Erschienen in Ausgabe: No 90 (08/2013) | Letzte Änderung: 31.07.13 |
Ausstellung im Jüdischen Museum in München
von Anna Zanco-Prestel
Als eine „Arena der Erinnerung“, deren „Gestaltungsidee
aufgrund inhaltlicher Vorgaben im Zeichen des Kreises“ steht, präsentiert sich
bis zum 1. September die Werkschau „Alles hat seine Zeit - Rituale gegen das
Vergessen“ im Jüdischen Museum am Jakobsplatz. Sie zeigt sich als eine
Ausstellung der Kontraste auf zwei übereinanderliegenden Ebenen, die durch den
Einbau von sich ergänzenden Halbkreisen zu einem einheitlichen Ganzen geformt
werden. Der erste Teil des Titels „Alles hat seine Zeit“ ist an dem Wort „Alles
hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte
Zeit: eine Zeit zum Gebären/ und eine Zeit zum Sterben ...“(Kohelet 3,1-8)
angelehnt und deutet auf jene Praktiken, die das jüdische Volk in seiner über
dreitausendjährigen Geschichte zusammengehalten haben und schlussendlich dessen
Identität ausmachen. Es geht um jene Übergangsriten, die sowohl in der
rituellen als auch in der liturgischen Praxis dem biblischen Imperativ des
„sich Erinnerns“ folgen. Übergangsriten im individuellen Leben wie auch
„kollektive vitalisierte Passagen“ im religiösen und im säkularisierten
Bereich. Veranschaulicht werden rituelle Handlungen, die Übergänge zwischen
zwei Lebensphasen oder zwei Lebenszuständen wie Geburt, Mündigkeit, Eheschließung
oder Tod begleiten, um von Fall zu Fall den Wechsel von einem Status in den
anderen zu feiern, zu verarbeiten oder gar zu bewältigen. Für die Eigenart
dieser rituellen Handlungen stehen Kult- oder Gebrauchsgegenstände, die deren
symbolische Bedeutung hervorheben: Amulette für das Zimmer der Wöchnerin oder
für Bar Mizwa, ein bemalter Tora-Wimpel aus Leinen mit einem Segenspruch aus
der Beschneidungsliturgie, ein vergoldeter Hochzeitsgürtel aus Silber, ein
Kaddish-Band mit den Anfangsworten des Totengebets. Gezeigt werden sie als
wertvolle Exponate in entsprechenden Bereichen, in denen die Schau gegliedert
ist, u.a. in den Bereichen Erinnerung an das Leben, an die Kindheit, an die
Liebe, an die Endlichkeit. Unter„Erinnerung an das Vaterland“ fällt auch eine
Vielzahl von Objekten, die die Identifikation der Juden mit ihrer Heimat
verbildlichten. Aus München stammt ein Bierkrug aus Zinn, deren Inschrift von
1917 den aktiven israelitischen Anteil im Ersten Weltkrieg wachruft. Andere
Pokale, Teller, Becher und Leuchter weisen auf die Kollektivrituale, wozu die
traditionellen Feiern gehören, die den Jahresrhythmus skandieren: Channuka, das
Lichtfest, als Erinnerung an den Sieg der Makkabäer und an die Wiedereinweihung
des Tempels, Pessach als Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten und „Sukkot“,
das „Laubhüttenfest“ als Erinnerung an die Wüstenwanderung. Zu sehen in der
Ausstellung eine in Installation umgewandelte Originalbauhütte aus Holz aus dem
Beginn der 1920er Jahre als Hinterlassenschaft geflohener oder deportierter Juden.
Die Ausstellung setzt den Akzent auf die Unentbehrlichkeit der Erinnerung, die
der Mensch braucht, um sich seiner Kultur, seiner Religion, seiner Nationalität
und letztendlich sich selbst zu vergewissern. Dem Thema „Rituale gegen das
Vergessen“ - wie der Untertitel lautet – steht jenes der „Strategien gegen das
Vergessen“ gegenüber, womit die hochgradig ritualisierte Erinnerung an die
NS-Zeit und an die Shoah in Form von Gedenktagen und -feiern eng verknüpft ist.
Daraus ausgeklammert war bis dato die Opfergruppe der sexuell ausgebeuteten
Frauen in den Konzentrationslagern. Diesem bisher tabuisierten Thema widmet
sich die transdisziplinär arbeitende New Yorker Künstlerin Quintan Ana Wikswo
in optisch getrennten Arbeiten von der eigentlichen „Arena der Erinnerungen“,
die sich wie eingehüllt in „raumhohen, schräg eingehängten, weißen
transluzenten Stoffbahnen“ präsentiert. In 14 großformatigen Fotos erfasst sie
fotografisch und literarisch zugleich die Reste der sogenannten „Sonderbauten“
und thematisiert somit erstmalig den Themenkomplex der Zwangsprostitution in
den KZ-Bordellen. Aus irreal wirkenden Bildkompositionen kristallisieren sich
nie dokumentierte Leidensgeschichten heraus, während erschütternde Begleittexte
von der brutalen „Konsumierung“ weiblicher Existenzen, von Erniedrigung und
unsäglichem Schmerz mutig erzählen, wie vom „Frühling eines deutschen Winters:
dunkel.“ Zur von Dr. Felicitas Heimann-Jelinek
kuratierten und von Architekt Martin Kohlbauer gestalteten Ausstellung ist ein
Katalog mit zahlreichen Abbildungen erschienen (187 Seiten, € 36,-)
Erstveröffentlichung des Artikels in und-Das Münchner
Kunstjournal, Jg. 30, H.52, April/Mai/Juni 2013.
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