Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 06.09.10 |
von Stefan Groß
Wie klingt es, wenn sich ein bekennender religiös
Unmusikalischer dem Thema Religion annähert? Norbert Bolz, Medientheoretiker
und Philosoph, philosophiert gern mit dem „Hammer“, immer wieder steht er in
der Kritik, wird aufgrund seiner Thesen als Enfant terrible in den Medien
stigmatisiert, der nicht nur mit Das konsumistische Manifest
und mit Die Helden der Familie für Erregung im liberalen Lager sorgte,
dem man nunmehr sogar vorwirft, ins konservative und reaktionäre Lager
abgeglitten zu sein. Daß dem so ist, daraus macht Bolz auch keinen Hehl.
Doch seine Provokationen haben einen tieferen Sinn, gerade auch in
seinem neuen Buch über die Religion. Provozieren heißt hierbei
kritisch anregen, gegen den Trend und Zeitgeist anzustreiten, der das
Thema Religion geradezu inflationär gebraucht. Die vielbeschworene
Wiederkehr des Religiösen, die ganze Bibliotheken mittlerweile füllt
und in den letzten Jahren reißerische Besteller auf den Markt
brachte, die über Sinn oder Unsinn der Religionen, über ihr
Gefahrenpotential und über den religiösen Fundamentalismus
informierten, rat und tatgebende Impulse zur Lebensbewältigung sein
wollten – all dies findet sich bei Bolz nicht. Er kommt eben nicht
mit einem neuen Ratgeber daher, der in den Gesang des Religiösen
einstimmt – er bleibt unmusikalisch, geht vom „Glaubensminimum“
aus, genauer: „der religiös Unmusikalische hat einen Sinn für den
Sinn der Religion. Und vor allem weiß er: Nur die Religion kann den
Vielen die Stopp-Regel für die Suche nach dem Sinn geben.“ (15)
Unmusikalische und „Atheisten nehmen die Religion ernst.“
„Vielleicht ist Religion heute nicht mehr die Antwort auf die Frage
nach dem Sinn, sondern nur noch die Unterstellung, daß die Frage
einen Sinn hat. Man könnte sagen: Die Religion hält die Wunde des
Sinns offen.“ (11)
Bolz hält die Geschichte Jesu für die überzeugendste, sie ist und
bleibt es, durch die sich die abendländische Geistesgeschichte
erklären läßt, sie ist es aber auch, die gegenüber aller
Philosophie, die mit keinen guten Geschichten aufwarten kann,
begeistern, faszinieren und inspirieren kann. Das Christentum ist
eine Religion, die nicht nur „antiökonomisch“,
„anti-soziologisch“, „anti-ethisch“ und „antibiologisch“
ist, sondern auch eine „Anti-Darwin-Welt“, in der das „Mitleid
die Herrschaft der Selektion bricht.“ Am Ende seines Buches steht
dann auch das Bekenntnis zu dieser Geschichte und ihren Traditionen.
Bolz bekennt sich zum „Vorurteil für das Christentum“, zu Don
Quixote, der seine Selbstbehauptung gegen die
„Realitätsgerechtigkeit“ erstreitet und mit anständigem
Gewissen „Yo sé quien soy“ sagen kann.
Zwar will Bolz kein kirchlich sanktioniertes Christentum, das
Lippenbekenntnisse abverlangt, er will aber auch nicht den platten
Pluralismus – und diesen schon gar nicht in der Kirche. Wie sehr es
ihm Ernst ist, gegen den religiösen Pluralismus zu streiten, zeigt
sich in seinen Abrechnungen mit den Ersatzreligionen, mit der
Zivilreligion, der Boutique-Religion, der Götzenreligion des Ich,
mit den Weltmeistern des Guten und mit der Sozialoffenbarung.
Er wirbt auch nicht für ein Zurück zur christlichen Dogmatik,
wenngleich er eine Besinnung auf diese für unverzichtbar hält, soll
nicht ein blindes Ohngefähr weiterhin in der Gesellschaft Einzug
halten, die großen Verlierer der Weltgeschichte – Ich und Gott –
weiterhin die „Ausgestoßenen der modernen Gesellschaft“
bleiben. Nachdrücklich hält er daran fest, daß Religion sich nur
durch Religion ersetzen läßt, der Irrglaube der Aufklärung, auf
die Religion verzichten zu können, erweist sich seinerseits wieder
als fehlgeleitete Aufklärung. „Nicht die Religion ist die größte
Illusion, sondern der Glaube, man könnte die zu großen Fragen mit
den Bordmitteln der Vernunft beantworten“ (140).
Das Buch von Bolz ist schneidende und hochreflektierte
Zeitdiagnostik, die er in fünfzehn Essays entfaltet. Oft in
prägnanter Kürze formuliert er die Quintessenzen, die wie
Büchmann-Zitate beflügeln. Wie sehr der ehemalige Assistent von
Jacob Taubes in Sachen Religion Bescheid weiß, zeigt sich hier
überdeutlich, nicht nur wenn er gegen Niklas Luhmann Position
bezieht, sondern auch wenn er sich zu Karl Barth und Rudolf Bultmann
bekennt.
