Erschienen in Ausgabe: No 108 (02/2015) | Letzte Änderung: 02.02.15 |
von Heike Geilen
Das
englische Wort "power" steht für Leistung, Kraft, Strom oder Energie.
Es kann aber auch Macht und Gewalt bedeuten. "Power" war das Thema
des 4. Prix Pictet, eines Preises für Fotografie und Nachhaltigkeit, der seit
dem Jahr 2008 auf Initiative der in Genf gegründeten Privatbank Pictet &
Cie zusammen mit der Financial Times geschaffen wurde. Sein Zweck und die damit
verbundene Aufgabe: den Einsatz der Fotografie als Medium für die Vermittlung
grundlegender Nachhaltigkeitsbotschaften an ein weltweites Publikum. Oder um es
mit den Worten von Kofi Annan, seinem Ehrenpräsidenten, zu sagen: "Ich
hoffe aufrichtig, dass der Prix Pictet zum besseren Verständnis der Veränderungen
in unserer Welt beitragen und das Bewusstsein der Dringlichkeit präventiven
Handelns stärken wird."
Genauso
vielfältig, abstrakt und schwer zu greifend wie der englische Begriff, so
mannigfaltigund antagonistisch
gestalten sich auch die Aufnahmen der Preisträger, deren atem(be)raubende
Arbeiten dieses Buch prägen. Allen Fotos wohnt ein unglaublich feines Gespür
für die Theatralik und die Vieldeutigkeit des Begriffes "power" inne,
der in der deutschsprachigen Ausgabe mit "Macht" übersetzt wurde. Ja,
sie gehen sogar so weit, dass dem Betrachter unwillkürlich der Begriff
"Ohnmacht" in den Sinn kommt. So zum Beispiel bei einer Aufnahme des
ehemaligen Präsidenten von Amerika - Bill Clinton -, der in einem
unbeobachteten Augenblick auf dem UN-Klimagipfel in Montreal im Jahre 2005
beinahe ängstlich von seinem Rednerpult aufschaut. Oder der hilflos wirkende
Gemeinderat von Yamhill, einer 700 Seelen-Gemeinde in Oregon, mit ihrer höchst
destruktiv abgelichteten Bürgermeisterin. Eine völlig andere Seite der Macht
oder Energie stellen vollständig verschleierte Frauen, die sich vor einer
Hausfassade abseilen, dar. Keine nachgestellte Filmsequenz ist hier zu sehen,
sondern sie legen gerade ihre Abschlussprüfung an der Frauenpolizeiakademie in
Teheran ab.
Auf
80 Seiten wird der Betrachter durch einen Strudel an Gefühlen und Emotionen
gerissen. Einzelne Fotografien hervorzuheben fällt schwer. Allen, doch so
unterschiedlichen Preisträgerarbeiten, wohnt eine unglaublich intensive Kraft
inne, egal, ob es um Öl- oder Naturkatastrophen, Krieg, Gefängnis oder
Ausbeutung geht. Zumeist sind auf gegenüberliegenden Seiten dem Betrachter
entgegengesetzte Kontroverse dargestellt. Links der nackte chinesische
Minenarbeiter, der auf Knien kriechend, einen Kohlenwagen hinter sich herzieht.
Auf der rechten Seite die gewaltige Staubfahne eines Hurrikans in North Dakota,
dessen Rüssel alles mitreißt, was auf seinem Weg liegt. Hier das hell
erleuchtete Straßenraster des nächtlichen Chicagos, dort die gespenstische
Ruine des Kesselhauses der Battersea Power Station, einem ehemaligen
Kohlekraftwerk in London. Oder aber die staubverschleierte Straßenszene in
Ramadi (Irak) mit dem kaum wahrnehmbaren, zerstörten Wrack eines Panzers, neben
einem Wohnmobil in Ungarn, dessen hell erleuchtetes Fenster mit der im
Hintergrund riesigen, bröckelnden Mauer kontrastiert.
Diesen
verstörenden, schockierenden, eindrucksvollen, beklommenen, bestürzten und/oder
nachdenklichen, unglaublich intensiven Bildern kann man sich, einmal
aufgeblättert, nicht entziehen. Alle Arbeiten veranschaulichen die mit dem
englischen Wort "power" so knapp und prägnant bezeichnete Macht,
Kraft, Leistung und Energie der Fotografie und ganz allgemein gesprochen, auch
der Kunst, selbst "unter der Zensur die offiziellen Versionen der Realität
zu unterlaufen und bloßzustellen", wie es der Journalist der Financial
Times - Harry Eyres - in seinem Artikel "Das sich wandernde Gesicht der
Macht" so eindrucksvoll schildert.
Fazit:
"Macht muss nicht notwendigerweise unterdrücken, einengen und Zwang ausüben;
sie ist eine aktive Kraft, die Bedeutung hervorbringt, auch wenn diese
Bedeutung laufend infrage gestellt und überprüft werden muss." Genau dies
erreicht dieses außergewöhnliche Buch, das noch lange nach dem Zuschlagen der
letzten Seite nachwirkt.
Stephen Barber, Michael Benson (Hrsg.)
Prix
Pictet 04 - Power
teNeues Verlag (Oktober 2012)
132 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3832796797
ISBN-13: 978-3832796792
Preis: 49,90 EUR
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