige Wille zur Macht, d.h. die absolute ursprüngliche Freiheit des Alls. Der
Wille zur Macht ist keine Eigenschaft des Subjekt, sondern vielmehr ist das
Subjekt selbst das Eigentum des Willens zur Macht; sowohl das Subjekt wie auch
das Objekt, und wie alle andere Formen der logisch-prädikative Auslegung des
Seins, werden immer und nur von dem Willen zur Macht selbst entschieden.
Sie sind nur (apollinische) Formen des Willens zur Macht selbst, der nichts
anderes als werdende Macht, ewiges Mögen, absolute Freiheit ist. Das Wesen des Seiendes ist immer nur Wille
zur Macht, denn jedes Seiende wird von dem Willen zur Macht sozusagen erzeugt, während er sowohl die onto-logische
Ebene (hier denke ich an die logische Struktur) wie auch die phänomenologische (hier
denke ich an was wir von dem Seienden sinnlich wahrnehmen) bestimmt.
Die metaphysische, von dem Willen zur Macht entschiedene, Struktur setzt
sich als eine allumfassende Hypothese in der Lage die verschiedene Perspektive
und das angesammelte Potenzial einzuschließen.
Die einzigen Auslegungen müssen nur als Akkumulation von Potenzial gelesen
werden. Wenn sie ihre Kraft vor einer neuen, fähigen, ökonomischen Auslegung
erschöpfen, unterliegen sie und den Vortritt lassen.
Was der Mensch will, was jeder kleinste Teil eines lebenden Organismus
will, ist ein Plus von Macht (W.z.M.;
Aph. 702).
Das Wollen ist eigenen Willen zu steigern, sich-selbst-bejahen zu wollen,
d.h. das Potenzial zu erhalten, besser noch, es zu steigern. Während man Macht
will, will man Wesen. Ja mehr ein
Seiende seine Macht erhalt (und steigert), desto mehr jenes Seiende ist.
In dieser Perspektive, können wir zwar einen irgendeinen Zusammenhang
zwischen dem Willen zur Macht und dem idealistischen Willen gründen. In dem
Bereich der idealistischen Philosophie, muss der Wille auf die Definition von
Leibniz zurückgeführt werden, nach welcher das Wesen des Seins als
ursprüngliche Einheit von perceptio
und appetitus verstanden werden soll.
Genau stellt der Idealismus den Zusammenhang zwischen Willen und Sein aus
dieser Idee fest. Der Wille ist nie ein blinder Wille, er hat immer vor sich
die Vorstellung, wovon er begehrt. Nun, etwas vor sich als Vorstellung haben
bedeutet eine Idee von diesem zu haben. Da es zwischen perceptio und appetitus
keinen Vorrang des eines vor dem anderen gibt, und da sie eine Einheit bilden,
können wir sagen, dass die Setzung der Vorstellung des Gewollten (und die
Setzung des Gewollten selbst) schon in dem (idealistischen verstanden) Willen des
Wollenden innewohnt. Schelling kann in der Tat behaupten, dass der richtige
Wollende in dem Willen der Verstand[9] ist:
jener Verstand, der – nach dem Idealismus im Allgemeinen – kein
Vorstellungsvermögen ist, sondern er sowohl das Objekt wie auch das Subjekt
bestimmt und ‚erzeugt’.
Allein Schelling will, in einer überspitzen Redewendung, nichts anderes
betone als das, was Nietzsche im Willen heraushebt, wenn er sagt: der Wille ist
ein Befehl; denn wenn Schelling »Verstand« sagt und der deutsche Idealismus von
Wissen spricht, dann ist nicht ein Vorstellungsvermögen gemeint, wie es sich
die Psychologie denkt, kein Verhalten, das die anderen Abläufe des seelischen
Lebens nur betrachtend begleitet. Wissen heisst: Eröffnung zum Sein, das ein
Wollen ist – in der Sprache Nietzsches ein »Affekt«.[10]
Jedenfalls, wie wir vorher gesagt haben, sowohl nach Schelling wie auch
nach Nietzsche, bevor der Wille als Verstand sich setzt, fällt er mit dem
Ursein zusammen.
