Erschienen in Ausgabe: No 85 (03/2013) | Letzte Änderung: 20.02.13 |
von Jürgen Petry
Stefan
Groß: Herr Petry, Sie haben sich 35
Jahre, teils beruflich, teils auch privat, mit dem Verlagswesen und dem
Buchhandel in der Mongolei beschäftigt und vor einigen Jahren auch ein Buch
über das Land geschrieben. Wie kamen Sie dazu?
Jürgen Petry: Es fing durch einen Zufall an. Im Sommer 1978
fragte mich der Leiter der Auslandsabteilung im Ministerium für Kultur der DDR,
ob ich mir vorstellen könnte für einige Wochen in die Mongolei zu reisen. Dort
sollte eine, (Originalfassung) „Analyse des Ist-Zustandes und der Wirksamkeit
des Verlagswesens und Buchhandels in der Mongolischen Volksrepublik, unter
besonderer Berücksichtigung künftiger Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der
sozialistischen Hilfe durch die DDR“, erarbeitet werden. Die Sprache war etwas gestelzt,
doch derAuftrag klar. Ich konnte es mir
vorstellen und so flog ich drei Wochen später, zusammen mit meinem Kollegen und
Freund Justus Weiss nach Ulan Bataar. (wörtlich übersetzt heißt das „Stadt der
roten Helden“, vor der Revolution hieß sie Urga)
Stefan
Groß: Gab es dafür einen politischen Hintergrund? Verfolgte man ein bestimmtes
Ziel oder hatte man sich im Kulturministerium der DDR einfach so gedacht,
helfen wir denen mal etwas?
Jürgen Petry: Politischer Hintergrund waren wohl die
Spannungen zwischen der Sowjetunion und China. Bereits einige Jahre zuvor hatte der „Rat für gegenseitige
Wirtschaftshilfe“ beschlossen, die Mongolei wirtschaftlich und kulturell
kräftiger zu unterstützen. Jedenfalls liefen in dieser Zeitbereits mehrere wirtschaftliche
Hilfsmaßnahmen. Beteiligt waren daran mehr oder weniger alle sozialistischen
Länder. Für die DDR war einer der
Schwerpunkte Kultur und Bildung. Jährlich erhielten hunderte junge Mongolen,
Frauen wie Männer, in der DDR eine Berufsausbildung oder einen Studienplatz an
Hochschulen und Universitäten. Schwerpunkt war Leipzig. Das erklärt auch
die Verbreitung der deutschen Sprache in
der Mongolei. Damals jedenfalls. Die geplante Hilfe für die Buchbranche war
lediglich eine Aufgabe von vielen und keineswegs die bedeutendste.
Stefan
Groß: Sie sollten ja zunächst den Ist-Zustand untersuchen. Was fanden Sie vor?
Weitaus mehr als wir erwartet hatten. Dazu muss ich voraus
schicken, dass die Mongolei nach der Revolution von 1924 praktisch keine
Bildungsträger mehr besaß, also ein Volk von Analphabeten war. Die Träger der
mongolischen Kultur und Bildung waren bis dahin vor allem die lamaistischen
Mönche in den Klöstern. Die wurden, teils durch die Interventionstruppen des
Generals Ungern – Sternberg, vor allem aber durch die des Revolutionsführers
Suche Bator geschleift und die Mönche nahezu ausgerottet (vernichtet sollen 137
Klöster worden sein). Was an unwiederbringlichen Kulturgütern vernichtet wurde,
kann man nicht einmal erahnen. Das jedenfalls war kein Ruhmesblatt der
kommunistischen Revolution. Nach den Revolutionswirren hatte das Land, das mit
1 565 000 Quadratkilometern so groß ist wie Frankreich, Deutschland, Polen,
Rumänien, Ungarn und ein paar Quadratkilometer dazu, noch ca. 700 000
Einwohner, keine einheitliche Sprache, keine Schulen, keine nennenswerte
medizinische Versorgung und auch keine funktionierende Verwaltung. Das alles
war uns bekannt, nachdem wir uns mit der jüngeren Geschichte des Landes befasst
hatten. Vorgefunden haben wir ein Volk ohne Analphabeten, 5 spezialisierte
Verlage, 9 Buchhandlungen in der Hauptstadt und 18 in den Aimakhauptstädten
(das sind Verwaltungszentren), Schulen, Hochschulen, 2 Universitäten und vieles
andere mehr. Betrachten wir es vom Ausgangspunkt her, war das eine ungeheure
kulturelle Leistung, vor der wir die allergrößte Hochachtung bekamen.
