Erschienen in Ausgabe: No 84 (2/2013) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Gabriela von Habsburg
Frau von Habsburg,
Sie sind die Botschafterin von Georgien, was macht eine Botschafterin ganz
konkret?
Mein Hauptanliegen ist es, Georgien in Deutschland bekannter
zu machen. In meinen Gesprächen stelle ich immer wieder fest, dass zwar jeder
schon einmal von unserem Land gehört hat, viele es aber kaum kennen. Mit
Politikern zum Beispiel spreche ich viel über die politische Situation im Land,
die vielen Reformen, die seit der Rosenrevolution umgesetzt wurden aber
natürlich auch über unsere außenpolitischen Ziele, eine zukünftige
Vollmitgliedschaft in EU und NATO.
Von besonderer Bedeutung ist es für uns aber auch, die
georgische Kultur in Deutschland zu präsentieren. Oft sind unsere Besucher
überrascht, dass Georgien ein ur-europäisches Land ist. Unsere Botschaft ist in
diesem Bereich sehr aktiv. Wir veranstalten regelmäßig unterschiedliche
Veranstaltungen. Häufig laden wir ein zu Lesungen von und mit georgischen
Schriftstellern. Aber auch Konzerte, Filmpremieren oder Vortragsveranstaltungen
stehen bei uns auf dem Programm.
Einmal im Jahr richten wir darüber hinaus um unseren
Nationalfeiertag eine georgische Kulturwoche aus. Im vergangenen Jahr war das
Thema Film, wir haben unter anderem eine Retrospektive des georgischen Films
gezeigt. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf georgischen Theaterproduktionen
liegen. 2013 dürfen sich unsere Gäste auf archäologische Fundstücke aus
Georgien freuen.
Natürlich kümmern wir uns aber auch um Wirtschaftsbeziehungen.
In Zusammenarbeit mit unseren Partnern, z.B. der DIHK, informieren wir über
Georgien als Wirtschafts- und Investitionsstandort.
Nach der
Unabhängigkeit von der Sowjetunion ist Georgien ein eigener Staat mit eigener
Verfassung. Arbeiten Sie gerade an einer neuen Verfassung?
Georgien hatte sich gleich nach seiner Unabhängigkeit eine
neue Verfassung gegeben. Es musste eine Grundlage geschaffen werden, auf der
dieser neu gegründete Staat funktionieren sollte. Die georgische Regierung
schützt Grundrechte und ist sehr modern. Sie wurde mit Unterstützung der
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, damals noch Gesellschaft für
technische Zusammenarbeit erarbeitet. Im Oktober 2010 hat das georgische
Parlament eine Verfassungsreform verabschiedet, die imHerbst 2013 in Kraft treten wird. Gelobt von der
Venedig-Kommission des Europarates wird Georgien damit die nächste Stufe seiner
demokratischen Entwicklung erreichen und sich von einer präsidialen zu einer parlamentarischen
Demokratie entwickeln.
Immer wieder stand
Georgien in den Schlagzeilen wegen Korruptionsaffären, Mafia-Strukturen, die
die Entwicklung des Landes bremsen? Wie ist die Situation heute?
Zu Beginn unserer Unabhängigkeit, in dem 1990er Jahren, war das
hohe Maß an Korruption in Georgien eines der größten politischen wie
wirtschaftlichen Probleme überhaut. Eshatte das Land in die Knie gezwungen und das Entwicklungspotential, das
es hätte haben können, erdrückt. Sämtliches Vertrauen der Bevölkerung in den
Staat und seine Strukturen waren zerstört. Dies wurde dann auch der Nährboden
für die politische Bewegung, die später fürdie sogenannte "Rosenrevolution" bekannt wurde. Am Anfang war
es eine kleine Gruppe junger Politiker, Aktivisten und Studenten. Sie waren es
leid,diesem Regime unterworfen zu sein.
Sie waren in der EU und den USA ausgebildet worden und hatten daher erlebt was
es bedeuten kann, in einer liberalen Demokratie zu leben. Nach gefälschten
Wahlen im Jahr 2003 fanden friedliche Massendemonstrationen, die Rosenrevolution,
statt. Die bisherigen Machthaber mussten dem Druck der Bevölkerung nachgeben
und traten zurück. Für Micheil Saakaschwili und sein Team war die Zeit
gekommen, Verantwortung zu übernehmen.
