Erschienen in Ausgabe: No 83 (1/2013) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Stefan Groß
Goethe, die Gartenkunst und die übergeordneten Gattungen
Die Kunst ist „lange bildend, eh’
sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die
schöne. Denn in dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig
beweist […].“[1]
Diese Maxime aus Goethes Aufsatz Von
deutscher Baukunst aus dem Jahre 1772 steht für einen Kunstbegriff, der
hier bereits zu einer Zeit formuliert wird, in der Goethe noch im Bann des
Sturm und Drang steht, der aber schon auf seinen späteren Klassizismus
vorbereitet.
Bereits sechs Jahre später wird
er im vierten Akt seines Triumph(s) der Empfindsamkeit eine erste
kritische Sicht an der englischen Gartenkunst und ihren „Spielereien“
formulieren – im Hintergrund dabei der distanzierte Blick auf das
wirkungsästhetische Paradigma der Gartenkunst.[2]
Goethes Kritik an der jungen aufstrebenden Gattung, die zu diesem Zeitpunkt
durch eine Vielzahl ästhetischer Schriften von Autoritäten wie Christian Cay
Lorenz Hirschfeld, Gottlob Heinrich von Rapp, Johann Christian August Grohmann
und Wilhelm Gottlieb Becker den Legitimierungsversuch unternimmt einen festen
Platz innerhalb der Gattungshierarchie zu erlangen, zeigt, dass sich Goethe
schon vor seiner Italienreise, den Versuch einer Einordnung der Gartenkunst in
die Hierarchie der „Bildenden Künste“ und die damit einhergehende Nobilitierung
als Primärgattung ver-sagt.
Dem korrespondiert, dass der
Frankfurter Jurist nie den Versuch unternommen hat, die Gattung der Gartenkunst
theoretisch zu legitimieren. Wenngleich sie im dichterischen Werk immer wieder
eine bedeutende Rolle spielt, bleiben es die „etablierten“ Kunstgattungen, die
sein ästhetisches und naturphilosophisches Interesse wecken.
Weshalb, so ließe sich fragen,
hat Goethe die Gartenkunst aus seiner Theorie ausgeklammert? Der Grund für
diese Absage ist nicht das Resultat seiner praktischen Beschäftigung mit der
Gartenkunst – mit der englischen „Gartenrevolution“ war er eingehend vertraut,
ab 1776 verstand er sich selbst sogar als Gartengestalter –, sondern ist in
seiner Gehaltsästhetik zu suchen.
Die schwärmerische Verklärung, die
der junge Goethe bei Besuchen englischer Gartenanlagen äußert, weicht schnell
der Kritik, denn in der Idealisierung einer Landschaft, die ihre Schönheit
nicht durch sich selbst, sondern durch künstliche Überformung erlangt, sieht er
eine schlechte Nachahmung. Bereits hier resümiert er, dass sich die Natur nicht
verschönern lässt, wenn man nicht in ihr innerstes Organon eindringt. Unter
Natur versteht Goethe daher nicht mehr das Material, das dem Gartengestalter
vorgegeben ist, sondern eine Kraft, die sich selbst erschafft – mitsamt ihren
immanenten Wirk- und Zweckprinzipien. Damit ist eine Gartengestaltung durch
Nachahmung – im Sinne einer schlechten Mimesis – zumindest aus der Sicht dieser
Naturvorstellung unmöglich. Der Naturbegriff des jungen Goethe wird durch seine
frühen Landschaftserfahrungen und das Erlebnis der undomestizierten Natur noch
verstärkt. Jetzt ist es das ewig schaffende Gesetz der Natur, das ihn
fasziniert und ihm den willkürlichen Gartengestaltungen entfremdet. Nach den
Schweizreisen bleibt die Feststellung, dass man überall mit Monumenten und
Urnen spielt. Die ideale Landschaft ist die Natur selbst, und die wahre Kunst
muss ein Gesetz aufweisen, einen objektiven Geltungsanspruch, der sich in all
ihren Produktionen zeigt und mit dem sie sich vom Naturschönen abhebt.
