Erschienen in Ausgabe: No 81 (11/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Jonas Pfister
Gibt es eine dem Fach
Philosophie eigene Unterrichtsmethode? Diese Frage ist weniger wichtig, als sie
zunächst vielleicht erscheinen mag. Denn kennt man allgemeine
Unterrichtsmethoden, die sich auch im Philosophieunterricht einsetzen lassen,
so spielt es keine große Rolle mehr, ob diese Methoden nun fachspezifisch seien
oder nicht. Dennoch ist die Frage wichtig, denn sie zwingt einen, eine andere
Frage zu stellen, der man sonst vielleicht zu wenig Beachtung schenkt: Was sind
die Methoden des Philosophierens? Mir geht es hier nicht darum, eine
abschließende Antwort auf diese Frage zu finden. Vielmehr will ich eine
bestimmte Antwort kritisieren, die lautet, dass es eine Anzahl von wichtigen philosophischen
Methoden gebe, zu denen die Hermeneutik, die Phänomenologie, die Dialektik und
die Analytik gehörten, und darauf aufbauend auch entsprechende
Unterrichtsmethoden. Ich werde zuerst auf Methoden des Philosophierens und dann
auf Methoden des Philosophieunterrichts eingehen.
1. Methoden des
Philosophierens
Für die Beantwortung der
Frage, was die Methoden des Philosophierens sind, lohnt sich zunächst ein Blick
auf Platon. Er gilt als einer der Gründerväter der Philosophie. Als
Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage scheint er somit denkbar gut
geeignet. Das heißt jedoch nicht, dass Platons Aussagen nicht kritisiert werden
könnten. Sollte sich herausstellen, dass wir heute zu den Methoden des
Philosophierens etwas anderes zählen als er, so ist dies auch ein Resultat, das
eine Antwort auf die Frage darstellt.
Wirft man einen Blick in
die Werke Platons, so fällt auf: hier werden Fragen gestellt, Meinungen
vorgebracht, Meinungen kritisiert, Meinungen begründet, Begründungen kritisiert
und neue Fragen gestellt, in einem Wort: es wird argumentiert. Nun könnte man sogleich einwenden, dass dies noch
keine hinreichende Charakterisierung der philosophischen Methode sei, denn
argumentiert werde auch im Alltag und in der Wissenschaft. Das ist sicherlich so
weit richtig. Wirft man einen zweiten Blick in die Werkte Platons, so fällt
auf, dass in den Argumenten auf Annahmen zurückgegriffen wird, die man ohne
großen Aufwand allein aufgrund der Kenntnis der Sprache, von Erfahrung aus dem
Alltag und durch Nachdenken verstehen kann, so dass man allein damit auch die
Argumente prüfen kann. Man kann also bereits
und allein durch Nachdenken philosophieren. Da es in der Philosophie, wie
Platon sie betreibt, um das Wesen der Dinge oder jedenfalls um Grundsätzliches
geht, besteht die philosophische Arbeit in der Klärung grundlegender Begriffe,
in denen wir die Welt denken und mit denen wir die Welt beschreiben. Eine Art
der begrifflichen Klärung, so wie Platon sie vorführt, besteht darin, die
Begriffe zu analysieren, d.h. auf
einfachere Begriffe zurückzuführen. Fasst man diese beiden Punkte zusammen, so
kann man sagen, dass die philosophische Methode die Verwendung und Untersuchung
von Argumenten beinhaltet, die man allein durch Nachdenken prüfen kann, und
eine Untersuchung von Begriffen, in denen wir die Welt denken und mit denen wir
die Welt beschreiben. Das bedeutet freilich nicht, dass dies die einzigen
Methoden des Philosophierens sind.
In der Diskussion zur
Didaktik der Philosophie und Ethik wurde namentlich von Ekkehard Martens (2003)
und Johannes Rohbeck (2008) behauptet, die Philosophie hätte eine ganze Reihe
von ihr eigenen Methoden, von denen zu den wichtigsten die Hermeneutik, die
Dialektik, die Phänomenologie und die Analytik zählen würden. Martens zählt zudem
die Spekulation dazu, Rohbeck den Konstruktivismus und den Dekonstruktivismus.
Die Idee dahinter scheint zu sein, dass man damit die Gefahr eines einseitigen
Philosophiebegriffs umgehen möchte. Dabei fällt auf, dass Argumentieren als
Methode nicht genannt wird. Somit stellt sich die die Frage, in welchem
Verhältnis nun die genannten vier Methoden zum Argumentieren stehen. Dazu
müssen diese genauer untersucht werden.
