Erschienen in Ausgabe: No 76 (6/2012) | Letzte Änderung: 06.02.13 |
von Michael Lausberg
Nach
der Aufdeckung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im
November vergangenen Jahres sind die Diskussionen um ein NPD-Verbotsverfahren
wieder aufgeflammt. Befürworter und Gegner sind fast tagtäglich in den
hegemonialen Medien der Bundesrepublik präsent; vor allem bis zu den
Bundestagswahlen im nächsten Jahr werden die Diskussionen nicht nachlassen. Vor
diesem Hintergrund ist es aufschlussreich zu sehen, wie das bislang einzige
Verbot einer neonazistischen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik,
nämlich der Sozialistischen Reichspartei im Jahre 1952, zustande kam.
Die Sozialistische Reichspartei
(SRP) wurde am 2.10.1949 in Hannover gegründet. Die wichtigsten Organe der SRP
waren der Parteivorsitzende, der aus fünf Mitgliedern bestehende Vorstand, der
Parteirat, der sich aus 21 Mitgliedern zusammensetzte, und die
Parteiversammlung. Regional gliederte sich die SRP in Landes-, Kreis- und
Ortsverbände, die jeweils von einem Vorsitzenden autokratisch geleitet wurden.
Die Vertreter der höheren und mittleren Parteiebene waren fast alle langjährige
Mitglieder der NSDAP und anderer völkischer Organisationen. Diese Personen
besaßen bis 1945 zum Teil einflussreiche Funktionen im Partei- und
Regierungsapparat der NSDAP.[1]
Es lässt sich nachweisen, dass
ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus kein Nachteil, sondern eher eine Empfehlung
für Führungsaufgaben innerhalb der SRP war. Der Führungsstab der SRP zielte
darauf ab, frühere Nationalsozialisten in ehemals einflussreichen Positionen an
sich zu binden und sie wieder mit wichtigen Aufgaben auszustatten. In den Akten
des Bundesverfassungsgericht hieß es: „Der Zeuge Heller teilte am 28. September
in seiner Funktion als Hauptgeschäftsführer der SRP dem Zeugen Finke einige
Anschriften mit und schreibt dazu wörtlich: Ich bitte, die Anschriften
vertraulich zu behandeln und eine persönliche Fühlungsnahme herzustellen, da
die genannten Personen auf Grund ihrer früheren Tätigkeit wahrscheinlich
unserem Gedankengut nahe stehen.“[2]
Bei den Mitgliedern der SRP war
die Altersgruppe der 20-bis 40jährigen und der Anteil von Vertriebenen, der
regional zwischen 30 und 60 Prozent schwankte, überdurchschnittlich stark
vertreten.[3]
Eigenen Angaben zufolge zählten insbesondere Arbeiter und Landwirte zu den
Mitgliedern. Entsprechend ihres Selbstverständnisses der Einigung aller
Deutschen in einer „Volksgemeinschaft“ wollte die SRP suggerieren, dass sie
sowohl Mitglieder als auch Wähler aus allen Teilen der Bevölkerung anzuziehen
vermochte.
In ihrer inneren Struktur war
die SRP keine demokratische Partei. Entscheidungen wurden in der Regel nicht
durch das Mehrheitsprinzip, sondern durch die Anordnung der Parteileitung an
ihre Gefolgschaft getroffen.
Das politische Programm
basierte auf der Weltanschauung des Nationalsozialismus. Es war vor allem
gekennzeichnet durch eine totalitäre Staatsordnung und eine aus dem
„Führerprinzip“ resultierende, diktatorische Regierungspraxis sowie durch das
Einparteiensystem und die „Einheit von Partei und Staat“, durch den Mythos vom
„Reich“ und vom „Rassenfeind“. Der auf dem Rassismus gründende
weltgeschichtliche deutsche „Führungsanspruch“ wurde fortgesetzt. Die
Anschauung, dass Deutschland nicht mehr einem absoluten Recht verpflichtet,
sondern dass der Wille des „Führers“ oberstes Gesetz sei, wurde nicht
geleugnet.[4]
Die SRP verstand sich nicht nur als Partei, sondern als „Sammlungsbewegung des
nationalen Widerstandes und deutschen Selbstbehauptungswillens“ innerhalb des
politischen Lebens der BRD.[5]
Dieses Selbstverständnis enthielt den Widerstand gegen die Herrschaft der
Alliierten und die Restauration deutscher Großmachtpolitik.