Regulative Ästhetik wird so zum Ideal, von dem alle Kunst ihren Ausgang zu nehmen
hat.
Goethe selbst weiß, dass „er
nicht in die friedliche Zeit von Hirschfeld und andren Gartenfreunden gekommen
sey, wo ein tiefer Friede den Menschen Mittel und Muße gab, mit ihrer Umgebung
zu spielen“,[3]
und er unterstreicht dies auch mit seinem kritischen Befund der
zeitgenössischen Kunst. Im Rückblick auf die Kunstausstellung von
1803 kritisiert er den allgemeinen Hang zum „Sentimental = Unbedeutenden
und zum Platt = Natürlichen“.[4] Der Versuch, durch
Preisaufgaben den Künstler zu einer sorgfältigen Auswahl günstiger Gegenstände
zu führen, korrespondiert mit der kurz zuvor erschienenen Einleitung in die
Propyläen. Hier formuliert Goethe allgemeine Kunstmaximen. Neben der
größten „Einfachheit“ und „Ökonomie der Darstellung“ kommen als ästhetische
Kategorien die „Notwendigkeit“, das „Schickliche“, die Hervorbringung eines
„geistige Organischen“ und „Wesentlichen“ oder „Charakteristischen“, die
„Kunstwahrheit“ und die „Erfindung“ zum Tragen. Diese Suche nach dem allgemein
Verbindlich-Charakteristischen führt erst dort zu einer gelungenen Behandlung
des Stoffs, wo das „Wichtigste“ und „Bedeutende“ dargestellt und in seiner
Besonderheit berücksichtigt wird. „Echte Kunst“ hat einen „idealen Ursprung und
eine ideale Richtung“; sie hat ein reales Fundament, ist aber nicht realistisch.
Wo die Idee fehlt, wie in der
Gartenkunst und in der „neu = deutsche(n)“ und „religiös = patriotische(n)“
Kunst, da ist es auch mit der Kunst nicht weit her. Eine Kunst, die sich auf
Neigung, Sentimentalität und blinde Religiosität reduziert, führt zwar zu
religiöser Begeisterung, nicht aber zu den Gesetzen der Kunst.
Die Aufgabe aller wahrhaften
Kunst beschreibt Goethe als ein Vorgehen vom „Formlosen zur Gestalt
überzugehen“.[5]
Dieser Versuch wird spätestens nach der Italienreise zum zentralen Denk- und
Leitmotiv. Doch nach Arkadien, dies weiß er gemeinsam mit Schiller, kann die
Kunst nicht mehr zurück, der Weg in die Antike bleibt verstellt, die Differenz
zur Welt der Alten unüberwindbar.
Diese Differenzerfahrung war es
dann auch, die Goethe seinen Studien zur Bildenden Kunst voranstellte,
um nach jenen Prämissen zu suchen, an die sich zeitgenössische Künstler
anlehnen könnten. Das Ziel jeder Kunst, so die Kunstmaxime, muss es sein, von
der sinnlich faßbaren Natur ausgehend, ein Werk hervorzubringen, „das, indem es
das sinnliche Anschauen befriedigt, den Geist in seine höchsten Regionen
erhebt“,[6] denn wer nicht rein zu den
„Sinnen“ spricht, der spricht auch nicht rein zum Gemüt. Diejenige Kunst, die
dies vermag, steht dann innerhalb der Gattungshierarchie dem Rang nach höher.
Für Goethe ist es die
Landschaftsmalerei. Sie siedelt innerhalb der gattungsspezifischen Verortung
über der Gartenkunst und der Architektur, aber unter der Plastik oder Bildhauerei.