Stefan
Groß: Das klingt ja alles ganz gut. Was gab es denn da noch zu unterstützen?
Entschuldigen Sie bitte die etwas flapsige Frage. Aber sagen Sie uns bitte
vorher noch ein Wort dazu, wie das alles erreicht wurde, trotz Krieg mit Japan,
Unterstützung der Sowjetunion im Krieg mit Deutschland, zwei Schriftreformen
und anderes mehr?
Jürgen Petry: Sicher lässt sich nicht alles an europäischen
Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten messen. So wurde zum Beispiel
die Schulpflicht ein wenig rigoroser als bei uns durchgesetzt. Kinder kamen mit
6 Jahren, bis auf die Ferienzeiten, ins Internat in die Aimakhauptstadt und mit
14 erst zurück zu ihren Eltern, oder, die besonders Begabten, zur
Studienvorbereitung. Wer im Ausland oder in der Hauptstadt studiert hatte, der
ging dorthin, wo er gebraucht wurde und nicht ins Ausland. Deshalb gab es auch
keinen Ärztemangel in den entfernten Gebieten, um nur ein Beispiel zu nennen.
Und die Alphabetisierungskampagnen für Erwachsene beruhten auch nicht auf dem
Freiwilligkeitsprinzip. Um auch gleich den ersten Teil ihrer Frage zu
beantworten und dabei will ich mich auf die Buchbranche beschränken.
Schwieriger als Bücher zu schreiben und herzustellen, war es, sie zum Leser zu
bringen. Außerhalb der Hauptstadt gab es nur ganz wenige Kilometer befestigte
Straßen. Trotzdem haben es die mongolischen Buchhändler und Verleger geschafft,
das Land termingerecht mit Schulbüchern zu versorgen und Bücher in die entferntesten
Orte zu transportieren. Nicht sehr schnell, nicht immer vollkommen
bedarfsgerecht, zugegeben, aber geschafft haben sie es. Heraus kam bei unserer
Reise ein Unterstützungsprogramm, das, wenn auch nicht vollständig, so doch
Schritt für Schritt abgearbeitet wurde. Es reichte von der kostenlosen
Lizenzvergabe an mongolische Verlage, bis zur Ausrüstung von Buchhandlungen
oder die Bereitstellung von Bücherbussen. Das war nicht wenig, für die
wirtschaftlich schwächelnde DDR.
Stefan
Groß: Herr Petry, Sie waren 12 Mal in der Mongolei. Zuletzt im September des
letzten Jahres. Erzählen Sie uns doch bitte, was Sie diesmal besonders
beeindruckte.
Jürgen Petry: Viel Positives aber genau so viel Negatives.
1978 hatte das Land ungefähr 1.2 Millionen Einwohner, heute sind es 2.9
Millionen. In der Hauptstadt lebten damals 320 000 Einwohner, heute ca. 1.7
Millionen. Deutlich sichtbar ist der Bauboom, die mit Autos voll gestopften
Straßen, teuerste Hotels, Verwaltungszentren, Internationale Konzerne,
besonders aus Südkorea, China, Indien aber auch Russland, den USA und auch aus
Europa. Sie alle stürzen sich auf die reichen Bodenschätze und zerstören ohne
Rücksicht die dünne Grasnarbe und verschmutzen die spärlichen Wasserressourcen.
Begriffe wie Umweltschutz sind weitgehend unbekannt. Das Land läuft Gefahr zur
Wüste zu werden. Besonders traurig gemacht hat mich aber etwas ganz anderes. Es
gibt in der ganzen Mongolei keinen einzigen Verlag mehr. In der Hauptstadt und
auch in den Aimaks gibt es keine Buchhandlungen und auch keine Bücher mehr.
Letzteres ist etwas übertrieben. Es gibt ein paar Druckereien die auch ein paar
Bücher produzieren, aber sie haben natürlich keinen Vertrieb. Die Folgen dieser
Entwicklung sind bereits jetzt spürbar. Langfristig möchte ich lieber nicht darüber
nachdenken.
Stefan
Groß: Was kann man dagegen tun?
Ich weiß es nicht, Herr Groß.Vielleicht löst es die Marktwirtschaft ja
doch noch, aber ich bin einfach skeptisch. Andererseits haben die Mongolen in
ihrer jüngeren Geschichte bewiesen, dass sie schon mit ganz anderen Problemen
fertig geworden sind. Aber ohne Hilfe von außen? Wir müssen es einfach öffentlich machen. Dem dient ja auch letztlich Ihr
Interview mit mir.
Herr Petry ich danke Ihnen für das Gespräch, das Stefan Groß führte.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.