Erschienen in Ausgabe: No. 33 (3/2008) | Letzte Änderung: 21.03.10 |
von Stefan Groß
Das oft dunkle Raunen
der Philosophie im Gewand der akademischen Tradition beklagen viele,
die sich für die Kunst des Denkens interessieren, die also
genuine Freunde der Weisheit sind, Freunde, die den Dialog mit sich
selbst, mit den anderen suchen. Doch für viele endet bereits der
Versuch einer Auseinandersetzung mit der tiefsten aller Weisheiten,
der Philosophie, mit dem Aufschlagen des Klappentextes
wissenschaftliche Bücher. Das Resultat dieser zärtlichen
Annäherung ist bekannt. Die oft als mühsam zu lesende
Lektüre verschwindet wieder zurück ins Bucherregal.
Sich
der Philosophie, insbesondere auch im akademischen Studium
anzunähern, bleibt ein Risiko, nicht zuletzt ein existentielles
für all jene, die am Ende ihrer Studien den Preis für ihren
allzu hohen Idealismus zahlen müssen – Philosophie als
Broterwerb ist fast ausgeschlossen. Der Studierte schwankt dann
zwischen dem heeren Wunsch, sein gefundenes Wissen einem akademischen
Publikum preiszugeben, das klein und erlesen, möglicherweise ihn
in den inneren Raum des Akademie- und Universitätsbetriebes, in
den heiligen Tempel, aufnimmt, mit den notwendigen und
unvermeidlichen Üblichkeiten akademischer Insignien der Macht,
mit Promotion und Habilitation und letztendlich mit einem Lehrauftrag
versieht, oder: Er öffnet sich einem Diskurs, macht seine Texte
einem großen Publikum zugänglich, versucht sich im Ethos
des Schreibens, damit man ihn höre, damit seine Stimme vernommen
werde, was letztendlich auch der Philosophie heute noch um so mehr
not tut, so sehr sie an die Ränder gespielt, mit den
Sozialwissenschaften, der medizinischen Forschung und dem technischen
Fortschritt um ihre Existenz ringt. Anders gesagt: Schreibt man es
einfach und verstehen es alle, dann verschließt sich der
Tempelbezirk für immer, schreibt man es kompliziert oder
komplizierter, besteht zumindest, wenngleich höchst
eingeschränkt, die Möglichkeit in akademischen Würden
zu altern. Diesem Dilemma der Mitteilung beizukommen, dem Wie
des Mitgeteilten, diesen Kampf kämpfen nicht nur Michel Onfray,
Wilhelm Schmid und viele andere, sondern auch Richard David Precht
mit seinem im Goldmann-Verlag erschienenen Buch Wer
bin ich und wenn ja, wie viele?
Philosophische
Bücher, die Bestseller werden, gibt es heutzutage nicht mehr
viele. Vergangen sind die Zeiten, als Eberhard Griesebach mit seiner
Gegenwart und
Rudolf Eucken mit Der Sinn
und Wert des Lebens und
Geistige Strömungen
der Gegenwart ein
Millionenpublikum begeisterten, was nicht zuletzt Eucken 1908 den
Nobelpreis für Literatur einbrachte. Es war nicht nur die
Flüssigkeit der Darstellung, die sachbezogene und auf den Common
Sense zugeschnittene Schreibart, sondern der darin mitgetragene
Inhalt, Fragen, die die Welt beschäftigten, Fragen zur
Lebensanschauung, Fragen über das Wozu und Warum endlicher
Existenz, die den Menschen seit Urzeiten bestimmende Frage nach dem
Sinn und dem Wesen der Wahrheit, die großen Fragen der
Menschheit also, die Immanuel Kant als die drei Grunddimensionen des
Menschen beschrieb. Was heißt Erkenntnis und wo liegen ihre
Grenzen? Gibt es allgemeine und universale moralische Gesetze, die
für alle Menschen gültig sind, und wie lassen sie sich
begründen? Und schließlich: Worauf kann der Mensch
vertrauen, selbst dann, wenn die Wissenschaft darauf keine Antworten
mehr zu geben imstande ist?