Während die Gartenkunst lediglich zur „Naturwirklichkeit“ strebt, gelangt die
Malerei zum „höchsten Gipfel“. Wahrhafte Kunst bleibt, im Gegensatz zur
regellosen Willkür der Gartenkunst, an „Grundsätze“ verwiesen.[7]
Das Geniale einer Kunst besteht
demgemäß darin, das unmittelbar Wahrgenommene so abzubilden, dass es dem
Original entspricht und dennoch Ausdruck dessen ist, was der Künstler als
allgemein-kategoriale Bestimmung mit dazugibt. Dies heißt nichts anderes, als
die Gegenstände so darzustellen, dass der Gegenstand dabei zugleich idealisiert
wird. Während der Gartenkünstler für den Schein arbeitet, operiert der
Landschaftsmaler gemäß der „Erfindung“.
Die von Goethe immer wieder
formulierte Kritik an der Regellosigkeit des Dilettantismus und damit an der
Gartenkunst unterstreicht er in Über strenge Urtheile, denn dem
Dilettanten fehlt es an festen Grundsätzen und der strengen Anwendung
derselben, das Produkt dieser Künstler bleibt eine „Nullität“. Schon hier wird
deutlich, dass innerhalb der Gattungsspezifik die Gartenkunst für Goethe nicht,
wie einst bei Hirschfeld, in den Adelsrang erhoben werden kann. Diesen
Legitimierungsversuch zu führen, ist aus der Sicht der Gehaltsästhetik absurd.
Letztendlich bleibt die Gartenkunst eine, die auf halben Weg siedelt.
In der zweiten Schrift zur
Architektur, der Baukunst von 1795, nobilitiert Goethe diese, sofern sie mit
„Zwecken“ oder nach denselben arbeitet, wobei der höchste Zweck die Darstellung
des „Sinnlich-Harmonischen“ sei. Sie ist demnach keine bloß nachahmende Kunst,
sondern eine schöpferische Tätigkeit, die sich am bestimmten Begriff der Schönheit
abarbeitet. 1823 wendet sich Goethe in Von
deutscher Baukunst erneut der Thematik zu. Hier spricht der reife Goethe,
der nach Proportion und Regel sucht – doch weiterhin gilt: Fehlt der Kunst die
Regel, siedelt sie qualitativ auf einer niederen Stufe.
Intensiver als mit der Frage nach
der Architektur hat sich Goethe mit der Gattung der Landschaftsmalerei
beschäftigt. 1813 ist der Adressat einer erneuten Auseinandersetzung der
holländische Maler Jacob van Ruysdael (1628–1682). Die heroische
Landschaftsmalerei Ruysdaels begreift er im strengen Sinn als Landschaftsdichtung
– Ruysdael als Dichter. Was die Landschaftsmalerei auszeichnet, ist die
Anwendung der Kategorie der „Erfindung“, durch die sich das Objektive der
Kunst, ihr Begriff, ausspricht. Im „Punkt“, wo Produktionskraft und Verstand
zusammentreffen, zeigt sich die produktive Kraft der „Erfindung“, ihr
eigentliches Moment, das für die Synthese von Natur- und Kunstschönheit, für
die Vereinigung von objektiver Darstellung und subjektivem Erleben steht. Was
an Ruysdael fasziniert, ist, dass dieser eine „vollkommene Symbolik“ erreicht,
die die Gesundheit des äußeren und inneren Sinnes befriedigt.[8]
Im Gespräch mit Eckermann am 18.
April 1827 greift Goethe seine Prinzipien wahrhafter Kunst am Beispiel Rubens
wieder auf und verdeutlicht sein Kunstideal.[9] Gerade in Rubens zeigt
sich die Kategorie der „Erfindung“ in reiner Form, wenn er über die reale
Landschaft hinausgeht, als freier Geist über der Natur steht und diese seinen
höheren Zwecken gemäß gestaltet. Diese Distanznahme zur Natur und der Versuch,
diese Differenz zu überwinden, machen seine Genialität aus.
