Erschienen in Ausgabe: No 71 (1/2012) | Letzte Änderung: 06.02.13 |
von Heike Geilen
Nur
noch wenige Monate trennen die Handlung dieses Buches von einem der
folgenreichsten Börsencrashs der Geschichte: dem allgemein als "Schwarzen
Donnerstag" bezeichneten 24. Oktober 1929, der in Folge als Auslöser der
"Great Depression" in den USA und einer weltweiten Wirtschaftskrise
gilt. Der zuvor jahrelang stark gestiegene Dow-Jones-Index verzeichnete auf
einmal einen deutlichen Rückgang und löste bei den Anlegern Panik aus. Auch
wenn nur dieser eine Tag sprichwörtlich wurde, zog sich der eigentliche Crash
über Tage, und die folgende Baisse erreichte erst 1932 ihren endgültigen
Tiefpunkt.
Thomas
Wolfe, der 1938 leider viel zu früh, mit erst 38 Jahren an Tuberkulose verstorbene,
"beschreibungswütige", vielversprechende amerikanische Autor hat das
Manuskript zu "The Party at Jack's", für ihn übrigens seine "am
dichtesten verwobene Arbeit", gleichfalls an einem einzigen Tag im Mai
1928 angesiedelt. Der Plot, der auf wahren Ereignissen basiert, kann durchaus
als Gleichnis zum "Black Thursday" gelesen werden. Die
unterschiedlich langen, substanziellen und signifikanten, vielfach aufeinander
bezogenen Kapitel, laufen in der Mitte des Textes auf einen Wendepunkt zu, um
hernach in den Bereich der roten Zahlen zu rutschen.
Als
Hauptaktionäre agieren die Jacks, eine im New York der Roaring Twenties zu
enormen Vermögen gekommene jüdische Familie: urban, mit distinguierten
Umgangsformen, einer herausragenden Stellung in der Welt, mit Macht und stiller
Autorität. Er, Mr. Frederick Jack, ein liberaler, lebenskluger und Ordnung
liebender Wall-Street-Broker, "fest verankert auf seinem Fels aus Luxus
und Stille im dichtesten, zentralsten Geflecht des Menschengewimmels, der Prinz
der Atome, umgeben von Chaos, diesem Luxus von Raum und Stille und Licht und
eisenumgürteter Sicherheit". Sie, eine Frohnatur, Bühnen- und
Kostümbildnerin: praktisch veranlagt, energisch und mit einer
"heimlichen" Affäre, hinter der sich der Autor höchstpersönlich
verbirgt.
Als
Highlight gelten Mrs. Esther Jacks Partys, zu der jede Menge illustres Publikum
aus New Yorks Upper Class strömt. Man feiert "in einem zelebrierten Muster
aus Weiß und Schwarz und Gold und Macht und Reichtum und Liebreiz und Essen und
Trinken." Da flaniert die übersättigte, verwöhnte Gesellschaft im Luxus
ihrer Tugendhaftigkeit, in schimmernder Seide "in dieser geisterhaften,
traumatischen Schattenschau der Zeit. (...) Sie waren von der Liebe angeödet,
und vom Hass. Sie waren von den Menschen angeödet, die schöpferisch tätig
waren, und von solchen, die nicht schöpferisch tätig waren. Sie waren von der
Ehe angeödet und von dem segensreichen Leben allein; sie waren von der
Keuschheit angeödet, und sie waren vom Ehebruch angeödet. Sie waren von Reisen
ins Ausland angeödet, und vom Zuhausesein waren sie ebenfalls angeödet..."
Bis ihre Selbstzufriedenheit und Dekadenz einen Dämpfer bekommt.
Der
detailverliebte Sprachkünstler Wolfe, dessen Text elanvoll von Susanne Höbel
ins Deutsche übertragen wurde, folgt seiner Erzählung nicht stringent
chronologisch, sondern mäandert kaleidoskopartig durch seinen Plot. Dabei
erstellt er mit feinen Andeutungen ein faszinierendes "soziologisches
Röntgenbild". Gleichzeitig zeichnet ihn die messerscharfe Porträtierkunst
seiner in Szene gesetzten Handelnden aus. Den Aufzügen, die ständig neue Leute
zur Party bringen, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie entsprechen
ganz der "gesellschaftlichen Dynamik, die durch die Uneinigkeit des
Dienstpersonals zusätzlich an Fahrt gewinnt.", schreibt Kurt Dasow in
seinem Nachwort. Doch letztendlich bleiben auch diese stecken und Mr. Jack
"war zu allem, was er gekannt hatte und was Teil von ihm gewesen war,
zurückgekehrt, doch schien es nicht mehr Teil von ihm zu sein. Es schien ihm
unfassbar, dass es jemals Teil von ihm gewesen war, und die Vertrautheit allein
erfüllte seine Seele mit Schrecken und Ungläubigkeit. (...) Ihm war, als sei er
sprachlos und heimatlos, eine Phantomgestalt, als gehöre er nirgendwo dazu,
könne sich keiner Sache mehr sicher sein, und sein ganzes Leben sei womöglich
nichts weiter als ein flüchtiges Bild im Traum der Zeit."
"Er
hätte der größte amerikanische Schriftsteller sein können - wenn er bloß länger
gelebt hätte", meinte der Nobelpreisträger William Faulkner über Thomas
Wolfe. Mit "Die Party bei den Jacks" ist dem amerikanischen Autor auf
jeden Fall ein emphatisches, episches Zeitzeugnis gelungen, das gerade in der
heutigen Zeit wieder mehr als aktuell zu sein scheint.
Thomas
Wolfe
Die Party bei den Jacks
Originaltitel: The Party at Jack's
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt
von Susanne Höbel
Mit einem Nachwort von Kurt Darsow
Manesse
Verlag, Zürich (Juni 2011)
352
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3717522345
ISBN-13:
978-3717522348
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