Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 02.05.13 |
von Stefan Groß
In Zeiten von Wirtschafts-, Bankenkrise und inflationär
ansteigender Managerboni ist ein Jahrtausende altes Bild außer Blick geraten –
das Bild vom ehrbaren Kaufmann und mit ihm ein ganzer Kodex von
Rechtschaffenheit, stoischen Werten und altchristlichen Tugenden. So tröstet es
auch kaum, daß als quasi einziger Lichtblick derzeit die Deutsche Bank über ein
nachhaltigeres Bonussystem nachdenkt und Co-Chef Anshu Jain sogar auf
knapp zwei Millionen Euro freiwillig verzichtet; ein Stachel bleibt, denn Paul
Achleitner, seit 2012 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen
Bank, will die Umstrukturierung dieses Bonussystem eigenständig umsetzten –
fernab von Brüssel. Dabei kam gerade aus Belgien ein wegweisender
Richtungswechsel. Die EU-Staaten und das Europaparlament hatten – trotz Veto
aus Großbritannien – die Bonuszahlungen der Banker begrenzt. In Zukunft darf
die Prämie nicht höher als das Grundgehalt sein; die Regel tritt 2014 in Kraft.
Doch zurück zum ehrbaren Kaufmann.
Der ehrbare Kaufmann, geprägt wurde der Begriff wie
Philippe Dollinger in seinem grundlegenden Werk „Die Hanse“ vermerkt von
Hinrich Castorp, der das Gewerbe als gottgewolltes verteidigte. Der ehrbare
Kaufmann ist nicht jener Raubritter, das alles auffressende Raubtier, das sich
den Verlockungen der gierigen Finanzwelt in die Arme wirft; Ehrbarkeit gilt ihm
als biblischer Dekalog, darin eingeschlossen die Verbote vom Nicht-Stehlen, Nicht-falsch-Zeugnis-Reden
und der Respekt vor dem Eigentum der anderen.
Lange Zeit davor hatte schon Buddha über den Kaufmann zu
berichten gewußt, daß „kein Kaufmann ohne Betrug“ sei. Besonders gut stand es
um den Kaufmannsberuf also nie, was auch seitens des Neuen Testaments
untermauert wurde, denn faktisch schufen die Kaufleute keine Sachwerte im Sinne
des griechischen „Oikos-Denkens. Mit was sie arbeiteten, was sie
transportierten, war einzig das Geld, eine bloße Funktion, die keinen Wert an
sich darstellte.
Bereits Aristoteles wußte um die Symbolkraft des Geldes, das
seine Funktion allein dadurch erhält, ein Gut in eine bloße Quantität zu
verwandeln. Die aristotelische Unterscheidung zwischen der „Beschaffungskunst“
einerseits und der sogenannten „Chrematistik“, also Bereicherungskunst
andererseits, zeigt dann auch die ganze Ambivalenz zwischen guter und gerechter
Kunst zum einen und möglich-sittlicher Verderbtheit zum anderen, denn die Kunst
des Bereicherns stellt nicht mehr die Ware in den Mittelpunkt, sondern den
Tausch selbst, der ausschließlich auf die Maximierung des Gewinns abzielt.
Wenn sich, wie Aristoteles hervorhebt, die
Beschaffungskunst zuungunsten der Bereicherung verschiebt, führt dies nicht nur
dazu, daß das Maß, die aristotelische Mesoteslehre, aus dem Lot kommt, sondern
impliziert zugleich, daß die ökonomische Harmonie zerstört wird.