Die Hermeneutik ist die Lehre vom Verstehen von Texten. Als Methode ist
es die Lehre vom Interpretieren von Texten. Das Interpretieren von Texten ist
zunächst jedoch überhaupt nichts spezifisch Philosophisches: Jeder Text –
ebenso wie jede andere sprachliche Äußerung, sei sie nun schriftlich oder
mündlich – muss interpretiert werden. Dies ist keine spezifisch philosophische
Tätigkeit, und die Untersuchung davon wird auf psychologische und linguistische
Theorien zurückgreifen müssen. Inwiefern ist das Interpretieren von Texten nun
aber eine philosophische Tätigkeit? Versuchen Philosophen einen Text zu
interpretieren, so sind sie zum einen daran interessiert, was ein vom Autor
verwendeter Ausdruck an der Stelle genau
bedeutet. Das heißt, sie wollen nicht nur verstehen, was der Autor sagt,
sondern sie wollen das, was der Autor gemeint hat, noch präziser formulieren.
Zum anderen sind Philosophen aber auch noch an etwas ganz anderem interessiert,
nämlich daran, was der Ausdruck des Autors auch noch bedeuten könnte (ob er es nun gemeint hat oder nicht). Denn
schließlich geht es ja um die Sache, darum, ob eine Position wahr oder ein
Argument stichhaltig ist. Ist Hermeneutik eine philosophische Methode ist, so
ist es nichts anderes als Analysieren und Argumentieren angewandt auf einen
Text.
Der Begriff der Phänomenologie ist relativ jung. Er
wurde erst im 18. Jahrhundert zum ersten Mal nachweislich gebraucht, zunächst
als Bezeichnung für die Lehre vom Schein im Unterschied zur Lehre vom Sein, und
erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Ausdruck von Edmund Husserl als
Bezeichnung für eine spezielle philosophische Methode verwendet. Diese Methode
besteht in der Untersuchung der unmittelbaren Bewusstseinserlebnisse. Manchmal
ist nichts von beidem, was mit dem Ausdruck „Phänomenologie“ gemeint ist,
sondern etwas anderes, nämlich Phänomenologie in einem weiteren Sinn als die
Beschreibung der Phänomene, d.h. der Dinge, wie sie uns erscheinen. Dies ist
eine Methode, die man in den Texten von Platon nicht findet. Für zahlreiche
philosophische Fragen ist die Erscheinung der Dinge irrelevant, da es oftmals
gerade darum geht, nicht bei der Erscheinungen oder einzelnen Beispielen stehen
zu bleiben, sondern zum Wesen der Dinge oder zu einer Definition vorzudringen.
Dass man Phänomene zunächst beschreibt, bevor man sie genauer untersucht, kann
jedoch durchaus sinnvoll sein. Aber dies ist eine Methode, die man auch im
Alltag und in den Wissenschaften einsetzt. Es ist somit nichts spezifisch
Philosophisches daran. Wenn man sich jedoch für unseren Zugang zu den
Phänomenen interessiert, also für das Wahrnehmen und andere geistige
Tätigkeiten, wie das seit den bewusstseinsphilosophischen Untersuchungen von
René Descartes im 16. Jahrhundert und von Franz Bolzano im 19. Jahrhundert der
Fall ist – die beide für Husserls Untersuchungen und Entwicklung der
phänomenologischen Methode wichtig waren –, so muss man sich genau dem
zuwenden, wie uns die Phänomene erscheinen. Und diese Untersuchung ist eine
philosophische Methode. Kein anderes Fachgebiet interessiert sich für die
Frage, was es heißt, dass uns Phänomene erscheinen und wie man unseren Zugang
dazu beschreiben kann. Daran anschließend stellt sich jedoch die Frage,
inwiefern sich die phänomenologische Beschreibung in eine Argumentation
einfügen lässt. Auf diese schwierige Frage gehe ich nicht näher ein. Die
Phänomenologie ist also eine eigene philosophische Methode, allerdings eine,
die lediglich für ein Gebiet der Philosophie unerlässlich ist, die
Bewusstseinsphilosophie als ein Bereich der Philosophie des Geistes.
