Erschienen in Ausgabe: No 75 (5/2012) | Letzte Änderung: 08.02.13 |
von Heike Geilen
Der moderne Mensch gilt als relativ
unabhängig, frei und wohlhabend. Er nagt nicht am Hungertuch, hat ein Dach über
dem Kopf und ist im globalen wie auch historischen Vergleich nicht arm dran.
Aber: Genau dieser Mensch ist zunehmend gestresst und sein Glücksfaktor auf
einer absteigenden Kurve. Warum entwickeln wir inmitten steigenden Reichtums
diesen Hang zur Unzufriedenheit? Weshalb dieser latente oder manifeste Stress?
Wieso nehmen in den reichen Ländern der westliche Welt Angsterkrankungen,
Depressionen, Stress und Burn-out stetig zu? Was ist los mit uns? Was fehlt uns
denn im Überfluss?
Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast,
selbst ausgebildeter Psychologe und Biologie, nimmt sich in seinem neuesten
Buch diesem Paradoxon an. Unter Zuhilfenahme vieler empirischer Studien
versucht er sich ein Bild zu machen, "wie wir ticken, was uns antreibt,
was uns glücklich stimmt und, umgekehrt, zur Verzweiflung bringt." Eines
kristallisiert sich sofort deutlich heraus: Das Problem des modernen Menschen
"besteht weniger darin, dass man ihm vorschreibt, wofür er sich
entscheiden und was er mit seinem Leben tun soll, sondern eher darin, dass er
nicht immer genau weiß, was er wollen soll." Denn, so der Autor,
"vielleicht sind wir ja nicht unzufrieden obwohl, sondern weil wir so
viele Möglichkeiten haben."
In drei Kapitel hat er sein Werk
gegliedert und plaudert in munterer, anschaulicher Weise, gewürzt mit einer Vielzahl
anschaulicher Grafiken, über unsere "Grundübel".
Problem Nr. 1: Unsere
Überflussgesellschaft leidet offensichtlich an einem Zuviel an Freiheit. Der
Schweizer Volkswirtschaftler Mathias Binswanger formuliert die Krux so:
"Je mehr Optionen zu Verfügung stehen und je besser und attraktiver diese
sind, auf umso mehr muss man verzichten, wenn man sich für eine bestimmte
Option entscheidet." Absurderweise fühlt sich ein derart überforderter
Mensch, obwohl er immer mehr hat, immer ärmer.
Problem Nr. 2: Wohlstand hat, so schön
er ist, auch seine Schattenseiten. Geld macht nicht zwangsläufig glücklich,
sondern im wahrsten Sinne des Wortes arm: arm an zwischenmenschlichen
Beziehungen bis hin zu sozialer Vereinsamung. Der Mensch erfährt durch die
Marktförmigkeit unserer Gesellschaft eine psychische Unter- oder Fehlernährung.
Geld oder Wohlstand lockern das Band einer Gemeinschaft nach und nach auf und
erzeugen eine Gruppe von Einzelkämpfern.
Problem Nr. 3 befasst sich mit der
Frage wie die Unruhe in unser Leben trat. Bereits Goethe spürte im Zeitalter
der beginnenden Industrialisierung diese Lebensbeschleunigung und beschimpfte
sie als "veloziferisch", womit er in einem Wort die Schnelligkeit
(lateinisch: velocitas) mit dem Teufel (Luzifer) kurzschloss. Ein mediales und
freizeitgestalterisches Überangebot sowie die allerorts vorhandene Möglichkeit
der Vernetzung erzeugt eine niemals ruhende Dynamik in uns.
Fazit: Wir haben die chronische
Knappheit durch ein chronisches Zuviel ersetzt, womit die "Chronik der
Natur aus den Fugen geraten ist", so der Autor. Unser Bruttoglücksprodukt
ist im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesunken. Bast Kast legt vielfältige
Beispiele dar und versucht sich in Lösungsansätzen, die - eigentlich allgemein
bekannt - letztendlich immer auf ein "Weniger ist manchmal mehr"
hinauslaufen. Vielleicht sollten wir in einer ruhigen Minute... Stunde... über
die Privilegien, die wir genießen nachdenken, eingeschlossen das Privileg, sich
den einen oder anderen selbstgewählten Verzicht überhaupt leisten zu können.
Denn sie stellen etwas äußerst Knappes dar, "was uns ihre Kostbarkeit
einmal mehr ins Bewusstsein rücken sollte."
Bas
Kast
Ich weiß nicht, was ich wollen soll.
Warum wir uns so schwer entscheiden können
und wo das Glück zu finden ist
S.
FischerVerlag, Frankfurt am Main
(April 2012)
285
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3100383036
ISBN-13:
978-3100383037
Preis:
18,99 EURO
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.