Erschienen in Ausgabe: No 78 (8/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Nathan Warszawski
Der Arabische Frühling erschüttert islamische Staaten vom
Atlantik bis zum Indischen Ozean. Die Erschütterungen machen vor der
islamischen Türkei nicht Halt.
Die Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei, zwischen dem
Diktator Assad und seinem Gegenpart Erdoğan sind sprunghaft. Wird es Krieg
zwischen beiden geben? Redselige Nahost-Experten schweigen. Sie fürchten
berufliche Nachteile, wenn sie die nicht politisch korrekte Wahrheit
aussprechen.
Vor wenigen Tagen fielen Granaten von Syrien aus auf das
türkische Grenzdorf Akçakale, welches von Arabern bewohnt wird. Fünf Tote waren
zu beklagen, alles türkische arabisch-stämmige Zivilisten. Die türkische
nicht-arabisch-stämmige Armee schoss zurück und behauptete, die selbe Zahl an
syrischen arabisch-stämmigen Soldaten getötet zu haben, was sie anschließend
nicht daran hinderte, erneut auf syrisches Territorium zu schießen, um auch
syrische Kurden zu töten. Das türkische Parlament ermächtigte seine Regierung,
wie in den Irak, nun auch ins Nachbarland Syrien einzumarschieren. Selbst der
UNO-Sicherheitsrat billigte der Türkei auf Druck der NATO-Staaten das Recht auf
Vergeltung gegen Syrien zu.
Die Türkei ist Mitglied der NATO, wie die USA, Griechenland
und Deutschland. Wird ein NATO-Land von einem Nicht-NATO-Land angegriffen, so
wären auf Wusch des angegriffenen NATO-Landes die übrigen NATO-Länder
verpflichtet, dem angegriffenen NATO-Land militärisch beizustehen. Das kann
bedeuten, dass die Bundeswehr gegen Syrien Krieg führen muss.
Um die Spannung zu lindern, verkündige ich ohne Antritt
eines Beweises, dass dies nicht geschehen wird. Der Hauptgrund hierzu ist die
Weigerung der Verbündeten, der Türkei in ein Abenteuer zu folgen, welches dem
Westen keinerlei ideelle und materielle Vorteile bringt.
Die Türkei wird den Krieg gegen Syrien auch ohne NATO
führen. Nicht nur die USA versuchen, die türkische Regierung, also
Premierminister Erdoğan, davon abzuhalten. Erdoğan will die Türkei zur
wirtschaftlichen, ideologischen und militärischen lokalen Großmacht machen.
Wirtschaftlich ist er bei der EU gescheitert, ideologisch findet er unter
arabischen und persischen Muslimen nur Konkurrenten. Bleibt der Krieg.
Muss Erdoğan Krieg mit Syrien führen?
Ich will mich nicht mit Menschenrechten aufhalten, die die
Türkei vorgibt, beschützen zu müssen. Die Rechte von Minoritäten werden in der
Türkei bis zum heutigen Tag mit unbeschuhten Füßen getreten. Den Kurden, einem
Viertel der türkischen Bevölkerung, wird die Existenz abgesprochen. – Im
Gegensatz zu christlichen Touristen aus Deutschland, genießen christliche
Einheimische keine Religionsfreiheit. Der Völkermord an die Armenier, der schon
beinahe 100 Jahre zurück liegt, wird unverändert geleugnet. Wer ihn in der Türkei
thematisiert, gar zugibt, landet im Gefängnis.
Syrien, die Türkei und der Irak ähneln dem ehemaligen
Balkanstaat Jugoslawien. Es sind (waren) Vielvölkerstaaten mit diversen
Religionen, deren Bürger sich nur solange nicht umbringen, wie es der
regierenden harten Hand gefällt. Jugoslawien ist in viele Kleinstaaten
zerfallen. Die Verlockungen der reichen EU bewegt sie zum Frieden
untereinander. Die finanzielle Hilfe entfällt für die drei asiatischen
Vielvölkerstaaten. Zusätzlich versperren diametral entgegengesetzte
wirtschaftliche und militärische Interessen der großen Mächte USA und Russland
und weiterer kleinerer Staaten eine friedliche Einigung.
Der Westen ist an Erdöl interessiert und orientiert sich an
arabische Despoten, die auf Erdölquellen sitzen. Russland bevorzugt auf Grund
seiner eigenen Ressourcen die Verteilungshoheit der Gasvorkommen aus dem
östlichen Mittelmeer, die sich Griechenland, Zypern und Israel teilen. Russland
braucht deshalb dort einen sicheren Hafen für seine Kriegsflotte, den bisher
Syrien bereitgestellt hat.
