Erschienen in Ausgabe: No 85 (03/2013) | Letzte Änderung: 20.02.13 |
von Heike Geilen
"Der Wirtschaft bläst ein scharfer Wind ins
Gesicht."
"Ab jetzt weht hier ein anderer Wind."
"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."
"Irgendwie bin ich heute ein wenig durch den
Wind."
Allesamt Sprichwörter und Aussagen, die eine gängige
Erscheinung unserer Natur beinhalten: Wind. Zumeist mit einer negativen
Stimmung aufgeladen, hat diese dem Auge verborgene "bewegte Luft"
jedoch auch etwas Faszinierendes an sich. Genau dann, wenn man hinter das
Unsichtbare zu schauen versteht. Dies gelingt dem renommierten koreanischen
Künstler Bae, Bien-U mit seinen analogen Großformat-Aufnahmen, die ohne
Bildbearbeitung auskommen, auf unnachahmliche Art und Weise. Seine
faszinierenden Schwarzweiß-Fotografien, von denen eine beinahe meditative
Wirkung ausgeht, zeugen von der Kraft und Schönheit, der Dramaturgie und Magie
unserer Natur.
Bereits der Einband aus verschleiertem, halbtransparentem
Papier, der sich harmonisch ins Gesamtkunstwerk einfügt, lässt den Betrachter
etwas von der mystisch anmutenden, dunkel-diffusen Schönheit der zerzausten
Landschaften im Inneren erahnen. Keine farbenfrohen
"Hochglanzreiseveranstaltermotive" werden präsentiert, sondern Baes
Aufnahmen stehen geradezu konträr zu derartigen Fotos. Hier gibt nicht der
blaue Himmel und ein perfekt ins Sonnenlicht gesetzter Hintergrund Zeugnis von
der Schönheit und Fragilität einer Landschaft, sondern gerade die düster
anmutende Szenerie enthüllt die Einzigartigkeit unseres Planeten. Im Wind
gepeitschte oder sich sanft wiegende Gräser, an den Berg geschmiegte knorrig-zerrupfte
Bäume, gischtumnebelte Küstenstreifen, vom Nebel verhüllte Felsen oder vom
Brandungsschaum umspülte Steine, mal rund, dann wieder spitzkantig gefeilt,
offenbaren sich als bewegt-temporäre Stillleben. Bilder von beeindruckender
Intensität und Ausstrahlung, die aufwühlen und zuweilen frösteln lassen, so als
ob der Wind direkt aus den Seiten herausbläst, sich in den eigenen Sachen
verfängt, durch die wohlig-kuschlige Wohnung fegt und etwas von seiner
Naturgewalt erahnen lässt. In Beas Fotos hört man förmlich das Tosen des
Wassers, kann den Duft der Gräser riechen und spürt die Kälte oder Wärme des
Windes, vielleicht gerade ob der fehlenden Farbe.
Die auf den ersten Blick sich offensichtlich wiederholenden
und scheinbar identischen Motive eröffnen allerdings recht bald verschiedenste
fein austarierte Nuancierungen. Dabei fokussiert Bae seine zeitlosen und
universalen Landschaftsfotografien auf typisch koreanische Natursymbole, wie
Meer, Himmel oder die kleinen koreanischen Kiefern, die als Symbol für
Gerechtigkeit, Schönheit und Transzendenz stehen und in der Literatur wie auch
anderen Bereichen der koreanischen Kultur stark vertreten sind. Ein Band,
dessen fast geheimnisvoll anmutenden Fotografien zugleich Lärm und Stille, Ruhe
und Bewegung, Licht und Schatten, Konturen und Strukturen sowie Flächen und
Raum widerspiegeln.
Eine kurze Einleitung in Englisch, von Jeong-hee
Lee-Kalisch, Professorin am Kunsthistorischen Institut der FU Berlin, rundet
einen beeindruckenden Bildband ab.
Fazit: Der Kunstkritiker Chiba Shigeo schrieb einst: Bae
"sieht die Natur nicht mit seinen Augen, er sieht sie mit seinem Körper.
Es verstehet die Natur nicht als ein Bild, vielmehr ist sie eine Erweiterung
seiner selbst". Ich will es anders ausdrücken: Das Auge vermittelt ein
Bild. Bea's Kamera ist das Auge seines Herzens, das seinen Fingern den Impuls
gibt, im entscheidenden Moment auf den Auslöser zu drücken oder: Ying und Yang
gebannt auf traditionellen Silbergelatineabzügen.
Bae, Bien-U
Windscape
Hatje Cantz Verlag (November 2012)
144 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 377573497X
ISBN-13: 978-3775734974
Preis: 45,00 EUR
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