Die Übereinstimmung zwischen Willen und Verstand, die wir in dem schellingschen
Verstand und in den apollinischen Formen des Willens zur Macht bestimmt haben,
erschöpft keinen Begriff des Willens bei beiden Philosophen.
In der Tat, kann eine Überlegung über einen von dem ratio befreiten Willen, eine neue Philosophie bestimmen. Im
Abgrunde des Urseins liegt, tatsächlich, der Urwille in seinem innerlichen
Zusammenhang mit der ursprünglichen Freiheit. Macht zu wollen bedeutet Wesen zu
wollen, und wenn das Wesen Freiheit ist, muss man in Hinblick auf die Freiheit
wollen, die die äußerste (nie definitiv festige) Landung darstellt, wonach der
Wille streben kann: die äußerste Macht des Werdens.
Bei Schelling finden wir keinen Ausdruck wie ‚Wille zur macht’, aber wir
finden zwar seinen ‚Begriffe’.
Zum Beispiel, in der Darstellung der Lehre der Potenzen erklärt Schelling
die Bedeutung der Ausdrucken Macht, Mögen, Möglichkeit, die auf den weiteren
Begriffe ‚Wille’ in seinem Zusammenhang mit der absoluten Freiheit zurückgeführt
werden müssen:
Die Begriffe von Können und Wollen sind vereinigt in dem deutschen Wort mögen. Ich mag nicht = ich will nicht.
„Mag auch ein Bilder dem andern den Weg weisen“ = Kann auch etc. Die ewige
Freiheit ist das ewige Mögen, das Mögen nicht von etwas, das Mögen an sich,
oder, wie wir dies auch ausdrücken könne, die ewige Magie[11].
Schelling gebraucht das Wort Magie dadurch, «dass es zugleich jenes
Vermögen ausdrückt, in alle Gestalten sich zu begeben und in keiner zu bleiben».
Diese ursprüngliche Magie ist verschieden von dem Wissen, da sie diesen setzt,
aber bleibt immer jenseits jeder Form des Wissens. Um diese Magie von dem
Wissen zu unterscheiden, nennt Schelling diese Macht Weisheit:
Weisheit ist noch mehr als Wissen, es ist das wirkende Wissen, es ist das
Wissen in That und Leben, oder sofern es zugleich praktisch. Daher können auch
wir jene ewige Freiheit die Weisheit nennen, die Weisheit par excellence in dem hohen Sinne, in welchem dieses Wort besonders
von den Morgenländern und namentlich im A.T. gebraucht wird. […] Die Weisheit
ist in nichts Einzelnem, sie weilt nicht im Lande der Lebendigen, denn sie
bleibt überhaupt nicht, sie fährt durch alles, wie der Wind, dessen Sausen man
wohl hört, aber niemand kann sagen, wo seine Stätte ist[12].
Nach Schelling fällt die Weisheit mit der Freiheit zusammen. Nach dem Fall, gibt es diese Weisheit in dem
Menschen nicht mehr; in ihm gibt es kein Erzeugen mehr: er hat nun nur das
Wissen des Seins, sofern es scheinbar festig ist, und er sucht vergeblich den
Weg nach der Weisheit in diesem Wissen.
Auch wenn nichts anderen als das Wissen dem Menschen geblieben ist, bindet
eine innerliche Ähnlichkeit ihn an die ewige Freiheit des Werdens, und sie kann
nur von der Seele des Menschen aufgefasst werden, die jede Bestimmung verlasst
und so kann er die Gabe der Weisheit aufnehmen. Der Grund der Seele verlasst
jede Bestimmung und jedes Bestreben diese Weisheit diese ewige Freiheit zu
objektivieren, weil sie die Urständlichkeit des absoluten Subjekts ist.
