Erschienen in Ausgabe: No 75 (5/2012) | Letzte Änderung: 08.02.13 |
von Bernd Villhauer
Der emeritierte Philosophieprofessor Wiebrecht Ries hat ein
Buch veröffentlicht, das sich um einen Schlüssel-Roman der Moderne dreht: Franz
Kafkas „Der Process“. Vom Elfenbein Verlag wurde dem Werk eine schöne Form
gegeben und es ist auf der letzten Frankfurter Buchmesse vorgestellt worden.
Der Band kommt schlank und klar daher, mit seinen 184 Seiten und in dezent
modernistischem Design. Wieder einmal hat der kleine feine Berliner Elfenbein
Verlag (www.elfenbein-verlag.de) Stilbewusstsein
bewiesen.
Es ist jedoch ein Wagnis, einen solchen Band zu verlegen,
zumal Elfenbein bisher eher mit Lyrik-Veröffentlichungen Aufmerksamkeit erregt
hat. Tatsächlich steht zu erwarten, dass der Band das Schicksal vieler solcher
Emeriti-Bände teilt: ein kleines Publikum von Freunden und Bekannten wird
beschenkt, einige wenige Medien bringen eine Erwähnung oder sogar eine Besprechung,
nach zwei Jahren liegt der Band in der Billigkiste beim modernen Antiquar.
Warum sollte man wünschen, dass diesem Band das erspart
bleibt? Was genau soll man ihm wünschen? Um das sagen zu können, muss man
zunächst verdeutlichen, was der Autor mit diesem Buch nicht will. Es ist keine
„Gesamtdarstellung“, keine „Einführung“, keine „Interpretationshilfe“, keine
„wissenschaftliche Monographie“, keine „Erörterung“, kein „Schlüssel“. Ja, um
einen Schlüssel handelt es sich nicht, vielmehr um ein weiteres Schloss.
Ries wirft Fragen auf und umkreist Schlüsselmotive des
Werks, er gibt dem Leser nicht die Lösung, sondern zeigt ihm, wie er selbst mit
den Problemen und Rätseln umgeht. Das macht die Stärke des Buches aus: ein
Leser lässt andere an seinen Erfahrungen teilhaben. Dabei lernt man natürlich
eine Menge über die vielfältigen Bezüge, in denen Kafkas Werk steht. Aber eine
Deutung mutet uns der Autor nicht zu, darin erfreulich unphilosophisch bzw.
unsystematisch. Stellungnahmen der unterschiedlichsten Kafka-Interpreten werden
referiert und doch sind es die eigenen existenziellen Fragen, die die Arbeit
bewegen und vorantreiben. Das mag man für „unwissenschaftlich“ halten. Aber es
erreicht den teilnehmenden Beobachter in einer Weise, die Tonnen von gelehrter
Sekundärliteratur nicht möglich wäre.
Vieles wäre hier hervorzuheben; ich will nur auf die
psychologische Feinfühligkeit aufmerksam machen, die es Ries ermöglicht, hinter
die Bilder zu blicken ohne dass er das Bildhafte beiseite schiebt. Die Bilder
Kafkas sprechen – und sie sprechen in einer verbindlichen und deutlichen Weise
nicht zu unserem Gehirn, sondern zu unseren „Knochen“. Das gezeigt, ja
gezeichnet zu haben, das ist die bleibende Leistung dieses kleinen großen
Buches. Die Leser, die das aufnehmen können, erreicht es hoffentlich
nachhaltig.
Wiebrecht Ries: „Maskeraden des Auslands“. Lektüren zu Franz Kafkas
‚Process’, Elfenbein Verlag Berlin, 184 Seiten, 20,- Euro, ISBN
978-3-941184-13-8
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