Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 08.05.13 |
von Stefan Groß
Ihm zu Ehren gibt es seit 1923 den Büchner-Preis, den
bedeutendsten deutschen Literaturpreis.Gottfried
Benn, Marie Luise Kaschnitz, Erich Kästner, Max Frisch, Paul Celan,Wolfgang Koeppen, Hans Magnus Enzensberger, Ingeborg
Bachmann, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Heinrich Böll, Golo Mann, Thomas
Bernhard, Uwe Johnson, Elias Canetti, Peter Handke, Christa Wolf, Martin Walser,
Ernst Jandl, Heiner Müller, Friedrich Dürrenmatt, Erich Fried, Botho Strauß, Peter
Rühmkorf, Adolf Muschg, Elfriede Jelinek, Wilhelm Genazino, Martin Mosebach und viele mehr wurden
ausgezeichnet, für sie alle bleibt Büchner nicht nur ein interessanter casus; der
hessische Schriftsteller, der vor 200 Jahren, 1813, geboren wurde und 1837 in
der Schweiz starb, war ein Ausnahmetalent. Nicht, daß er nur Dichter war,
Büchner war darüber hinaus Naturwissenschaftler, Mediziner und Revolutionär ein
einer Person. Zudem zählte das jung verstorbene Genie, mit 23 Jahren, zu den
bedeuteten Literaten des Vormärzes, einer Zeit, in der der Geist des
Liberalismus und der Nationalismus sich aus der politischen Opposition zum „Metternich’schen
System“ entwickelten.
Ihr Widerstand richtete sich politisch gegen jenen
restaurativen Obrigkeitsstaat samt seinen Ideologien, der diese mit strengen
Repressionsmaßnahmen verteidigte, aber auch gegen den Standesdünkel und die auf
Kosten der Armen erkaufte Freiheit des Adels. Was Büchner all dem
entgegensteuerte, war ein zutiefst empfundener Existentialismus des Individuums,
das sich jede romantische Poesie bewußt versagt und anstelle von Heilung und
Erlösung das Fragment und das Drama setzt. Die Flucht in die Religion, das
Pathos einer heiligen Existenz wehen an ihm vorbei, die Hegelsche „Vernunft der
Geschichte“ wird zur Phrase, die zum blutigen Puppenspiel verkommt, zum Spiel,
das den Einzelnen in seiner Endlichkeit und Zerbrechlichkeit, in seinem Hadern
und Verzweifeln zeigt. Büchner ist der genaue Kenner des Lebens und der
menschlichen Natur, er kennt nur allzu gut die Abgründe von Seele, Trieb und
Unbewußtem. In einem berühmten Brief an seine Braut aus dem Jahre 1824 wird das
deutlich: „Ich fühle mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der
Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den
menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, allen und keinem
verliehen. Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall,
die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein
ehernes Gesetz […]. „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht
gezogen; nichts, nichts wir selbst; die Schwerter, mit denen Geister kämpfen –
man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen […]“. Das Leben bleibt ein
düsteres Märchen.
Das Scheitern an den persönlichen Verhältnissen in nuce
erweist sich bei Büchner letztendlich als der ultimative Dreh- und Angelpunkt
von Existenzen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden und die tatsächlich
zu Randexistenzen mutieren, deren Schicksale er in all ihrer Radikalität,
Fragilität, Einsamkeit und Schizophrenie nachzeichnet. Die seelische Not als Resultat
von Individuen ohne Perspektive zeichnet auch heute noch die Aktualität
Büchners, denn die zunehmende Isolation, der immerwährende und nie gelingende
Versuch, sich in der Existenz festzusetzen, sind auch nach Büchner geblieben. Woyzeck und die Erzählung über die
Leiden des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz sind bar ihres tiefenpsychologischen Inhalts moderne
Bühnenstoffe, die im 21. Jahrhundert immer noch ihren Ort und vor allem ihre
tragischen Existenzen finden, sei es in den Randzonen der Gesellschaft, bei den
Langzeitarbeitslosen oder in den psychosozialen Einrichtungen des Staates.