Scharf argumentiert Bolz gegen den grünen Fundamentalismus, das
Greenwashing, gegen das ethisch verbriefte Gutmenschentum, das im
Anschluß an Hans Jonas` „Prinzip Verantwortung“ die Apokalypse
beschwört und seine negativen Prophezeiungen in das Gewand einer
Heuristik der Furcht kleidet, das die Apokalypse in die Endlichkeit
verlegt und den Kathechon zum Umweltaktivisten verklärt. Die
Ökologie hat die Theologie ersetzt, sich der Thematik der Apokalypse
angenommen, anstelle des Gotteskultes ist der Kult um die Mutter Erde
getreten, eine „Ökumene der Ängstlichen“ regiert die Welt,
färbt die Natur religiös ein.
Beißend ist seine Kritik am Protestantismus auch, weil es der
Protestant Bolz selbst ist, der mit seiner Kirche hadert, und der
gern den ehemaligen Kardinal der Glaubenskongregation Ratzinger und
jetzigen Papst Benedikt XVI. zitiert, wenn es auch ihm um Leitkultur
geht.
Insbesondere der Protestantismus als Liberalismus erweist sich als
Zivilreligion par excellence, die die christlichen Lehren inflationär
gebraucht, denn dieses Christentum „hat die großen Themen wie
Kreuz, Erlösung und Gnade aufgegeben“, die Dogmatik in die
palavernde, säkularisierte Zivilreligion überführt. Dieser
zivilreligiöse Protestantismus ist eine „Inflation des Kreuzes“.
Was dann von ihm bleibt, ist säkularer Humanitarismus, der Verrat an
Jesus Christus und Paulus. Der Ausverkauf religiöser Inhalte
zugunsten eines Humanitarismus, der ganz nebenbei, als schlechter
Nebeneffekt, nicht die Menschen in die Kirche zurückführt, sondern
diejenigen, die in ihr noch verharren, auch noch hinaustreibt, darin
sieht Bolz ein einseitiges und blindes Reduzieren der Religion auf
Moralität, das Pastorale des Protestantismus, der sich lieber der
Politik und ihren großen Themen zuwendet, um sich an diesen
unermüdlich müde zu laufen. Eine Zurückbesinnung auf Glaube und
Kerygma fordert daher auch Bolz.
Die Wiederkehr der Religionen ist daher auch nur bedingt dem Datum
des 11. September 2001 zuzuordnen, zumal es sich bei diesem
fundamentalistisch-islamischen Terrorakt nicht um einen Angriff auf
das Christentum handelte, sondern um eine Attacke auf das
amerikanisierte Christentum, das als säkularisierter Konsumismus
daherkommt. Neuheidnischer Kapitalismus als Religion muß
zwangsläufig für diejenigen eine Bedrohung ihrer
geistig-spirituellen Existenz bedeuten, für die die Religion
weiterhin an ein transzendentes Ideal gebunden bleibt, die den
Sinnverlust noch nicht durch die eigene Selbstverwirklichung, durch
die „Egophanie“, kompensiert haben, deren Selbst sich also noch
nicht in die Droge Ich kanalisiert hat. Dieser Götzendienst des
modernen Individuums, diese Selbstvergötzung, die Transzendierung
des Ich, führt dahin, daß das „moderne Individuum […] die
Selbstauflösung in der Selbstbezüglichkeit“ sucht (49). Die mit
dieser Selbstvergötzung einhergehende Verabsolutierung hat genau
ihre kultischen Befriedigungen in der auch nicht zum Heil führenden
Boutique-Religion, in der Fitneß-Welle und in der bewußt gelebten
und inszenierten Zurückgezogenheit.
Den viel tiefergehenden Grund für die Wiederkehr der Religionen,
vornehmlich in ihren Negativerscheinungen als Ersatzreligionen, die
immerhin eine ungeheure Faszinationskraft auf die der Langeweile
Überdrüssigen ausüben, sieht Bolz aber woanders. Der Trend zu
Spiritualität und neuheidnischer Scheinreligiosität, die das ganze
individuelle, gesellschaftliche und kulturelle Umfeld nach ihrem
Gusto einfärben, geht vielmehr aus der zunehmenden
Instrumentalisierung der Technik und der mit der Technik verbundenen
Entzauberung der Welt einher. Die entzauberte, mythenbefreite Welt,
sie bedingt gerade die Sehnsucht des Individuums nach Religion, das
in einer sinnzerschmetternden Welt Geborgen- und Einfachheit sucht,
das das Komplexe und Virtuelle allenthalben verwirrt und es vom
Zentrum des Individuellen abzieht. Statt Beschleunigung um jeden
Preis – Sehnsucht nach Entschleunigung. Gerade diesen
Beschleunigungen, denen eine individuelle Selbstauflösung inhärent
ist, zu entgehen, zwängt den Religiösen aus Freiheit in eine
Nische, die ihm zum Garant für ein Zu-sich-selbst-Kommen wird –
auch mit der Konsequenz, seine Freiheit letztendlich der puren
Notwendigkeit oder starren Dogmatik – wie im fundamentalistischen
Islam – unterzuordnen. Denn für den, den die Religion noch
unbedingt angeht, dessen Selbstbehauptungstrieb kulminiert
zwangläufig in einer Radikalabsage am Konsumismus, die Verteidigung
seiner Werte treibt ihn letztendlich in die Aggression, worin Bolz
die negative, aber durchaus zwingende Pointe einer Religion wie dem
Islam sieht, obgleich er betont, daß dieser eine Religion vor der
Aufklärung sei, der also nicht wie das Christentum des Westens
reflexiv und theologiekritisch ist. Einer als sinnlos empfundenen
Welt zu entfliehen, ist dann nur konsequent aus der Sicht des
religiösen Terroristen, der möglicherweise nicht nur die für ihn
ohnehin belanglosen Diskursteilnehmer eliminiert, sondern durch
seinen Tod auch seiner eigenen Bedeutungslosigkeit entgehen will.