Die SRP verfolgte die Idee der
„nationalsozialistischen Revolution“ weiter: „In Europa ist in der Zeit
zwischen den beiden Weltkriegen an verschiedenen Stellen der Versuch einer echten Lösung der nationalen und
sozialen Probleme unternommen worden. Mag man diesen Versuch im wesentlichen
als geglückt oder gescheitert ansehen, der Wille zu einer echten Lösung im
Gegensatz zu der bolschewistischen Scheinlösung war zweifelsohne vorhanden. Und
man wird schwerlich bestreiten können, daß er hier und da sichtbare Früchte zu
tragen begann.“[6]
Am 15.11.1951 hielt der
SRP-Bundestagsabgeordnete Franz Richter im Rahmen einer Debatte um die
„Wiedergutmachung“ an Israel und die Rückerstattung ehemaligen jüdischen
Vermögens eine antisemitische Rede, in der er den Staat Israel als „Aggressor“
im Nahen Osten brandmarkte und alle Personen, die sich für eine
deutsch-jüdische Verständigung einsetzten, als „Kollaborateure“ beschimpfte.[7]
Ein Redekonzept der SRP enthielt folgende Passage: „Glaubt man, den
Antisemitismus zu besiegen dadurch, dass Emigranten in amerikanischer oder
englischer Uniform 1945 einströmten, die man an den Nasen erkannte?“[8]
Der SRP-Vorsitzende Fritz Dorls versuchte auf einer Pressekonferenz im Mai
1950, die Konzentrationslager als „historische Notwendigkeit“ hinzustellen: „Die
Ära von 1933 bis 1945 war der Höhepunkt einer revolutionären Epoche des
Abendlandes gewesen, in deren Mittelpunkt Deutschland gestanden hat. Die KZ’s
und Gaskammern waren die revolutionäre Methodik dieser Epoche, in der ein neues
Lebensprinzip geboren worden ist.“
Die SRP schaffte mit der
„Reichsjugend“ eine „unabhängige, auf dem Boden unserer Anschauung stehende
Jugendbewegung“, die die lokalen, zumeist von ehemaligen HJ-Führern betriebenen
neonazistischen Jugendgruppen zusammenfassen sollte. Das Bundesverfassungsgericht
äußerte in ihrem Verbotsurteil, dass die „Reichsjugend“ nach dem Vorbild der
Hitler-Jugend (HJ) organisiert war. Das Gericht verwies dabei auf die
Ähnlichkeit der Uniformen der „Reichsjugend“ mit denen der HJ, von denen sich
nur die Farbe des Hemdes – olivgrau statt braun – unterschieden.[9]
Die SRP war zwischen 1950 und
1952 für eineinhalb Jahre im Bundestag durch Franz Richter und Fritz Dorls
vertreten, die von anderen Parteien zur SRP übergetreten waren. Bei der
Landtagswahl in Niedersachsen am 6.5.1951 erzielte die SRP mit 11% der Stimmen
einen überraschenden Erfolg.[10]
Sie stellte insgesamt 16 Landtagsmitglieder im Kabinett in Niedersachsen.
