Erschienen in Ausgabe: No 81 (11/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Heike Geilen
"Er tanzte
nicht gern. Er spielte nicht gern. Er trank nicht einmal gern. Eifersucht war
seine einzige Leidenschaft. Er freute sich an ihr, er lebte von ihr."
Joseph Roth schrieb diese Worte in seiner großartigen "Geschichte von der
1002. Nacht". Liebe und Eifersucht, ein altes Menschheitsthema, der Stoff,
aus dem Dramen und Tragödien gestrickt sind. Dieses stechende Gefühl irgendwo
zwischen Herz und Magengegend hat wohl jedes Paar bereits einmal erlebt. Manche
weniger, andere mehr. Sie kann zerstörend, ja krankhaft sein, eine kleine Prise
von ihr der Beziehung allerdings auch Würze geben. Doch was, wenn die
Eifersucht zur Obsession wird?
Wie schon 2010
in seinem mit dem wichtigsten britischen Preis für Literatur, dem Booker-Preis,
ausgezeichneten Roman "Die Finkler-Frage"zeigt sich der 1942 in
Manchester geborene Howard Jacobson auch in seinem neuen Roman als Meister
darin, die Obsessionen unserer Zeit ins Visier zu nehmen. Entstanden ist ein
beeindruckendes, wenn auch zuweilen verstörendes Buch über das gefährliche,
amouröse Spiel seines Protagonisten und Ich-Erzählers Felix Quinn, eines
äußerst belesenen Besitzers einer antiquarischen Buchhandlung im vornehmen
Londoner Stadtteil Marylebone. Er lebt mit seiner Frau Marisa zusammen, eine
Frau, die für ihn Sokrates und Salome zugleich ist, in ihm also alle
Leidenschaften weckt, geistige wie körperliche. Aber seiner Liebe zu ihr und
seinem extrem ausgeprägten Masochismus fehlt noch das Zentrum, das Mittel,
exquisit zu leiden: die Eifersucht. "Man liebte, um zu verlieren, und je
mehr man liebte, umso mehr verlor man. Angst und Eifersucht waren keine
Spaltprodukte der Liebe, sie waren die Liebe an sich." So setzt er alles
daran, diese Eifersucht in sein Leben zu holen.
In seinem
selbstinszenierten Prozess der Vollendung hin zu einem Besessenen läuft ihm der
gut aussehende Mittdreißiger Marius über den Weg. In ihm erkennt er das
pornographische Komplement seiner noch ausgegorenen Gelüste, "von ihm
schien ein kaltes Feuer auszugehen, wie Funken von einer Wunderkerze. (...) Es
war aufregend, in seiner Nähe zu sein, irgendwie gefährlich, als wäre der Tod,
von dem er sprach, ein Größe, über die er Macht besaß". Er plant,
arrangiert und setzt Marius als Figur in eine obszönen Fiktion, die er nach dem
Muster sämtlicher pikanter Romane, die er gelesen hatte, entwirft: "von
der Schönheit der Abstraktion hin zur Hässlichkeit der Tat." Es kommt, wie
Felix es bis ins Detail geplant hat, die Menage a trois beginnt, Marius und
Marisa werden ein Liebespaar und Felix Quinn der (geistige) Voyeur der
Erlebnisse seiner Frau. Aber ob Felix, der Glückliche, dessen Name natürlich
ironisches Programm ist, damit nun tatsächlich sein Glück gefunden hat?
"Liebesdienst"
ist nicht im konventionellen Sinne eine Familiengeschichte und genauso wenig
eine klassische Liebesgeschichte, obwohl es wiederum genau als solche
durchgeht. Wenn überhaupt, dann ist es eine Antifamiliengeschichte, in dem der
Ich-Erzähler als Beispiel dafür dient, "wie sich ein Mann vom
evolutionären Imperativ befreien kann." Howard Jacobson, der manchen nicht
zu Unrecht als bedeutendster Schriftsteller Großbritanniens gilt, hat einen
technisch brillanten Roman vorgelegt, der über weite Teile seine Handlung in
einer kunstfertigen Schwebe zwischen Illusion und Wirklichkeit hält, sich durch
seine ungeheure Musikalität der Sprache, kraftvolle Charakterisierungen und
unglaubliche Scharfsinnigkeit auszeichnet. Das zuweilen schockierende,
streitlustige, unverschämte, aber auch durch die Überzeichnung seiner
Charaktere witzige und auf jeden Fall intellektuell stimulierende Buch
offenbart eine imaginative Kraftentfaltung des Begehrens und der Zerstörung in
einem Menschen und gibt durch die ungeschönte "Lichtdurchlässigkeit des
Fleisches, den Blick auf die bibbernde Nacktheit unserer Seele" frei.
Gespickt mit unzähligen Verweisen auf literarische Analogien von Joyce,
Klossowski, Dickens, Dostojewski, Tolstoi, Bukowski oder D. H. Lawrence spinnt
er den Leser ganz allmählich in ein dichtgewobenes Netz aus scharfsinnigen
psychologischen Beobachtungen ein, die er mit höchst unterhaltsamen Aphorismen
zu Ehe, Liebe, Leidenschaft und Kunst garniert, bis Felix' Ansinnen gar nicht
mehr so abwegig erscheint.
Fazit:
"Liebesdienst" von Howard Jacobson erweist sich als Buch, das Grenzen
überschreitet und virtuos und gekonnt auf dem schmalen Streifen jenes
Territoriums zwischen Sakrament und Schund wandelt und mit der versöhnlichen
Quintessenz aufwartet: Die Liebe mag kompliziert, komisch, grausam, abartig
sein, doch können und wollen wir von ihr nicht lassen - ebenso wenig wie von
diesem überaus amüsanten, zugleich tiefgründigen und vor allem auch spannenden
Roman, der hervorragend und kongenial von Thomas Stegers ins Deutsche
übertragen wurden.
Ich bin die Wunde, bin der Stahl,
Ich bin der Streich und bin die
Wange,
Ich bin das Glied und bin die
Zange,
Und bin der Quäler und die Qual
(Charles
Baudelaire: Die Blumen des Bösen)
Howard Jacobson
Liebesdienst
Aus dem Englischen von Thomas
Stegers
Titel
der Originalausgabe: The Act of Love
DVA
(November 2012)
390
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3421044066
ISBN-13:
978-3421044068
Preis:
22,99 EURO
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