Der Begriff der Dialektik stammt vom griechischen Wort für Gesprächsführung, dialegesthai, und vom Griechischen Wort
für Technik, techne. Die Dialektik
ist somit ursprünglich die Kunst der Gesprächsführung. Platon verwendet den
Ausdruck in Abgrenzung zum Monolog und zur Eristik, der Methode der Sophisten,
die darin besteht, die Gegner durch geschickte Kniffe zu überreden. Die
Dialektik besteht im Unterschied dazu darin, den Gesprächspartner durch gute
Argumente zu überzeugen. Dies ist nichts anderes als das Argumentieren im
Gespräch. Eine davon verschiedene Methode ist es keineswegs. Man kann als
„Dialektik“ auch jede Situation bezeichnen, in der, sei es mündlich oder
schriftlich, eine Meinung einer anderen Meinung gegenübergestellt wird, wobei
zwischen den beiden Meinungen nicht notwendigerweise ein Widerspruch oder Gegensatz
bestehen muss. Dies unterscheidet sich von der Situation, in der ohne Bezug auf
die Meinung anderer der eigene Gedankengang entwickelt wird. Dies ist zwar
zugegebenermaßen in der Philosophie selten der Fall, denn in den allermeisten
Fällen entwickelt man auch die eigenen Gedanken in Auseinandersetzung mit den
Überlegungen anderer, oftmals auch der Meinungen der Leute (z.B. bei
Aristoteles und bei John L. Austin). Dennoch kann man sich vorstellen, dass man
auch ganz ohne einen solchen Bezug eigene Gedanken entwickelt. Der Normalfall,
so kann man sagen, besteht jedoch in einer dialektischen Situation. Die
Dialektik korrekt zu erfassen, d.h. zu erkennen, welche Theorie bei einer
bestimmten Argumentation im Hintergrund ist und was die tatsächlichen und potentiellen
Einwände gegen eine solche Argumentation sind, ist oftmals wichtig für das
Verständnis der Argumentation.
Die Analytik ist genau die Methode, die Platon verwendet, wenn er
Fragen nach dem Wesen diskutiert, zum Beispiel die Frage nach dem Guten. Was
ist das Gute? Als Antwort können nicht Beispiele dienen, denn Beispiele sind
gerade nicht allgemein, und es ist das Allgemeine, das gesucht wird, eine
Wesenscharakterisierung. In einer Wesenscharakterisierung werden Begriffe
vorkommen, die in gewissem Sinn einfacher sind als der zu charakterisierende
Begriff. Man analysiert, d.h. man zerlegt den Begriff in einfachere Begriffe.
Dies ist eine Art von Begriffsanalyse. Diese Methode der Begriffsanalyse ist
nicht gleichzusetzen mit der Methode, die der sogenannt analytischen
Philosophie im Anschluss an Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig
Wittgenstein eigens sein soll. Ob es eine einzige Methode der analytischen
Philosophie gibt, und was überhaupt mit „analytischer Philosophie“ gemeint ist,
ist keineswegs unumstritten (siehe Beckermann 2004 und Bieri 2007). Ist damit
gemeint, dass es in der Philosophie um begriffliche Klarheit und Argumentation
geht, so ist dies genau das, was Philosophie auszeichnet. Mit der Analytik im
Sinne der Begriffsanalyse ist jedoch das Argumentieren noch nicht erfasst.
Von den vier untersuchten
Methoden können lediglich die Analytik im Sinne einer Begriffsanalyse, wie sie
bereits von Platon betrieben wurde, und die Dialektik im Sinne eines
argumentativen Gesprächs, wie sie ebenfalls bereits von Platon betrieben wurde,
als allgemeine Methode des Philosophierens angesehen werden. Die Phänomenologie
ist eine spezielle philosophische Methode, die nur in der
Bewusstseinsphilosophie, einem Teilbereich der Philosophie des Geistes, sinnvoll
eingesetzt wird. Die Hermeneutik als Lehre von der Interpretation von Texten
ist keine spezifisch philosophische Methode. Damit ist keineswegs
ausgeschlossen, dass die Interpretation eines Textes nicht auch philosophische
Arbeit sein kann; nur besteht dann diese Arbeit genau im Analysieren von
Begriffen und im Argumentieren. Damit ist nicht gesagt, dass dies die einzigen
philosophischen Methoden sind. Auch die phänomenologische Methode, die
marxistische und feministische Gesellschaftskritik oder die genealogische
Methode von Nietzsche können dazu gehören. Aber das Argumentieren und das
Analysieren sind wesentlich für das Philosophieren.
2. Methoden des
Philosophieunterrichts
Wie jeder Unterricht hat
auch der Unterricht der Philosophie seine Methoden. Die Methoden des
Philosophieunterrichts sind zunächst die allgemeinen Methoden des Unterrichts,
die man als Sozialformen und Arbeitsformen im Sinne von Hilbert Meyer (1987)
näher charakterisieren kann. Das heißt, dass auch im Philosophieunterricht der
Lehrervortag, das Unterrichtsgespräch, die Einzel- und Partnerarbeit, die
Gruppenarbeit und andere allgemeine Arbeits- und Sozialformen erfolgreich
eingesetzt werden können. Bei all diesen Methoden muss man sich überlegen,
welche von ihnen in der Situation geeignet sind, um das Philosophieren zu
lehren. Ob es eine spezifische Methode für den Unterricht gibt, mag offen
bleiben. Jedenfalls eignet sich die philosophische
Diskussion hervorragend, um zu philosophieren. Ebenfalls wichtige Methoden
des Philosophieunterrichts sind das genaue Lesen
und Interpretieren von philosophischen Texten sowie das Schreiben von philosophischen Texten
(siehe Pfister 2010, und Brun/Hirsch Hadorn 2009).