Diejenige Kunst aber, die Goethe
an die Spitze der Hierarchie der Künste stellt, ist die Plastik, denn eine
Marmorbüste ist mehr als alles Architektonische wert. Es ist die Laokoon-Gruppe,
die für Goethe zum Ideal der plastischen Kunst, ja, zum Lehrgebäude der
Bildhauerei überhaupt wird, weil sie alle kategorialen Bestimmtheiten der
Ästhetik in Vollkommenheit repräsentiert. Hier sind nicht nur die Grundsätze
der Kunst miteinander vereint, sondern auch das Anmutige und das Schöne, das
Sinnliche und das Geistige. Und was sie darüber hinausgehend über alle Künste
stellt, ist das Moment der Entzeitlichung und geschichtlichen Personifizierung.
Der bewusste Verzicht auf allegorische Verweise macht die Gruppe für Goethe zu
keinem geschichtlichen Werk, sondern zu einer „tragischen Idylle“. Hier zeigt
die griechische Kunst nochmals ihre ästhetischen Paradigmen, orientiert sie
sich doch am Nächsten, Wahren und Wirklichen. Der Mensch und das Menschliche
werden am „werthesten“ geachtet und dargestellt.
Friedrich Schiller, die Kritik an der Gartenkunst und die Schaubühne
Geschichtlich gesehen siedeln die
ästhetischen Schriften Friedrich Schillers in einer Zeit, in der die
Gartenkunst ihre Vorrangstellung innerhalb der Hierarchie der Künste bereits
verloren hatte, die große Revolution als „liberaler Weltentwurf“[10]
war vorbei. Trotzdem greift Schiller noch einmal in die Debatte ein, wenn er
nach dem Stellenwert der Gattung fragt.
Er, der in seiner Jenaer Zeit
selbst Gartenbesitzer war, hat sich nicht so intensiv – wie Hirschfeld, Rapp,
Grohmann und andere – mit der Gartenkunst beschäftigt, aber auch er hat unter
anderem in der mit Goethe und Meyer herausgegebenen Schrift Über den Dilettantismus zur neuen Mode
Stellung bezogen. Während, so das Diktum Schillers, der Künstler sich „selbst
Gesetze“ auferlegt, folgt der Dilettant der Mode der Zeit. Er orientiert sich
nicht an objektiven Kunstgesetzen, sondern lediglich an den Wirkungen der Kunst
auf das empfindsame Subjekt. Statt auf das Gesetz der Kunst zu rekurrieren, das
subjektiver und dennoch allgemeinverbindlicher (objektiver) Natur sein sollte,
partizipiert der Dilettant nur an der letzten Wirkung „aller poetischen
Organisation“, ohne „den Aufwand der ganzen Kunst“[11] selbst vorauszusetzen.
Was den Dilettanten fehlt, ist die Architektonik im höchsten Sinne.
In seiner Rezension im Journal Über
den Gartenkalender auf das Jahr 1795 wird Schiller dann die lange
Abhängigkeit der Gartenkunst von der Architektur kritisieren, das „steife Joch
mathematischer Formen“, unter die alles gepresst wird.[12]
Anstelle des barocken Weltbildes mittels der mathematischen Methode more
geometrico setzt Schiller seine Idee vom Organischen und distanziert sich
zugleich von französischen Gestaltungsprinzipien, die der der Natur immanenten
Freiheit widersprechen. Einem Garten, der die Natur determiniert, kann er
nichts abgewinnen, denn zu sehr verlangt Schiller nach dem Ideal der Freiheit
und nach der Einbettung derselben in die sinnliche Wirklichkeit.
