Erschienen in Ausgabe: No 77 (7/2012) | Letzte Änderung: 03.07.12 |
von Liane Bednarz
Ex-Bankdirektor John Gabriel Borkman: Unmensch, Machtphantast,
Narziss. Ein Ausbeuter, der tief gefallen ist. Grund genug für Armin Petras,
ihn in seiner Inszenierung in den Münchner Kammerspielen kurzer Hand unter Tage
zu verfrachten. Das grandiose Bühnenbild Olaf Altmanns zeigt das Wohnhaus der
Borkmans als Bergwerkstollengewirr.
Im architektonischen Zickzackkurs von oben nach unten. Nur zwei kleine
Kammern lassen Bewegungsfreiheit. Die Beklemmung ist spürbar. Ja, sogar
aggressiv machend. Zwischen den Szenen wirbeln Unmengen von Papier umher.
Geschäftsunterlagen, Kinderzeichnungen – Dokumente eines unterirdischen Lebens.
Innenansichten eines Gefühls
John Gabriel Borkman: „The play to play” in Zeiten der Finanzkrise. Auch
wenn Petras Parallelen erfreulicherweise vermeidet. Borkman (André Jung) wollte
alles: „es ging darum, alles was dieses Land hervorbringt, alle Quellen der
Macht, alle Ressourcen in meine Hände zu bekommen“. Das dafür fehlende Geld
nahm er sich und stürzte damit andere in den Ruin. Mit Folgen: fünf Jahre
Gefängnis wegen Untreue.
Aber Ausbeuter sind hier auch andere. Allen voran Borkmans Frau Gunhild
(Cristin König), in München eine in die Jahre gekommene Blondine, verzweifelt
bemüht, einen Rest verlorener Grandezza durch Frisur und Make-Up
aufrechtzuerhalten. Und voller Hass auf „den Bankdirektor“, wie sie ihn nennt,
den Zerstörer der Familienehre, den sie nach dessen Freilassung für weitere
acht Jahre in die obere Kammer des Stollens verfrachtete. Und dort nie wieder
aufsuchte. Verachtung und Nichtbeachtung. Die emotionale Höchststrafe des
wütenden Weibes, das seither die untere Kammer im Stollen bewohnt.
Gunhilds Hoffnung ruht allein auf dem
gemeinsamen Sohn Erhart, der sie aus ihren seelischen Höllenqualen erlösen und
die Familienehre durch eine glanzvolle Karriere wiederherstellen soll.
Zwei „Mütter“, ein Sohn, ein Machtkampf
Gunhilds farblose Existenz im Stollen erfährt ein plötzliche Wendung, als
ihre feurig-dominante rothaarige Schwester Ella Rentheim – überzeugend
verkörpert von Wiebke Puls - nach acht Jahren Funkstille auftaucht und sich
holen will, was ihr aus ihrer Sicht zusteht: Erhart, den sie einst an Stelle
der überforderten Gunhild aufzog.
Der Besuch der Schwester, der als neckisches, spielerisches Wiedersehen
beginnt, wird zum hasserfüllten „Mütter“-Konkurrenzkampf um Erhart. Denn Ella
ist sterbenskrank, was sie nicht müde wird zu betonen. Ihre restlichen Tage
soll nun ausgerechnet Erhart versüßen.
Eiskalter Narziss
Borkman, der Titelheld – herausragend verkörpert von André Jung –– zeigt im
Stollen all seinen eiskalten Narzissmus. Sein ungebrochener Größenwahn blitzt
schon beim anfänglichen Besuch des naiven und trotteligen Hilfsschreibers
Foldal auf. Borkman prahlt, gibt an und macht sich die Haare schön. Mit Creme –
Pomade gibt’s in seinem Stollenkabuff offenbar nicht. Nur die Blässe und das
Elend im Gesicht wollen einfach nicht dazu passen. Eine tragische Parodie fast.
Später weicht der anfänglich getragene alte Anzug einem Stresemann. Borkman
faselt – geradezu berauscht von den eigenen Allmachtsphantasien.
Das Riesenbaby rastet aus
Die fleischgewordene Antithese: Sohn Erhart (Lasse Myhr). Petras zeigt ihn –
klischeehaft überrissen - als abgerockten und angeschickerten
Verbindungsstudenten mit schlechtsitzendem, dreckigen Anzug, eine Magnumflasche
Schampus im Arm. Darunter aber brodelt ein Vulkan, eine Magmakammer jahrelang
angestauter Wut des Jungen und des Mannes, der von beiden „Müttern“ emotional
ausgebeutet wurde. Und die stehen jetzt vor ihm und fordern eine Entscheidung.
Sie oder ich. Ich oder sie. Die Explosion ist unvermeidbar. Erhart schreit, er
wütet, er brüllt wirre Monologe ins Publikum – und bleibt dabei doch unbeholfen
wie ein Kind. Lasse Myhr macht das sehenswert.
Vor allem aber will Erhart einmal so richtig
„provokant“ sein! Tja, was kann das wohl im gescholtenen deutschen Regietheater
heißen? Klar, Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen! Natürlich. Endlich nackt, greift
sich Erhart sofort an sein bestes Stück und wedelt damit fröhlich herum, als
gäb’s kein morgen. Als Borkman später seinen Oberkörper freimacht, schaut er
ins Publikum und gibt Entwarnung: „keine Angst“. Das sorgt für Gelächter. Für
Petras ist Nacktheit eben auch Ironie. Dass Erhart sich schließlich noch in ein
viel zu enges Superman-Kostüm quälen muss – gut, sei es halt verziehen.
Ironie des Schicksals: Flucht mit der Großmutter
Ironie des Schicksals: Die Flucht aus den emotionalen Klauen von Mutter und
Tante wagt Erhart erst mit der älteren Geliebten Fanny Wilton. Schon der
Altersunterschied von sieben Jahren, den Ibsen im Originaltext vorgibt, lässt
aufhorchen. Die Geliebte als Mutter Nr. 3? Petras jedenfalls überzeichnet diese
Assoziation großartig: seine Fanny Wilton ist mindestens über 60, eine
ältliche, angesäuselte und indifferent wirkende Diva im blauen Abendkleid. Die
Gummistiefel unter ihrem Kleid entlarven ihre Verkleidung. Erhart jedoch sieht
in Fanny sein Glück. Da lassen „Harold und Maude“ grüßen.
Mit im Schlepptau haben die beiden Foldals Tochter Frida (Hanna Plaß),
optisch ein „Mädchen“ – fast wie Lucilectric! Sie beglückte das Publikum zuvor
mit Songs von Rio Reiser und den Ton Steine Scherben. Selbst begleitet am
Klavier, vorgetragen mit schriller Stimme - eine Hommage Petras an die
gemeinsame Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Sänger.
Dann kommt der Tod. Auch „Borkman“ ist am Ende nur ein „Jedermann“. Und dann
fällt der Vorhang. Ein Theater-Erlebnis: weil es vielleicht unser Leben ist.
(c) www.freundederkuenste.de
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