Erschienen in Ausgabe: No 80 (10/2012) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Shanto Trdic
„Die Feigheit,“ fand der Dramatiker Sigmund Graff,“ tarnt
sich am liebsten als Vorsicht oder Rücksicht.“ So sprach einer, der sich
auskannte; der es wirklich wissen musste. Zwischen 1924 und 1933 war Graff Mitarbeiter
beim deutschnationalen Stahlhelm. Als Redakteur der Parteizeitung nutzte er stets
die Gelegenheit, seiner Linientreuen Gesinnung Nachdruck zu verleihen; etwa,
indem er das Mordgemetzel des 1. Weltkrieges heroisch verklärte. Im Jahr der
Machtergreifung erfolgte seine Ernennung zum Referenten im Reichsministerium
für Volksaufklärung und Propaganda. 1937 entschloss sich dieser brave
Gefolgsmann endlich auch, der NSDAP bei zu treten. Es war nicht zu erwarten,
dass die neuen Herren so schnell wieder abtreten würden. Sie saßen fest genug
im Sattel, Graff konnte also getrost ganz auf diesen Gaul setzen. Erinnert: in jenem
Jahr kamen die Nazis mit ihrer Ausstellung zur entarteten Kunst groß raus. Ein
Jahr später beförderte man den Kulturaufseher Graff schließlich zum
Regierungsrat. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Aufsteiger dann in
die Presse- und Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW)
versetzt. Mit tumben Durchhalteparolen hielt er das Volk leidig bei Laune. Am
Ende des Krieges Hauptmann im NS-Führungsstab des OKW, geriet der kleine
Goebbels endlich in Gefangenschaft. Und hatte Glück: es erwischte ihn im
Westen. Nach der Entlassung wehrte sich der (Langstrecken)Mitläufer Graff vehement
dagegen, mit dem Regime, dessen treuer Vasall er zweifelsohne ständig gewesen
war, in Verbindung gebracht zu werden. Absurd genug, aber ihm war es ernst;
bitterernst. Noch Anfang der sechziger Jahre prozessierte er vor dem Münchener
Oberlandesgericht in eigener Sache. Das anhängige Revisionsverfahren, zwei
Jahre später aufgenommen, verlor der ´Empörer´. Danach ließ Graff es endlich
gut sein. Worte der Reue fand der Klagewütige nie, Zweifel an der eigenen Rolle
hatte er keine. Ja, er kannte sich wahrlich aus mit der Feigheit, dieser
Mitmacher aus Instinkt, und als es darum ging, wenigstens ein klein wenig Größe
zu beweisen, indem er diese seine Feigheit hätte bekennen können, da ließ sich
der Autor lieber auf einen endlosen Prozess-Marathon ein, dem das zu
erwartende, entlarvende Schweigen bis zum Tode folgte. Das galt für viele.
Mich erinnern diese Typen ein
wenig an solche, die heute von Berufs wegen damit beschäftigt sind, andere
Menschen mit Hohn und Spott zu übergießen, während sie selbst bei der geringsten
Beeinträchtigung eigener Befindlichkeiten sofort vor´s höchste Gericht ziehen;
wie beleidigte Leberwürste. Manche, wie der Unterhaltungsexekutor Dieter Bohlen
(„Scheiße kann schwimmen, was kannst du?“), bemühen gleich den EU-Gerichtshof
für Menschenrechte, wenn sie sich ´gedisst´ fühlen. Der Schmachtkomponist meinte
nämlich, man missbrauche ihn als Werbefigur. Hört, hört. Keine Ahnung, was aus
dieser Posse wurde. Aber da kennen sie eben nichts, diese Quotenkönige von der
Lach, - und Schießgesellschaft: da hört´s dann wirklich auf. Es hört bei denen aber
auch bei anderer Gelegenheit schnell auf: und zwar so, dass man sie tatsächlich
gar nicht mehr hört oder sieht. Und sie tarnen ihre Feigheit dann auch gar nicht
mehr, sie äußern sich überhaupt weder auf diese oder jene Weise (wie weiland
Graff) – sie schweigen es (und sich) einfach aus.
