Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 08.05.13 |
von Karim Akerma
Wie wir sind, hängt in erheblichem Maße von uns
selbst ab. Dass wir sind, ist weder unser Verdienst noch unser Fehler.
Als mehr oder weniger handlungsfreie und intelligente Wesen können wir in
begrenztem Maße unser Sosein gestalten: unser Leben in jenem elastischen
Rahmen fristen oder planen, der uns durch eine hohe oder niedrige „soziale
Geburt“ vorgegeben ist – oder alle scheinbar vorgezeichneten Bahnen
transzendieren. Was hingegen unser Dasein angeht, hatte niemand die
Wahl, es zu wählen oder abzulehnen. So gesehen ist das Dasein eine
existentielle Zwangsjacke, die uns angezogen oder besser: angezeugt wurde.
Ablegen kann sie nur, wer den Freitod wählt; sie anzulegen hatten wir keine Wahl.
Aus dem Umstand,
dass man uns zwar begrenzt für unser Sosein verantwortlich machen kann, nicht
aber für unser Dasein, soll hier die Forderung nach einem bedingungslosen
Grundeinkommen für alle Geborenen abgeleitet werden: Keine Person kann etwas
dafür, dass sie gezeugt und geboren wurde. Indem man jedoch circa 20 Jahre nach
der Geburt von ihr verlangt, sie möge ihr Dasein fortan gefälligst aus eigener
Kraft fristen, behandelt man sie geradewegs so, als hätte sie sich selbst
gezeugt, wofür sie nun die Konsequenzen zu tragen habe. Kausal verantwortlich
für ihr Dasein sind indes die Eltern der betreffenden Person, sozial und
ideologisch die Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurde.
Im Sinne einer
Umkehrung der altüberlieferten nativistischen Denkungsart wies bereits Immanuel
Kant in seiner Metaphysik der Sitten darauf hin, dass Eltern es ihren
ungefragt gezeugten Kindern schuldig sind, sie zu versorgen. Statt von den
zustimmungslos gezeugten Kindern auch noch Dankbarkeit für das unfreie – da von
Seiten der Kinder notwendigerweise zustimmungslose – Gezeugtwordensein zu
verlangen, spricht Kant von elterlicher Versorgungspflicht. Kinder, so Kant,
haben „ein ursprünglich-angebornes (nicht angeerbtes) Recht auf ihre
Versorgung durch ihre Eltern, bis sie vermögend sind, sich selbst zu erhalten.“
(Kant, Metaphysik der Sitten: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1.
Teil, § 28) Kindliches Versorgungsrecht und elterliche Versorgungspflicht lässt
Kant bis zur Erwerbsfähigkeit des Kindes gelten.
Entscheidend ist nun die Frage, wie oder ob wir die von Kant
eingeleitete Umkehrung der nativistischen Denkungsart weiterdenken können oder
müssen. Denn was geschieht, wenn das Kind „vermögend“ geworden ist, sich selbst
zu erhalten? Halten wir uns an Kant: Die Zeugung eines Menschen ist für ihn
keine reine Privatangelegenheit, sondern mit einem erzieherischen Auftrag
verbunden, denn es handle sich um einen Akt, „wodurch wir eine Person ohne ihre
Einwilligung auf die Welt gesetzt... haben; für welche Tat auf den Eltern nun
auch eine Verbindlichkeit haftet, sie, so viel in ihren Kräften ist, mit diesem
ihrem Zustande zufrieden zu machen.“ (Ebd.) Die elterliche Erziehung des Menschengeschlechts muss Kant zufolge
also darin bestehen, aus jedem zunächst einwilligungslos daseienden Menschen
einen Daseienden aus Überzeugung zu formen. Ein solcher Daseiender aus
Überzeugung, dürfen wir mutmaßen, würde zufrieden die nächstschlechte Arbeit
annehmen, um „sich selbst zu erhalten“. Muss er das? Mitnichten! Auch der
nunmehr volljährig oder erwerbsfähig gewordene Mensch ist nach wie vor keine
Person, die auf irgendeinen Wunschzettel notiert hätte, das „Geschenk“ des
Lebens erhalten zu wollen.
Im Falle
erwerbsfähig oder volljährig gewordener Personen sind die Eltern aus der von
Kant geforderten Verbindlichkeit entlassen. Anstelle der Eltern ist es nun
Sache der Gesellschaft, die Grundversorgung der groß gewordenen Kinder zu
übernehmen. – Eine Aufgabe, die sie am besten löst, indem sie ihnen ein
bedingungsloses Existenzgeld zukommen lässt.