Während der Irak bereits zerfallen ist, sieht Syrien diesem
Ereignis nach einem langen Krieg entgegen. Beide Länder und die Türkei
beherbergen eine große Minorität von insgesamt 50.000.000 Menschen, die
benachteiligt und unterdrückt werden: die Kurden. Der syrische Diktator Assad
hat sich die Kurden in Norden Syriens zu seinen strategischen Verbündeten
erkoren, die seine neuen Feinde, die Türken, bekämpfen. Die syrischen Kurden
ergreifen die einmalige historische Gelegenheit auf ein unabhängiges Kurdistan
im Norden des heutigen Syriens, welches sich mit dem irakischen Kurdistan
vereinigen wird. Der nächste logische Schritt ist der Zusammenschluss mit dem
türkischen Kurdistan. Die Großmacht-Träume der Türkei würden jäh beendet sein.
Nicht nur der aufgeklärte Europäer weiss, dass im 21.
Jahrhundert die Geburt eines neuen Staates mit Krieg vergesellschaftet ist.
Nicht einmal die einzig verbliebene Supermacht USA ist nach militärischen
Debakeln in muslimischen Ländern in der Lage, die Unabhängigkeit Kurdistans mit
militärischen Mitteln zu verhindern. Der Westen wird versuchen, die
Unabhängigkeit der Kurden zu verzögern, um die liebgewonnene gewohnte Unordnung
zu bewahren. Das konservative Russland verabscheut jede Unabhängigkeit, da es
zu Recht befürchtet, dass der Funke der Freiheit auf Russland übergreifen
könnte. Arabische Despoten hassen aus Eigensucht politische Veränderungen.
Selbst der pazifistische europäische Zeitgeist stellt sich gegen die kurdische
Unabhängigkeit, bevorzugt Verfolgung und Erniedrigung der Kurden in ihren
Heimatländern: Ein unabhängiger muslimischer Staat ist nur dann genehm, wenn
der Unabhängigkeitskampf gegen einen Staat des eigenen Kulturkreis geführt
wird.
Die für Großmächte, westliche Staaten und organisierten
Pazifisten unangenehme Wahrheit lautet, dass ein Frieden im Nahen Osten nicht
möglich ist ohne ein unabhängiges Kurdistan für 50 Millionen Kurden auf
Gebieten der Türkei, Syriens, des Iraks und möglicherweise des Irans. Die
Wahrheit ist deshalb unangenehm, da die Energiepreise durch den zu erwartenden
Krieg im Erdölgebiet steigen und die politisch gewollte Energiewende
unbezahlbar machen werden. Die selbstsüchtigen Kurden werden darauf keine
Rücksicht nehmen. Sie sind nicht bereit, ihre Unabhängigkeit für ein paar
Jahrzehnte bis maximal 200 Jahre zurückzustellen.
Für Erdoğan ist der Krieg gegen das zerfallende Syrien die
einzige Rettung, seinen Platz in der Weltgeschichte zu sichern.
Wegen der größeren Homogenität der Bevölkerung der
Rest-Türkei nach Abspaltung Türkisch-Kurdistans, also wegen wegfallender
Unterdrückung von Minderheiten, würden die Chancen der Türkei zu einem EU-Beitritt
steigen. Doch davon will Erdoğan nichts wissen.
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Warszawski 06.10.2012 15:04
Ulrich W. Sahm schreibt am 5. Oktober 2012 aus Jerusalem, dass syrische Oppositionelle Türkisches Gebiet beschießen, um einen Krieg gegen Syrien zu entfachen, damait die Assad treue Regierungsarmee geschwächt werde. Da im Nahen Osten selbst das Unmögliche möglich ist, incl. Wunder aus Judentum, Christentum, Islam, Bahai, Kommunismus, Atheismus und anderen vergessenen Religionen, weiß niemand, ob Assad treue Soldaten, bezahlte Rebellen, Idealisten, Fundamentalisten, Al-Quaida-Terroristen oder von der Türkei bezahlte Söldner absichtlich oder zufällig türkisches Gebiet beschossen haben. Die verwendeten Waffen geben wenig Auskunft, da Waffen aus allen Herren Länder dort vorhanden sind und unabhängig des politischen und religiösen Bekenntnisses von allen Gewalttätigen verwendet werden. So werden von den USA gekaufte und erbeutete russische Gewehre der Türkei übergeben, die damit ihre Söldner ausrüstet, um im Zweifelsfall die Schuld auf jemanden anderen zu schieben. Schlimm ist, dass auf Basis dieser verworrenen Lage NATO und UNO den Türken freie Hand zur Vergeltung geben, syrisches Gebiet zu bombardieren und die dort vorhandenen Menschen beliebig zu töten.