Erschienen in Ausgabe: No 80 (10/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Heike Geilen
"Der
Kaufmann von Venedig" gehört zu Shakespeares bekanntesten,
aber auch zu seinen problematischsten, vieldeutigsten und höchst
polarisierenden Stücken. Der heiteren und romantischen Rahmenhandlung wegen
gilt es nach wie vor als Komödie. Doch die gegenläufigen Tonlagen, seine
doppelbödigen Charaktere, die Mischung verschiedenster Themen und Motive, die
vielseitige Sprache und nicht zuletzt der abgründige Shylock machen es zu einem
schillernden Werk, das sich keinem Genre eindeutig zuordnen lässt. Wie kein anderes
provoziert es heutige Leser unmittelbar zu einer kritischen Reaktion, denn
Shylock entspricht dem antisemitischen Klischee eines Juden. In ihrer jüngsten
Publikation hat sich Barbara Kindermann genau diesen Kontroversen auslösenden
Klassiker herangezogen, um ihn Kindern von sieben bis neun Jahren zugänglich zu
machen.
Sieht
man in der Handlung unabhängig von Religionen nur die menschlichen Schwächen,
so sind diese überall gleich. Tragisch-komisch wird über die Liebe zwischen
Männern und Frauen, wie auch zwischen Männern und Männern erzählt. Aber es ist
auch ein Stück über Hass und Geldgier, über Gnade und Gesetz.
Um
sich bei der reichen und schönen venezianischen Erbin Porzia bewerben zu können
braucht Bassanio Geld, was er nicht hat. Also bittet er seinen Freund, den
Kaufmann Antonio um Hilfe. Antonios bietet Bassanio an, die benötigte Summe vom
jüdischen Geldverleiher Shylock zu besorgen. Shylock jedoch hasst Antonio, weil
dieser den Juden für gewöhnlich voller Verachtung behandelt. Er fordert daher,
dass - sollte die Schuld nicht in drei Monaten beglichen sein - der Preis dafür
ein Pfund von Antonios eigenem Fleisch sein solle. Wie es kommen soll, tritt
das Drama ein und Shylock will vor Gericht sein Recht durchsetzen. Nun zieht
Shakespeare seine komödiantischen Register. In der Verhandlung tritt Porzia in
Männerkleidern als Verteidiger auf und schafft es tatsächlich das Gericht zu
überzeugen. Shylock wird letztendlich selbst angeklagt und verurteilt. Einem
glücklichen Ende steht also nichts mehr im Wege...?
Unter
Bewahrung der Textnähe zu Shakespeare und einer Übersetzung von August Wilhelm
Schlegel aus dem Jahr 1964 ist Barbara Kindermann erneut eine wundervolle Adaption
eines großen Textes für kleine Leser gelungen. Liebevoll und kindgerecht
aufbereitet hält man ein wunderschönes, in Halbleinen gebundenes Buch in den
Händen, bei dem sich Wort und Bild kongenial ergänzen. Die Hamburger
Illustratorin Julia Nüsch, deren Buchgestaltung zugleich ihre Diplomarbeit ist,
wartet mit warmen Farben in Erdtönen auf. Ihre herzigen, spitznasigen Figuren
mit den dünnen Ärmchen und Beinen, den pludrigen Hosen und Kleidern und den
großen Köpfen wohnt so gar nichts Böses oder Raffgieriges inne. Sogar Shylock
erscheint als gutmütiger Greis, dem man eigentlich nicht böse sein kann, da er
den vermeintlich guten Christen nur ihren Spiegel vor die Nase hält. Dies
erleichtert den Kindern sicher eine neutrale Meinungsbildung.
Fazit:
Shakespeare so modern, dass er auch Kindern die Hand reichen kann, ihnen
Appetit auf seine zeitlos schöne Theaterwelt macht und ihre Fantasie beflügelt.
In komprimierter Form, zeitgemäßer, aber dennoch poetischer Sprache und
wunderschönen Illustrationen, die die bezaubernde Atmosphäre und die - aus
heutiger Sicht - entrückte Welt von Shakespeares Schauplätzen einzufangen
wissen, wird die Geschichte fesselnd erzählt und für Kinder begreifbar gemacht.
Und vielleicht kann man mit seinen Jüngsten hernach versuchen herauszufinden,
in welchem Verhältnis unsere Kultur heute allem "Fremden"
gegenübersteht.
Der Kaufmann von Venedig
nach William Shakespeare
Neu erzählt von Barbara
Kindermann, mit Bildern von Julia Nüsch
Kindermann
Verlag, Berlin (September 2012)
36
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3934029493
ISBN-13:
978-3934029491
Preis:
15,50 EURO
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