Erschienen in Ausgabe: No 96 (02/2014) | Letzte Änderung: 24.01.14 |
von Heike Geilen
...aber
manche auch nach Paris.
Die
Stadt der Liebe zu Fuß zu erkunden, ist immer noch die beste und schönste Art
der Fortbewegung. Nun gibt es Reiseführer en mass auf dem Markt und auch die
französische Hauptstadt ist großzügig vertreten. Warum also noch mehr Neues?
Das vorliegende Buch richtet sich an eine Zielgruppe, die das Besondere sucht,
die abseits der touristischen Hotspots noch ein paar Geheimnisse der berühmten
und zweitausendjährigen Stadtgeschichte entdecken möchte. Die gibt es
offensichtlich immer noch. Man muss nur, wie schon Balzac erkannte, tief in sie
eindringen und schon entfaltet sich die Stadt wie eine aufblühende Rose. Um
sich in solch einer Touristenhochburg wie Paris noch ganz wie ein Entdecker
oder Flaneur zu fühlen, leistet "Urban-Explorer" Duncan J. D. Smith
wertvolle Hilfe. Er erspürt in seinem Reiseführer die geheimen Ecken,
merkwürdigen Viertel und unbekannten Wege, die selbst Einheimischen nicht immer
vertraut sind.
Vielleicht
liegt es an der britischen Herkunft des Autors, die ihm ein besonders Gespür
für skurrile und ungewöhnliche Dinge bereits in die Wiege gelegt hat. Eher
jedoch entspringt diese Gabe wohl einem besonders geschärften Blicks für das
Andere, ohne Frage nicht minder Schöne. Seit fast zehn Jahren spürt der
studierte Historiker, Archäologe und Fotograf in seiner mittlerweile auf neun
Bände angewachsenen "Nur In"-Reihe das Andersartige oder Sonderbare
in europäischen Städten auf. Nicht das "Abarbeiten" touristischer
Highlights und Hochburgen wird zelebriert, sondern das Erspüren des
Individuellen. Ein paar Minuten Planung und ein Blick auf eine gute
Straßenkarte, so vermerkt Smith im Vorwort, sind ausreichende Voraussetzung, um
ausgetretene Besucherwege verlassen und ein ganz anderes Paris entdecken zu
können. Dem kann uneingeschränkt zugestimmt werden.
In
98 Kapiteln bewegt man sich (lesend) im Uhrzeigersinn durch die 20
Arrondissements. Beginnend innerhalb der Périphérique bietet Smith
abgeschlossene Wanderungen genauso an wie Empfehlungen, die als Einführungen in
größere Themen, als Ausgangspunkt für eigenen Entdeckungstouren des Lesers
dienen können. Wie man letztendlich seine ganz persönliche Entdeckertour
angeht, bleibt jedem, ganz nach persönlichem Gustos, überlassen. Das Buch sieht
sich eher als Schmöker, in welchem man sich immer wieder Appetit holen kann.
Sei es im wahrsten Sinne des Wortes in einer der besten Bistros der Stadt, aber
auch beim Feiern mit Tamilen in einem Hindu-Tempel, in Ehrfurcht verharrend vor
Louis Pasteurs Mausoleum oder auf den Spuren von Kalksteinbrüchen unter dem
linken Flussufer. An Schaufenstern kommt man gleichfalls vorbei. Allerdings
macht Smith keineswegs bei Chanel, Cartier oder Louis Vuitton halt, sondern er
zeigt auch hier das Ungewöhnliche. So die beachtliche Sammlung von
ausgestopften Ratten von Julien Aurouze in der Rue des Halles 8, seines
Zeichens Schädlingsbekämpfer. Ein maßstabsgerechtes Modell der Freiheitsstatue
ist im 3. Arrondissement - quasi ihrer Heimatstadt - ist genauso zu entdecken
wie ein ein Besuch im magischen oder im Fälscher-Museum. Wenn es trotz der
bestellten Sonne hingegen doch einmal regnen sollte, kann der Flaneur unter den
unzähligen überdachten Passagen (Passages Couverts) lustwandeln und sich seiner
architektonischen Schönheit erfreuen.
Alle
Tipps aufzuzählen ist natürlich nicht möglich. Bei der gebotenen Vielzahl
dürfte jedoch für jeden Geschmack etwas dabei sein: egal ob bei der Entdeckung
von besonderen Hauszeichen und Straßenschildern, die keine Buchstaben oder
Zahlen aufweisen, sondern in Bildern erzählen, der Ruinen der römischen
Lutetia, der Aktivitäten einer geheimen Untergrund-Gruppe, die 2005 im
Panthéon, ohne dass es jemand mitbekam, das vernachlässigte Kulturerbe
Frankreichs instand setzte oder aber ein, zugegebenermaßen wohl nicht für
jedermann geeigneter Besuch einiger medizinischer Spezialmuseen, die zuweilen
recht anschauliche Exponate zur Illustration von Krankheiten und Fehlbildungen
aufweisen. Auch besondere Übernachtungsmöglichkeiten vergisst der Reiseführer
nicht zu erwähnen. Ein Nebenprodukt der Revolution, die Einführung des
Metermaßes als offizielles französisches Längenmaß im Jahr 1793, wird im großen
welthistorischen Kontext leicht übersehen. Auch dahin führt eine Tour. Und bei
allem Genuss wurde natürlich auch das ureigenste menschliche Bedürfnis nicht
vergessen. Tour 86 führt zum letzten öffentlichen Vespasienne-Urinal. Der Name
wird auf den römischen Kaiser Vespasian und seine damals erhobene Urinsteuer
zurückgeführt.
Fazit:
Ein ungewöhnlicher, gut illustrierter Stadtführer - spannend, anregend und
überraschend. Ein empfehlenswerter Leitfaden für Stadtabenteurer und alle, die
es werden wollen, der das verborgene Alte und Geschichtsträchtige genauso wie
die Herrlichkeiten der modernen Weltstadt aufzeigt. Ganz ohne Wahrzeichen kommt
auch dieser Reiseführer nicht aus: Tour 42 erkundet die statischen
Besonderheiten des Bönickhausen-Turms. Bönickhausen??? Krauses Stirnrunzeln...
Gustave Eiffel hat 1879 seinen deutschen Nachnamen geändert ;-).
Duncan J. D. Smith
NUR IN Paris
Ein Reiseführer zu einzigartigen
Orten, geheimen Plätzen und ungewöhnlichen Sehenswürdigkeiten
Aus dem Englischenvon Walter Goidinger
Christian
Brandstätter Verlag (März 2013)
240
Seiten, Broschiert
ISBN-10:
385033709X
ISBN-13:
978-3850337090
Preis:
22,00 EUR
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.