Erschienen in Ausgabe: No 70 (12/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Lisz Hirn
Der Ausruf „Der Teufel ist los!“ geht auf die Vorstellung der
tausendjährigen Herrschaft von Jesus Christus und seiner Anhänger zurück. In
dieser Epoche ist der Teufel gebunden und sitzt quasi im Abgrund fest. Danach
allerdings wird er für „eine kleine Zeit“ losgelassen, so heißt es zumindest in
der „Offenbarung“ (20,3). Es scheint, dass diese „kleine“ Zeit gekommen ist.
Wir schreiben das 21. Jahrhundert und wir können nicht einmal mehr sagen, dass
der Teufel los ist, weil wir gar keine Vorstellung mehr davon haben, was denn
dieser „Teufel“, der „Satanas“ überhaupt sein soll. Dabei lassen sich die
Ursprünge des Glaubens an einen „Deibel“ durchaus eruieren. Der Begriff leitet
sich ab von dem griechischen Wort „diabellein“,
was soviel wie trennen und entzweien bedeutet. DieWurzel des italienischen "diabolo",
nämlich "diabellein", bedeutet vieles, u.a.: hinüberbringen,
übersetzen, entzweien, verhasst machen, verfeinden, verwerfen, verleumden,
verklagen, beschimpfen, täuschen, betrügen, irreführen.
Satan, zu einem vagabundierenden, rastlosen, unsteten Dasein
verurteilt, kennt keine fest Bleibe; denn obgleich er, infolge seiner
engelhaften Natur, über ein Reich zerfließender Wüstenei und Luft herrscht, so
ist es doch gewißlich Teil seiner Strafe, daß er, ohne jeden angestammten Ort
oder Raum ist, der es ihm gestatten würde, seinen Fuß darauf ruhen zu lassen.
(Daniel Defoe, englischer Romancier)
Das griechische Wort "daimon" bedeutet
"geschiedener Geist" und stammt seinerseits vom Begriff
"daiesthai", der teilen oder zuteilen bedeutet. Der griechische
Philosoph Sokrates besaß bekanntlich einen, den er auch im Sinne eines „guten
Gewissens“ verstand. Ein Dämon galt bei den Griechen als ein Schicksalsbringer,
des bösen sowie des guten Schicksals. Auch verstand man den Dämon in seiner
Funktionals Mittler zwischen den
Göttern und den Menschen. Um auf der Erde bestehen zu können, schrieb man den
Dämonen die Fähigkeit zu, einen Körper anzunehmen also die Fähigkeit zur
Inkorporation, was ihnen ermöglichte, sowohl Lust als auch Schmerz zu
empfinden, also an der Welt der Sinne zu teilzunehmen. Der Teufel gehört also
zur Welt. Der österreichische Dichter Peter Rosegger schreibt treffend hierzu:
Der Herrgott liabt d' Welt;
Hots mit Rosan umwunden.
Da Teufel denkt: Hallo!
Hots Pulver erfunden.
Der Herrgott liabt d' Welt;
Hots gut Weinl erkorn.
Und da Teufel mochts noch,
Is a Schnapsl draus worn.
Der Herrgott liabt d' Welt;
hat die Priaster erschoffen.
Da Teufel, sein Feind,
der geht her und mocht Pfoffen.
Der Herrgott liabt d' Welt;
hat d' schön Dirndln aufbrocht.
Und da Teufel, der Teufel
hat olti Weiber draus g'macht.
Da Herrgott sogt jo,
und da Teufel sogt noa,
und dron kennt ma's holt leicht
aus ananda de Zwoa.
Im neuen Testament, welches unsere westlich-christliche
Kultur wesentlich durchdrungen hat, wird der Dämon als der unreiner Geist
verstanden und mit dem Triumph des Christentums prägte diese Interpretation
unser Dämonenverständnis. Es gibt aber noch andere „böse“ Geister in anderen
Kulturkreisen. Im Islam wird zum Beispiel zwischen Satanen und Dschinns
unterschieden. Letztere gelten sogar als gut, sofern sie sich für Allah
entscheiden. Das Gute, die Liebe vereint; das Böse, der Hass trennt. Doch es gibt
auch das Böse, das Gutes gebiert, so betont zumindest Poul Bjerre, schwedischer
Psychoanalytiker.
Der Teufel is überhaupt nicht das Schlechteste,
ich laß mich lieber mit ihm als mit manchem Menschen ein. Er ehrt das Alter,
seine Großmutter steht hoch in Ansehen bei ihm, das is halt a schöner
Charakterzug. Er halt aufn´ Handschlag, man siehts, daß er viel mit die Ritter
z' tun g'habt, er erfüllt seine Verträge weit prompter als manch irdischer
Schmutzian; freilich nachher am Verfallstag, da kommt er auf d' Minuten, Schlag
zwölfe, holt sich seine Seel´ und geht wieder schön ordentlich nach Haus in
seine Höll´; 's is halt a Geschäftsmann, wie sich's gehört.
