Erschienen in Ausgabe: No 81 (11/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Wolfgang Ockenfels
„Die
Finanzkrise ist die Folge eines permanenten Rechtsbruchs“, sagte jüngst Paul
Kirchhof. An dieses schon klassische Zitat des Rechtsgelehrten wird man
sich noch zu erinnern haben. Vor allem dann, wenn die Folgen der Finanzkrise
für alle oder wenigstens pro multis spürbar werden - und weitere
Rechtsbrüche nach sich ziehen. Denn es scheint über politische Rechtsbrecher
ein schicksalhaftes Verhängnis zu walten, daß sie nicht die Ursachen der Krise,
also die Rechtsbrüche, zu beseitigen suchen, sondern diese fortsetzen, um die
Krise zu bewältigen. Die Macht der Gewohnheit schafft neues Recht. Oder
vielmehr Unrecht. Wie soll die rechtswidrige Staatsverschuldung durch weitere
Verschuldung der europäischen Staaten finanziert werden? Wie läßt sich
permanentes Wirtschaftswachstum durch immer mehr Staatsschulden herbeizaubern?
Wie können die geschwächten Rettungsschwimmer die vielen Ertrinkenden – durch bailout
– retten, ohne selber abzusaufen? Bewährt sich Solidarität im
gemeinschaftlichen Rechtsbruch, im kollektiven Niedergang?
Diese
Fragen beantworten sich von allein, und zwar durch Ereignisse, die wir Realität
nennen, aber als solche erst anerkennen, wenn sie bereits eingetreten sind. Vor
ihnen vorsorglich zu warnen ist zwecklos: Inflation und andere Enteignungen
kommen bedrohlich näher. Die werden den realitätsfernen Idealpolitikern so auf
den Leib rücken, daß es für Kurskorrekturen zu spät ist. Aber wo bleibt bei den
Verstößen gegen das Grundgesetz und Europarecht die Rechtsstaatlichkeit, ohne
die unsere Demokratie ihr Fundament verliert? Bisher durften wir darauf
vertrauen, daß diese Rechtsordnungen geeignet sind, die Lösungen
gesellschaftlicher Probleme in sinnvoller Weise „gerecht“ zu regeln. Die
Einhaltung rechtlicher Regeln setzt freilich bei Politikern wie den übrigen Bürgern
Gesetzestreue voraus. Die ist das Ergebnis von gefestigtem Wertkonsens,
Loyalität zum Gemeinwohl und strengem Gerechtigkeitssinn, also kühler
Rationalität. Erfordernisse, die dem Europa-Enthusiasmus wie auch der nationalen
Gefühlsaufwallung entgegengesetzt sind. Namentlich sind es die politischen
Gutwetterbeschwörer, die Magier der Geldmacherei, die sich nicht gerne von der
Rechtsordnung disziplinieren lassen. Die kreativen Alchimisten des 18.
Jahrhunderts sind zurückgekehrt mit ihren schwindelerregenden, durch Schwindel
erzeugten Konstruktionen imaginärer Werte. Zum Feudalabsolutismus gehörte auch
die Attitüde der Fürsten, sich selber nicht an die Gesetze zu halten, die für
die Untertanen galten.
Der
Rechtsbruch ist zu einer üblen Angewohnheit geworden. Er tangiert (zum
Schuldenabbau) das Eigentumsrecht, zielt (zur Besänftigung der Muslime und zur
Anerkennung ihrer Scharia) auf die Grundrechte der Glaubens-, Gewissens und
Meinungsfreiheit, und hat bereits Artikel 6 des Grundgesetzes, nämlich den besonderen
Schutz von Ehe und Familie, durch die Macht übler Gewohnheiten völlig
durchlöchert. Da reicht es nicht, gutgläubig auf den ersten Artikel des
Grundgesetzes, auf die „unantastbare Würde“ zu verweisen, wenn der inzwischen
schon zur Rechtfertigung von Abtreibung, genetischer Selektion und Euthanasie
in Anspruch genommen wird.
Unverfügbar
ist der Mensch in seiner Würde und Selbstbestimmung besonders dann, wenn er
jene durch diese abschafft. So scheint es. Und die höchste Form der Freiheit
besteht wohl darin, nicht einmal seinem eigenen Willen unterworfen zu sein,
seiner eigenen Erkenntnis, sondern sich irgendeinem machtvollen politischen
oder medialen Wahrheits- und Geltungsanspruch zu beugen. Da darf man sich über
nichts mehr wundern. Nicht einmal darüber, daß sich die christliche Theologie
kaum mehr dazu aufraffen kann, die naturrechtliche Evidenz des Grundgesetzes
aufzuweisen. Und zwar gegenüber einem westlichen Zeitgeschmack, der sich dem
macht- und gewaltbewußten Islam anpaßt.
Die
Machthaber islamischer Staaten nehmen sich das Recht heraus, Juden und Christen
zu diskriminieren und zu verfolgen. Die Einwohner westlicher Staaten genießen
hingegen noch eine Religionsfreiheit, die sie auch den dort ansässigen Muslimen
gewähren. Diese müssen sich – wie auch die Christen – damit abfinden,
Gegenstand der Religionskritik, manchmal auch der billigen und geschmacklosen
Polemik zu werden. Von dieser Sorte sind vor allem viele antichristliche
Verlautbarungen im Umlauf, ohne daß die Christenheit in gewaltsamen Aufruhr
gerät. Die Christen haben eben eine Schwäche für Freiheit und Frieden. Gerade
darin liegt ihre Schwäche gegenüber einer politischen Macht und Gewalt, die
nicht mehr die Sprache des Naturrechts versteht.
In
den islamischen Ländern hatte sich die Reaktion auf ein amerikanisches Video
hysterisch gesteigert und wandte sich kollektiv gegen „westliche“
Repräsentanten. Leider diskutiert man im „christlichen“ Westen Fragen der
Blasphemie nur dann, wenn sich Muslime beleidigt fühlen und mit Gewalt drohen.
Antichristliche Filme, Karikaturen und Polemiken hingegen gehören bei uns zum
Alltag, man hat sich fast daran gewöhnt. Leider Gottes. Die üblichen
Gewaltexzesse in der islamischen Welt sind einer von langer Hand geplanten Spontaneität
der Volksmassen zu danken. Wer von den Gewalttätern und Mördern hatte denn
vorher das Video gesehen? Hier folgte man dem Muster, das sich schon bei Salman
Rushdie, der Regensburger Papstrede und dem dänischen Karikaturenstreit
bewährt hatte. Fanatisierte Muslime scheinen ein gewaltiges Aufregungsbedürfnis
zu haben, das unserer Öffentlichkeit einen mächtigen Respekt abverlangt.
Religionskritik
muß erlaubt bleiben. Freilich halten sich feige Religionskritiker und
Berufsblasphemiker zurück, wenn sie mit gewalttätigen Reaktionen zu rechnen
haben. Diese Schere im Kopf wirkt wie eine Selbstzensur. Da braucht es keine
Zensurbehörde mehr. Merke: Je gewalttätiger eine Religion, desto besser
ihr rechtlicher Schutz vor Beleidigung. Das soll angeblich dem „öffentlichen
Frieden“ dienen. Wer aber schützt gewaltfreie Christen vor gemeiner
Verächtlichmachung ihrer Religion? Das ist eine Frage des bürgerlichen Anstands
und der politischen Kultur. Gerade daran hapert es.
www.die-neue-ordnung.de
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