Erschienen in Ausgabe: No 79 (9/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Heike Geilen
Die
Fotografie (der Begriff wurde übrigens erstmals - noch vor englischen oder
französischen Veröffentlichungen - am 25. Februar 1839 vom Astronomen Johann
Heinrich von Mädler in der Vossischen Zeitung - eine überregional angesehene
Berliner Zeitung - verwendet) wurde in ihrer Geschichte schon vielfach zu Grabe
getragen. Völlig zu Unrecht. Denn das Medium erweist sich heute als vitaler und
facettenreicher denn je zuvor. Vor allem die rasanten technologischen
Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre haben dem Umgang mit fotografischen
Bildern zu einer neuen Konjunktur verholfen. Die Faszination, die nach wie vor
von ihr ausgeht, liegt wohl in ihrem besonderen Verhältnis zur Welt begründet -
in der "mit ihr verbundenen Zeugenschaft von Gegenwärtigem und
Vergangenem".
Eine
der prestigevollsten Auszeichnungen im Profi- und Nachwuchsprogramm der
Foto-Branche findet jedes Jahr mit den vom schwedischen Kamerahersteller
Hasselblad ausgelobten Hasselblad-Masters statt. Der Masters Award in den
Kategorien "Fine Art", "Natur/Landschaft",
"Soziales/Hochzeit", "Portrait", "Mode",
"Editorial", "Produkt", "Architektur",
"Allgemeine Fotografie", "Up & Coming" und
"Wildlife" beurteilt die Kreativität, Bildkomposition, konzeptionelle
Stärke und technisches Können. Den Gewinnern wird im Anschluss die Möglichkeit
gegeben, mit erstklassigem Fotoequipment ausgestattet, ein vorgegebenes Thema
völlig frei zu interpretieren. Dieses Mal sollten sie den Begriff
"evozieren" ("Vorstellung erzeugen",
"entfesseln", "provozieren", "bewirken",
"erregen") auf ihre eigene, unverwechselbare Weise auslegen. Wie die
elf Fotografen, die fast alle in unterschiedlichen Fotogenres angesiedelt sind,
das Projekt bewältigten, offenbart sich als unglaublich faszinierendes und
spannungsreiches Unterfangen.
Einen
äußerst würdigen Rahmen haben die atemberaubenden, bewegenden und/oder
aufwühlenden Fotos in dem vorliegenden großformatigen und hochwertigen
Sammelband gefunden. Und wahrlich: Die Fotografen entfesseln mit ihren Fotos.
Sie bewirken mitunter ein unglaubliches Staunen oder aber erregen alle Sinne
des Betrachters. Allen wohnt eine unbändige Entdeckerlust inne. Und mitunter
provozieren sie gewaltig.
So
der polnische Fotograf Milosz Wozaczynski, der seine Brautpaare fernab des
allgemein gängigen Hochzeitsklischees ansiedelt. Wunderschöne, zum Teil nackte
Frauen und einen sie skeptisch betrachtenden reiferen Herren sind auf allen
Seiten zu sehen. Doch die Schönheit trügt. Plötzlich zeigt er ein Mädchen mit
nur einem Bein und wo einmal ihre schmalen Arme waren, ragennur zwei Stümpfe hervor. Aber auch voluminöse
und üppige Bräute nimmt der distinguierte Herr interessiert, manchmal auch
gelangweilt in Augenschein. Wozaczynskis Foto sind mit einer großen Ladung von
Emotionen geladen, von positiven!
Ebenso
provokant wie erregend sind die Aufnahmen von Jon Lowenstein. Der 1970 in den
USA geborene Fotograf hinterfragt in seinen Fotodokumentation den Status Quo.
In seinen Bildern treffen Macht, Armut und Gewalt aufeinander. Rosa
Handschellen, Gefangene und Wärter geben sein "Evoke" eindrucksvoll
wieder.
Ganz
anders wiederum kommen die Aktbilder von Olivier Valsecchi daher, die zu wahren
Kunstwerken drapiert werden. Entgegen dem, was der Betrachter vermutet, ist das
Subjekt des Franzosen nicht das Nackte an sich, sondern der entblößte Körper
ist lediglich das Material, das er benutzt, um Atmosphäre zu schaffen. "Es
verhält sich wie beim Bildhauer, der den Ton benutzt, um die Form zu zerlegen.
Nacktheit ist wichtig, letztlich ist es aber doch nur eine Anekdote.",
stellt er in einem Interview dar.
Von
unglaublicher Intensität und Attraktivität offenbaren sich wiederum die
Aufnahmen des Belgiers Tom D. Jones. Wasserfälle, Gletscher, Eis und die
gischtschäumende Brandung an einer Küste sind von einer fast unnatürlichen
Anmut und Schönheit. Manchmal weichgezeichnet, dann wieder mit unglaublicher
Tiefenschärfe, paaren sich Ausstrahlung und Charisma mit der Zerbrechlichkeit
unserer Natur.
Ähnliches
trifft auf den Deutschen Fotografen Joachim Schmeisser und dessen
Wildlife-Aufnahmen von Elefanten und Menschenaffen in ihrer natürlichen
Umgebung zu.
Im
Kontrast dazu stehen die fast kühl wirkenden Architektur-Fotos von Frank Meyl.
Ihr Wesensmerkmal ist vor allem, den Blick auf das Wesentliche, oft Unsichtbare
zu leiten. Wirrwarr oder überfrachtete Bildkompositionen gibt es bei ihm
nicht. "Schönheit und Inhalte suche ich gerne an Orten, wo man sie nicht
unbedingt erwartet, denn Fotografie ist wie Alchemie für mich: aus so manch
unscheinbarer Situation lassen sich die interessantesten Bilder
schaffen.", so der deutsche Fotograf.
Auf
alle Preisträger und ihre in diesem beeindruckenden Band enthaltenen Fotos
einzugehen würde den Rahmen sprengen. Eines ist jedoch sicher: Sie sind
allesamt außergewöhnlich und einzigartig, ziehen den Betrachter unweigerlich in
den Bann und lassen ihn nicht mehr los. Eine Gemeinsamkeit haben sie trotz
ihrer Individualität alle: Sie sind ästhetisch, aber beinahe schon zu perfekt.
Die
einzigartigen Fotografien sind auch in einer Sonderausstellung der photokina
2012 in Köln zu sehen, die anschließend auf Welttournee geht.
Hasselblad Masters
Vol. 3: Evoke
teNeues
Verlag, (September 2012)
240
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
383279607X
ISBN-13:
978-3832796075
Preis:
79,90 EURO
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