Exemplarisch wird dieser Existenzrealismus Büchners, der
sich vom klassischen Drama kritisch distanziert, in der bewußt uninszenierten
Umgangssprachlichkeit der Akteure; Satzbrüche und Ellipsen steigern einerseits
die Dramatik, andererseits sind sie deutliches Indiz dafür, daß es eine
gelingende Interaktion und Kommunikation unter den Akteuren auf Dauer nicht
gibt. Erweitert wird dieses Spiel – gerade auch im Woyzeck – durch irrsinnige Tautologien der Macht ohne sinnerweiternde
Aussagekraft. Zum einen verlieren die Akteure der Oberschicht, im Fall des Woyzeck, der Doktor, der Hauptmann und
der Tambourmajor jede Individualitätsnote und degenerieren zu Nicht-Personen,
werden zu austauschbaren Phänotypen. Demgegenüber erwachsen die unterprivilegierten, die niederen Bevölkerungsschichten
zu den eigentlichen Persönlichkeiten und Charakteren heran, deren Schicksal
ihre Einmaligkeit zeichnet. Sie umweht Authentizität und emotionale Kraft, sie
stellen dem sinnentleerten Sprechen eine tief erlebte Metaphorik von Bildern
gegenüber, die mit dem starren Regelwerk des Logozentrismus brechen. Das
authentische Personsein zeigt sich hier durch die Namensgebung, durch die
Ansprechbarkeit, während sich die Eindimensionalität von Stereotypen in
anonymen Berufsbezeichnungen findet. Durch die Namensgebung bekommt das
Schicksal Gewicht, die Armut ein Gesicht.
Dadurch wird der bürgerliche Realismus auf den Kopf
gestellt, Moral, Sitte und Recht werden nicht jenen zugesprochen, die den
Diskurs bestimmen, sondern die Randexistenzen erweisen sich bei Büchner als die
eigentlichen Helden. In ihnen verdichtet sich der Sinn des Lebens, die Frage
nach der sinnvollen Existenz in Zeiten ethischer Asymmetrien und in einer Welt,
die – fast deistisch – davon ausgeht, daß man das Schicksal nicht verändern
kann.
So auch im Drama Woyzeck: In all seiner Verlorenheit, in den
Demütigungen und Verletzungen, im Experiment Woyzeck, im interessanten casus,
der nichts anderes als ein Versuchsobjekt in den Händen anderer Mächte ist,
verliert sich der Protagonist dennoch nie, bei aller Resignation, in banale Floskeln und sprachliche Hohlheit,
ist nicht verliebt in die Phrase. Woyzeck bleibt authentisch, aber in seiner
Authentizität eben auch korrumpierbar, wird zum Spielball von Intrige, Blamage
und Lächerlichkeit, gegen die er sich – weil es ihm physisch und psychisch gar
nicht möglich ist – nicht wehren kann. Schon Alfred Kerr hatte in der Theater-Kritik am 15.Dezember 1927
geschrieben: „Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln. Somit ein
Behandelter, nicht ein Handelnder. Somit ein Kreisel nicht eine Peitsche. Somit
ein Opfer nicht ein Täter. Dramengestalt wird sozusagen die Mitwelt – nicht
Woyzeck. Kernpunkt wird sozusagen die quälende Menschheit – nicht ihr gequälter
Mensch. Bei alle dem bleibt wahr, dass Woyzeck durch seine Machtlosigkeit
justament furchtbarsten Einspruch erhebt. Dass er am tiefsten angreift – weil
er halt nicht angreifen kann.“
Und wie einst der arme Soldat Büchners, Vorlage zum Stoff
war wie später bei Effi Briest von Theodor Fontane, eine Zeitungsmeldung, so
sind die Woyzecks unserer Tage nicht weit vom einstigen Dramenhelden entfernt. Der
einfache Soldat Franz Woyzeck, der verliebt in Marie das uneheliche Kind finanziell
zu unterstützen sucht, den mageren Sold in seine Liebe investiert, sich auf
Erbsendiät setzen läßt, verzweifelt letztendlich an einer heimlichen Affäre,
die Marie mit dem Tambourmajor eingeht. Der Mord an seiner Liebe bleibt für ihn
die einzige Möglichkeit, sich an der Gesellschaft zu rächen und dem Unbehagen
an seiner Existenz Ausdruck zu verleihen, seine Aggression richtet sich dabei gegen
die etablierte Klasse und endet dramatisch in der Selbstvernichtung. Woyzeck
bleibt ein Millionenschicksal.