In den vergangenen Jahren sind viele Reformen umgesetzt
worden und sowohl durch Aufklärung, aber auch durch harte Strafgesetze haben
wir die Korruption in den Griff bekommen. Die Polizei, die noch 2002 wegen
ihrer Willkür gefürchtet wurde, gehört heute zu den vertrauenswürdigten
Institutionen des Landes. Aber auch unabhängige Beobachter bestätigen dieses
Bild: Noch im Jahr 2004 galt unser Land laut Transparency International in
diesem Bereich als eines der Schlusslichter. Heute haben wir uns um über 100
Plätze nach oben bewegt, sind in unserer Region damit unangefochtener
Spitzenreiter. Für die Weltbank ist die Entwicklung Georgiens sogar der Beweis,
dass Korruption für eine Kultur nicht endemisch ist. Auf den politischen Willen
kommt es an.
Wie ist die
wirtschaftliche Lage des Landes zwischen Kaukasus und Schwarzen Meer
einzuschätzen? Welche Wirtschaftszweige werden insbesondere gefördert?
Georgien steht heute gut da. Im vergangenen Jahr ist die
Wirtschaft um 7 Prozent gewachsen, im ersten Halbjahr 2012 waren es sogar 7,5
Prozent. Vor dem Hintergrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ist
dies durchaus bemerkenswert. Ohne Mittelbeimischung und internationale
Finanzierung von Darlehen an kleinste, kleine und mittlere Unternehmen wäre das
so nicht möglich gewesen.
Das Finanzvolumen der Ausländischen Direktinvestitionen lag
2011 bei 1.117,2 Millionen US-Dollar. Dies sind rund 14 Prozent mehr als
ursprünglich geschätzt. Der wichtigste Sektor ist dabei der Energiebereich.
Mit der Hilfe ausländischer wie inländischer Geldgeber wird
viel Geld in die Infrastruktur investiert, was Georgien als Wirtschaftsstandort
attraktiver macht. Dadurch kann Georgien sein Potential, das wir es aufgrund
seiner geostrategisch günstigen Lage hat, ausschöpfen.
Für Georgien hat sich die Erzeugung von Energie aus
erneuerbaren Quellen als wichtiger Wirtschaftsfaktor etabliert. Strategisches
Ziel der vorherigen aber auch der jetzigen Regierung ist es zum einen, die
vollständige Abdeckung des Strombedarfs im Land durch nationale Ressourcen zu
schaffen. Zum anderen aber, soll Energie aus Wasserkraft zum größten Exportgut
werden.
Außerdem ist der Tourismussektor eine echte
Wachstumsindustrie. In den Bergen entstehen neue Skigebiete, an der
Schwarzmeerküste neue Urlaubsressorts. In 2012 besuchten mehr als vier
Millionen internationale Touristen Georgien, das sind über eine Millionen mehr
als 2011.
In Georgien hat
derzeit ein ungeahnter Bauboom eingesetzt, wer investiert in die Region?
Der Bauboom ist eng verknüpft mit den bereits erwähnten,
wirtschaftlichen Entwicklungen. So sind zurzeit ein dutzend Wasserkraftwerke in
der Planung, um Wasserkraft zum Exportgut zu machen. Zudem treibt die Regierung
den Bau von Autobahnen, Eisenbahnstrecken und Flughäfen voran. Die
Tourismusbranche und der Bau von neuen Hotels werden ebenfalls gefördert, indem
Investoren von Abgaben befreit werden.
Durch die Bekämpfung der Korruption, dem Abbau von
Bürokratie und der Einführung von EU und OECD Standards ist Georgien für
ausländische Investoren attraktiv geworden. Lautder
Weltbank Doing Business Studie 2012 ist Georgien, nach Hong Kong und Singapur
das dritt attraktivste Land im Bereich Bauabwicklung. Barrieren für
ausländische Investoren sind nicht vorhanden. Dies spiegelt sich natürlich in
dem Bauboom wieder. Auch die georgische Bevölkerung profitiert von der guten
Wirtschaftslage. Die Leute bauen Häuser und renovieren.