Ekkehard Martens,
Johannes Rohbeck und im Anschluss viele andere in der Diskussion zur Didaktik
der Philosophie und Ethik behaupten, es gebe analog zu der oben im ersten
Abschnitt genannten Reihe von Methoden des Philosophierens (Phänomenologie,
Hermeneutik, Dialektik, Analytik) auch entsprechende Unterrichtsmethoden. Diese
müssten in einen Zusammenhang gebracht werden, etwa wie folgt: Zunächst ginge
es im Unterricht darum, die Phänomene zu beschreiben (Phänomenologie), dann
darum einen Text zu verstehen (Hermeneutik), in einen Dialog mit dem Text oder
anderen zu treten (Dialektik) und die Begriffe zu analysieren (Analytik).
Nun werden mit den Namen
nicht nur unterschiedliche Methoden bezeichnet, die angeblich philosophisch
sein sollen, mit den genannten philosophischen Strömungen aber nicht mehr viel
gemeinsam haben, sondern auch verschiedene Stufen im Prozess des
Philosophierens. Mit Philosophieren haben diese aber herzlich wenig zu tun:
Phänomene zu beschreiben, einen Text zu verstehen und in einen Dialog mit
anderen zu treten ist noch nicht philosophieren, solange es nicht um Argumente
und Begriffe geht.
Nun könnte man jedoch
erwidern, dass dies nicht weiter schlimm sei, da es dabei zumindest um
Vorstufen des Philosophierens ginge. Die Schülerinnen und Schüler lernen,
Phänomene zu beschreiben und mit anderen über ihre Ansichten zu reden. Das kann
wichtig sein, aber es geht an dem vorbei, was gefördert werden sollte, nämlich
das kritische Denken, die Argumentationsfähigkeit und die Arbeit am Begriff.
Nicht nur wird dies nicht gefördert, sondern es wird damit auch dem
unaufgeklärten Relativismus Vorschub geleistet. Dieser äußert sich insbesondere
in den bereits von Kant und Hegel genannten Formen des Skeptizismus – wir
können überhaupt nichts wissen – und des Scheinwissens – jeder hat seine eigene
Meinung und lebt gut damit (siehe Henke 2000). Will man dies nicht fördern, so
darf man im Unterricht auch nicht bei der Beschreibung von Phänomenen und dem
Austausch von Ansichten stehen bleiben.
Was also sollte im
Unterricht getan werden? Zu den allgemeinen Methoden des Philosophierens gehören
das Argumentieren und das Analysieren. Im Unterricht sollten genau diese
Methoden geschult werden. Als hervorragende Unterrichtsmethode eignet sich
hierfür das philosophische Gespräch. Auch das Lesen und Interpretieren von
philosophischen Texten und das Schreiben von philosophischen Texten können zum
Erreichen dieses Ziels erfolgreich eingesetzt werden.
Zitierte Literatur
Ansgar Beckermann, „Einleitung“, in: Peter Prechtl (Hg.), Grundbegriffe der analytischen Philosophie,
Weimar: Metzler, 2004, S. 1-12.
Peter Bieri, „Was bleibt von der analytischen Philosophie?“. Deutsche Zeitschrift für Philosophie,
2007, Heft III, S. 333-344.
Georg Brun und Gertrude Hirsch Hadorn, Textanalyse
in den Wissenschaften. Inhalte und Argumente analysieren und verstehen,
Zürich: vdf/UTB, 2009.
Roland W. Henke, „Dialektik als didaktisches Prinzip. Bausteine zu einer
zeitgemässen Philosophiedidaktik im Anschluss an Kant und Hegel“. Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und
Ethik, 117-124.
Ekkehard Martens, Methodik des Ethik-
und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik,
Hannover: Siebert, 2003 (5. Auflage 2010).
Johannes Rohbeck, Didaktik der
Philosophie und Ethik, Dresden: Thelem, 2008. (2. Auflage 2010)
Hilbert Meyer, 1987, Unterrichtsmethoden.
(2 Bände), Frankfurt a.M.: Scriptor. (6. Auflage 1999)
Jonas Pfister, Fachdidaktik Philosophie, Bern, Haupt/UTB, 2010.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.