Für Aristoteles ist die Chrematistik jene falsche Kunst,
nicht nur weil sie in absolute Tugendferne führe, sondern weil sie die Tugend
der Gerechtigkeit, die aristotelische Tugend schlechthin, außer Angeln hebt. „So
steht also zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig mitten inne das Gleiche. Gewinn
und Verlust jedoch sind in entgegengesetzter Weise ein Zuviel und ein Zuwenig:
Gewinn bedeutet zu viel Vorteil und zu wenig Nachteil und der Gegensatz dazu ist der Verlust. Als Mittleres zwischen beiden erwies sich
das Gleiche, das wir als das Gerechte
bezeichnen. So ist das Gerechte als ein Regulierendes nichts anderes als die Mitte zwischen Verlust und Gewinn.“[1]
Und so verwundert es denn kaum,
daß Aristoteles ein strikter Gegner des Zinsnehmens war, denn das Geld sei, so
in der „Politeia“, nur um des Tausches will erfunden worden; durch den Zins
jedoch vermehrt es sich lediglich durch sich selbst und dies sei, so der
Schüler Platons, gegen jede Gerechtigkeit. Und „diese Art der
Erwerbskunst sei am meisten gegen die Natur, da Geld nicht zu dem Zweck
erfunden worden sei, Zinsen zu tragen.“[2]
Das Zinsnehmen wurde so – nicht zuletzt durch Lukas 6.35 – stigmatisiert.
Gutes Tun und Geld leihen, dies die eine Maxime, die sich bei Lukas findet,
aber davon etwas zu erhoffen, das widersprach der Idee der guten Tat.
Erst durch Thomas von Aquin kam es in Sachen Zins zu einer
Neubewertung oder Umstrukturierung des antiken Zinsverbotes, das der Aquinate
damit begründete, daß der Zinsnehmer für die Geldleihe selbst ein erhebliches
Risiko eingeht, was gerechterweise zu honorieren sei. Wer, wie Thomas betont,
sein Geld in ein Unternehmen einbringt, es investiert, muß gerechterweise für
diesen Einsatz auch honoriert werden, gar einen Anteil am Gewinn einfordern –
dies sei der gerechte Lohn für den risikobehafteten Einsatz.
Mit dieser Aufwertung des Zinses umging der Scholastiker und
Top-Ökonom des Mittelalters nicht nur das traditionell-christliche Zinsverbot,
sondern stellte deninvestierenden
Kapitalisten und den Arbeiter gleich.Oikos, die aristotelische Ökonomie, und das Zinsnehmen standen damit
gleichberechtigt nebeneinander, nur unter der Bedingung, daß die Kapitalgewinne sozialpflichtig sein
sollen.
Diese Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat auch heute in
der Bundesrepublik einen rechts- und sozialphilosophischen Grundsatz, der trotz
der Anerkennung von Privateigentum und der damit einhergehenden
Verfügungsfreiheit fordert, daß der Gebrauch des Eigentums dem Gemeinwohl nicht
widersprechen, dieses sogar zu unterstützen habe.
Papst Leo XIII. hatte in der 1891 erschienen Enzyklika
„Rerum Novarum“ Thomas von Aquin zitiert, der Mensch, so die Enzyklika „muß die
äußern Dinge nicht wie ein Eigentum, sondern wie gemeinsames Gut betrachten und
behandeln, insofern nämlich, als er sich zur Mitteilung derselben an
Notleidende leicht verstehen soll. Darum spricht der Apostel: ‚Befiehl den
Reichen dieser Welt, [...] daß sie gerne geben und mitteilen.‘“ Und Papst Pius
XI. unterstrich in „Quadragesimo anno“ von 1931, daß der Ertrag aus dem
Zusammenwirken von Arbeit und Kapital dem allgemeinen Nutzen dienstbar gemacht
werden muß. Schon Benedetto aus Ragusa schrieb im 15. Jahrhundert in seinem
Handbuch „Der Handel und der ideale Kaufmann“: „Die Würde und das Handwerk des
Kaufmanns sind in vieler Hinsicht groß [...]. An erster Stelle aufgrund des
Gemeinwohls, denn auch Cicero ist die Förderung des Gemeinwohls ein ehrenwertes
Ziel, für das man selbst sein Leben opfern sollte [...] Der Fortschritt, das
Gemeinwohl und der Wohlstand der Staaten beruhen zu einem großen Teil auf den
Kaufleuten; [...] Die Arbeit der Kaufleute ist zum Wohle der Menschheit