Leidet Georgien unter
der russischen Besetzung, wie ist die Lage zwischen Georgiern und Russen, gibt
es dort ähnliche Konflikte oder sind solche zu erwarten – wie im ehemaligen
Jugoslawien?
Diese beiden Konflikte sind völlig unterschiedlich gelagert,
man kann sie nicht miteinander vergleichen. Aber natürlich ist der Konflikt für
uns schmerzhaft.
Die zwei Kriege, die unser Land
seit seiner Unabhängigkeit ertragen musste, waren schrecklich und haben Spuren
hinterlassen. In der Folge des letzten Krieges mit der Russischen Föderation im
August 2008 sind 20 Prozent unseres Staatsgebietes besetzt geblieben. Unter
französischer Vermittlung wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. Doch bis heute
weigert sich Russland, die Vereinbarungen zu erfüllen. Russland hat sich bis
heute militärisch nicht auf die Positionen zurückgezogen, die es vor
Kriegsausbruch innehatte und stationiert Truppen noch heute bis an den Rand der
von ihnen besetzten Gebiete –zum Teil also lediglich 60 km von der Hauptstadt
Tbilisi entfernt. Und bis heute weigert sich Russland, der EUMM, der
EU-Monitoring Mission in Georgien, Zutritt zu den besetzten Gebieten zu
gewähren. Auch dies stellt einen weiteren Bruch des Waffenstillstandsabkommens
dar.
Gesprächsangebote unserer Regierung werden ignoriert. Unsere
Bemühungen, über das Waffenstillstandsabkommen hinaus den Dialog zu suchen,
werden belächelt.
Mehr als 300.000 meist ethnische Georgier wurden im Laufe
der Konflikte mit Gewalt aus ihren Heimatorten in den Provinzen Abchasien und
Südossetien vertrieben. Sie können nicht dorthin zurückkehren.Zurückgeblieben ist insbesondere in Abchasien
eine kleine georgische Minderheit, die sich ständigen Repressalien ausgesetzt
sieht. Ihre Freiheitsrechte werden ignoriert, weder in den parlamentarischen
Gremien, noch in sonstigen Organen des Proxy-Regimes werden sie repräsentiert.
Verboten ist es ihnen, ihre Kinder in ihrer Sprache zuunterrichten. Verweigert wird ihnen der
Zugang zu rechtsstaatlichen Institutionen. Regelmäßig sind sie Opfer von
Übergriffen abchasischer Milizen. Der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten
der OSZE, Botschafter Knut Vollebaek,und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben in ihren
Berichten die kategorische Diskriminierung und Unterdrückung der georgischen
Minderheit durch die abchasische Führung kritisiert.
Wenn wir die internationale Gemeinschaft um Unterstützung
zur Rückgewinnung unserer territorialen Integrität bitten, dann ist das vor
allem im Interesse dieser Menschen.
Nein, es geht nicht um territoriale Politik. Es geht nicht
darum, stumpf an einem Stück Land festzuhalten. Es geht um ein klares „NEIN“ zu
ethnischen Säuberungen, wie sie in Abchasien und Südossetien geschehen sind.
Wer ethnische Konflikte durch gezielte Provokationen auslöst, schürt und zur
Speerspitze sezessionistischer Interessen macht, der verstößt gegen elementare
Grundlagen für Frieden in dieser Welt. Wir Georgier sind dankbar, dass ein
Großteil der internationalen Gemeinschaft, allen voran die Vereinigten Staaten
und die Europäische Union, uns darin unterstützt.
Gibt es derzeit eine
akute Bedrohung durch Russland, Putin hält daran fest, die besetzen Gebiete
nicht preiszugeben. Sehen Sie perspektivisch eine Lösung des „Konfliktes“?
Russland besetzt georgisches Territorium. Das können wir
nicht akzeptieren. Wir bemühen uns darum, die Bewohner der besetzten Gebiete
mit einer Reihe von vertrauensbildenden und fördernden Maßnahmen aus der
Isolation zu befreien. Eine nachhaltige Lösung kann aber nur darin bestehen,
dass Russland sich an geltendes Recht hält und seine militärische Besetzung
aufgibt.