Die Möglichkeit für den Menschen die Freiheit zu erkennen, wird von dem Selbsterkennen der Freiheit selbst
gegeben:
Die einzige Möglichkeit einer solchen wäre, wenn jenes Selbsterkennen der
ewigen Freiheit unser Bewußtseyn,
also umgekehrt unser Bewußtseyn ein
Selbsterkennen der ewigen Freiheit wäre[13].
Hier erklärt Schelling, dass die Möglichkeit eines neuen Anfangs der
Philosophie in dem Bewusstsein des Menschen liegt, d.h. in jener unmittelbaren
Berührung mit der ewigen Freiheit, die den Grund der Seele konstituiert. Dem
Menschen tatsächlich «ist verstattet wieder Anfang zu seyn, er ist also der
wiederhergestellte Anfang».
Aber um die Freiheit des Anfangs zu reaktivieren, muss er jeden Grund und
jede Bestimmung verlassen. Er muss sich an die Ekstase verlassen, die ihn über
dieselbe Vernunft und also über das Wissen in der ursprünglichen Mitwissenschaft
setzt.
Wie auch Luigi Pareyson – Schelling lesend – ahnt, liegt die Möglichkeit
für eine Philosophie, die die Krise der Moderne übergehen will, in der Form des
Bewusstseins von Schelling vorschlagen:
wenn man fragt, wie die Philosophie die Wahrheit schöpfen und besitzen
kann, wird man sehen, dass sie nicht in der Form des Erkenntnis – da die
Wahrheit kein definitives Objekteiner
ganzen Ansicht ist -, sondern in der Form des Bewusstseins; aber nicht in der
Form des hegelianischen Bewusstsein als schon vollendete Realität, sondern
vielmehr des Bewusstsein in dem schellingschen Sinn; kein Bewusstsein von was das
Letzte ist, sondern von was das Erste ist, kein Bewusstsein einer
abgeschlossenen Geschichte, sondern eines unerschöpflichen Ursprungs[14].
In der Tat, nur Schelling - der einerseits als ein vor-hegelianer und
anderseits als ein nach-hegelianer betracht werden kann – kann das
nihilistische Schicksal der negativen Philosophie auf den Weg einer Philosophie
der Freiheit überwinden. Die Philosophie Nietzsches durchläuft (es ist nicht so
wichtig, ob bewusst oder nicht) die entscheidenden Etappe der Kehre und der
Spätphilosophie Schellings.
Bei dem Nietzsche, der nach der Überwindung der passiven nihilistischen Lage der Modernität (die zum Tod Gottes
gebracht hat) mit dem tiefen Verlangen nach dem semper adveniens Übermenschen strebt, klingen die Überlegungen der
Erlangen Vorlesung (1820/21) Schellings an. Die apollinische Auslegung hat das
Individuum in dem Bereich des Wissens ent-schieden,
aber jenseits der vernünftigen Struktur, die das Werden in ihren Begriffe nur
scheinbar festhält, dringt geschichtlich
der Abgrund des Tods Gottes (d.h. das ewige Mögen, von dem Schelling spricht)
ein, der immer fähig ist, den Prozess wieder in Betrieb (aber auf neuen Basen)
zu nehmen.
Der Mensch ist zwar als solcher sofern er von dem apollinischen Willen zur
Macht entschieden wird, aber er kann in seinem Grund der Seele die
Unmittelbarkeit jenes (dionysischen) Abgrundes wieder finden. Sowohl nach
Schelling nur in dem Grund seiner Seele (als abgründliche Basis des Individuums, der alles und auch sich selbst
verlassen hat) liegt die Möglichkeit für den Menschen die absolute Freiheit zu
‚erkennen’, wie auch nach Nietzsche, kann der Grund der Seele des Individuums
(das seine Individualität verlässt) den Zugang zu der absoluten Freiheit des Übermenschen darstellen. «Ich liebe –
schreibt Nietzsche in der Vorrede der Schrift Also sprach Zarathustra – den, dessen Seele übervoll ist, so dass
er sich selber vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein
Untergang»: der einzige Untergang,
aus dem einen wahr neuen Morgen (insbesondere
für die Philosophie) möglich ist.