Das Verbot der SRP wurde durch
die damalige Bundesregierung lange vorbereitet. Da das Bundesverfassungsgericht
sich erst im Aufbau befand, musste sie mit ihrem Verbotsantrag noch warten. Im
September 1951 beschloss die Bundesregierung unter Adenauer die Entfernung der
SRP aus dem Öffentlichen Dienst.[11]
Dem ging der Beschluss vom 4.5.1951 voraus, wo die Bundesregierung die SRP als
verfassungsfeindliche Organisation bezeichnete. Aufgrund der Erfolge der SRP
bei der niedersächsischen Landtagswahl stieg der Druck für ein
Verbotsverfahren. Die oben angesprochene antisemitische Rede Richters im
Bundestag, die eines der stärksten Tabus der deutschen Nachkriegsgesellschaft
berührte, gab den entscheidenden Anstoß zum Verbotsverfahren. Am 19.11.1951
stellte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht den Antrag, die SRP
als verfassungsfeindliche Partei zu verbieten. Ende Januar 1952 wurde mit der
Durchsuchung von Parteigeschäftsstellen und Privatwohnungen zur Sicherstellung
belastender Materialien für den anstehenden Prozess begonnen. Im Verlaufe des
Prozesses wurde der SRP im Juli 1952 jegliche öffentliche Werbung untersagt.
Die Führung der SRP reagierte mit organisatorischen Planungen für den
eventuellen Verbotsfall und löste ihre Partei am 12.9.1952 auf, um die
Kontinuität der Arbeit ihrer Mitglieder nicht zu gefährden.[12]
Bei dem Verbot der SRP am
23.10.1952 bezog sich das Bundesverfassungsgericht auf Artikel 21 des
Grundgesetzes, wonach Parteien oder Organisationen, „die nach ihren Zielen oder
nach dem Verhalten ihrer Mitglieder darauf ausgehen, die freiheitlich
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den
Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“, als verfassungswidrig
einzustufen sind. Das Gericht begründete das Verbot hauptsächlich mit der
These, dass die Partei in ihren Programmen sich selbst als
Nachfolgeorganisation der NSDAP bezeichne und eine Wesensverwandtschaft mit dem
Nationalsozialismus aufweise.[13]
In der Begründung hieß es: „ Dass die SRP sich selbst als Nachfolgeorganisation
der NSDAP fühlt, zeigt sich in der personellen Zusammensetzung der
Führungsschicht, die überwiegend aus ehemaligen Nationalsozialisten besteht, in
der Bemühung der Partei, frühere Nationalsozialisten als Parteimitglieder zu
gewinnen – nicht obwohl, sondern weil sie Nationalsozialisten waren – und in
der unverhohlenen Glorifizierung Hitlers (…). Mag auch der SRP die
Übereinstimmung mit den Zielen und Methoden der NSDAP nicht in allen
Einzelheiten nachzuweisen sein, so gebietet doch der auch im Bereich des
Politischen gültige Schluss von der Form auf den Inhalt die Folgerung: eine
Partei, die einer eindeutig verfassungswidrigen politischen Bewegung der
Vergangenheit in ihrer Vorstellungswelt und in allen wesentlichen Formen der
Äußerung wesensverwandt ist, wird auch, sofern sie weiterwirken kann, die
gleichen oder doch gleichartige Inhalte zu verwirklichen suchen.“[14]
Bei dem Verbot spielten aber
nicht nur innenpolitische Gründe eine Rolle. Es ist anzunehmen, dass die
Bundesregierung durch die Wahlerfolge der SRP ihre Verhandlungen über die
Souveränität der Bundesrepublik und ihre Eingliederung in das westliche
Verteidigungsbündnis belastet sahen. Außerdem sollte das Verbot dem Ausland
symbolhaft zeigen, dass die Bundesrepublik gewillt war, neonazistische Parteien
nicht zu dulden. Ein weiterer Faktor war, dass eine starke Konkurrenz von
Rechtsaußen den bürgerlichen Parteien auf Dauer auch Wähler streitig machen
konnten. Dieser machtpolitische Aspekt darf unter keinen Umständen unterschätzt
werden.