Precht nimmt sich der
kantischen Fragestellungen an und gliedert demgemäß sein
Buch unter die Rubriken Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Und:
Was darf ich hoffen? Dabei geht es ihm nicht à la Kant um die
Bedingungen von Möglichkeit von Erkenntnis, Sittlichkeit und
Religiosität in den Grenzen der bloßen Vernunft, sondern
um eine breitgefächerte Aufarbeitung der jeweiligen Fragen, die
ihre Antworten sowohl aus dem Idealismus als auch aus dem Empirismus
und nicht zuletzt aus der kognitiven Hirnforschung beziehen. Letztere
ist es, deren Entwicklung, Wirkung und Stellenwert Precht gern
bemüht, um beispielsweise die von ihm herausgearbeiteten Aporien
der Philosophiegeschichte (Descartes einerseits, Locke, Hume
andererseits), die sich beispielsweise im Umfeld der Ich-Philosophie
abzeichnen, in den modernen Diskurs hineinzutragen. Anstatt aber hier
ins Detail zu gehen, die Frage, ob es eine Philosophie vom Ich gibt,
ist ja keineswegs obsolet und nur geschichtlich, sondern über
sie wird aktuell diskutiert, finden sich bei Precht immer wieder
Verweise auf die moderne Hirnforschung, die letztendlich, so das
Dilemma, auch keine genaue Auskunft darüber geben kann, was das
Ich denn nun sei, und warum man sich selbst als fühlendes und
denkendes Wesen begreift.
So sehr das Buch einen
guten Überblick über die Geschichte der Philosophie in
ihren unterschiedlichen Facetten, die aktuellen Debatten um
Sterbehilfe, Embryonal- und Stammzellforschung gibt, immer wieder
verlaufen sich die Argumentationen im Sande, besiegt letztendlich das
Fragezeichen einen bis dahin aufschlußreichen Diskurs. Die
Passagen über die großen Philosophen überzeugen
nicht. Lesenswert ist Precht dann, wenn er sich den vergessenen
Denkern der abendländischen Geistesgeschichte zuwendet, wenn er
beispielsweise Ramón y Cajal und Ernst Mach in den Mittelpunkt
seiner Argumentationslinien rückt. Von den großen
Philosophen erfährt man meist nicht mehr, als dies aus
einschlägigen Einführungen und der vorangestellten Vita
ohnehin schon bekannt ist. Gerade die kleinen Fragen, die Fußnoten,
die ganze Diskussionen auslösten und zu verschiedenen
Schulbildungen führten, werden leider nur gestreift oder sogar
ganz ausgeklammert. Was also diesem Buch fehlt, ist ein
problemorientierter Diskurs, was dann übrigbleibt, ist eine mehr
oder weniger gelungene Einführung in die Philosophiegeschichte,
die auch Kapitän Kirk und das Raumschiff Enterprise für
philosophische Meisterleistungen erklärt, die aber an die
Standardwerke von Wolfgang Röd und Johannes Hirschberger nicht
im Geringsten heranreicht.
Auch
von der vielgelobten Ironie, dem Sprachzauber und einem
wohlpointierten Witz, die auf dem Cover versprochen werden, findet
sich wenig. Prechts Buch ist nüchtern geschrieben, ganz der
neuen Sachlichkeit anvertraut, die Kurzweil der Sätze belegt
dies nachdrücklich. Es ist, was es ist – ein Medienbuch über
Philosophie, das es mit Sofies
Welt auch schon gegeben
hat, das die Menge jener halbgestrickten Intellektuellen befrieden
mag, die gern über Philosophie plaudern, weil es en vogue ist.
Was ihm zugute kommt, im Gegensatz zu vielen weitaus gelungeneren
Einführungen in die Philosophie, ist der mediale Zauber, der
darum veranstaltet wird. Unterstützt wird dies auch von einem
neuen Publikum, das sich mit immer weniger Wissen zufrieden geben
will oder muß und einfach nur rezipieren will. Mit dieser Art
von Philosophie läßt es sich bequem leben.
Diesen Trend
unterstreicht auch Elke Heidenreich, die sich dazu hinreißt, zu
schreiben: „Wenn Sie dieses Buch lesen, haben Sie den ersten
Schritt auf dem Weg zum Glück schon getan“ – von Johannes B.
Kerner einmal ganz zu schweigen. Kurzum, das Dilemma bleibt: Wie
schreibt man über Philosophie, so daß es anspruchsvoll
bleibt und dennoch verständlich ist! Eine gelungene Synthese
zwischen akademischer Gelehrsamkeit und einem guten essayistischen
Stil wäre auch für Precht hilfreicher.
Vielleicht, so kann man
nur mutmaßen, ist der anspruchsvolle Umgang mit der
Philosophie, das wortgewandte Schreiben doch etwas, was mit einer
neuen Generationenlage zu tun hat, die an den Stil früherer
Publizisten nicht mehr herankommt. Rüdiger Safranski und Odo
Marquard liegen mit ihren philosophischen Büchern
und gelehrten Essays Precht um Längen voraus.
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