Georgien strebt in
die Europäischen Union, wie ist das Land für einen möglichen Beitritt gerüstet,
wo müsste Ihrer Meinung noch nachgebessert werden? Wie steht es mit der
Bewahrung von Menschenrechten?
Georgien hat in den vergangenen Jahren viele Reformen
umgesetzt, die uns näher an die EU rücken. Der Korruption wurde Einhalt
geboten, die Polizei gehört zu den vertrauenswürdigsten Institutionen, die
Verwaltung wurde reformiert, die Verfassung erneuert. Der erste Machtwechsel
seit unserer Unabhängigkeit durch Wahlen im letzten Oktober zeigt die
demokratische Entwicklung unseres Landes.
Die ersten Schritte sind gemacht. Seit 2006 sind wir
Mitglied des Programms „Östliche Partnerschaft“, seit dem letzten Dezember
verhandelt unsere Regierung mit der EU über ein so genanntes „Deep and
Comprehensive Free Trade Agreement“, also ein umfassendes Freihandelsabkommen.
Die Visaerleichterungen für Georgien, die das Europäische Parlament im Dezember
2010 verabschiedet hat, geben vielen Georgiern die Möglichkeit, Europa zu
erkunden. Insbesondere für junge Menschen ist das wichtig. Denn es ermöglicht
Austausch und Ausbildung.
Es gibt noch Defizite, aber ich denke, dass der politische
Wille in Georgien groß genug ist, um den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Welche Rolle könnte
der Standortfaktor bei der zukünftigen Entwicklung des Landes spielen?
Seine geografische Lage ist bereits jetzt für Georgien ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor. Georgien ist ein multikulturelles Land, welches
aufgrund seiner Lage und seiner Geschichte mit Europa, Russland, dem Mittleren
Osten aber auch Zentralasien verbunden ist. Als Brückenkopf verschafft Georgien
direkten Zugang zu den Boom-Märkten der Golfregion oder der Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten. Als Transitland ermöglicht es den Transport von
Rohstoffen aus dem Kaspischen Meer. Ohne dabei von Russland oder dem Iran
abhängig zu sein, gelangen sie über Georgien in die Türkei und von dort weiter
in die EU bzw. direkt von Georgien per Schiff über das Schwarze Meer in die
Staaten der Europäischen Union.
Der russische
Absatzmarkt ist mit der Schließung der Grenze eingebrochen, ist dies eine
existentielle Bedrohung für die Bürger?
Natürlich hat uns dieses Handelsembargo getroffen. Jedoch
hat sich Georgien in den letzten Jahren auch wirtschaftlich gut entwickelt. Im
vergangenen Jahr ist die Wirtschaft um 7 Prozent gewachsen, im ersten Halbjahr
2012 waren es sogar 7,5 Prozent. Vor dem Hintergrund der weltweiten
Wirtschafts- und Finanzkrise ist dies durchaus bemerkenswert. Ohne
Mittelbeimischung und internationale Finanzierung von Darlehen an kleinste,
kleine und mittlere Unternehmen wäre das so nicht möglich gewesen.
Das Finanzvolumen der Ausländischen Direktinvestitionen lag
2011 bei 1.117,2 Millionen US-Dollar. Dies sind rund 14 Prozent mehr als
ursprünglich geschätzt. Der wichtigste Sektor ist dabei der Energiebereich.Mit der Hilfe ausländischer wie inländischer Geldgeber wir
viel Geld in die Infrastruktur investiert, was Georgien als Wirtschaftsstandort
attraktiver macht. Dadurch kann Georgien sein Potential, das wir es aufgrund
seiner geostrategisch günstigen Lage hat, ausschöpfen.
Eine echte Wachstumsindustrie ist der Tourismussektor. In
den Bergen entstehen neue Skigebiete, an der Schwarzmeerküste neue
Urlaubsressorts.
Wie gesagt. Georgien entwickelt sich noch. Aber wir sind auf
einem guten Weg.
Herzlichen Dank für das Gespräch, das Dr. Dr. Stefan Groß und
Gerald A. Hochenberger führten.
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