Vor diesem Hintergrund erweist
sich sowohl die rein französische als auch die rein englisch-sentimentalische
Gartengestaltung in ihrer Einseitigkeit als ungenügend. Denn: Entweder überwiegt
– wie im französischen Barockgarten – ein Gestaltungselement, das von der Idee
reiner Notwendigkeit und damit von einer radikalen Vorherbestimmtheit ausgeht,
oder es herrscht ein Gestaltungsprinzip – wie im englischen Garten – vor, dem
es an jeder Formbestimmtheit fehlt.
Für Schiller folgt die englische
Gartengestaltung nicht den Regularien des Verstandes, sondern endet in der
Formlosigkeit, wenn sie von einer formellen Ordnung als Kompositionsprinzip
abrückt und nur der reinen Assoziations- und Einbildungskraft Spielraum
verschafft. Eine rein nachahmende Rekonstruktion, ein reines Nachbuchstabieren
der Natur lässt sich zwar mit der Idee des Naiven vereinen, genügt jedoch nicht
dem Anspruch des sentimentalischen Künstlers. Die naive Kunst – die nach der
verlorenen Idylle sucht und diese im sentimentalisch-englischen Garten zu
finden glaubt – geht von einem Ideal aus, das die Einheit von Natur, Mensch und
Kunst anstrebt. Diese Suche entspricht aber nun nicht mehr dem ästhetischen
Diktum der von Schiller so genannten „sentimentalen“ Kunst. Während diese
modern ist und mit der reinen Gefühlsästhetik bricht, ist die
sentimentalisch-englische Gartenkunst antiquiert. Daraus folgt für Schiller,
dass die Gartenkunst im Kanon der Künste an einer untergeordneten Stelle zu
verorten sei.
Einerseits sieht Schiller
zwischen Gartenkunst und Architektur Parallelen, da „die Gartenkunst unter
Einer Kategorie mit der Baukunst stehet“,[13]
andererseits moniert er, dass die Übertragung von Architekturstilen auf die
Gartenkunst dieser geschadet habe. Zwar entsprechen beide Künste „in ihrem
ersten Ursprunge einem physischen Bedürfnis, welches zunächst ihre Formen
bestimmt, bis das entwickelte Schönheitsgefühl auf Freiheit dieser Formen drang
und zugleich mit dem Verstande der Geschmack seine Forderungen machte“,[14]
er betont aber zugleich, dass es nur der sinnliche Gestaltungsaspekt war, der
die Künstler zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik bewogen hat. Schiller
ist der festen Überzeugung, dass schöne Kunst, auch die Gartenkunst, nur
möglich wird, wenn sich Sinnlichkeit und sittliches Ideal miteinander
vereinigen. Eine sensualistische Wirkungsästhetik sowie eine rein vernünftige
Begründung des Schönen, wie sie Christian Wolff, Alexander Gottlieb Baumgarten
und Johann Georg Sulzer vor Augen haben, lehnt Schiller daher ab, da das Wesen
der Kunst auf ein synthetisches Ereignis zurückgeht, das den Dualismus von
Sinnlichkeit und Sittlichkeit zwar voraussetzt, diesen aber zu überwinden
sucht. Kunst lässt sich nicht auf Nachahmung reduzieren, da es die Aufgabe der
Kunst sei, über „die formale Ähnlichkeit des Materialverschiedenen“
hinauszugehen – im bloß „Nachgeahmten“ verdrängt der Stoff den Inhalt.[15]
Der Mensch des 18. und des 19.
Jahrhunderts kann nicht, wie einst der Gartenkünstler glaubte, von einer
synthetischen Einheit zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit ausgehen, sondern
muss versuchen, diese Synthese allererst neu zu stiften. Die Realisierung dieser
Aufgabe schreibt Schiller aber nicht mehr der Gartenkunst zu, sondern der
idyllischen Dichtkunst, der es allein gelingt, die Entfremdung des Menschen von
sich und von der Natur aufzuheben, indem sie die „Hirtenunschuld auch in den
Subjekten der Kultur“ darstellt und so nicht zurück nach Arkadien, sondern nach
Elysium führt. Für Schiller verbietet sich damit der Rückzug in die
geschichtlich-arkadische Welt der Antike, weil man diese Idylle (naive Kunst)
überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann.
