Erschienen in Ausgabe: No 76 (6/2012) | Letzte Änderung: 24.11.12 |
von Jörg Bernhard Bilke
Das Dorf Burträsk hat nur 1575 Einwohnen und liegt im
waldreichen Norden Schwedens nahe der Ostseeküste. Dort wohnte seit 1995der 1944 in Wien geborene Alexander Radler ,
der früher in der DDR gelebt und als „inoffizieller Mitarbeiter“ in Diensten
des „Ministeriums für Staatssicherheit“ in Berlin-Lichtenberg gestanden hatte.
Getarnt als Seelsorger hatte er gehofft, unentdeckt zu bleiben, wenn eines
Tages ruchbar werden sollte, dass er ein Vierteljahrhundert lang für Erich
Mielke gearbeitet hat. Angeworben worden war er 1965 von den immer wachsamen
DDR-Tschekisten, als er an der Humboldt-Universität in Ostberlin Theologie
studierte. Bis zum Mauerfall am 9. November 1989 hatte er Kontakt mit der
„Staatssicherheit“, was jetzt in seiner Täterakte von 1000 Seiten, die auch
seine Observierungsberichte enthalten, nachweisbar ist.
In Schweden wäre er wohl bis zu seinem Tode unentdeckt
geblieben, wenn seine Akte nicht in der Berliner Gauck-Behörde, die heute von
Roland Jahn geleitet wird, gefunden worden wäre. Die schwedischen Behörden
nämlich gehen mit ehemaligen Agenten der DDR-Staatssicherheit behutsam und
nachsichtig um. Da ihre Verbrechen inzwischen verjährt sind, scheint niemand
daran interessiert zu sein, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welchen
Gefahren der neutrale Staat Schweden während des Kalten Krieges ausgesetzt war.
Die 1943 geborene Historikerin Birgitta Almgren in Stockholm, die 2011 das Buch
veröffentlichte „Inte bara spioner…Stasi-infiltration i Sverige under kalla
kriget“ (Nicht nur Spione…Stasi-Infiltration in Schweden während des Kalten
Krieges) , hat das selbst erfahren müssen. Ihr Gesuch, die Akten der
schwedischen Sicherheitspolizei einsehen zu dürfen, wurde zunächst abschlägig
beschieden, bis sie sich den Zugang durch einen Gerichtsprozess erstritt. Die
Auflagen, denen sie sich unterziehen musste, waren: Keinen Kontakt zu den
betroffenen Ex-Agenten aufzunehmen; während der Arbeit im Archiv keine Notizen
anzufertigen; in ihrem Buch die Namen der Betroffenen zu anonymisieren. Unter
diesen Prämissen scheint die Enttarnung Alexander Radlers wie ein Türöffner zu
den Geheimakten der schwedischen Polizei!
Nach einem Gutachten des Berliner DDR-Forschers Prof. Dr. Helmut
Müller-Enbergs, der 2011 an der Universität Visby auf der Insel Gotland
Vorlesungen über DDR-Spionage hielt, war der einstige DDR-Bürger mit
österreichischem Pass nicht nur als einfacher „Aufklärer“ für die Genossen in
der Normannenstraße tätig,sondern er
gehörte einer MfS-Elite an und brachte es zudem auf immerhin 25 „Dienstjahre“,was höchst selten war. Von den 189 000 Zuträgern der Staatssicherheit hatten nur 3900
diesen elitären Status. Den Fall aufgedeckt und den Pfarrer gestellt hatte die
Stockholmer Wochenzeitung „Expressen“, die den Ex-Agenten im Frühjahr 2012 im
nordschwedischen Burträsk mi belastenden Dokumenten konfrontierte. Die Antwort
des beschuldigten Pfarrers war: „Ich bin nicht Spion, ich war nie Spion und
habe meines Wissens nie etwas mit der Stasi zu tun gehabt…Ich habe nichts zu
bekennen und zu bereuen.“ Auch die in den Akten geleisteten Unterschriften wären
nicht seine. Trotz dieser Aussage trat er als Pfarrer von seinem Amt zurück!
Später aber bekannt er gegenüber der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“
in Stockholm : „Ich bedaure den ganzen Handlungsverlauf zutiefst und werde in
der kommenden Zeit meine Lebensgeschichte bearbeiten.“, während seine Frau
gegenüber der Zeitung bestätigte, ihr Mann wäre tatsächlich der „inoffizielle
Mitarbeiter Thomas“ gewesen.
Bevor Alexander Radler 1968 nach Schweden gekommen war, um
an der Universität Lund Theologie zu studieren, war er schon tief in
MfS-Aktivitäten verstrickt. Schon im ersten Jahr nach der Anwerbung hatte er
121 Kontakte mit seinen Führungsoffizieren. Er beobachtete, welchen Einfluss
die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Sommer 1968 auf das Denken der
DDR-Studenten hatte und lieferte der Staatssicherheit die Namen von sechs
Jenaer Studenten, die ihre „Republikflucht“ planten und dann zu
Gefängnisstrafen von anderthalb bis vier Jahren verurteilt wurden; zwei von
ihnen nahmen sich während der Haft das Leben. Als die Staatssicherheit
befürchtete, seine Identität als „inoffizieller Mitarbeiter“ könnte im bevorstehenden
Prozess gegen die „Republikflüchtlinge“ aufgedeckt werden, beschloss die
MfS-Führung, im Einverständnis mit dem „Genossen Minister“, dass er „aus
operativen Gründen ins kapitalistische Ausland“ reisen sollte. Wenn aber die
Schweden Verdacht schöpften, sollte er die Fähre von Trelleborg nach Polen
nehmen, das Ministerium würde dann „für alles Nötige sorgen“.
Alexander Radler gehört zu den DDR-Theologen, die nicht
gerade von christlicher Nächstenliebe erfüllt waren! Nicht Gott, sondern Erich
Mielke waren sie untertan und verrieten ihre Mitbürger reihenweise. Es gab aber
nicht nur Pfarrer und Bischöfe im Dienste der deutschen Tschekisten, sondern
auch MfS-Offiziere, die im Auftrag Erich Mielkes Theologie studierten, um die
Evangelische Kirche zielsichrerer zersetzen zu können. Ein weites Arbeitsfeld
für DDR-Forscher!
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