(Johann
Nepomuk Nestroy, österreichischer Dramatiker)
Seit Jesus "Dämonen" ausgetrieben hat, wurden bis
in die heutige Zeit viele Krankheiten wie Neurosen, Psychosen,
Epilepsieanfälle, Schizophrenie, Wahnsinn bis hin zu abartigen
Verhaltensmustern (z.B. Amoklauf) als Besessenheit durch „böse Geister“
interpretiert.Exorzismen
wurden und werden betrieben, auch wenn sie sich heute größtenteils nur noch auf
das mehr oder minder unspektakuläre Rituale wie Gebete beschränken.
Nichtsdestotrotz sind sie das Überbleibsel eines Glaubens, der sich fest in den
Köpfen der Menschen verankert hat. So schrieben die Christen(ähnlich der griechischen Auffassung) den
Dämonen einen Körper zu und vermuteten auch, dass sie sich deswegen von etwas
ernähren mussten. Wer angesichts dieser „naiven“ Vorstellungen lächelt,
vergesse nicht,dass die Vorstellung des
Bösen nicht aus unserem Alltag gewichen ist. Katastrophen, bestialische
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und unverständliche Grausamkeit sorgen
dafür, dass er/es immer wieder die säkulare Bühne der apokalyptischen
Ideologien betritt, freilich unter verschiedenen Namen oder als Abstraktion,
oft auch als Inkorporation. Zur Erinnerung eine kurze,
willkürlich ausgewählte Chronologie der Endzeiten des beginnenden 21.
Jahrhunderts:2001findet der Terrorakt gegen die westliche
Welt und die Großmacht USA statt, durch den das westliche Selbstbewusstsein
empfindlich angegriffen wird. 2002 indiziert der Krieg gegen den Terror die
fortschreitende kollektive Unsicherheit insbesondere der Vereinigten Staaten
von Amerika. 2004 wird eine neue Ära der Kommunikation, Freundschaft und Gewalt
eingeleitet: Facebook kommt auf den Markt und mit ihm der unwiderstehliche
Wunsch nach unendlich vielen „Friends“ und die Möglichkeit, eine (junge) Masse
zu mobilisieren. Dies zeigt sich rund sechs, sieben Jahre später in den
Auswüchsen und Früchten des „arabischen Frühlings“. Dazwischen gibt es
natürlich die üblichen Naturkatastrophen, Vergewaltigungen und Inzestfälle,
Morde und der Erde gefährlich nahe Meteoriten. 2008 scheint sich der Teufel in
die Banken und Börsen eingeschlichen zu haben. Das erregt um einiges mehr
Aufsehen, als viele Ereignisse der Jahre davor. Na klar, es ist Geld im Spiel.
Mit dem portugiesischen Sprichwort „Gott ist das Geld - und wenn es weg ist,
ist der Teufel los!" lässt sich die Weltwirtschaftskrise charakterisieren.
Kurz scheint es, dass uns der Teufel im Nacken sitzt, den wir aber erfolgreich
ignorieren. Barack Obama kommt an die Spitze; es scheint, dass den „weißen
Teufeln“ endlich die Idee vom „schwarzen Teufel“ ausgetrieben worden ist.
Zumindest an der Oberfläche des US-amerikanischen Staates. 2009 macht wieder
der Nah-Ost-Konflikt von sich reden - „Gott sei Dank!“ nur kurz. Danach hat die
Welt wichtigere Probleme: die Schweinegrippe. Selbst dem „Wiener Schitzel“ ist
nicht mehr zu trauen. 220.000 Menschen sterben 2010 in Haiti. Die Armut ist
grenzenlos wie auch die aufkommende Verzweiflung und Gewalt. Natürlich ist das
ein sehr verkürzter Auszug aller Vorfälle, die man nur allzu gern dem Teufel in
die Schuhe schieben würde. 2011 bestraft das Unglück in Fukushima die Welt für
ihren ungezügelten Fortschrittswillen und kurz darauf die Eurokrise die
Wirtschaftswelt und politischen Opportunismus. Es wird klar: Der unendliche
Wohlstand der westlichen Welt ist längst keine Selbstverständlichkeit
mehr. Viele sind wütend auf die Verfehlungen der Politik, enttäuscht von den
vielen unerfüllten Versprechungen und desillusioniert. Es ist eine prekäre
Situation, in der wir leben, denn, um es mit den Worten des deutschen
Dramatikers Emil Gött auszudrücken, seine besten Opfer sucht der Teufel unter
denen, die enttäuscht sind, weil sie meinten, der Himmel habe zu halten, was
sie sich von ihm versprechen.
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