Aber Büchner war mehr als nur der Literart. Wie sehr bereits
der junge Arztsohn von der Idee wahrer Freiheit begeistert war, wird in seiner Rede zur Verteidigung des Kato von Utica
deutlich. In Kato feierte Büchner jenen Geist der römischen Republik, der
einzig im Selbstmord seinen Weg zur Freiheit erblickte, ein stoisches Ideal, um
sich in aller Individualität der Herrschaft Cäsars zu entziehen. Auch im Fatalismus-Brief verdeutlicht sich
Büchners Drang nach Freiheit und Subjektivität, denn der Mensch ist ganz Subjectum,
der sich immer wieder verwehren muß, vom Weltprozeß aufgefressen und permanent
vernichtet zu werden.
Der politische Büchner wollte mehr, er schrieb gegen die
Verobjektivierung der Geschichte mit seinem Ideal einer Gesellschaft für Menschenrechte an. Eine Revolution der Denk- und
Lebensweise im Geist von Liberalismus konnte sich seiner Meinung aber nicht durchsetzen,
wenn sich die freiheitliche Opposition auf wohlhabende Liberale, Industrielle
und Handelsleute beschränkte, sondern nur in einer radikalten Revolution gegen
die bestehenden Politik- und Sozialverhältnisse. Büchner wußte allzu gut über
die Miseren der Landbevölkerung und ihre drückende Armut bescheid, kannte die
Not, die sich aus der ungleichen Verteilung der Güter ergab, die eine Revolution
von oben für ihn sinnlos erscheinen lassen mußte. Der Hessische Landbote, 1834, nimmt dann programmatisch voraus, was
später bei Karl Marx zum philosophischen Programm werden wird. Die Flugschrift,
die unter der Parole Friede den Hütten!
Krieg den Palästen! war Büchners aktiver Versuch die bestehenden
Mißverhältnisse der Zeit aufzudecken. Der bewußt biblisch gehaltene Tonfall der
Schrift diente dabei nicht nur als stilistisches Mittel, sondern in erster
Linie dazu, eine religiöse Rechtfertigung der angestrebten Revolution zu
liefern. Aber nicht der Idealismus, dies wußte er, führt zur Revolution,
sondern für die große Klasse der Entrechteten gibt es nur zwei Hebel:
„materielles Elend und religiöser Fanatismus“. Freiheit gewinnt sich so in der Dialektik
von Verlust und Aneignung.
Was bleibt von Büchner? Mit Sicherheit der Mut, sich zu empören,
diesen Mut gilt es sich wieder anzutrainieren in Zeiten der Angepaßten; Dieter
Hildebrandt hätte seine Freude an ihm, weil auch Büchner ein Störenfried ist,
einer der aufstört, verstört und zerstört, einer, der den Kampf gegen den
übermächtigen Gegner aufnimmt und bewußt das Scheitern mit einkalkuliert.
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stein 19.10.2013 18:13
Lieber Stefan, das ist ein sehr guter Artikel von Dir. Vielen Dank. In Jena gab es einige interessante Veranstaltungen zu diesem Thema. Herzliche Grüße, Günter