eingerichtet.“ Und in dem Werk „Divinaa Proportione“ von Luca Pacioli von 1497
heißt es: „[…] der Kaufmann sorgt dafür, daß der Mensch durch Tausch erhält,
was ihm nicht spontan durch Großherzigkeit gewährt wird. Der Kaufmann ist das
Scharnier im gesellschaftlichen Leben.“
Genau darin besteht einerseits die Ehre des Kaufmanns, die
andere hatte schon Berthold von Regensburg (um 1210-1272) hervorgehoben als er
schrieb: „Wenn sie auf rechte Maße und Gewichte achteten und sich des
Kardinalübels der Kaufleute, des Schwörens und Lügens beim Ein- und Verkauf
enthielten, dann konnte der Beruf ehrenhaft ausgeübt werden.“
Darüber hinaus war sich der ehrbare Kaufmann seines sozialen
Status in der Gesellschaft immer bewußt, ihm oblag es aus Tugend die
Wohltätigkeit und den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Patriotismus und
Vaterlandsliebe einerseits, Mäzenatentum andererseits, der ehrbare Kaufmann
verstand sich nicht nur in den italienischen, sondern eben auch in den
hanseatischen Städten als das rationale Gewissen der Bürger und wußte, daß seine Ehrbarkeit letztendlich
die Wurzel für das Sozialwohl der Gesellschaft bildet. Sozialer Aufstieg, so
die Maxime, war nur dann möglich, wenn zwischen ausgeglichenem Geben und Nehmen ein soziales Gleichgewicht herrsche, das den Frieden
stabilisiert und zwischen Kapital und Arbeit vermittelt.
Bereits der Nestor der katholischen Soziallehre, der Jesuit
Oswald von Nell-Breuning, war es, der sich mit seiner sozialethischen
Untersuchung „Grundzüge der Börsenmoral“ in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts
und mit seiner darin fundierten Prinzipienethik für eine Vorstellung vom Staat
eingesetzt, der als Hüter des Gemeinwohls über den privaten Interessen wacht
und verbindliche Regeln für die Finanzgeschäfte festlegt. Nell-Breuning
verteufelte keineswegs Börse und Geld, sakralisierte oder dämonisierte diese nicht,
begreift sie gar als Gottes gute Schöpfung. Auch das Gewinnstreben steht für
ihn nicht zur Disposition, die kapitalistische Art des Wirtschaftens ebenfalls
nicht, nur von einem Kapitalismus ohne minimal-ethische Regulative distanziert
er sich.
Wenngleich
Nell-Breuning die Börse samt Spekulationen für indifferent erklärt, ist diese
prinzipiell selbst nicht dämonisch, selbst wenn der Nutzen auch in Schaden
umschlagen kann und damit die Büchse der Pandora geöffnet wird. Um hier ein
Regulativ einzufügen, genügt es von Seiten der politischen Akteure nicht, sich bloß
auf das tugendhafte Handeln der Spieler zu verlassen, diese nicht zu kontrollieren,
sondern Spielregeln der Fairneß zu definieren, damit für alle Klarheit und
Transparenz der Transaktionsprozesse einsichtig bleibt.
Die
sozialethische Reflexion muß sich daher nicht am jeweiligen Fehlverhalten
einzelner Spieler oder Zocker als richtungskorrigierend erweisen, sondern einen
generellen Katalog aufstellen, damit die Regeln nicht individuell korrumpiert
werden. Es geht Nell-Breunig somit in erster Linie nicht um staatlich übertriebene
Interventionen oder Sanktionen, sondern um die Schaffung einer stabilen Finanzarchitektur;und im Unterschied zu Niklas Luhmann und
Friedrich A. von Hayek sind die Finanzmärkte und auch die Börse kein moralfreier
Raum, in denen tradierte Moralen und religiöse Bindungen restlos abgestreift
werden.
Finanzmärkte
bleiben, denen Nell-Breuning in eine gewisse Autonomie gegenüber der Ethik und
der Religion gestellt wissen will, moralisch störanfällig, nämlich dann, wenn durch
unkalkulierte und vage Spekulationen die soziale Gerechtigkeit verschoben wird
– dahingehend und mit dem Resultat, daß im Notfall die Gewinne privatisiert und
die Verluste sozialisiert werden sollen.
