Erschienen in Ausgabe: No 79 (9/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Heike Geilen
"Ich
habe einer schönen Frau beim Ankleiden zugesehen. Ein Geschenk! Ich habe
gesehen, wie sie im Bademantel vor der Frisierkommode sitzt, ein wenig
gelangweilt schaut sie in den Spiegel. Doch dann richtet sie sich auf, kämmt
die Haare, schminkt sich die Lippen, wählt ein Parfum. Sie sucht den passenden
Schmuck, das passende Kleid. Sie probiert mehrere Paar Schuhe an, bis sie die
richtigen gefunden hat. Prüfend geht sie vor dem Spiegel auf und ab. Dann legt
sie noch Ohrringe an, lange, glänzende Steine, streift einen Ring über, wirft
sich schließlich den schweren Schal um die Schultern, greift zum warmen Mantel,
zieht die schwarzen Samthandschuhe aus der Tasche. Sie strahlt, sie funkelt,
sie ist bereit, sich zu zeigen. Ich habe einer schönen Frau beim Ankleiden
zugesehen."
Von
wem mag Christine von Brühl hier in so poetischen Worten gesprochen haben? Von
niemand anderem als der Dame Dresden ist die Rede. Die Ur-ur-ur-ur-ur-Enkelin
des einst so mächtigen Premierministers unter August dem Starken erlag wie so
vielen dem Zauber dieser Stadt. "Dresden traf mich mitten ins Herz. Es hat
mir so gut gefallen, dass ich sesshaft wurde." Mehrere Jahre verbrachte
sie nach der Wende in der sächsischen Hauptstadt und reist auch heute noch
regelmäßig an den Ort, von dem 1839 der erste deutsche Fernzug startete, an dem
die erste Lokomotive gebaut, der Teebeutel, Kaffeefilter, Büstenhalter,
Waschmaschine, Zahnpasta, Bierdeckel, Reiseschreibmaschine, Ansichtskarte,
Frotteehandtuch, Spiegelreflexkamera, Mineralwasser, das abendländische
Porzellan, das digitale Satellitenradio und man höre und staune, selbst der
Inbegriff der bayerischen Trachtenmode - der Lodenmantel - erfunden wurde. Doch
all dies zeichnet Dresden nicht wirklich aus. Wer selbst einmal um das Schloss
gelaufen ist, die wieder aufgebaute Frauenkirche bewundert und sich die
Semperoper angesehen hat, wer durch den Zwinger oder auf der Brühlschen Terrasse
flaniert ist, den hat die Seele der Stadt wahrscheinlich gleichfalls gekitzelt.
Die
vorliegende völlig neu überarbeitete "Gebrauchsanweisung für Dresden"
besteht größtenteils aus Betrachtungen über Architektur, Kunst, Theater,
Ausstellungen, Geschichte, Musik, Essen, Sprache, Licht und Atmosphäre dieser
einzigartigen Stadt. Christine von Brühl hat ihr Büchlein in 18 Kapitel
gegliedert. Charmant und äußerst kenntnisreich, mit Witz, Esprit, Spürsinn und
Kenntnis plaudert sie über den fantastischen sächsischen Kuchen ("Eine
Wucht. Eine Katastrophe für die Taille."), empfiehlt die ausgesprochen
differenzierte Kinolandschaft, erzählt von dem Bauwerk mit dem wohl
symbolischsten und identitätsstiftendsten Charakter für die Stadt - der
Frauenkirche - und erholt sich nach ihren Rundgängen bei den "Alten
Meistern" ("Nirgends schläft man so gut wie im Museum. (...) Wer
einschläft, sieht kurz zuvor noch Wunderwerke, und wenn er wieder aufwacht,
findet das Wunder immer noch statt."). Sie sinniert über den sächsischen
Dialekt, besucht den schönsten Milchladen der Welt ("Es ist eine Hommage
an die Milch, ein Tempel für die Kuh und ihre Melkerin gleich dazu."), feiert
am Abend im Szene- und Kneipenviertel von Dresden, der "Äußeren Neustadt"
oder aber sitzt einfach nur an einem der vielen Lagerfeuer am Elbestrand. Aber
auch die engere Umgebung verdient ihr Augenmerk. Brühl bummelt entlang der
Weinhänge und romantischen Täler an der Elbe über Karl Mays ehemaligen Wohnsitz
Radebeul bis hin nach Meißen oder elbaufwärts nach Pillnitz ins prächtige ehemalige
Lustschloss von August dem Starken. Lohnenswert ist ebenso ein Ausflug in das
angrenzende landschaftlich traumhaft schöne Elbsandsteingebirge, die Sächsische
Schweiz, vielleicht mit der
traditionsreichen, ältesten Raddampferflotte der Welt.
Der
Autorin gelingt es, ein unglaublich emotionales Bild der Stadt und ihrer
Umgebung entstehen zu lassen, das von einer immensen Liebe zu dieser Stadt
zeugt. Harmonisch verbindet sie Altes mit Neuem, Bekanntes mit weniger Auffälligem,
sächsische Gastlich-, ja, Großzügigkeit und fröhliche Gutmütigkeit mit manchmal
sturem Festhalten an Historischem. Entstanden ist eine harmonische,
wissenswerte, liebevolle und informative "Gebrauchsanweisung", die
jedem Dresden-Gast und auch seinen Bewohnern nur zu empfehlen sei, so dass
ihnen "ein Licht aufgehe". Denn nicht dem Barock und der anmutigen
Lage am Fluss verdankt die Stadt den Namen Elbflorenz. Es ist augenscheinlich eben
jenes wunderbare Licht, das einen unvermittelt nach Italien versetzt glaubt.
"Die ganze Stadt erstrahlt in goldenem Glanz. Das Wasser schimmert
orangerot. Die alten Mauern scheinen sich plötzlich zu bewegen, die Bäume auf
der Terrasse werfen unendlich lange Schatten. Auf der Elbe tanzen tausend
Lichter."
Danke
für dieses so treffend und liebevoll gezeichnete Bild Dresdens. Wer nicht - wie
ich - in dieser zauberhaften Stadt lebt, dem sei folgender Tipp mit auf den Weg
gegeben: "Lieber weggehen und dann wiederkommen. Das hält sonst kein
Mensch aus."
Christine
von Brühl
Gebrauchsanweisung für Dresden
Piper
Verlag (September 2012)
207
Seiten, Broschiert
ISBN-10:
3492276237
ISBN-13:
978- 3492276238
Preis:14,99
EURO
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