Ein solches
nativistisches bedingungsloses Grundeinkommen ist in erster Annäherung als
Kompensation dafür anzusehen, dass jedem Gezeugten und Geborenen das Pensum des
Lebens mit den durchzumachenden Mühen, Krankheiten und Abschieden sowie dem je
eigenen Sterben zugemutet wird. Sofern ein Staat seinen Bürgern niemals
gänzlich von der Fortpflanzung abraten wird – Staatsziel wäre dann das
„Absterben des Staates“ –, ist er gehalten, seinen Bürgern lebenslang die
finanziellen Ressourcen für ein (mit Rücksicht auf Ort und Zeit unterschiedlich
zu bestimmendes) menschenwürdiges Dasein zukommen zu lassen.
Solange er keine
dezidiert antinatalistische Politik verfolgt, ist der Staat als Nachfolger
partikulärer Elternpflichten anzusehen – und zugleich als existentieller Gesamtschuldner,
unter dessen pronatalideologischem Schutz Eltern ihre Nachkommen guten
Gewissens „ins Dasein treten ließen“. Hier fungiert das nativistische
Grundeinkommen näherhin als ein Schadensersatz, den der Gesamtschuldner
zumindest all jenen Bürgern lebenslang zu gewähren hat, die geltend machen,
dass sie die eigene Existenz nicht erbeten haben und in Ansehung der elterlich
und staatlich gutgeheißenen Daseinszumutungen unzufrieden sind.
Damit ist die Frage
nach der Bedingungslosigkeit des nativistischen Grundeinkommens aufgeworfen:
Sollte es auch denen in vollem Umfang gewährt werden, die – selbst Eltern
geworden – das Dasein offenbar bejahen, welches sie schließlich – wenn es
unerträglich wäre – eigenen Kindern doch wohl nicht zumuten würden? Entscheidet
sich jemand für Nachkommen, so vollzieht er eine rückwirkende Konfirmation
seines Daseins in mindestens dreierlei Hinsicht:
1. Er bestätigt im
Nachhinein, dass es gut ist, ohne Wahl in die Welt gesetzt zu werden.
2. Er bekundet, dass
die Welt, in die er hineingesetzt wurde, insoweit zumutbar ist, dass man gemäß
seiner Zeugungsfolgenabschätzung weitere Menschen in sie hineinbringen kann.
3. Er bringt zum
Ausdruck, dass er selbst so gelungen und als Erzieher geeignet ist, dass es
unbedenklich ist, die eigene Erbmasse paritätisch in einem neuen menschlichen
Organismus Gestalt und Bewusstseinsinhalte annehmen zu lassen und mit den ihm
zu Gebote stehenden erzieherischen Mitteln zu formen.
Trotz dieser
dreifachen rückwirkenden Daseinskonfirmation, die jeder sich Fortpflanzende
zumindest implizit tätigt, sollte ein Existenzgeld bedingungslos auch an Eltern
ausgezahlt werden. Dies gebietet nicht allein die praktische Dimension
politischer Gerechtigkeit, sondern zudem die Überlegung, dass nicht Wenigen das
ihnen zugemutete Dasein erst recht unerträglich schiene, wenn sie durch ihre –
die erlebte Sinnlosigkeit fortzeugende – Weise der Sinnstiftung finanzielle
Einbußen erlitten.
Die Forderung nach
einem nativistischen bedingungslosen Grundeinkommen bricht mit der Idee des
„Sozialschmarotzertums“. Das Existenzgeld macht Ernst mit der Einsicht: Niemand
kann für seine Geburt. Mag unser Sosein (die Frage, wie wir sind) in unseren
Verantwortungsbereich fallen, so kann doch niemand für sein Dasein. Wer
unverschuldet ins Dasein geraten ist (und wer wäre das nicht), hat einen
Anspruch auf Mittel zur Daseinsfristung. Das Existenzgeld ist ein notwendiges Requisit, um der
Existenzangst begegnen zu können, die jeden überkommen kann, der – Kantisch
erwerbsfähig geworden – andernfalls gezwungen wäre, seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, indem er einer sinnentleerten Beschäftigung nachgeht.
Niemandem ist es
beschieden, zum Daseinsbeginn Nein zu sagen. Das nativistische Grundeinkommen
fundiert die Freiheit, als mündiger Bürger nicht zu allem Ja sagen zu müssen.
Als Existenzgeld fungiert es als rückwirkende Wiedergutmachung dessen, dass man
uranfänglich nicht Nein sagen konnte. Ein Staat, der seinen Bürgern ein
Existenzgeld verwehrt, behandelt sie so, als hätten sie – wie in Samuel Butlers
Roman Erewhon der Fall – als präexistente Wesen die Conditio in/humana
freiwillig angestrebt, weshalb sie jetzt keine Forderungen stellen dürften
(siehe meinen Artikel Seinsunwilligkeit vor dem Schleier gebürtlichen
Nichtwissens – von John Rawls zu Samuel Butler: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3296/)
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