Wenn,
wie es derzeit und seit 2008 immer wieder geschieht, sich die Finanzmärkte gegenüber
der Realwirtschaft entkoppeln, wenn der „shareholder value“ zum
ausschließlichen Markenzeichen des Unternehmenserfolgs wird, an dem sich
Manager allein orientieren, wenn bestritten wird, daß die Finanzexperten und
ihre Geschäftspolitik bar jeder gesellschaftlichen Verantwortung agieren können,
dabei weder auf die Lebensqualität der Bevölkerung zu achten haben noch zum
Schutz vor einer Verarmung der Gesellschaft etwas beitragen zu wollen, dann
verurteilt Nell-Breuning diese Finanztransaktionen von Händlern, bzw.
Kaufleuten und Managern. Letztendlich sind diese Geschäfte daran zu messen, ob
sie den gemeingesellschaftlichen Nutzen, die Bedürfnisse der Verbraucher
erfüllen, Arbeitsplätze schaffen. An der Geldwertstabilität als öffentlichem
Gut hält Nell-Breuning fest. Und ehrbar bleibt für den Jesuiten letztendlich
einer, der bei Börsenspekulation immer den volkswirtschaftlichen Nutzen im Auge
behält; wo allein der blinde Geldtrieb regiert, die eigenen Profitinteressen im
Mittelpunkt stehen, sind diese Aktionen für ihn ethisch verwerflich.
Das Leitbild
des ehrbaren Kaufmanns bleibt also auch bei Nell-Breuning das regulative
Prinzip eines Wirtschaftens, das sich traditioneller Werte nicht entziehen
darf. Dies gilt auch dann, wenn man wie Nell-Breuning von der liberalen Idee des
Eigennutzes der Leistungsstarken davon ausgehen kann und der er zugesteht, daß diese
innerhalb des Wirtschaftens eine enorme und produktive Triebkraft sei, aber an Adam
Smith und die Regulierung seitens der „unsichtbaren Hand“, die den Wohlstand
und das Glück aller befördert, wenn jeder seinen Vorteil unbeirrt anstrebt, dieser
unsichtbaren Macht kann man nicht trauen.
Wirtschaftliches
Handeln bleibt an moralische Normen gebunden, ist in die jeweiligen
gesellschaftlichen Verhältnisse integriert und kann nicht der Selbstregulierung
des Marktes, auf die von vielen Radikalökonomen beschworenen
Selbstheilungskräfte des Marktes, vertrauen. Wie einst in den Zeiten der Hanse gilt
auch heute, wo der ehrbare Kaufmann fehlt und andere Kräfte den Markt regieren,
gerät dieser außer Fugen.
Diese
Maximen ehrbaren Handelns gilt es innerhalb der Finanz- und Bankenkrise wieder
ins Bewußtsein zu rücken. Thomas von Aquin forderte die Sozialpflichtigkeit des
Kapitalisten und der Hanseat Hinrich Castorp stellte die Ermahnung hinzu, nicht
erst nach Geschäftsabschuß Sozialleistungen zu erbringen, sondern den
Geschäftsakt an sich selbst anständig zu betreiben und die mit ihm einhergehenden
Operationen transparent und überschaubar zu halten.
Es dürfen nie, und diese Maxime ist außer Kontrolle im neoliberalistischen
Wirtschaftsmodell geraten, Risiken eingegangen werden, die auf Kosten anderer
getätigt werden, sondern höchstens auf die eigenen. Für Nell-Breuning ist es
der gesellschaftliche Nutzen, der darüber entscheidet, ob eine
Finanztransaktion positiv oder negativ zu bewerten sei. Aristoteles bleibt
dabei, die Chrematistik widerspricht dem tugendhaften Geist und damit
dem ehrbaren Kaufmann.
[1] Aristoteles, Nikomaische
Ethik, V. 1132a.
[2] Aristoteles, Politik I, 10 (1258 b 2-8).
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