Der Vorsitzende Fritz Dorls
plante nach dem Verbot durch das Bundesverfassungsgericht, die SRP im
Untergrund weiterzuführen. Bei Hausdurchsuchungen von mehreren hundert
ehemaligen Mitgliedern der Partei wurden Unterlagen über die Fortführung der
Parteiarbeit in Nachfolge- und Tarnorganisationen gefunden. Am 5.11.1952 wurden
in einem Erlass des Innenministers von Niedersachsen 61 verschiedene
SRP-Tarnorganisationen bekannt gegeben.[15]
Dorls flüchtete vor der drohenden Verhaftung nach Ägypten. Als er 1955 wieder
in die BRD zurückkehrte, wurde er verhaftet und 1957 zu 14 MonatenGefängnis wegen „Rädelsführerschaft in einer
verfassungsfeindlichen Organisation“ verurteilt.[16]
Literatur
-Assheuer, T./Sarkowicz, H.: Rechtsradikale in
Deutschland. Die alte und die neue Rechte, München 1990
-Büsch, O./Furth, P.: Rechtsradikalismus im
Nachkriegsdeutschland. Studien über die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP),
Berlin 1957
-Bv B 1/51
-Deutsches Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.):
Die westdeutschen Parteien, Berlin (Ost) 1966
-Jenke, M.: Verschwörung von Rechts? Ein Bericht
über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1945
-Kalinowsky, H.H.: Kampfplatz Justiz. Politische
Justiz und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990,
Pfaffenweiler 1993
-Landesinformationsdienst des Landes
Schleswig-Holstein vom 28.12.1951, Akten 1 Bv/51-H6-Urkunde Nr. 237
-Pfahl-Traughber, A.: Rechtsextremismus in der
Bundesrepublik, München 1999
-Stöss, R.: Die Sozialistische Reichspartei
(SRP): Ders. (Hrsg.): Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik
Deutschland 1945-1980, Band 4 NPD-WAW, Opladen 1986, S. 2286-2336
[1]
Deutsches Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.): Die westdeutschen Parteien,
Berlin (Ost) 1966, S. 493
[2]
Bv B 1/51, S. 4
[3]
Pfahl-Traughber, A.: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München 1999, S.
81
[4]
Büsch, O./Furth, P.: Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über
die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP), Berlin 1957, S. 25
[5]
Stöss, R.: Die Sozialistische Reichspartei (SRP), in: Ders. (Hrsg.). Parteien
Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Band 4
NPD-WAW, Opladen 1986, S.2286-2336, hier S. 2286
[6]
Rednerinformationen des Landesverbandes Niedersachsen, Nr. 4/1951, S. 3
[7]
Jenke, M.: Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in
Deutschland nach 1945, Berlin 1961, S. 97
[8]
Landesinformationsdienst des Landes Schleswig-Holstein vom 28.12.1951, Akten 1
Bv 1/51-H6-Urkunde Nr. 237
[9]
Stöss, Die Sozialistische Reichspartei (SRP), in: Ders. (Hrsg.): Parteien
Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Band 4
NPD-WAW, a.a.O., S. 2322f
[10]
Ebd., S. 2278
[11]
Kalinowsky, H.H.: Kampfplatz Justiz. Politische Justiz und Rechtsextremismus in
der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990, Pfaffenweiler 1993, S. 132
[12]
Stöss, Die Sozialistische Reichspartei (SRP), in: Ders. (Hrsg.): Parteien
Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Band 4
NPD-WAW, a.a.O., S. 2274
[13]
Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 23
[14]
Zitiert aus Assheuer, T./Sarkowicz, H.: Rechtsradikale in Deutschland. Die alte
und die neue Rechte, München 1990, S. 14
[15]
Jenke, Verschwörung von rechts?, a.a.O., S. 115
[16]
Ebd
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Warszawski 12.06.2012 10:30
"Am 15.11.1951 hielt der SRP-Bundestagsabgeordnete Franz Richter ... eine antisemitische Rede, in der er den Staat Israel als „Aggressor“ im Nahen Osten brandmarkte ..." Die Nachkriegsnazis waren ihrer Zeit voraus. Heute verfassen sogar der SPD nahe stehende Dichter solche Texte, die 70% der deutschen Bevölkerung gut heißen.