Dieser Tage ist viel von Aufruhr
und Tumult die Rede. Ein Video, das den Propheten Mohammed lächerlich macht,
hat übelste Progrome gezeitigt und die Welt erneut in zwei Hälften geteilt: eine,
die sich ratlos und betroffen, nervös und abwehrend und somit schwach und
schmächtig gibt und eine, die rabiat und kämpferisch, offensiv und aggressiv
agiert; selbstbewusst und über alle Zweifel erhaben. Der grimmigen
Alarmbereitschaft auf der einen Seite entspricht zunehmend selbstverständlicher
die ängstlich-taktische Agonie der anderen: eine verdächtige Apathie, die umso
geschlossener funktioniert, je heftiger der Weckruf der Empörten den Schlaf der
Seligen soeben unterbrochen hat. Politiker und Journalisten, Künstler (sic!)
und ihnen verwandte Kulturvorkämpfer fühlen sich im Anschluss an die ersten
Schocksekunden dazu berufen, mäßigend im Stile altväterlicher Besänftigungen
die Wogen glätten zu helfen (was regelmäßig misslingt). Sie arbeiten darob ihre
Ratlosigkeit, das schlechte Gewissen und eine drückende Beklommenheit wie blanke
Bittsteller ab, gleich Büßern ohne Hemd, ganz nackt in ihrer Einfalt, und sie
dozieren um die Wette, als ließe sich das später zu ihren Gunsten bei
irgendeiner Generalabrechnung in die richterliche Waagschale werfen.
Die Armen. Mal abgesehen davon,
das die meisten von ihnen den Film noch gar nicht gesehen haben (der in voller
Länge ohnehin nicht vorliegt): wo halten sich eigentlich jene versteckt, die
dieses ´Machwerk´ (als Handwerk) ungleich mehr angeht als solche, die mit
´Kitsch und Kunst´ nur als bloße Konsumenten, als Publikum zu tun haben? Die
etwas gewitzteren unter den ´Aufklärern´ erklärten ja zügig, wie lächerlich und
lausig, wie dumm und albern, letztklassig und überflüssig, plump und blöd der
Streifen ist. Damit gehört er eindeutig einer Gattung an, die nicht erst via
You Tube zum Mainstream wurde und täglich Äonen von Gaffern vor den
Bildschirmen in Acht und Bann hält. Wenn in unserer Zeit überhaupt ein
Kennzeichen globaler Übereinstimmung deutlich sichtbar geworden ist, dann ist
es das des schlechten, schundigen Geschmacks. Die totale Überschwemmung mit
Erzeugnissen allerübelster Sorte, auch in der islamischen Welt, überall,
allerorten: ist Symptom und Synonym in einem. Hier haben wir einen Markt, der
ohne Unterlass boomt; immerfort explodiert, ständige Hochkonjunkturen zeitigt. Etwas
ganz Normales ist das also; leider. Es gibt eine schweigende Mehrheit, die sich
ihre Freizeit ohne den üblen Klamauk, der sich an allem und jedem austobt, gar
nicht mehr vorstellen kann oder möchte. Das WorldWideWeb hat viel dazu
beigetragen, diesen problematischen Aspekt (als Folge einer umfassenden und
uneingeschränkten Meinungsfreiheit) ohne jede Atempause zu perpetuieren.
Kolonnen kalauernder Klamaukspezialisten leben eben davon: sich ständig auf
Kosten anderer für andere (und sich selbst) lustig zu machen (das ist noch vornehm
formuliert). Die Comedy-Branche wächst und wächst, und jeder derer, die da
mitmachen, weiß, das er noch etwas mehr unter die Gürtellinie zielen muss als
der jeweils andere, um im inflationären Reigen nicht schon zu Beginn unter zu
gehen. Je härter, dreister – gemeiner: umso besser. Und diese Leute lassen in
der Tat (fast) nichts aus, toben sich mit Lust und Laune am jeweils passenden
Objekt aus; das macht ihnen und ihren Fans so richtig Spaß.Religion? Klar, es muss halt nur die richtige
sein. Spätestens seit Monty Python kriegt die christliche Erbauung ganz gehörig
ihr Fett weg, daran hat man sich im Westen mittlerweile gewöhnt und die
Blödelbarden von der Schmäh-Front wissen, dass ihren Geschmacklosigkeiten keine
grimmigen Kreuzzüge folgen werden. Es sind allzu viele, die das wissen, die
sich darauf verlassen können. Wer zählte sie schon alle, die Legionen lüstern
lamentierender Hofschranzen der Spaßrotte? Die Atze Schröder oder Helge
Schneider, Mario Barth und Bully Herbig, Mittermeier, Krömer und Konsorten,
allesamt keine Kabarettisten, Gott bewahre, aber immer solche, die über alles
und jeden herziehen – fast jeden. Undalles.