„Selbstmord ist nämlich die narzisstische Flucht vor der Einsicht
in die eigene Bedeutungslosigkeit“ (26).
Mit Nietzsche und gegen den Zeitgeist streitend, entlarvt Bolz neben
der Zivilreligion, die Sozialoffenbarung als „Modernitätsfalle.
„Dekadenz heißt politisch: die soziale Frage“ (56), die sich
gerade im 20. Jahrhundert zum „Gott-Wort“ stilisierte. Dabei
seien das Soziale und das Ich, wie Bolz mit Simone Weil betont, die
beiden größten Götzen. Das Soziale ist für Bolz die Bastion des
Letzten Menschen, der im posthistorischen Zeitalter die Stelle des
toten Gottes angetreten hat. Ihm geht es dann – im Gewand der
Sozialreligion – um die blanke Uniformierung, um den Massentyp, um
die Gleichmachung aller, um die in Szene gesetzte Masse, die in ihrem
Stumpfsinn hinvegetiert. Es ist diese von Nietzsche kritisierte
„Behaglichkeit des Wohlstandes“, die dem Menschen jede Sehnsucht
und jede Verachtung nimmt. Aus dieser Reaktivität – der der
Übermensch gegenübersteht – resultiert dann auch das Ressentiment
gegen alle und jeden. „Posthistorie ist das Weltalter der
Langeweile“ (55), das von den Gutmenschen als den Letzten Menschen
regiert wird. „In dieser Welt herrscht das Rentnerideal
freiwilliger Knechte, die Nietzsche mit größter Präzision als die
autonome Heerde beschrieben hat (55). […] Und überall wo der
Sozialismus real existiert, programmiert er die Gleichheit der
Unfreien. Als Wohlfahrtsstaat besteuert er den Erfolg und
subventioniert das Ressentiment“ (58).
Gerade in der Verklärung des Sozialen, in der religiösen Aura, die
um diesen Begriff gewebt wird, sieht Bolz einen Euphemismus. Stets
geht es hierbei um „Gehirnwäsche“ und um die Austreibung von
Individualität und Wettbewerb, denn für die „Religion des Letzten
Menschen gibt es nichts Schlimmeres als die Sünde wider den heiligen
Teamgeist“ (57). Sozialabsicherung – damit besänftigt die
Politik nicht nur die Aufsässigen, schafft sich ein Heer von
Unmündigen, die in der Lethargie ihre in aller Monotonie verlaufende
ewige Wiederkehr bejahen. Die politische Rede um Fürsorglichkeit,
und dies wiegt viel schlimmer, kaschiert immer den politischen Willen
zur Macht des politischen Emporkömmlings, eine Strategie, die auf
erfolgsgekrönten Bahnen einmündig in ihr Ziel einläuft. Wie Bolz
mit Huxley kritisiert, ist alle Wohlfahrt Tyrannei. „Gerecht zu
scheinen, ohne es zu sein, ist jene höchste Ungerechtigkeit, die man
‚soziale Gerechtigkeit’ nennt“ (58). Wie sehr Bolz hier in das
Herz des Wohlfahrtsstaates schneidet, ist im Hinblick auf Hartz IV
augenscheinlich. Auch auf das Spielchen mit der sozialen Frage darf
man in dem gerade in Schwung gekommenen Wahlkampf gespannt sein.
Kurzum: Bolz’ Buch ist auch für all jene lesenswert, die nur ein
bedingtes Interesse an Religion haben. Das Buch leistet mehr, als nur
über Religion zu informieren. Es streitet gegen den Zeitgeist und es
ist ehrlich, es blickt hinter die Phänomene und die
Lippenbekenntnisse, räumt mit der „Sklavenmentalität“ auf. Bolz
will nicht zur Unmündigkeit erziehen, will keine „betreuten
Menschen“ wie die Sozialreligion, sondern wie Nietzsche zur
Freiheit der freien Geister, zur Mündigkeit der Untertanen
auffordern – dies auch und bewußt gegen die gängige Political
Correctness.
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