Um sich selbst zu überwinden und die absolute Freiheit zu sein, muss der
Mensch seine Individualität und jedes Wissen (das ihn in-sich isoliert)
verlassen und muss er nach dem Übermenschen
ausgehen.
Der Übermensch will über seinen Willen, er will über alle Bestimmungen von dem Wissen entschieden: er will, sofern er (und sein Bewusstsein im
Werden) der selber Wille ist, der
endlich nur sich selbst will. Der
Übermensch stellt die ewige Freiheit des Willens zur Macht des Werdens, das
ewige Mögen Schellings dar, in dem die einzige wahre Möglichkeit für die
‚künstliche’ Erzeugung, für die novitas,
für einen neuen Anfang der Philosophie nach dem vernünftigen Nihilismus
zugrunde liegt.
Aber der Übermensch ist nur eine
Figur, ein Symbol dieser absoluten Freiheit des Seins als Werden; ein neuer
Anfang der Philosophie schlagt dem Menschen vor, seinen Ursprung in der
vernünftigen Auslegung des Wissens nicht zu vergessen; der Mensch, der sein
freies ursprüngliches Bewusstsein anerkennt, kann die Unterscheidung zwischen
der Vernunft und der freien Existenz als eine ‚Ontologie der Krisis’
betrachten, oder auch als eine Ontologie der ständigen, werdenden, freien
Scheidung und Wiederzusammensetzung, die im Herz des Seins immer liegen und
wirken.
[1] M. Heidegger, Schellings
Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1971,
S. 4.
[2]KSA: Friedrich
Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Hrsg. G. Colli und M.
Montinari, 15 B.de, Walter de Gruyter, Berlin-New York 1967-77 und 1988.
[3]SW: Sämtliche Werke, Hrsg. Karl
Friedrich August Schelling, Stuttgart/Augsburg,
Cotta, 1856-1861.
[4] Vgl. E.C. Corriero, Vertigini
della ragione. Schelling e Nietzsche, Torino, Rosenberg & Sellier, 2008.
[5] Vgl. E.C. Corriero, Volontà
d’amore. L’estremo comando della volontà di potenza, Torino, Rosenberg
& Sellier, 2011.
[6]W.z.M.: F. Nietzsche, Der Wille zur Macht, Kröner, Stuttgart, 1996.
[7]«Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen
– das ist der höchste Wille zur Macht»
(W.Z.M., Aph. 617).
[8]M. Heidegger, Nietzsche, Neske, Pfullingen,
1961, S. 353
[9] «So also müssen wir die ursprüngliche Sehnsucht
uns vorstellen, wie sie zwar zu den Verstande sich richtet, den sie noch nicht
erkennt […] Gott sich selbst in einem Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist
das erste, worin Gott, absolut betrachtet, verwirklicht ist, obgleich nur in
ihm selbst; sie im Anfange bei Gott, und der in Gottgezeugte Gott selbst. Diese
Vorstellung ist zugleich der Verstand – das Wort
jener Sehnsucht, und der ewige Geist, der das Wort in sich und zugleich die
unendliche Sehnsucht empfindet, von der Liebe bewogen, die er selbst ist,
spricht das Wort aus, dass nun der Verstand mit der Sehnsucht zusammen
freischaffender und allmächtiger Wille wird und in der anfänglich regellosen
Natur als in seinem Element oder Werkzeuge bildet» (SW, VII/361).
[10]M. Heidegger, Nietzsche, S. 69-70.
[11] F.W.J. Schelling, Initia Philosophiae Universae. Erlangen Vorlesung WS 1820/21, Hrsg. H. Fuhrmans,
H. Bouvier u. Co. Verlag, Bonn, 1969, S. 24-25.
[12]F.W.J. Schelling, Initia Philosophiae Universae, S. 26.
[13]F.W.J. Schelling, Initia Philosophiae Universae, S. 32.
[14] L. Pareyson, Verità e
interpretazione, Mursia, Milano, S. 208.
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