Man begegnet ihnen auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auf allen
Kanälen, und heimlich führen sie das Szepter dieser Welt, denn alle Welt will
sein wie sie: immer witzig, immer gut drauf – immer keck den anderen in die
Seite pieksend. Aber, wie gesagt, nur (fast) jeden oder alle von den Andern.
Wie steht es nun um die
Verteidigung ihrer Profession, gerade jetzt, wo es vor aller Ohnmachts Augen
darauf ankäme? Wie wir sahen ist es der billige, der richtig blöde, der gemeine
Witz, den alle Welt immerfort geniessen will und muss. Eben jener, den auch ein
gewisser Nakoula Basseley Nakoula mit seinem Mohammed-Film in
ziemlicher Länge (v)erbrochen hat. Und sie, die Paten ekliger Geschwulst und
hirnrissiger Geschmacklosigkeiten, sie schweigen dazu einfach, tauchen ab –
treten nichtin Erscheinung. Komisch,
irgendwie. Da wollen ihnen doch tatsächlich Tausende tobender Moslems den Spaß -
ihren Spaß! - verderben, und sie - ausgerechnet sie! - tun, als ginge sie das gar
nichts weiter an. In den diversen Talk-Shows versichern uns diese Berufsblödler
regelmäßig, das sie gegen das Abschlachten der Wale vor den Küsten Japans sind,
Nazis richtig scheiße finden und Politiker nur doof, aber wenn ihnen ein
aufgebrachter Mob das Recht auf billige Verarsche abspricht, dann fühlen sie
sich nicht mehr persönlich angesprochen. Oder angemacht. -
Und jetzt also die
Karikaturen. In Frankreich und demnächst wohl auch bei uns. Sie gehen weg wie
warme Semmeln, also finden das die Leute lustig, und die Lustigsten von denen,
die selbst immer lustig sein müssen, schweigen auch dazu, wiewohl schon die
nächsten Proteste angekündigt worden sind. Die politische Prominenz lässt
dieweil Botschaften dicht machen und kauft in muslimischen Ländern Sendezeit
ein, um den Beleidigten rechtzeitig zum Freitagsgebet zu versichern, dass sie
Häme so richtig scheiße finden und überhaupt: man muss sich doch an gewisse
Regeln halten. Unsere Klamauk-Könige sind fein raus. Sie halten bloß die
vorlaute, fiese Klappe. Oder knicken zur Vorsicht schon mal ganz brav ein. Wenn
ich morgens zur Arbeit fahre, höre ich oft Eins Live; das ist einer dieser
Sender, wo immer lustig ist. Jetzt ging es in einem Feature um die Bewertung
der Karikaturen von Charlie Hebdo. Zwei männliche ´Mitarbeiter´, deren
infantil-ätzender Unterton ständig die blödesten Kommentare begleitet, gaben
sich ungewohnt kleinlaut: das sei, versicherte der eine gleich zu Beginn, schon
echt hart. Das ginge nicht. Sein Kumpel (die duzen sich alle) leierte die
übliche Betroffenheitsrhetorik herunter; eine, die wir schon kennen und die ich
ganz persönlich nicht mehr hören kann. Schon gar nicht, wenn sie ein ständig
herumalbernder Berufsjugendlicher seinem Kumpel von der Kalauerfront steckt der
das sofort versteht. Einigkeit macht frei. Echt kafkaesk, das.
Mal ehrlich? Mir
wird bei diesen Typen richtig übel und jeder Amok laufende muslimische
Jugendliche offenbart, trotz des rigiden Kollektivs, das ihn so bequem schützt,
mehr Courage als diese Herde blökender Lämmer, die jetzt so feige schwiemelt
oder schweigt.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.