Auch Schiller wird wie Goethe die
Landschaftsmalerei über die Gartenkunst stellen. Beiden Künsten ermangelt es an
Inhalt oder Gehalt, denn dieser wird in ihnen nicht zugrunde gelegt, sondern
diesen aufzusuchen, überlassen sie dem Betrachter, der dann nichts aus der Kunst lernt, für den
diese bloß angenehm ist, weil sie anstatt zum Propädeutikum zu werden, nur das
Gemüt und nicht die Vernunft affiziert.
Aus Sicht des Gehaltsästhetikers
kann die Landschaftsmalerei vor dem Richterstuhl der ästhetischen Vernunft und des
regulierenden Verstandes nicht genügen. Der Gattung, der Schiller letztendlich
ein Prä einräumt, ist aber keine der „Bildenden Kunst“, sondern eine der
darstellenden Kunst – die „Schaubühne“.
Der Schaubühne als moralischer
Anstalt ist es nicht nur möglich, Sinnlichkeit und produktive Einbildungskraft
zu beflügeln, die unteren Begehrungsvermögen, sondern sie vermag auch das
Moment der Glückseligkeit beim Zuschauer hervorzurufen. Zu dieser Glückseligkeit
hinzuführen bleibt für Schiller der höchste Zweck aller Kunst. Glückseligkeit
und Glückswürdigkeit – sie auf eine Einheit, auf die kantische Einheit
hinzuführen, ist die ausgezeichnete Aufgabe der Schaubühne, sie vermag die
beiden Herzen in des Menschen Brust in einen „mittleren Zustand“ zu vereinigen.
Damit steht die Schaubühne als „Schule der praktischen Weisheit“ – neben
Dichtung und Lyrik – über allen Gattungen der „Bildenden Kunst“.
[1]
Johann Wolfgang von Goethe: Hamburger Ausgabe in 14 Bde., hg. von Erich Trunz.
München 1998, hier Bd. 12, S. 12.
[2] Vgl.
Stefan Groß: Die Weimarer Klassik und die Gartenkunst. Über den Gattungsdiskurs
und die „Bildenden Künste“ in den theoretischen Schriften von Goethe, Schiller
und Krause. Frankfurt am Main/Berlin 2009.
[3]
Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. ND Weimar
1999, Abgekürzt: WA III, 13, S. 10.
[4] WA I,
48, S. 65.
[5] WA I,
49, S. 20.
[6] WA I,
47, S. 21.
[7] WA I,
47, S. 21.
[8]
WA I, 48, S. 168.
[9] Johann
Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg.
v. Adolf Bartels, Bd. 2, Jena 4-60001905, S. 308.
[10] Vgl.
Adrian von Buttlar: Der englische Landsitz 1715–1760. Symbol eines liberalen
Weltentwurfs. Mittenwald 1982; ders.: Der Landschaftsgarten. Gartenkunst des
Klassizismus und der Romantik. Köln 1989.
[11] Johann
Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Johann Heinrich Meyer: Über den
Dilettantismus, in: Goethes Werke, Sanssouci-Ausgabe, Bd. 10, Potsdam 1925, S.
203.
[12]
Friedrich Schiller: Über den Gartenkalender auf das Jahr 1795, in: Schillers
Werke, hg. von Julius Petersen und Hermann Schneider. Vermischte Schriften, Bd.
12. Weimar 1958, S. 285.
[13]
Schiller 1958, S. 287.
[14] Ebd.
[15]
Friedrich Schiller: Kallias oder über die Schönheit, Fragmente aus dem
Briefwechsel zwischen Schiller und Körner, hg. v. K. L. Berghahn, Stuttgart
1999, S. 58.
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